Archiv für den Monat August 2012

Tattoo 2.0

Standard

Damals hatte ich diesen 10 Jahre jüngeren Freund. Das war insofern bemerkenswert, als ich gerade mal 28 Jahre zählte. Wer jetzt aber denkt, dies sei eine Geschichte über unorthodoxe Alterskonstellationen, der hat sich geschnitten. Nein, die Story dreht sich um Peter und Ruth, die Eltern besagten Jünglings. Obwohl Ruth am Telefon zunächst einen Schwall nicht wiederzugebender Worte über mich ergossen hatte, als sie von der Ungeheuerlichkeit erfuhr, durfte ich wenige Tage danach – bewaffnet mit einem Blumenstrauss und offizieller Einladung zur Beschnupperung – einen so herzlichen Empfang erleben, wie er mir noch selten zuteil wurde. Aber auch darum geht es hier nicht. Ruth und Peter waren die entspanntesten Eltern, die ich je kennenlernen durfte. Warm, herzlich, direkt. Ich hatte sie sofort ins Herz geschlossen.

Es trug sich dieser Tage zu, dass die Sendung „Wetten, dass…“ im Basler Hallenstadion stattfand. Gottschalk suchte fieberhaft – entsprechend der Saalwette – nach Leuten, die sich bereit fänden, das Logo der Sendung aufzutätowieren. Also nicht mit Henna, sondern so richtig mit Nadeln und allem Drum und Dran. Da die Wohnung von Ruth und Peter unmittelbar neben dem Hallenstadion gelegen war, beschlossen sie, ihre zarte Haut in die Hände von Thomas Gottschalk bzw. dessen designierten Tätowierers zu legen. Das mag zunächst etwas abgedreht klingen, hat aber bei genauerem Hinsehen Kult-Potenzial. Der Schriftzug „Wetten, dass…“ nämlich könnte mit Botschaften aller Art erweitert werden, zum Beispiel solche religiöser Natur: „Wetten, dass die Welt morgen untergeht?“. Wahl-Umfragen würden sich erübrigen, zumindest im Sommer. Auch der direkte Kontakt zu den Mitmenschen erhielte so eine neue Dimension: „Wetten, dass du heute den Müll rausträgst?“. „Wetten, dass dir niemand sagt, dass dein Hosenstall offensteht?“. Facebook war gestern. Heute ist Tattoo 2.0. Kommunikation ohne einzuloggen und mit der nötigen Distanz, auch unangenehme Themen auf den Tisch, pardon, die Haut zu bringen. Man stelle sich vor, das Tattoo prominent im Decolleté: „Wetten, dass du die beiden da unten nicht zu Gesicht bekommst?“. Der gewiefte Leser, ausgestattet mit einem Jass-Schwamm, könnte hier die Botschaft seiner Sicht der Dinge entsprechend korrigieren und so zum Dialog anregen. Je nach Körperpartie wäre auch eine Kommentarfunktion denkbar. Ihr müsst zugeben, dass sowas weitaus sinnvoller ist, als beispielsweise der Schriftzug auf dem Arm meines Vaters: „Rita“. Meine Mutter heisst Anneliese, seine heutige Frau Carla. Wer zur Hölle ist Rita? Gut, auch diese Inschrift regt zum Nachdenken an. Diese Form der Kommunikation könnte uns zurück an die Wurzeln der Menschheit führen, als die Höhlenmalerei noch ihre Blütezeit feierte.

Was aus Ruth und Peter geworden ist, weiss ich nicht. Sie haben sich vielleicht getrennt, sind weggezogen und wegen ihres gängigen Nachnamens nicht mehr zu finden. Eins jedoch ist gewiss: Liebe kann vergehen, ein Ehering lässt sich abstreifen, aber wetten, dass das Tattoo geblieben ist?

