Archiv der Kategorie: Mal ganz ernst

Am Ende des Regenbogens

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Am Ende des Regenbogens

Die Wolken sind weg, jetzt scheint mir die Sonne scheint ins Gesicht, dieser gehässige runde Ball, wie ein Scheinwerfer bei einem Verhör. „Du Looser“, scheint sie zu lachen, während du auf dem Sofa klebst – warum kann es heute nicht regnen? Heute, wo alle auf dem See sind, in den Bergen und was der Social Media-Stream sonst noch so hergibt. Dabei bist du ja eigentlich nicht hier, sondern in deinem Buch, in einer Welt weit weg von der deinen. Nur deine Hülle liegt noch da. Jene, die morgens müde abwinkte: Wozu durch die Gegend streifen? Hinter dem Park liegt der Friedhof, dahinter Wohnblocks und noch weiter der Uetliberg, wo sich halb Zürich fröhlich zusammenrottet, Kind und Kegel, zu einem undurchdringbaren Menschenknoten, in welchem du isoliert wie eine Kugel inmitten von Quadern ziellos die Zeit totschlägst. Die Kartographen dieser Welt wissen alles, rund ist die Welt, und sie wurde gefoltert, bis ihre Zunge sich locker machte. Alle Mysterien sind jetzt fichiert, du kannst sie googeln, und weisst am Ende trotzdem nichts. Willst du nach Atlantis suchen? Viel Spass. Es gibt so viel zu tun, tausend Bilder malen, bis sie aus deinem Fenster quellen und deine Wohnung zu einem Kletterpark aus Leinwänden formen, Text an Text, dein Erguss gleich über dem „Heftig“-Post, Buchstaben in einer gesättigten Suppe und dann, unangenehm berührt zu Tode geschwiegen oder schlimmer noch, auf den Seziertisch gezerrt und entweiht. „Früher war der Sinn des Lebens, zu überleben. Heute fehlt das“, meinte ein Freund. Dafür gibt es Bucketlists, Bungee-Jumping steht zuoberst, nichts als Kosmetik über dem Nichts, lachhaft. Also, noch 10 Tritte gegen den Sandsack, das hält fit, und dann gleich mal die gute Stube mit Luftballons füllen. Was ist schon Sinn?

Neben dir liegt eine Sammlung von Gesichtern, die sich eingefunden haben, um dich stumm anzuglotzen, eine Mauer des Schweigens oder vielmehr die Wand einer Squashhalle, die dir den Ball um die Ohren schlägt, den du ihr zuwirfst. Ich bin nicht gut in Squash. Für mich ist es trotzdem eine Mauer, vielleicht eine Klagemauer, und wenn du ihr ein Zettel zusteckst, dann sagt sie nichts. Ab und an löst sich ein Stein, um zu hören, dass es dir gut geht. Wie Enkel, deren Oma im Heim in sich zusammenschimmelt, dankbar entsorgt und umgeben von jenen, die bereits verfallen und geistig nicht mehr da sind. Man fühlt sich schlecht, aber was will man tun? Es ist der Lauf der Dinge, dass Oma verrottet im Heim, es gibt keinen Platz zwischen Laptop und Sofakissen und da ist es Balsam auf die Seele, wenigstens hat man wieder mal gefragt, und sie war so nett und sagte „mir geht es gut, ich brauch ja nichts“. Da hast du’s, so fühlt es sich an, 30 Jahre zu früh zwar, gewöhn dich dran, aber du, du hast jetzt noch eine Chance, und wenn es soweit ist, wirst du nicht mehr da sein. Du willst kein Verdingkind sein, unter dem Vorwand der Barmherzigkeit gehalten wie Nutzvieh, überhaupt ich will eure Almosen nicht und auch nicht eure Verlegenheit, aber um deiner selbst willen, das ist ein grosser Anspruch, überhaupt, dass du noch einen Willen hast? Verrückt. Nein, ich verlier nicht den Verstand, ich hab zuviel davon, und irgendwie tickt er anders, friss oder stirb, was kann ich tun? Und dann ist da einer, ja einer ist da, diese Leine am Boot, an der du dich festhältst und hoffst, sie möge nicht reissen, selbst wenn er spürt, dass dein Hirn Gedanken in die Welt spuckt wie Lava, schneller als er Töne aneinanderreiht, in seinem 140 dpM-Set.

Was wäre, wenn man einfach hinausposaunte, was man denkt? Ich wachse während ich schrumpfe, nie war ich stärker als jetzt und nie schwächer. Was gibt es denn noch zu verlieren? Ich will raus. Wo, bitte, ist das Ende des Regenbogens? Gebt mir Dynamit um die Grenzen zu sprengen, überall Grenzen, wohin man sieht. Wo gibt es noch Zauber in einer entzauberten Welt? Ich bin halt kein Archäologe, kein Astronom und nein, ich will in keine komische Sekte, keine Drogen fressen und auch keine Bäume küssen, das wär komisch. In die Welt hinaus, ja das wär toll, aber gibt es dort mehr? Und sorry, ich bin grad blank und sowieso, ich fühl mich irgendwie zu klein, so allein da draussen.

Die Bedeutung von Glück

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Die Bedeutung von Glück

Ich schlenderte im gleichmässigen Takt der Fussgängerpassage. Aus den Häusern drang Musik im Viervierteltakt, als plötzlich plätscherndes Stimmengewirr den Rhythmus unterbrach. Unter der glühenden Sonne von Santiago de Cuba versammelten sich farbenfroh Frauen zu einer einer kleinen Menschentraube. Bei näherem Hinsehen erkannte ich, wie sie geduldig vor einem kleinen Geschäft ausharrten, in einem Land, wo die Menschen zumeist nur das Nötigste haben – das, und ein Lächeln im Gesicht, trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen. Augenscheinlich gab es günstig Shampoo und Seife zu kaufen, und dazu drängten sie nun in Richtung der Türe – gerade so, wie die jungen Menschen in unseren Breitengraden, wenn sie sich vom Türsteher Einlass in den angesagten Club erhoffen. Erschwingliches Shampoo. Was für uns ganz selbstverständlich scheint, ist in Kuba meist das Erste, worum dich bittet, wer sich von dir ein Scherflein erhofft.

Wie ich das Ereignis so auf mich wirken liess, sprach mich ein älterer Herr an, der vor dem Gebäude im Rollstuhl sass. Woher ich denn käme, wollte er auf Spanisch wissen. Nun kann ich in etwa so gut Spanisch wie Johann Schneider-Ammann Breakdance, nämlich gar nicht. Es dauerte eine Weile, bis ich seine Frage entschlüsselt hatte, die er mehrfach ruhig und in unterschiedlichen Worten formulierte, bis ich verstand. Wie es denn in der Schweiz so sei, wollte er wissen, nachdem die Frage der Herkunft geklärt war. Er kramte dazu einzelne Brocken Englisch aus seinem Gedächtnis, im Wortschatz ähnlich reichhaltig wie meine Spanisch-Kenntnisse. Die Unterhaltung schien sich in die Länge zu ziehen, und so kniete ich vor seinen Rollstuhl, um mich auf Augenhöhe mit ihm auszutauschen. Ob es tranquillo sei in der Schweiz? Er selber sei vor allem froh, dass es in Kuba kaum Gewalt gebe, oder zumindest keine Schiessereien – er zielte mit zwei Fingern in die Luft, „päng päng“.

„Bist du glücklich?“. So eine Frage hatte mir nie zuvor ein fremder Mensch auf der Strasse gestellt. Ein freudig entgegen gestrahltes „Ja“ wäre der Ernsthaftigkeit der Frage nicht gerecht geworden, wenn auch im Augenblick gewiss korrekt – aber hey, drei Wochen Kuba, siiiicher bini glücklich. Und so führten wir mit Händen und Füssen einen Diskurs über die Bedeutung von Glück, was es dazu brauche oder eben nicht. Meine Meinung, wonach Geld ab einem gewissen Punkt nichts zum Glück beitrage, erschien mir zwar etwas zynisch: Immerhin habe ich es. Trotzdem ist es nicht weniger wahr. Was unzufrieden macht, ist nicht das bisschen Mehr oder Weniger, es ist der Vergleich. Einen kleinen Moment lang zögerte ich, ihm die Gegenfrage zu stellen – ist es angemessen, einen Mann im Rollstuhl zu fragen, ob er glücklich sei? Einer, der tagsüber auf der Strasse sitzt, komplett im Ungewissen darüber, wie er sein Leben meistert? Oder ist es nicht eher völlig unangemessen, davon auszugehen, dass so ein Mensch nicht ebenso glücklich sein könne wie ich mit zwei gesunden Beinen. Ich, die ich eben noch offenbart hatte, dass auch ich nicht immer glücklich sei? „Mal mehr, mal weniger“, erwiderte er – meine Worte.

