Damals hatte ich diesen 10 Jahre jüngeren Freund. Das war insofern bemerkenswert, als ich gerade mal 28 Jahre zählte. Wer jetzt aber denkt, dies sei eine Geschichte über unorthodoxe Alterskonstellationen, der hat sich geschnitten. Nein, die Story dreht sich um Peter und Ruth, die Eltern besagten Jünglings. Obwohl Ruth am Telefon zunächst einen Schwall nicht wiederzugebender Worte über mich ergossen hatte, als sie von der Ungeheuerlichkeit erfuhr, durfte ich wenige Tage danach – bewaffnet mit einem Blumenstrauss und offizieller Einladung zur Beschnupperung – einen so herzlichen Empfang erleben, wie er mir noch selten zuteil wurde. Aber auch darum geht es hier nicht. Ruth und Peter waren die entspanntesten Eltern, die ich je kennenlernen durfte. Warm, herzlich, direkt. Ich hatte sie sofort ins Herz geschlossen.
Es trug sich dieser Tage zu, dass die Sendung „Wetten, dass…“ im Basler Hallenstadion stattfand. Gottschalk suchte fieberhaft – entsprechend der Saalwette – nach Leuten, die sich bereit fänden, das Logo der Sendung aufzutätowieren. Also nicht mit Henna, sondern so richtig mit Nadeln und allem Drum und Dran. Da die Wohnung von Ruth und Peter unmittelbar neben dem Hallenstadion gelegen war, beschlossen sie, ihre zarte Haut in die Hände von Thomas Gottschalk bzw. dessen designierten Tätowierers zu legen. Das mag zunächst etwas abgedreht klingen, hat aber bei genauerem Hinsehen Kult-Potenzial. Der Schriftzug „Wetten, dass…“ nämlich könnte mit Botschaften aller Art erweitert werden, zum Beispiel solche religiöser Natur: „Wetten, dass die Welt morgen untergeht?“. Wahl-Umfragen würden sich erübrigen, zumindest im Sommer. Auch der direkte Kontakt zu den Mitmenschen erhielte so eine neue Dimension: „Wetten, dass du heute den Müll rausträgst?“. „Wetten, dass dir niemand sagt, dass dein Hosenstall offensteht?“. Facebook war gestern. Heute ist Tattoo 2.0. Kommunikation ohne einzuloggen und mit der nötigen Distanz, auch unangenehme Themen auf den Tisch, pardon, die Haut zu bringen. Man stelle sich vor, das Tattoo prominent im Decolleté: „Wetten, dass du die beiden da unten nicht zu Gesicht bekommst?“. Der gewiefte Leser, ausgestattet mit einem Jass-Schwamm, könnte hier die Botschaft seiner Sicht der Dinge entsprechend korrigieren und so zum Dialog anregen. Je nach Körperpartie wäre auch eine Kommentarfunktion denkbar. Ihr müsst zugeben, dass sowas weitaus sinnvoller ist, als beispielsweise der Schriftzug auf dem Arm meines Vaters: „Rita“. Meine Mutter heisst Anneliese, seine heutige Frau Carla. Wer zur Hölle ist Rita? Gut, auch diese Inschrift regt zum Nachdenken an. Diese Form der Kommunikation könnte uns zurück an die Wurzeln der Menschheit führen, als die Höhlenmalerei noch ihre Blütezeit feierte.
Was aus Ruth und Peter geworden ist, weiss ich nicht. Sie haben sich vielleicht getrennt, sind weggezogen und wegen ihres gängigen Nachnamens nicht mehr zu finden. Eins jedoch ist gewiss: Liebe kann vergehen, ein Ehering lässt sich abstreifen, aber wetten, dass das Tattoo geblieben ist?
PS: Übrigens kenne ich jemanden, der sich das Wort „Schwein“ als Schriftzug in chinesischer Sprache hat tätowieren lassen. Das nämlich ist sein Sternzeichen. In unseren Breitengraden hat dies kaum Diskussionspotenzial. In China hingegen schon…