PS: Übrigens kenne ich jemanden, der sich das Wort „Schwein“ als Schriftzug in chinesischer Sprache hat tätowieren lassen. Das nämlich ist sein Sternzeichen. In unseren Breitengraden hat dies kaum Diskussionspotenzial. In China hingegen schon…

Giftmord zur frühen Morgenstunde.

Standard

Leblos liegen sie da, kläglich verendet. Ihre starren kleinen Körper zeugen von ihrem frühen Tod, mitten in der Jugend aus dem Leben gerissen. Irgendwie bin ich aber auch ein bisschen froh, haben sie ihren letzten Atem ausgehaucht. Es sind einfach zu viele. Ich weiss auch gar nicht, wie die ganzen dummen Wespen den Weg in meine Wohnung gefunden haben – ich bin eben erst aus meinen Ferien zurückgekehrt und die Fenster waren während dieser Zeit geschlossen.

Gut, das soll hier kein Ungezieferblog werden, und ich werd auch nichts über das Paarungsverhalten von Wespen schreiben. Zumal bei meinen Mitbewohnern die Zeiten der Paarungsfreuden offensichtlich vorbei sind. Sie legen sich zum Sterben in meine Kleider und in meine Plüschtiere. Klar, ich hab ne gewisse Affinität zu Friedhöfen, wollt aber selber nicht unbedingt einer sein. Auch in der Küche liegen tote Wespen. Täglich ein paar Neue. Sie werden zunehmend grösser. Und – sie kriechen ganz offensichtlich nicht tot in meine Wohnung, wie ich an jenen ersehe, die etwas ermattet zwar, aber durchaus noch quicklebendig gegen die Scheibe krachen. Öffne ich das Fenster, um eine hinaus zu lassen, fliegen zwei weitere hinein. Es gibt nur einen Weg, woher die Viecher kommen können: Durch die Rolladenöffnung. Also investiere ich ne Runde Hakle Supervlaush und stopfe alles zu.

 „Vor meinem Fenster hat’s ein Wespennest“, klage ich dem Hauswart. „Seien Sie froh“, nickt er wissend, „der im Stock obendran hatte ein Hornissennest. Wespen darf man wegmachen, Hornissen aber sind geschützt“. Ich weiss nicht, ob mich das zuversichtlich stimmen soll. Erst die Wanzen, jetzt die Wespen, wieso nicht auch nächstens Hornissen? „Das Klopapier wird nicht lange nützen, die Larven fressen sich durch“, werde ich gewarnt. Zum Glück ist meins 4-lagig. Hilft aber auch nicht viel. Drei Tage später summt unverdrossen das nächste Tier durchs Zimmer.

Es klingelt an der Türe. Vor mir steht der Auftragskiller, ein grosser, attraktiver Mittdreissiger mit stechend blauen Augen und einem kleinen Aktenkoffer… Ach nein: es ist ein älterer Herr im weissen Kittel. Ein Arztkittel vielleicht? Bereit zur Operation „Wespe“; der Mann wurde von der Firma Antinsekt gesandt. Ob die auch Wanzen aus der Wohnung bugsieren? In der Hand hält er sein Mordwerkzeug, einen ebenfalls weissen Kessel mit einer Düse, lang und dünn wie die Nase eines Ameisenbärs. Man ahnt, was gleich passieren wird. Wild summende Wespen, die uns aufgeregt um die Köpfe kreisen. Anschwellende Stiche, Allergie, Notarzt. Nee, Leute. Das hier ist nicht „Angriff der Killerwespen“. Nur ein kleiner Blog aus dem ganzen normalen Alltag einer Frau mit Wespennest im Rolladenkasten. Er sprüht, und das war’s. „Sollte jetzt gut sein“, lächelt er. Ich stell’s mir vor, das arme Wespenvolk. Wie sie mühsam ihr Nest gebaut hatten. Herr und Frau Wespe beim Frühstückstisch. Die kleinen Wesplein, eben noch singend „Ringelpiez“ gespielt. Das alles tut mir irgendwie ein bisschen leid. Ehrlich.