Archiv für den Monat Juli 2013

Bündner auf dem Kriegspfad.

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steinbockZeitung, Handy, Schuhspitzen. In Zürich blicken die Menschen überall hin, aber selten in die Augen fremder Leute. Was also tut die pragmatische Single-Frau von heute? Sie geht online. Vielleicht findet sich dort ja ein Gspänli? Man muss dem Schicksal Gelegenheit geben. Bald schon flattern Dutzende Nachrichten in die Mailbox. Von Herren, die entweder meine Väter oder Söhne sein könnten oder solche, die sicher, mh, nett sind. Ab und an findet sich einer, der den Kinderschuhen entwachsen ist und noch keine AHV-Rente bezieht, ja den gar ein passables Foto ziert, auch wenn es vielleicht seinen Cousin zeigt. Kann man ja mal näher anschauen. Dummerweise folgt meist nach wenigen, nichtssagenden Sätzen die Frage, ob ich ihn denn nicht gerne noch gleichen Abends daheim besuchen möchte.

Ich will nicht nach Hause bestellt werden, als wäre ich eine Pizza! Prominent platziere ich meinen Unmut im Profil. Ich gebe zu, meine Feder ist nicht für alle Gemüter gleich verträglich, erst recht nicht, wenn mir der Kragen platzt. Und so schreibt mir bald Attila, der Hunnenkönig. Wirres Haar, voll tätowiert. Der Blick sagt: „Ich hau dir gleich eins in die Fresse“. Ich sei arrogant, meint er grimmig, mit 20 Ausrufezeichen. Bald folgt ein zweiter Herr mit finsterem Antlitz: „Eine alte blöde Tussi und obendrein hässlich, die Lippen sind sicher gespritzt“. Der Dritte, ein grobschlächtiger Kerl um die 40, bläst ins gleiche Horn. Ungefragt erklärt er, er wolle junges Gemüse, kein altes. Und eben, die Lippen. Ich bin bestürzt. So viel Boshaftigkeit, nur weil ich etwas Respekt gefordert hab? Andererseits, wir leben in einer Welt, in der Frauen in Kellern festgehalten und auf offener Strasse Köpfe abgehackt werden. Ist es nicht etwas naiv, sich wegen einiger gehässiger Nachrichten aufzuregen? Und sowieso – den Pilznasen bin ich doch haushoch überlegen. Vielleicht nicht beim Holz hacken, aber sicher im Schreibkrieg. Ich krieg mich wieder ein, sehe, dass die Herren allesamt Bündner sind. Einer indes aus Zürich, aber auch der schreibt mit Bündner Dialekt. Ha! Ein Komplott aus dem Land der Steinböcke. Denen steckt meine Rede wohl wie ein Pizokel im Hals – jetzt kriegen sie einen dicken Kopf.

Bald stimmt der vierte Bündner, ein dicklicher Typ, ins selbe Lied ein. Ich bin kampfbereit und haue in die Tasten:
„Huh! Noch n’Bünder mit Lippen-Aversion? Gott, muss ich euch eingefahren sein, dass ihr euch so ne Mühe macht. Zugegeben, etwas lästig seid ihr schon, so wie die ganzen Mücken im Moment. Kommen die auch aus dem Bündnerland? Ich kann ja verstehen, dass ihr den Anblick voller Lippen nicht kennt. Ihr seht wohl nur schmallippige Damen, weil die sich das Lachen verbeissen. Dein Kumpel meinte, er stehe auf Gemüse, was klar ist, da seine kognitiven Fähigkeiten jene einer Zucchetti nicht zu übersteigen scheinen. Trotzdem weiss ich nicht, was ihr für’n Problem mit gespritzten Lippen habt, wenn sie’s denn wären – hab die Tage Bildli von mindestens einem Bündner gesehen, der aussieht, als hätte er selber den ganzen Kopf gespritzt. Mit Gips. Eigentlich kenn ich euren Kanton als gemütliche Leute, echt, ich mag euch, aber vielleicht hatte Mike Müller doch recht mit den zusammengewachsenen Fingern (ihr wisst schon, Inzest und so – n’bisserl fies, aber hey, ich hab den Witz nicht erfunden!). Auch wenn eure Nusstorte super ist, muss ich von den Nüssen nicht zwingend angeschrieben werden, vor allem nicht, wenn sie hohl sind. Nicht böse sein, war uh lustig mit euch :-D“.

Ich rechne damit, von halb Graubünden gedisst zu werden und meinen Account erst mal löschen zu müssen, aber nein. Bis jetzt herrscht Stille. Wer weiss, vielleicht sind Gian und Giachen schon unterwegs, um mir die Hörner in den Hintern zu rammen?

Haarig.