Als ich mich schliesslich zum Abschied bei ihm bedankte und meinen Weg fortsetzte, da fühlte ich mich noch beschwingter als zuvor. Ich hatte das Gefühl, etwas gelernt zu haben. Aber was? Natürlich wäre es Unfug zu denken, die Unterhaltung zwischen zwei Menschen, die nicht die selbe Sprache sprechen, würde tiefere Erkenntnisse bringen, als was in unzähligen Büchern schon geschrieben steht: Nämlich das Wichtigste, neben dem, was der Körper braucht, sei das Gefühl von Sicherheit und ein soziales Netz. Freundschaften, Familie, Zusammenhalt. Das lässt sich ganz simpel in der Maslow-Pyramide ablesen. Nichts Neues im Westen. Vielleicht, so mein Gedanke, trifft man in Kuba nicht nur der warmen Sonne wegen mehr freundliche Gesichter und Offenheit an als hierzulande. Wahrscheinlich ist es auch der starke soziale Zusammenhalt dieses Volkes, der Glück bringt. Etwas, das verloren geht, wo ein Jeder damit beschäftigt ist, unter unzähligen Optionen die beste für sich zu suchen.

Nach einigen Schritten, in Gedanken versunken, lag es plötzlich klar wie ein Bergsee vor mir. Nicht der Inhalt des Gesprächs war die Lektion gewesen! Zwei Menschen hatten sich die Zeit genommen, völlig absichtslos und trotz erheblicher Verständigungsschwierigkeiten einander zuzuhören. Das ist Glück.

Der Acker liegt brach.

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Der Acker liegt brach.

Ist ja lustig, irgendwie. Ich steck grad mitten, naja, sagen wir am Anfang meiner Diplomarbeit. Da geh ich der Frage nach, wie sich das digitale Zeitalter aufs Gemüt auswirkt. Neulich vermeldete der Quell allen intellektuellen Wissens aka 20Minuten, es gäbe eine Studie. Demnach sollen Menschen, die öfters als 8mal täglich ihre Social-Media-Kanäle checken, wesentlich stärker depressionsgefährdet sein als jene, die seltener online gehen. Nun, ich bin den ganzen Tag auf Facebook. Rein beruflich versteht sich 😉 Und ehrlich gesagt, wer mich kennt, weiss: Ich dampfe auch wie Sau. Und zwar nicht vom Sport.

Anyway. Nun weiss ich sehr gut, was gegen miese Stimmungslagen hilft: Ein zuverlässiges soziales Netz, Bewegung, freie Natur, Hoffnung, Humor. Für mich jedenfalls ist das die perfekte Zauberformel. Habe ich mir all das gegönnt? Nicht nur aus Anlass besagten Artikels erlaube ich mir einen kleinen Rückblick.

Die letzten paar Jahre hab ich sehr viel Zeit damit verbracht, Menschen verstehen zu wollen oder auf Menschen zu warten. Stun-den-lang. Menschen verstehen ist etwas Wunderbares. Einem Menschen zuhören zu dürfen und zuzusehen, wie er mit einem besseren Gefühl davonzieht, ist etwas vom Besten überhaupt. Aber manche der Menschen in meiner nächsten Nähe hielten mich auf Stand-by, während sie anderweitig engagiert waren: „Ich chume gli“. Ich wollte raus, einen Krimi in den Bergen enträtseln (Tatort Jungfrau). Mit dem E-Bike durch die Gegend ratzen (ja sorry, ich komm sonst einfach nicht den Berg hoch), Farben in den Himmel werfen, Gespenster jagen, mitten in der Landschaft in der Musik aufgehen, Reisen. Dinge, auf die ich mich gefreut hab, wie ein kleines Kind. Das Resultat? Ich habe gelernt, mich nicht mehr zu freuen. Warum? Sagen wir’s mal so: Es kann der Brävste nicht in Frieden leben, wenn der Nachbar ihn nicht lässt.

Nach einer guten Weile von „ich freu mich besser nicht mehr“, kam ich irgendwann morgens kaum noch aus dem Bett. Motivation auf dem Nullpunkt, dauermüde, und ich rastete öfter mal aus. Eine Fremde begrüsste mich morgens im Spiegel und heftete sich an meine Fersen. Ein neues Leben musste her. Die Krux dabei: Bewegung und die freie Natur kannst du dir holen. Für die soziale Komponente brauchst du Menschen. Versteht mich nicht falsch, ich hab ein paar tolle Menschen, die ich liebe. Heiss und innig. Diejenigen, die’s betrifft, wissen es. Hoffentlich. Die meisten sind recht busy, wie das in Zürich halt so ist. Falls sie überhaupt in Zürich sind. Vor allem am Weekend. Da verbringen die nämlich Zeit mit dem Freund oder der Freundin. Oder sie hängen selber in den Seilen, meilenweit von mir entfernt. Oder das Treffen mit mir wird ihnen verboten (weil die Freundin denkt, ich werf mich jetzt plötzlich auf meinen langjährigen best friend). Die Treffen sind oft an Konditionen geknüpft: Das Programm mitmachen, das auch ohne mich geplant gewesen wäre, und vielleicht so gar nicht meins ist. Irgendwo sitzen (ich sitz ja schon die ganze Woche!?). Auf WhatsApp und Facebook werden eifrig Pläne geschmiedet. Kurz vorher sagt mir die Generation unverbindlich ab. Eins ums andere Mal. Und weil man sich auf nichts mehr verlassen kann, freu ich mich doch mal weiter auf nichts mehr. Das ist eine Erscheinung des aktuellen Zeitgeists, kein böser Wille. Handy, ein Klick, das Problem ist erledigt. „Bin zu müde“, „hab mich im Datum geirrt“ oder vielleicht auch „eigentlich will ich gar nicht“. Digitales Zeitalter halt.

Dann also: Tinder. Ein praktisches Tool. Da lernst du tonnenweise Leute kennen. Passt, rechts wischen, passt nicht, links wischen. Wie im Migros. Zig verschiedene Produkte, eins davon legst du in den Warenkorb. Sind alle beteiligten Parteien im Warenkorb, wird der Konsum angebahnt. Was dann doch nicht vernascht werden will, hat ein kurzes Verfalldatum: „Treffen?“. „Bin schon im Pyjama“. „Soll ich kommen?“. Feel free, aber ohne mich. Manches schimmelt ein bisschen vor sich hin und wird ignoriert. Wer sucht schon Kontakt mit der Kartoffel im Kühlschrank, wenn er Pommes Duchesse haben kann? Andere Produkte sind resistenter, ich zum Beispiel bin kraft meiner Geduld ein über Monate haltbares Produkt, das man auch gut warm halten kann. Wenn die Pommes Duchesse grad alle sind, kauen sie auf dir herum wie auf einem faden Kaugummi, in der Hoffnung, dich bald ausspucken zu können. Das perfekte Umfeld also für fröhlich gestimmte Menschen, um noch fröhlicher zu werden. Sozusagen das gleiche Programm wie zuvor, in neuer Besetzung. Es verbindet dich auch in idealer Weise mit anderen Single-Kollegen: „Was machst heute?“ „Tinder-Date – morgen grad noch eins. Haha“.

