Archiv für den Monat Dezember 2012

Nur ne klitze-kleine Katastrophe.

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399295_4984890188359_1324026080_nVon einem herabstürzenden Container erschlagen. Händchen haltend mit dem Mann, den ich liebe. So ähnlich stelle ich mir den optimalen Tod vor. Ja, ich bin eine echte Romantikerin. Und abergläubisch. Es ist also keine Option, am Weltuntergang alleine zu verrecken. Vor allem, nachdem ich schon am letzten Geburtstag die Einsamkeit auf eine Weise zelebriert habe, die man bei aller Freude an der Selbstoffenbarung nun wirklich nicht in einem öffentlichen Blog festhalten kann. Ich habe dazu gelernt. Das Ende aller Enden will ich mit Menschen verbringen, die mir am Herzen liegen.

Coop hat da so nen super Online-Lieferdienst. Die schleppen dir das Zeugs in deine Wohnung. Perfekt, wenn du eine Party mit vielen Flaschen feiern willst… die Getränke mein ich, nicht die Gäste. Allerdings gibt es erst ein eher renitentes Tool zu überwinden: Ich wähl ein Lieferdatum, er speichert irgendein anderes Datum rein. Jawohl, der Tool – das Kerl muss ein Mann sein. Da musst du aufpassen wie ein Häftlimacher. Letztes Mal waren sie einen Tag zu früh da. Zum Glück war ich in der Nähe, als der Anruf kam. Genervt hab ich mich trotzdem. Wenn die das Zeug wieder mitnehmen, zahlst nämlich du die Unkosten. Und zweifelst an deinem Verstand, weil es nicht nachprüfbar ist, ob du das richtige Datum angetippt hast. Auch wenn du weisst, dass es so ist. Volle Einkaufstaschen vor der Türe stehen lassen ist in einem Wohnblock kein beruhigender Ansatz. Auch dieses Mal will mir das Tool alle mögliche Daten unterjubeln, aber hey, die Katastrophe ist am 21sten, punktum und Schluss. Am Ende hab ich alles akribisch genau kontrolliert. Man lernt schliesslich aus Fehlern.

Ich dümple ein bisserl herum. Hab heute zum jüngsten Gericht frei genommen, wer will schon im Büro von der Flutwelle erfasst werden? Wenn dann der Zalan… äh, Coop-Bote kommt, werd ich erst mal laut schreien und hernach gemütlich die schwarze Bowle mit den Glubschaugen vorbereiten. Ein Blick auf die Uhr; kurz vor Vier. Der vermaledeite Coop ist noch nicht da. Mir schwant Fürchterliches. Vielleicht sollt ich doch mal die Bestätigungsmail konsultieren? Hm. Hab keine bekommen. Ich logge mich ein. Mein Puls steigt allmählich. In drei Stunden stehen die Leute auf der Matte und meine Schränke sind so leer wie die Tüten aus der Denner-Werbung. Nicht mal Dosenbrot hab ich im Haus. Ah, da steht’s: Liefertermin 28. Dezember. Verdammt, da die ersten Reiter der Apokalypse!!!

Mein Hirn ist ein Teilchenbeschleuniger, die Gedanken rasen im Kreis. Was wollt ich… wie kann ich… wo muss ich… Ich rufe Coop an. „Wir können Ihnen die Sachen morgen bringen“. Morgen bin ich tot. Nächster Ansatz, bitte. Der Chef ist ein Problemlöser, haben wir am Führungsseminar gelernt. Und er ist eh eingeladen. Also, wo ist das Telefon?? „Aläääääääää!“. Meine Stimme ist ein paar Oktaven höher. „Der Coop ist nicht gekommen!!! Was mach ich denn jetzt??“. „Jetzt komm erst mal her“, meint eine ruhige Stimme am anderen Ende.

Ich stehe im Büro. Im Pausenraum sitzen Kollegen und Kolleginnen aus Abteilungen, die normalerweise hier nicht anzutreffen sind. Die meisten davon kenne ich kaum. Sie gucken ein bisschen komisch. Ich schau an mir runter. Kurzes, goldenes Kleidchen, tiefer Ausschnitt. Mist. Ich wollt mich für die Afterparty nicht mehr umziehen. Jetzt krieg ich erst mal ein Sektchen. Und dann noch eins. Danach ziehn wir los. Einkaufen. So einfach ist das.

Ach ja: Also von mir aus könnt jede Woche mal Weltuntergang sein. Absurd lustiger Abend mit Leuten, die ich gern hab. Genau so hab ich’s mir vorgestellt, danke. Drück euch alle.

Mobile und online verloren.