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387745_2810031378248_812161715_n„Wenn es sich so kräuselt, wäääääääh!“. Das kleine Grüppchen Männer und Frauen verhandelt gerade die „haarigen Geschöpfe“, wie meine liebe Freundin Melanie das männliche Geschlecht zu nennen pflegt. Haare auf der Brust – da scheiden sich die Geister. Für die Beine besitzen Radfahrer eine Ausnahmebewilligung, und unter den Achseln – also bitte! Pelz ist in der Neuzeit nicht nur bei Peta verpönt, und ja, es geht jetzt auch den Herren ans Fell. Die letzte Tabuzone ist gefallen. Haare auf den Zähnen werden nicht toleriert, in der Suppe ebenfalls nicht, und frei von Hemmungen richtet sich der kritische Blick auch auf jene Körperstelle, wo manche beim männlichen Geschlecht den Denkapparat wähnen. Von Grundsatzdebatten verschont wird in diesem Gespräch einzig die Frisur auf den Köpfen. Obschon es da weitaus mehr Gesprächsstoff gäbe.

„Gott, wie banal“, höre ich einige von euch stöhnen. Nicht unbedingt. Frühkindliche Traumata nach der Lektüre des „Struwwelpeters“ lassen das Volk zu den Frisören strömen, was selbigen Haare ins Lavabo und Geld in die Kasse spült. Wer sich im Schweisse seines Angesichts den Sommerlook schneiden liess, kann das Erlittene vermittels Extensions binnen zwei Stunden wieder rückgängig machen. Die Herren unterstützen die Pharmaindustrie mit dem Kauf ominöser Wässerchen, zumeist erfolglos gegen das schwindene Deckhaar. Haariges Ungemach drohte auch im Mittelalter: Da wurden die Schäfchen zur Strafe und Demütigung am Kopf geschoren – und auch heute noch nimmt man in den Gefängnissen gewisser Staaten den eingebuchteten Damen die wallenden Locken ab, um es an westliche Frauen mit ungewollt kurzem Pagenschnitt weiterzureichen. Auch René Kuhn, der grosse Frauenversteher, weiss etwas zum Thema beizutragen: Er rügte die Damen der Linken kurzum kollektiv als verfilzte Vogelscheuchen. Seither habe ich schon viele linke Damen gemustert, um den Unterschied zwischen ihren und den Haaren politisch rechts orientierter Zeitgenossinnen zu eruieren. Bislang ohne nennenswerten Erfolg. Das einzige zerzauste Exemplar bin ich selbst, aber das wird morgen geändert, im Fall.

„Er hat eine Frisur wie Dachziegel – so aufeinander geschichtet“. Meine liebe Freundin Anna hat einen Neuen. Ich weiss nicht, welche Botschaft eine Ziegelfrisur transportiert, ausser vielleicht „Ich hab keinen Dachschaden“?. Grundsätzlich aber sind Frisuren ein Statement, sei’s mit kahlgeschorener Glatze oder Rastas. Ich erinnere mich an das Entsetzen meiner Eltern, als ich Marco mit den blauen Haaren nach Hause brachte. Heute ist die Gefahr provokanter Haarpracht weitgehend gebannt. Vielmehr liest sich die Standardbotschaft von Menschen über 35 mehrheitlich als: „Ich bin ganz brav“ – warum man so freiwillig auf einen kecken Look verzichtet, bleibt mir verborgen. Seriös ist doch nicht gleich langweilig? Anders der Sänger jener hippen Band am Wipkinger Open-Air. Er trug sie seitlich geschoren, oben spiralförmig zu einer Art überdimensionaler Muschel geformt. Sein Kopf wippte im Takt des Beats, und die Muschel wippte mit. Ich war fasziniert. Wenn wir schon bei „hip“ sind: Die ganz Coolen tragen ja jetzt Turnbeutel auf dem Rücken, so wie wir früher zur Primarschulzeit. Ich hab neulich einen gefragt, was er eigentlich da drin hat – Znünibrot, Apfel und Banane? „Bier und einen Pulli“, liess er mich wissen. Das war am Züri-Fäscht, aber die tragen diese Beutel ja auch in den Clubs, wo Bier nicht erlaubt ist und es keinen Pulli braucht. Ich vermute, sie stopfen Styropor rein, damit es so aussieht als ob. Apropos Züri-Fäscht: Dicht gedrängt standen wir in der tanzenden Menge bei der Vogelvolière, Schulter an Schulter mit anderen schrägen Vögeln. Und wie wir uns da so aneinander quetschen, meint meine Freundin Leila  „Stell dir mal vor, die hätten alle Afro-Frisuren – dann würden wir ja oben gar nicht mehr raus sehen“.