Am Ende hast du Kontakt zu zahllosen Menschen und sitzt am Weekend doch allein daheim. Ausser, Apéro und Party ist angesagt. Kommst immer noch nicht aus den Federn und in die Gänge. Willst dich melden, aber kannst irgendwie nicht. Solltest schon längst diese und jenen besuchen, aber: „i mog eifach nid“. Dampfst wie eine Lok, daheim, sozusagen paralysiert. Checkst dein Handy alle paar Minuten. Fragst dich, ob du selbst asozial bist und es einfach nicht merkst. Man muss auch allein klarkommen. Ich glaube aber, damit ist „ohne Partner“ gemeint, und nicht, „ohne irgendjemanden“. Der Mensch ist ein soziales Wesen. Obwohl ich meeega gern was allein mache. Wenn ich darf. Nicht, wenn ich dazu gezwungen bin.

Wenn man auf sich selbst zurückgeworfen ist, merkt man bald, was wichtig ist. Wohin es gehen soll, weil es dahin gehen muss. Ich meine, hey, ich kann mich locker über eine Absage aufregen. Und zwar 5 Stunden, bevor ich sie überhaupt erhalte. Mein Bauchgefühl redet mit mir. Ich muss nur die Lauscher aufsperren. Und dann: Ich will niemand mehr in meinem Leben, der mich warm haltet. Niemanden, der an mir als Person keinerlei Interesse hat. Niemanden, der mich ignoriert. Ich will nicht tun, was andere wollen, wenn das die Bedingung ist, dass man überhaupt etwas zusammen macht. Will nicht an mir herumzerren lassen, kein schlechtes Gewissen. Nicht immer die sein, die auf die anderen zugeht. Will kein Mitleid, kein drittes Rad am Wagen sein, keine Almosen entgegennehmen. Ich will auch keine Erwartungen erfüllen und keine Leute sehen, die etwas anderes wollen als Freundschaft – ausser, es wäre gegenseitig. Nur noch Menschen, die mich mögen, um meiner selbst willen. Auch wenn ich unmöglich bin, in Tränen ausbreche, den Ton verfehle, mich gegen Ratschläge wehre. Weil sie wissen, wer ich bin.

Ich nehm mich selber an der Nase, will ehrlich sein, ohne Wenn und Aber. Nicht undiplomatisch, aber aufrichtig. Auch wenn es mir und dem Gegenüber weh tut. Das sind meine Werte, seit jeher. Manchmal hab ich gezögert, war zu diplomatisch, wollte nicht verletzen. Was am Ende dann ja doch verletzt. Erinnert mich daran, solltet ihr mich beim Kneifen entdecken.

Ihr wisst wohl, was das bedeutet? Die Leute, die dann noch übrig bleiben, kann ich an einer Hand abzählen. Nachdem ich mir ein paar Finger abgehackt habe. Nun, auf einem unbepflanzten Acker lässt sich prima säen. Dass da etwas Nahrhaftes wächst, kann ich jetzt schon sehen. Die neue Saison hat begonnen. Und all jene, die vorher schon da waren, und es weiter bleiben: Ihr seid die Besten.

Das Kriegsbeil im Oxa-Gärtli – eine Weihnachtsgeschichte.

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Das Kriegsbeil im Oxa-Gärtli – eine Weihnachtsgeschichte.
roesliEinst lernte mein damaliger Mann das Rösli kennen. Völlig legitim. Wir steckten in einer schweren Krise und hielten die Leine lang. Aufgegeben hatten wir indes noch nicht, und so suchten wir am Wochenende jeweils ein Stück Normalität zu finden. Nun störten Sonntag für Sonntag Telefonanrufe und SMS unsere Eintracht: das Rösli. Läck isch die mir ufe Sänder gange. Als ich später aus der gemeinsamen Wohnung auszog – ein schwerer Moment – da kam sie gleichentags angerauscht, mit Kind und Kegel. Die Klinke war noch warm, und die kommt, um Ferien zu machen, in MEINER Heimat, die ich eben aufgeben musste. Die kennt ja ächt nüt. Der Kessel war für mich geflickt.
Eines schönen Abends sah ich diese Person im Oxa. Sie stolzierte auf mich zu: „Ich wär denn übrigens s’Rösli“. „Ich weiss“, antwortete ich, „aber es interessiert mi nid“. Sie trug meine Rede zu ihren Kollegen. „Wie arrogant!“, schrien diese (eines der wenigen Male, wo all jene Spezialisten, die mich für arrogant halten, wirklich mal recht hatten). „Oh je, oh je,“ stöhnte mein Ex, „jetzt geht das Theater erst richtig los – das wird sie nicht auf sich sitzen lassen“. Sie aber bewies Sinn für Humor und fand, soviel Schlagfertigkeit sei grandios.
Nun hatten wir ja eines gemeinsam; einen Menschen, den wir lieben. Ausserdem war klar, dass wir uns begegnen werden, immer wieder. Also schrieb sie mich an. Das fand ich gut. Wir beschlossen, das Kriegsbeil im Oxa-Gärtli zu begraben. Als wir uns trafen, haben wir uns prächtig amüsiert und gelacht wie noch nie. Heute schreibt sie: „Und d’Moral vo derä Misere. Jetzt hei mir üs ganz doll lieb und ich ha ja eh immer gseit, mir wärde mal Fründinne!“. Lektion: Die Dinge sind nicht immer, was sie scheinen.
Nette Story, sagt ihr, aber das ist doch eine coole Frau. Die Leute, die ich nicht mag, sind echt üble Charaktere. Nun gut, einer noch: Sascha, ein Freund, hat Ansichten, die treiben mich bisweilen zur Weissglut. Vieles davon ist politisch. Er steht rechts, ich links. Ich schätze ihn trotzdem. Er ist manchmal ein Pilzkopf, aber er hat auch schöne Seiten. Letztere kannte sein Arbeitskollege nicht. Ein Algerier, er hielt ihn für einen Rassisten. Das kann ich verstehen. Nun sollte besagter Algerier entlassen werden, das Budget reichte einfach nicht mehr für ihn. Sascha überredete das Team, auf einen Teil des Lohnes zu verzichten, damit der Algerier bleiben könne. Was geschah? Der Algerier arbeitet noch heute dort und hat seine Sicht auf Sascha wohl geändert. Nochmal: Die Dinge sind nicht immer, was sie scheinen.
Das ist kein Aufruf zur Kritiklosigkeit. Ich würde nicht mit Andenmatten spazieren gehen. Aber Freunde, es ist Weihnachten. Was ich mit dieser Story sagen will, ist im Grunde biblisch: Du sollst dir kein Bildnis machen. In jedem Menschen steckt ein bisschen Gott. Man muss nicht alle Meinungen und alles Verhalten tolerieren. Aber Menschen zu verurteilen, die man kaum kennt, das ist schwer selbstgefällig. Jedenfalls wenn man nicht die geistige Flexibilität hat, seine Meinung um 180 Grad zu ändern. Es ist einer per se kein schlechter Mensch, weil er dich böse angeschaut hat. Auch nicht, weil er Dinge sagt, die dir nicht gefallen. Und nicht, weil er dir deine Frau ausgespannt hat. Zeig Grösse. Es gibt Menschen zu entdecken.
PS: Auf meiner Suche zum Thema bin ich über Max Frisch gestolpert und habe mich gefreut, wie schön er meine Gedanken in Worte fasst:

Maltherapie – wie geht das eigentlich?

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DSC_0073lIch wurde heute gefragt, wie Maltherapie eigentlich funktioniert. Nun war ich gerade in meiner Lehrtherapie. Davon brauchen wir für den Abschluss nämlich 40 Stunden, da man uns ja schlecht auf die Leute loslassen kann, wenn wir noch nicht mal unsere eigenen Knüttel kennen. Keine Angst, ich werde hier nicht mein innerstes Seelenleben über euch ergiessen, aber ein schönes Beispiel mit euch teilen.

Es ging um das Thema „Vertrauen“ – ganz ehrlich gesagt, ich weiss nicht so recht, wo ich das stehe. Im Grunde denke ich, ich habe viel Vertrauen in das Leben, andererseits könnte ich mir auch gut vorstellen, dass hinter der nächsten Ecke einer lauert, der mal eben das Bedürfnis verspürt, sein Sezierbesteck an mir auszuprobieren. Ich sollte das Thema also zu Papier bringen, und offen gesagt, ich hatte keinen Plan. „Da vertrauen wir mal, dass irgendwas bei rauskommt“, kicherte ich, und glaubte noch nicht so recht daran. Ich füllte also erst mal Farbe in einen Teller. Grün, Orange und Rot. Vielleicht, weil Grün die Hoffnung symbolisiert, das Leben schlechthin, die Verbundenheit mit unserer grössten Ressource, der freien Natur. Orange symbolisiert für mich die Lebensfreude schlechthin und Rot ist die Farbe der starken Gefühle. Ein bisschen Schwarz und Weiss, für die Nuancen.