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„Verliebt, verloren, vergessen, verzeiiiiiihn“… Wolfgang Petry plärrte aus den Boxen, ich pflügte mir meinen Weg durch die Menge. Verbissen versuchte ich, mein prall gefülltes Handytäschen zuzuklappen. Der Verschluss wollte partout nicht einrasten. Ich hatte den Kampf noch nicht gewonnen, da fühlte ich mich grob an den Armen gepackt. Ein dürres Männlein mit schwarzen Augen schnappte nach mir und schüttelte mich hektisch hin und her. Zuckend, als wäre er an eine Fahrleitung angeschlossen, fuchtelte er herum, meine dünnen Arme fest im Griff. Geppetto, der Puppenmacher, hatte mich eben zur Marionette gemacht. Ein wild gestikulierender Kermit. Sorgenvoll dachte ich ans offene Täschchen. „Der soll mich loslassen, damn!“ Er dachte nicht daran. Eben drehte er mich wie einen Kreisel. Ich versuchte mich loszuwinden und erntete verständnislose Blicke. Das Täschchen. „Ich will es schliessen. Jetzt!“. Bloss, warum war das Ding so leicht? Ein Blick hinein bestätigte den grausigen Verdacht. Leer. Mein Handy! Funknagelneu und verschwunden.

handyMein Blick scannte den Boden. 1000 trampelnde Füsse an einer voll besetzten Schlagerparty. Würde ich es noch finden, dann höchstens in 1000 Stücken. „Wo hast du es denn zuletzt gesehen?“. Der Zitteraal von vorhin. „In meinem Täschchen hab ich es gesehen, bevor du wie ein Hunne über mich hergefallen und mich geschüttelt hast, als wäre ich ein McDonalds-Salat im Becher. Und jetzt mach dich vom Acker und lass mich suchen!“. Manchmal wäre es eine Erlösung, seine Gedanken einfach auszusprechen. Ich wähnte meinen Abend im Eimer. Hab an der Garderobe nachgefragt. Nichts. An der Kasse. Nur mitleidige Blicke. „Vielleicht hat ja jemand das Handy gefunden und ruft mich an – ich hab dir eben noch geschrieben, bin zuoberst auf der Liste“, meinte Julia und checkte ihre SMS. Wieder nichts. Ich brauchte erst mal n’Drink. Mehr beiläufig fragte ich den Typen hinter der Bar, ob wohl ein Handy abgegeben worden sei. Er tuschelte mit seinem Kollegen. „Was für ein Modell?“ fragte er. „XPeria Pro, mit Klapptastatur“. Ein bedeutungsvoller Blick, ein Griff, und der Typ hielt mir mein Handy unter die Nase. Hallellujah! Was für ein Scheiss Glück!

 „Hättest halt mal Lookout installiert“ meinte Yves, mein Arbeitskollege. Stimmt. Das tolle Programm ist nicht nur Virenscanner, man kann damit auch online sein Handy lokalisieren. Und auf dem Gerät eine Sirene erschallen lassen. Selbst wenn’s auf lautlos gestellt ist. Das Dumme ist nur, dass sich der vorinstallierte McAfee benimmt wie eine eifersüchtige Geliebte; laufend werd ich gefragt, ob ich denn Lookout nicht endlich wieder deinstallieren möchte. I-Phone geht noch nen Schritt weiter: Neulich wurde in den Zeitungen das Foto einer jungen Frau abgedruckt, welche in England ein Handy gestohlen haben soll. Das iPhone-App namens iGotYa knipst nämlich ein Bild, sobald jemand mehr als drei Mal den falschen Code eingibt. Die Bestohlene erstattete Anzeige, und flugs schickte die Polizei das Bild zur Unterstützung bei der Fahnung an die Redaktionen. Jetzt wird das Konterfei der vermeintlichen Diebin in Europa durch die Medien geschleppt, auf dass sie geschnappt werde. Stell dir vor, du findet ein Handy und versucht, den Code zu knacken, um einen Kollegen des Besitzers zu kontaktieren. Gut, das Ansinnen, rein zufällig den richtigen Code eingeben zu wollen, ist ja an sich eher unsinnig, egal ob die Absichten lauter oder unlauter sind. Trotzdem, du tust es – und kriegst ne gepflegte Rufmord-Kampagne. Selbst wenn das Teil wirklich gestohlen worden wäre – seit wann ist es denkbar, Menschen öffentlich an den Pranger zu stellen? Sind wir wieder im Mittelalter angelangt? Und falls ja, gäbe es nicht schlimmere Verbrechen, die in der halben Welt zur Fahndung auszuschreiben wären? Lustigerweise schreibt 20 Minuten einige Seiten weiter hinten über die neue Kampagne gegen Cybermobbing und darüber, wie Kids in den Suizid getrieben werden. Schöne virtuelle Welt; so viele neue Möglichkeiten. Die Technik entwickelt sich, der Mensch ist noch bereit zur Steinigung. Online, versteht sich.

Die dargebotene Endzeit: Droopy, Jesus oder Metatron?