Nun stand ich ratlos vor dem Zeichenblatt, tupfte grüne Punkte, die bald wie eine Raupe aussahen. Drum herum zog ich einen Kreis, und da dämmerte es mir: Das Ding sieht aus wie ein Apfel. Der vergiftete Apfel, den die böse Königin Schneewittchen reichte, haha. Auch Adam hatte vertrauensvoll in den Apfel gebissen, den Rest kennen wir ja. Ich lachte laut und meinte, ich wisse nicht so recht, ob ich daraus wirklich vertrauensvolle Schlüsse ziehen könne. In Gedanken versunken drehte ich mit dem Pinsel grosse Kreise um den Apfel. Nicht enden wollende Kreise. Samsara, der Kreislauf, der sodann auch Adam und Eva erfasste. Gut, „an apple a day keeps the doctor away“ und schliesslich kann auch der Broccoli vergiftet sein, mit Pestiziden zum Beispiel. Ob der Apfel gesund oder giftig ist, das wissen wir nicht. Aber geht es darum, immer blindlings zu vertrauen? Ein gesundes Misstrauen ist mitunter sehr angebracht. Es geht um Klarheit in der Einschätzung der Lage und ums richtige Abwägen.

Ohne den herzhaften Biss in den giftigen Apfel hätte Schneewittchen wohl bis an den Rest ihres Lebens die Teller der Zwerge gespült, anstatt den Prinzen kennenzulernen. Adam und Eva wären gelangweilt im Paradies rumgehockt, und hätten am Ende nichts als Lämpe bekommen. Mal abgesehen vom ganzen übrigen Spass, der ihnen entgangen wäre. Die Dinge sind nicht immer was sie scheinen. Ich drehte nun mit dem Pinsel einen schwarzen Kreis, einfach weil es Spass machte. Die Farbe zog sich pastös übers Papier und plötzlich erkannte ich eine Schallplatte. Was uns nicht vertrauen lässt, ist die Angst, die ihre Mantren singt, wie in eine Schallplatte in unserem Kopf.

Ich präsentierte meine Gedankengänge Liliane, der Therapeutin. Offen gesagt war ich begeistert, denn nichts von alledem hatte ich bewusst oder absichtlich gemalt. Beides tauchte einfach so auf, und das ist der Geist der Maltherapie. Es sind die Bilder aus unserem Unbewussten, die uns Antworten liefern. Was einst mein Vertrauen erschüttert hatte, erwies sich als potenzieller Segen, denn es hat den Platz frei gemacht für Neues, Passenderes. „Was ist denn das für ein Strich?“, fragte Liliane. Wie ein Pfeil, schoss es mir durch den Kopf, und ich antwortete: „Auch Willhelm Tell hatte mächtig Vertrauen in sich, als er seinem Sohn den Apfel vom Kopf schoss“. „Das könnte doch wie der Stab sein, der die Platte zwischendurch mal anhält“. „Wo sie recht hat, hat sie recht“, dachte ich, und malte einen Stopper an den Stab. Dieses schlichte Bild wird, mit einer neuen Sichtweise, wieder in mir versinken, wie es aufgetaucht ist – und dort wirken. Und ganz sicher werde ich es mir gerne ganz bewusst in Erinnerung rufen, sollte die Platte mal wieder zu lange drehen.

Am besten alle steinigen und sterilisieren. In dieser Reihenfolge.

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imagesCAB6LDNEWeil wir so einen schönen Sommer hatten, sind wir ja alle gutgelaunt. Die beste Gelegenheit, wieder einmal mit einem fröhlichen Thema einzufahren: Ich habe jüngst eine Sendung gesehen über eine Frau, die in den 70ern zwangssterilisiert wurde. Will heissen, die damals 18-jährige wurde ans Bett geschnallt, dann hat man ihr die Gebärmutter rausgenommen. Warum? Sie war unehelich schwanger. Ach ja, das Kind wurde abgetrieben. Ihr wurde triebhaftes Verhalten attestiert, zudem habe sei sie geistesschwach. Letzteres hat sich irgendwie nicht bestätigt, wenn man mal von dem Trauma absieht, dass man ihr angedeihen liess. Zwangssterilisationen gab es bis in die 80er, so unüblich war das nicht. So wenig unüblich wie die Sache mit den Verdingkindern, aber da ging es natürlich weniger um triebhaftes Verhalten, sondern im weitesten Sinne um Geld. Beide Arten von Verbrechen eint eine Moral, der jegliches Mitgefühl abgeht, ganz ähnlich, wie das bei gewissen Extremisten im Irak der Fall ist.

Nach diesem Rückblick in unsere Schweizer Vergangenheit wurde mir die Story jenes gut situierten Gemeinderats – wir nennen ihn Herr Hugentobler – zuteil, der sich das alleinige Sorgerecht für seine fünf Kinder erstritt. Dazu bedurfte es lediglich eines gefälschten psychologisches Gutachtens – wozu hat man Freunde? Dass besagter Psychologe den Betrug mittlerweile eingestanden hat, half so wenig wie die ärztlichen Gutachten, welche der Mutter einen verschobenen Wirbel attestierten – der Gemeinderat langte gerne auch mal etwas kräftiger zu, nicht nur bei ihr, auch bei den Kindern. Man hat zugesehen, in der Nachbarschaft, wie die schreienden Kinder aus dem Haus getragen wurden. Trotzdem steht die ganze Gemeinde hinter dem Politiker. Er spült Geld in die Gemeindekasse, hat Beziehungen und damit Macht. Manch einer meinte, „daran wolle man sich nicht die Finger verbrennen“. Soweit die Geschichte, sie war in der regionalen Presse zu lesen, aufgeregt hat sich kaum jemand.

Warum ich das alles erzähle? Dieser Tage geht eine Welle der Empörung durch die Medien, weil ein erwachsener Politiker einer erwachsenen Frau ein Nacktbild geschickt hat. Vom Arbeitsplatz aus, wie furchtbar. Andere machen in dieser Zeit eine Zigipause oder gehen aufs Klo, um dort… na ich will’s gar nicht wissen. Klar, ich möchte auch kein Nacktbild vom Herrn Müller, aber so schlimm kann der Mann ja nicht aussehen, dass man ernsthaft Schaden davontrüge. Glaube ich – oder war das Bild der Grund, weshalb die Frau plötzlich um 12 Jahre von 21 auf 33 gealtert ist? Oder geschah der kleine redaktionelle Irrtum, um die mediale Steinigung geschmierter in Gang zu bekommen? Jetzt schreiben irgendwelche Leser Briefe und verurteilen die Tat als „pervers“ oder widerlich. Die Rechtschaffenen halten ihre Leichen schön im Keller und schreien danach, der Grüsel möge seinen Hut nehmen. Noch bevor die Umstände überhaupt geklärt sind. Es fragt auch niemand danach, ob es allenfalls verwerflich sei, in die Öffentlichkeit rauszuposaunen, was man im Vertrauen zu zweit geteilt hat. Übrigens, ich kenne den Politiker nicht und mir ist recht egal, ob er im Amt bleibt oder nicht. Es geht ums Prinzip.

Wisst ihr, was ich glaube? Der Mehrheit der Empörten ist es doch leidlich egal, ob der Anblick vom nackten Herrn Müller von der Dame erwünscht war oder nicht. Wer will zudem hören, was in den 70ern war?! Manche mögen sich ja noch nicht mal mehr erinnern, was in den 40ern lief, also bitte. Gerechtigkeit, Menschlichkeit, who cares? Alles Weiberkram. Es sind nicht Empathie und Mitgefühl, die unser Gemüt in Wallung bringen. Wir engagieren uns dort, wo es wirklich, wirklich gefährlich wird. N-A-C-K-T-B-I-L-D-E-R…. wuäääh! Ist auch nicht zu anstrengend und komplex, das Thema. Nein, im Ernst, soll mir mal einer sagen, was an solchen Moralvorstellungen denn so viel anders ist wie in den 70ern. Nacktbilder und uneheliche Kinder, das ist doch beides die gleiche Sauerei. Früher hat man die Leute operiert, heute werden sie medial seziert. Der Müller ist selbst schuld, er hat gemacht, was wir uns nie erlauben würden. Drum sind wir ja so sauer. Bei Jung nennt man so etwas Schattenprojektion.

Liebesbrief.

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moeweWahrscheinlich mag die mich nicht, dachte ich erst. Sie stilvoll klassisch , ich Villa Kunterbunt. Ich war neu in Zürich, neu an jener Schule. Dann haben wir zusammen gebüffelt, für den Planer Marketing-Kommunikation, so hiess das damals noch..

Nur wenige meiner Gspänli kennen Susanne, denn sie ist nie dabei an Partys, sie hasst sowas. Sie aber kennt alle, die zu meinem Leben gehören. Weil sie sich aufrichtig interessiert erkundigt. Sie macht sich nicht einfach ein Bild von einem Menschen, sie stellt ein Gebäude, das sie allmählich und wohlwollend möbliert.

Es ist nicht die Art Freundschaft, in der man ständig zusammenklebt. Und doch spielt sie eine Hauptrolle in den Erinnerungen, die mir Zürich zur Heimat machen:
Wie sie stets freudig aufgesprungen ist im Büro, um diesen vermaledeiten Radio aufzudrehen, sobald ein Song nur grässlich genug durch den Äther schepperte: „Eeeeeeeh Macarena“. Grauslich… Den Job bei der EPA hatte ich ihr zu verdanken. Keine Ahnung, wie sie mich angepriesen hat, aber als ich bewerbenderweise friedlich mit der Personalchefin plauderte, platzte der Gruber, mein zukünftiger Chef hinein, und beschied: „Es isch guät, sie isch agschtellt“. Ich hatte den Mann zuvor noch nie gesehen. Oder später, als Chibbi, Susannes Hund, den Toute-de-Suite hatte und ins Büro schiss. Der Gruber ist reingetrampt. Läck, hat der geflucht. Einmal haben wir uns kurzerhand bei ihr eingequartiert, Michel und ich, weil in der neuen Bleibe noch die Handwerker wüteten. Es geht mir heut noch ans Herz, wie zerstört sie war, als dieser Dumpfbeutel von einem frisch geschlüpften Vogel, den sie unter dem Baum aufgefischt und daheim aufgepäppelt hatte, nichts besseres wusste, als ausgerechnet ins Aquarium zu flattern und dort zu ersaufen. Oder jener Moment, als wir für jemanden ein Kerzli anzündeten, vor der geschlossenen Kirche. Es war für mich ein Geschenk, diesen Moment mit ihr teilen zu dürfen.

Freundinnen kamen und gingen. Letzteres, sagen sie, wegen meiner unverhohlen geäusserten Selbstzweifel, die mir anscheinend nicht zustehen. In Phasen, in denen ich im Kreis ging, weil sie nicht mitdrehen wollten. Oder weil sie schlicht wegzogen und neue Freunde fanden, in jener Stadt eine Stunde von hier. Vielleicht auch, weil ich Erwartungen, die ich nicht kannte, nicht erfüllte. Susanne hört sich meinen Scheiss jetzt schon dreizehn Jahre lang an. Ich kenne nur wenig Leute, die mich so virtuos zum Lachen bringen, wenn ich im Elend bin. Mit ihrem staubtrockenen, einfühlenden Humor. Sie will mich nicht belehren, erst mal ein herzhaftes „Am liebsten würde ich ihm die Fxxxx polieren, weil er dich verletzt hat“ aus ihrem eleganten Mund, und dann kann die Sache auch ganz gepflegt erörtert werden.  

Gestern Nacht nun, kurz vor dem Einschlafen, krächzte eine Möwe vor dem Fenster. Ich kicherte leise. „Was ist?“, fragte das Gspänli neben mir im Dunkeln. Ich erzählte ihm von jener kleinen Brücke auf Mallorca. Unter ihr ergoss sich ein gewundener, seichter Fluss ins offene Meer. Wir seufzten „Jöööh“ und „Hach“, hinunter, Susanne, ihr Freund, Michel und ich. Dort nämlich paddelten flauschige gelbe Entchen arglos durch die Welt. Plötzlich, wie ein Komet aus dem Himmel, stürzte die Möwe herab und krallte sich eines der Küken. Susanne, die liebe, warmherzige Susanne war tief geschockt. Wir anderen kommentierten diesen Situationszynismus mit tiefschwarzen Witzen, was den Susann’schen Vulkan zunehmend zum Brodeln brachte und sich abends – ich traute mich schon gar nicht mehr, am Buffet von der Ente zu schöpfen – in einem wütenden Ausbruch über uns ergoss. Ich fürchtete schon, sie sei jetzt für immer muff. Doch noch in der gleichen Nacht kroch leise ein Blatt Papier unter der Zimmertür durch – Susannes Friedenspfeife.

So erzählte ich die Geschichte zu Ende, hörte die tiefen Atemzüge neben mir. Ich lag wach da. Susanne ist einer meiner Grundpfeiler. Und jetzt rüttelt die ganze Härte des Lebens an ihren filigranen Schultern, derweil mein Dasein weitertänzelt, als würde sich die Erde drehen, die Blätter fallen und neue erblühen. Kann das, darf das so sein? 

Am Rand der Parkbank.

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3376768576_9b3f6341c9_bEs kotzt mich an. Ich häng schon wieder alleine rum. Hallo, es ist 1. August!? Grillieren mit Freunden wär angesagt. Ja, ich hab auch was abgemacht, aber dann waren alle zu müde. Jetzt sitz ich auf einem Bänkli, am Rande der Bäckeranlage. In der Hand eine Dose Büchsensekt. Wie eine Randständige oder besser: eine Randsitzende. Ich schau in die Wolken und auf das bunte Treiben vor mir. Wie wird ein Penner wohl zu dem, was er ist? Irgendwie muss es anfangen. Wahrscheinlich genau so.

Der Gedanke lässt mich nicht los. Ein Penner. Was geht in einem Menschen vor, der so lebt? Ich wollt’s schon immer wissen, hab aber zuviel Respekt. Ich wage nicht, die Leute auszufragen. Heute aber bin ich mutig. Immerhin sind es schon zwei Büchsen. Mit einem Ruck stehe ich auf und ziehe los. Man weiss ja, wo sie sitzen, mit dem Bier in der Hand. Am Stadelhofen werde ich fündig. Eine Gruppe Herren schart sich um eine Parkbank. Die meisten sind schon etwas älter. Einer trägt Federn am Hut, das Heroin hat sich ihm ins Gesicht gefressen. Zwei oder drei der Männer sitzen auf dem Kiesplatz. „Hat’s hier noch Platz für mich?“ frage ich, und zeige mit dem Finger auf das leere Fleckchen am Rande der Parkbank. Ein älterer Herr um die 60, wacher Blick, Schalk in den Augen, rückt sofort beiseite. „Aber klar“, sagt er. „Was machst du so?“, frag ich ihn. Designer sei er, erwidert er mit verschmitztem Grinsen. Er tippt auf seine olivgrün-verblichene Weste mit dem H&M-Schild: „Das da, das hab ich designed“.

Ein Riesenknall, gefolgt von einem langen Pfeifen in meinem Ohr. Einer hat nen Knallkörper gezündet, viel zu nahe bei den Leuten, der Knallfrosch. Hab ich 15 Jahre Parties schadlos überstanden, um mir hier jetzt einen Tinnitus einzufangen? Es geht keine 15 Sekunden, schon schnappt sich die Polizei den Missetäter: „Ausweis bitte“, herrscht ihn der Uniformierte an„Ich hab keinen!“. Hände auf dem Rücken, so wird er abgeführt. „Hat hier noch jemand Feuerwerkskörper?“. Wir schütteln die Köpfe. Jetzt zeigen die Männer ihre Blessuren Einer scheint getroffen, hat eine Wunde. Ein anderer zeigt auf eine Narbe; auch die sei vom Feuerwerk.