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katzeBald rafft uns der Weltuntergang dahin. Vor den Haustüren lauern Abgesandte undefinierter christlicher Strömungen. „Gott liebt dich“, verkünden sie, obschon er uns demnächst in der Sintflut ertränkt oder mit Fröschen und Astoeroiden erschlägt. Während sich die Ängstlichen mit Dosenbrot verbarrikadieren (Leute, ihr habt da was falsch verstanden: WeltUNTERGANG – ihr braucht kein Brot mehr, auch nicht in Dosen), ziehen die Esoteriker neue Jünger an wie Hugh Hefner Blondinen.

Als ich neulich bei einem Herrn zum Essen eingeladen war – alles frisch zubereitet, keine Astronautennahrung – steuerte er unmittelbar nach dem Gaumenschmaus auf das Fernsehgerät zu, droopywillenlos wie ein ferngesteuerter Roboter, und wählte 3+: Mike Shiva, der Mann mit dem Kopfverband. Manche Leute zahlen 4.50 pro Minute um ihn darüber wettern zu hören, dass es Scharlatane mit günstigerem Tarif gibt. Rechts im Bild winkte eine japanische Glückskatze unablässig mit der Pfote, vor-zurück, vor-zurück, wahrscheinlich für die hypnotisierende Wirkung frei nach Schlange Kaa: „Glaube mir, vertraue miiiiiiiirr“. Findet ihr nicht auch, dass Shiva Ähnlichkeit mit Droopy, dem lethargischen Cartoon-Basset, hat?  Hund und Katz, gehört die Sendung zu Netz Natur? Ich tät mich ja lieber von Jane, dem Mentalisten in Trance versetzen lassen; dennoch wirbelte das Miezchen Erinnerungen an einen Besuch bei einer Luzerner Geisterbeschwörerin aus meinem Unbewussten zutage:

Die Dame wurde mir von einer Kollegin empfohlen: Eine gepflegte, attraktive Mitvierzigerin sass mir barfuss gegenüber, in einem von Pastellfarben dominierten Raum. Im Büchergestell zu meiner Rechten fanden sich Bücher über Engel und die Jungfrau Maria. Für mich n’Tick zu katholisch. Sie schloss die Augen, wechselte von Mundart auf Hochdeutsch und begann, mich wie ein Wasserschwall in Komplimenten zu baden. „Aus Farben ziehst du deine Kraft“, sang sie salbungsvoll und rrrrrollte das „r“. Ja, sie hatte den Mix aus roten Hosen und blau-gemustertem Shirt zu deuten verstanden, ehe sie die Augen schloss. „Siehe, deine Aura ist zart wie eine Rose, dem Regenbogen gleich schillert sie in allen Farben“. Da liegt doch noch so’n Aurafoto in der Schublade, das ich an der Esoterikmesse zum Spass hatte machen lassen – ich, umgeben von einer blau-schwarzen Wolke. Gut, an jenem Tag hatte ich Kopfweh. Sie flötete weiter: Medial begabt sei ich, und ja, Mutter Maria persönlich stehe mir schützend zur Seite. So plätscherte sie eine Weile vor sich hin. Plötzlich hielt sie inne. Nun könne ich Fragen stellen, ermunterte sie mich. „Kann ich gehen?“, schoss es mir durch den Kopf, aber eins noch musste ich wissen: „Wer bist du?“. Sie überlegte kurz. „Jesus Christus“, klappte ihr Mund auf und zu, die Augen noch immer geschlossen. Jesus? Warum in Dreiteufels Namen spricht er hochdeutsch – warum nicht wenigstens hebräisch?? Was für eine Schmierenkomödie. Ein prustendes Lachen schob sich wie ein Geysir meine Kehle empor, ich würgte es herunter als seien es pürierte Maden. Die Mutter Gottes, Jesus Christus – thank god, I’m a VIP! Nichts wie weg, bevor Vater Abraham mit seinen sieben Söhnen durch die Türe kommt.

Unermüdlich tropfte Jesus seine pathetische Rede in meine leidgeplagten Ohren. Ich rollte mit den Augen, fasste mir an die Stirn, gestikulierte, la mano a borsa. Er sah nichts. Schliesslich räusperte ich mich. „Entschuldigung“. Sie klappte erstaunt ihre Augen auf. Ich schüttelte bedächtig den Kopf. „Das war nix“. „Nein?“. „Nein. Falls Jesus bei mir ist, hoffe ich, er kennt mich ein besser als das“. Get the fuck out. Ich verabschiedete mich höflich und floh auf die Strasse.

Tage später stieg ich bei mir im Hauseingang zum Lift aus. Da stand ein Paar, Mann und Frau, verloren im Hausgang. Zwei Köpfe drehten sich und fixierten mich mit starrem Blick. Die Frau wandte sich mir zu: „Jesus liebt Sie“.