Auf dem Platz wuseln allerlei Gestalten durcheinander. Wie Pilze aus dem Boden treiben neue Gspänli in die Gruppe, um nach einer Weile wieder weiterzufliessen. Manche wirken verwildert, andere gepflegt. Einer davon erkundigt nach dem Jahrgang meiner Mutter. „Du könntest meine Tochter sein, gleichst mir irgendwie“, mustert er mich und grinst, „frag mal deine Mutter, ob sie den Charlie kennt“.

Vor mir sitzt Karol auf dem Boden. Sein Blick aus stahlblauen Augen ist fokussiert und fixiert mich. Er mag vielleicht um die 40 sein. Dilettantisch gestochene Tattoos zieren seine Arme. „Die hat er aus dem Knast“, verrät der Designer. „Eine Schlägerei“, ergänzt Karol. Er habe in Haft auch Japanisch gelernt. Es muss wohl ein gröberer Raufhandel gewesen sein. Karol spricht Deutsch mit Akzent. Das „i“ betont er spitz. Aus Polen sei er herkommen. „Warum?“, frage ich. „„Mein Sohn“, Karols Blick ist ernst „er Krebs. 10 Jahre alt. Tot.“. Karol steht auf, gestikuliert. „Meine Frau mit Tochter: Kreuzung, Lastwagen, Bumm, Tot.“. Er setzt sich wieder hin. „Meine Mutter sagen, Karol, du trinken, hier Karol, Wooodka. Ich trinken. Ich sagen, nein, Mutti, nicht trinken, ich Problem, trinken immer mehr. Ich gehen Frankreich, Italien, Deutschland, kommen hier. Jetzt, ich bin Penner“. Sein Blick durchdringt mich.

Nun tastet sich Silvia auf den Platz neben mir. Nur ab und an scheint sie mich anzusehen, blickt meist durch mich hindurch. Sie schätzt mich auf 50, das Alter, das sie selber zählt. Sie sieht verwittert aus, spricht wenig. Leise singt sie vor sich hin. Ich hol mal eine Runde Freibier und Cheeseburger. Hab ein schlechtes Gewissen. Wie heisst das Fachwort schon wieder, wenn man die Sucht unterstützt? Na anyway. Wie oft kriegen die schon was geschenkt?

Unterdessen hat auch Pfarrer Sieber die Parknank angesteuert. Jedenfalls gleicht er ihm aufs Haar. Ich denke nicht, dass er es ist, will ihn Urs nennen. Seit bald 40 Jahren schon sei er Sozialarbeiter, sinniert Urs. Er habe vieles gesehen, auch viele gehen sehen, teils mit der Nadel noch im Arm. Urs ist belesen, zitiert aus der griechischen Mythologie. Ein kluger Mann. Die Silvia, die sei aus der Psychiatrie, weiss er. Silvia singt unterdessen „Sailing“, von Rod Stewart. Ein wunderschönes Lied. Es ist kaum wiederzuerkennen. Ich versuche, mitzusingen.

Unterdessen schnappt sich Karol meinen Fuss. Fussmassage ist angesagt, das Wellnesspaket zum 1. August. Es ist mir nicht ganz wohl dabei, aber ich will ihn nicht vor den Kopf stossen. Urs erzählt derweil weiter aus seinem Leben. „Der hatte keinen roten Rappen mehr, weder für die Unterkunft, noch für den Heimflug. Da hab ich ihm 800 Franken geliehen.“. Er schüttelt den Kopf. „Monate später hab ich ihn angerufen, da hat er am Telefon seine Stimme verstellt, hat sich für seinen Bruder ausgegeben. Also bin ich vorbei gegangen. Ich klopfe, er macht auf, lässt mich rein. Geht schnell weg, und wie er wieder kommt, hält er mir eine Waffe an die Nase. Stell dir das vor, direkt ans Nasenloch!“. Ich will’s mir lieber nicht vorstellen.

Ich weiss nicht, was wahr ist an all den Geschichten, die ich an diesem Abend zu hören bekomme. Egal, denn ich weiss noch etwas nicht: Wann ich das letzte Mal so herzlich aufgenommen wurde. Vielleicht ist es wirklich so, wie ein Freund meinte: Wer nichts zu verlieren hat, kann auch offen sein. Dann wünschte ich, die Menschen hätten nicht so viel zu verlieren. Die Welt wäre eine Bessere. Hab ich erfahren, was ich wissen wollte? Eigentlich nicht. Aber es war ein schöner Abend.

Die Sonne ist längst am Horizont verschwunden. Urs steht unvermittelt auf, geht davon. Nach einigen Schritten dreht er sich nochmals um: „Hör auf mich. Lass die Finger von Drogen“. Sagt’s und verschwindet in der Nacht.

Das Kind.

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8350355167_58bca64fe1_zFettverkrustete Pfannen und Essensreste an Tellern türmen sich im Spültrog. Von den weiss getünchten Schränken des letzten Jahrhunderts blättert die Farbe in Fetzen ab, es gibt vielleicht zwei Quadratmeter Platz in dieser düsteren, dreckbefleckten Küche. In den dunklen Ecken formiert sich antiquarisches Sperrgut zu surrealen Skulpturen. Das bleiche Licht, das durch die trüben Fenster fällt, taucht die Szenerie in unheimliche Schatten. Verloren wie Alice im Plunderland stehe ich inmitten des Unrats und starre auf die verschmierten, schwarz-weissen Kacheln. „Du musst schon den Finger zum A raus nehmen, wenn sie noch herkommen soll“, schnarrt die Kollegin vor mir. Ihr Gesicht ist mir fremd. Ja, ich würde sie gerne sehen, Dolores, meine Freundin. Aber hierher kann ich sie unmöglich einladen. Schlimm genug, ich weiss, was mich erwartet. Die beiden werden mich auseinandernehmen. Und doch wähle ich Dolores‘ Nummer.

Sie klingt unwirsch. „Lass uns doch einen Drink nehmen, in der Kneipe um die Ecke“, schlage ich vor. „Ich hab aber nicht lange Zeit“, murrt es mir aus dem Telefon entgegen, „eine halbe Stunde vielleicht. Ich geh jetzt los, hol euch ab“. In zehn Minuten wird sie da sein – ich renne durchs Wohnzimmer, suche mein Portemonnaie. Wo ist meine Handtasche? Im Wohnzimmer ist es zappenduster. Schemenhaft zeichnen sich Berge von Stühlen, Lampen und allerlei Gegenständen ab. Porzellanpuppen mit starren Gesichtern stecken in Schuhen, glotzen aus Vasen. Hier sieht es aus, als wäre ein Flohmarkt explodiert. Schwere, staubige Vorhänge ersticken den Raum in beklemmendem, dunkelgrün-schwarzem Gräuel. Ich wähne mich in einem Horrorfilm. Womöglich springt gleich Chucky, die Mörderpuppe, hinter einem Schirmständer hervor. Ich finde nie etwas, wenn ich es suche, wühle im Unrat, wo zur Hölle ist mein Portemonnaie? „Chhhhhhhhh“. Ein bedrohliches Geräusch schreckt mich auf. Vor mir krümmt eine Katze ihren Buckel, faucht mich an. Ihre gelben Augen leuchten im Dunkeln.

Es klingelt, Dolores streckt ihren Kopf durch die Türe. „Kommst du?“. Sie mustert mich mit kühlem Blick. Schuhe, ich brauche Schuhe. Schnell schnappe ich nach einem purpurroten Ballerina-Schuh, der vor mir am Boden liegt. Ich schlüpfe in den Schuh, mein Fuss wird feucht. Der Wohnzimmerteppich ist mit Schlamm durchtränkt, er quillt durch meinen Schuh, färbt ihn kotig oliv, während ich mit einer Hand im Matsch tastend nach dem zweiten Treter suche. „Kommst du endlich?“. Der Tonfall ist härter, mein rotes Kleid bekleckert, ich mache einer Sumpf-Fee alle Ehre. Hektisch stolpere ich Richtung Türe, der Schweiss steht mir auf der Stirn, will den Raum verlassen, da höre ich es. „Nicht gehen“. Ich dreh mich um, hinter mir steht ein kleines Kind. Im Dunkeln, mit kurzen Haaren, nichts als ein Nachthemd am Leib. Sein Blick aus grossen Augen trifft mich, es flüstert mit heller Stimme: „Ich bin ganz allein“. Ich fühle mich nach drinnen und draussen gerissen, da dieses Kind, ich kann es so nicht stehenlassen, dort Dolores, die sich zum Gehen wendet.

Meine Augen sind jetzt offen. Wo zur Hölle bin ich? Kein Schlamm mehr, alles ordentlich aufgeräumt. Ich liege in meinem Bett und bin hellwach. Die kleinen, realen Alpträume des vergangenen Tages drängen sich in mein Bewusstsein, vermischen sich mit der klammen Atmosphäre des eben erlebten Traumes. Es fällt mir wie Regentropfen von den Augen. Ich schliesse die Lider, lass mich sinken, zurück in die andere Welt. Der Traum ist noch nicht zu Ende: Das Kind. Jemand muss es dort rausholen. Und dieser Jemand bin ich. 

Wie echt darf ein Mensch sein?

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DSC_0202„Hm, also das würde ich nicht veröffentlichen“. Joël ist besorgt. Ich hab ihm meinen jüngsten Blogbeitrag zum Vortesten geschickt – nee, besonders fröhlich ist der nicht. „Man kennt dich als strahlende, stolze Frau. Das hier wird an dir haften bleiben, man wird dich fortan so sehen“. Ich bin erst mal geschockt, dann wütend. Weil ich weiss, dass er recht hat. Kein Mensch ist so einseitig, dass er nur eine Facette hätte. Aber jene, die am meisten auffällt, daran wirst du gemessen und bewertet. Wir sind ein lustiges Volk von Hedonisten, das Dunkle wird in den Keller verbannt. Das gilt nicht nur für Typen wie Fritzl. Gefühle sind generell verdächtig und mit Bedacht zu äussern. Tut man es trotzdem, und ich kann einfach nicht anders, erntet man bestenfalls komische Blicke, schlimmstenfalls wird man gemieden. Manche finden keine Worte, wenn du das Dunkle, Leidvolle aussprichst. Sie finden die Worte, sobald du ihnen den Rücken gedreht hast – dann nämlich, wenn sie dich bei Dritten verhandeln. Gewisse lachen dich aus, sagen „solche Probleme kenne ich nicht“ oder „ich kann das halt besser ertragen“, suhlen sich im Gefühl, überlegen zu sein. Will man solchen Menschen eine Steilvorlage bieten?

Die Sache ist nur – ist eine Welt voll von gottverdammten Fassaden lebenswert? Ist es nicht eben von Wert zu sehen, dass auch andere stolpern, hadern und mit den selben Problemen kämpfen? Sind nicht jene die wahren Helden, die ihr Schiff bei starkem Seegang lenken, ihre Bürde mit Würde tragen? Wieviel Tiefgang kann jemand haben, der keine Tiefen hat?

Ich denke oft an Beat. Er weiss es wohl nicht, aber er ist mein Vorbild. Schon optisch hob er sich von der Menge ab, mit langem Haar, stets schwarz gekleidet. Man traf ihn an Parties, bei deren Erwähnung den Bravbürgern der Atem stockt. Er selber freilich machte keinen Hehl daraus. Kompromisslos authentisch. Beat lebte intensiv. Selber wirkte er dennoch ruhig, überlegt, reflektiert. Als er durch ein Schicksal in der Familie einen Rückschlag erlitt, da hat er vom wilden Leben Abschied genommen. Ein Mensch mit Verantwortungsbewusstsein. Eine Führungskraft. Seine ganze Abteilung leitete er mit Herz, Verstand und viel Feingefühl. Wer immer ihn kannte, respektierte ihn trotz seiner Andersartigkeit. Weil er das Rückgrat hatte, zu sich zu stehen, was immer auch andere darüber denken mögen. Und weil er tief in sich hinein blicken liess, direkt in sein grosses Herz.

Auch Rebekka, die hübsche, sympathische junge Frau, bringt mich ins Grübeln. Sie ist Alkoholikerin. Eines Tages stiess ich auf ihren Blog, der mit ehrlich gewählten Worten all ihre Abstürze beschrieb. Im Detail. Was in ihr vorging angesichts der leeren Flaschen, die sich in ihrem Hause türmen. Ein Scherbenhaufen, nicht nur aus Glas. Ihre Scham darüber, was sie alles angestellt hat während ihrer Filmrisse. Das Bedauern, viele Menschen durch ihre Krankheit verletzt zu haben. Ihren Kampf, ihre innere Zerrissenheit. Worte einer sensiblen, intelligenten Frau. Dank ihren Zeilen konnte ich sie ein bisschen verstehen. So viele blicken auf solch einen Menschen vom hohen Ross mit Verachtung herab. Für mich hat sie durch ihre Offenheit an Grösse gewonnen.

Ja, Joël hat nicht unrecht mit seinen Bedenken. Und das macht mir Angst. Der Mensch wertet, reduziert, verzerrt. Wer will so eine Karikatur von sich schon sehen? Es ist mir nicht egal, was ihr über mich denkt. Ihr habt keine Ahnung, was ihr deswegen an geilen Blogs schon verpasst habt. Der erste Besuch einer *** beispielsweise, oder dieses völlig skurrile Stelldichein im ***. Gar nicht zu sprechen von der durch und durch komischen Geschichte einer komplett missglückten ***. Trotzdem. Es ist ein Unrecht, dass er damit recht hat. Und deswegen bring ich den Blogbeitrag trotzdem. Bald.

Bündchen, mein grosses Vorbild.

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Wpippieisser Rauch steigt auf, ein Vorbild ist geboren. Ein einfacher Mensch, so heisst es. Einer, der sich für die Armen engagiert. Wir reden vom Oberhaupt einer Religion, die sich der Nächstenliebe verschrieben hat. Ich bin verwirrt. Hat sich das Dorf je gefreut, dass der neue Bäcker gerne Brötchen bäckt? Der Papst fordert Respekt und Achtung für alle Lebewesen, gleichzeitig hält er die Homosexualität für einen Schachzug des Teufels, sät damit Ablehnung und Intoleranz in den verworrenen Hirnen und Herzen mancher seiner Schafe. Eine gute Seele, die sich in eine schizophrene Umgebung verirrt hat? Kann einer Vorbild sein, der in der Rede widersprüchlich bleibt und dessen Hände im Handeln gebunden sind? Einer, der selbst sein Speckbesteck in Spiez noch zu spät bestellt?

Wer denn mein Vorbild sei, werde ich eben gefragt. Ich bin an nem Seminar zum Thema Job und Geld, auf der Suche nach Fähigkeiten, die mich weiter bringen. Wenn es um Geld geht, setze ich voll auf Pippi Langstrumpf. Mit dem Koffer voller Gold würde sich mein Liquiditätsproblem erübrigen, und auch menschlich hat sie ein Herz aus Gold. Ganz geil, wie sie um die Meinung anderer foutiert. Und hey, wir sind etwa gleich gut in Plutimikation. Okay, manche Menschen nehmen sich den Affen zum Vorbild. Man sehe sich nur die italienische Politik an. Sich das Pferd zum Vorbild zu nehmen, davon hingegen müsste man heute eher abraten. Wer will schon als Lasagne enden?

Im Seminarraum fallen eben grosse Namen. Eine der Teilnehmerinnen identifiziert sich mit Gandhi. Eine mutige Wahl, im Taser-Zeitalter. Wie oft sie sich wohl  von der Polizei hat niederknüppeln lassen? Auch Mandela wird genannt – alles ganz herausragende Männer, kein Zweifel. Aber müsste ein Vorbild nicht irgendetwas mit mir und meinem Leben zu tun haben? Ich selber schwanke noch zwischen Gisèle Bündchen und Lisa Randall. Oder ist es nicht vielleicht doch meine Freundin Leila, die für jeden noch so abgefahrenen Scheiss zu haben ist und dabei mit beiden Beinen am Boden steht; intelligent, differenziert, neugierig und fair. Oder Angélique, die den Stürmen des Lebens die Stirn bietet. Strauchelt, wieder aufsteht, zu voller Grösse. Mit einem warmen, gütigen Herz, Verstand und ganz viel Humor. Oder alle beide, volle Frauenpower, so wie Pippi eben?

Vielleicht noch ein bisschen Testosteron in meinem Vorbilder-Portfolio? Jener Typ mit der aufrechten Haltung, das Paket pure, gebündelte Kraft: Natürliches Selbstbewusstsein und Entschlossenheit liegt in seinem Blick, wenn er von seinen Plänen spricht. Eine Stärke, die von innen kommt. Diese Eigenschaft fehlt mir. Oder jener lebensfrohe Wildfang, der den Augenblick geniesst ohne ihn festhalten zu wollen und ohne zu fürchten, er könnte nicht wiederkehren. Auch davon könnt ich etwas mehr gebrauchen. Allenfalls noch jener zärtliche, einfühlsame Mann, der sich nicht fürchtet, Gefühle zu zeigen – der einfach sich selber ist, echt und authentisch. Ich selber trau mich noch nicht mal, meinen Respekt auszusprechen vor dem, der alle diese drei Männer in sich vereint. Er sitzt gerade neben mir und fragt mich nach meinem Vorbild. Ich habe keins, aber eins weiss ich: Die Allerbesten sind in unserer Nähe.

Ein Stück Normalität.

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flohmarktSie türmen sich vor mir auf, zwei grossgewachsene Männer, wild und urtümlich. Eine ausladende Pracht kunstvoll drapierter Dreadlocks und ein ungebändigt wuchernder Bart zieren den einen. Seine graue, zerschlissene Hose hat er unterm Knie mit Sicherheitsnadeln zusammengeheftet. Die Problemlösungsmethode könnte von mir sein. Grobe Wollsocken stecken in abgetragenen Schuhen, wollen nicht so recht passen. Dennoch hat der Look mit der bunt gemusterten Weste einen eigensinnigen, ansprechenden Stil. Sein Gegenüber hat die Kapuze seines Sweaters tief ins Gesicht gezogen, blonde Strubbelhaare und ein rötlicher Dreitagebart wachsen darunter in alle Richtungen. Die beiden sind schwer bepackt. Der Blonde trägt eine riesige Schüssel mit sich, und aus den prall gefüllten Säcken ragt eine Pfeffermühle und ein Kerzenständer. Es ist Samstag. Am Bürkliplatz ist Flohmarkt, man sieht’s.

Kurz ruht der Blick des Blonden auf mir, zwei grosse blaue Augen wärmen mein Gesicht. Die Frage schiesst mir durch den Kopf, was sie wohl von mir halten mögen, ich mit den goldenen Schühchen, wie immer kräftig geschminkt; Sinnbild des Kapitalismus, weit entfernt vom Natürlichen. Die Dame neben mir steht auf, steigt aus. Ich rücke nach, Fensterplatz. Nun setzt sich der Dunkle neben mich hin. Ich spüre den fragenden Blick aus runden, braunen Augen und ziehe meine Stöpsel aus den Ohren. „Wir waren auf dem Flohmarkt“, setzt er jetzt an, mit sanfter Stimme und in gepflegtem Hochdeutsch. Er deutet auf die Taschen. „Eine grosse Ausbeute habt ihr gemacht, wie es scheint“. Er wiegt den Kopf hin und her und korrigiert: Was er wollte, habe er nicht gefunden. Kenne ich – man sucht eine Hose und findet fünf Paar Schuhe. Eine Zivilschutzjacke, das sei sein Wunsch. Die sei besonders schick, lacht er. Auch einen Samsonite-Koffer hätt er gern gehabt. Das Markenbewusstsein überrascht mich. Dafür hat er Schmuck gefunden, „glitzernden, glänzenden Schmuck“. Er strahlt. „Jetzt haben ja alle so ein weisses iPhone“, schmunzelt er, und da habe er sich auch eins gekauft. Mit breitem Grinsen zupft er ein grosses, rundes Plastikei aus der Tüte. Es ist in der Mitte zusammengesteckt und kann in zwei Hälften geteilt werden. „Da fehlt noch ein Schnürchen, und dann funktioniert das auf kurze Distanze hervorragend“, freue ich mich mit ihm und die Idee kommt an: „Das mach ich“, nickt er begeistert seinem Kollegen zu. Wieder deutet er auf die Tasche: „Eine Backform hab ich auch gefunden!“. Auflauf sei nämlich seine Spezialität; Lasagne mit roter Beete. Da hat es bestimmt kein Pferdefleisch drin. Er nickt und ergänzt: Da sei doch Industriefett zur Biodieselherstellung im Tierfutter gefunden worden. „Und dann werden tonnenweise Lebensmittel verbrannt, um Treibstoff herzustellen, wo man doch die Schweine damit füttern könnte“. Der Mann lässt einen aufmerksamen Intellekt erahnen. Ich indes frage mich, ob es überhaupt noch eine Rolle spielt, womit man sich vergiftet.

Letzigrund. „Jetzt müssen wir raus“, meint er, „weiter zum nächsten Flohmarkt“. Eine junge Frau mustert uns, lächelt süffisant. Es ist ungewohnt im Zürcher ÖV, dass Menschen miteinander sprechen. Ich wünsche den beiden viel Erfolg und bedaure ein bisschen, dass die Fahrt nicht länger gedauert hat. Traurig eigentlich, dass dieses kurze Erlebnis von Menschlichkeit ein kleines Highlight und Grund genug für einen Blog ist. Ich wünschte, es gäbe mehr unbefangene Menschen wie diese, und ich wäre eine davon.

Farbklecks.

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bildSie sitzen im Kreis und blinzeln erwartungsfroh in die Runde. Zwanzig Frauen – nein, hier gibt es keine Tupperware-Party. Es ist mein erster Schultag, ohne Zuckertüte und Schulranzen, dafür mit neu glänzenden Pinseln. Zwei Generationen treffen aufeinander, nur Männer sind rar unter den angehenden Mal- und Gestaltungstherapeuten. Meine Augen schweifen über die Gesichter. Manche von ihnen werde ich bis ins Innerste entdecken. Miteinander lachen, zusammen weinen, uns verändern in einer Ausbildung, bei der das Lernen auf einer tieferen Ebene stattfindet. Der Blick bleibt hängen: Sie da schräg gegenüber, farbenfroh gekleidet, ein gutes Stück älter sein als ich. Sie leuchtet von innen heraus, durch ihre Augen. Als sässe die Sonne in ihrem Bauch. Ich freue mich.

Vor uns auf dem Parkett liegen kreuz und quer bunte Postkarten. „Sucht euch eine davon aus“, lautet die Aufgabe. Die Vorstellungsrunde lässt unbeantwortet, wer wir sind und was uns hierher geführt hat. Nur: „Warum hast du diese Karte gewählt, was hat sie mit dir zu tun?“ Meine zeigt einen orange leuchtenden Goldfisch, einsam im kühlen Blau des Wassers. Lebensfreude und Tiefgang vereint, warm und kalt, die Farbtöne kontrastieren.

Die Farbe klebt überall an den mit Holz ausgekleideten Wänden und verströmt einen süsslichen Mandelduft. Wir binden uns grosse Schürzen um. Auf kleinen Tischchen reihen wir säuberlich Wasser, Schwämmchen und Pinsel nebeneinander auf. Es bleibt uns überlassen, welche Nuancen wir auf unsere kleine Tafel tropfen wollen. Am Ende soll das gemalte Bild die Gefühle zum Ausdruck bringen, die das Motiv auf der Postkarte in uns auslöst.

Für einmal will ich auf kraftvolle Farben verzichten. Nebulös dunkel wie das Ungewisse soll mein Bild sein, nur von Alice, dem Wunderfisch farbgetupft. „Ich möchte in die Tiefe gehen“, hörte ich mich sagen und gleichzeitig hab ich mich gefragt: Will ich das wirklich? Der Winter war kalt und dunkel die letzten Jahre. Bleischweres Gefängnis. Jetzt bin ich frei, will auf Wolken tanzen, singen und feiern bis der Morgen graut. Nein, ich will nicht auf Grund sinken, nicht jetzt, solange das Wasser kalt ist.

Ein kleiner Klecks Orange und etwas Grün verirren sich auf meine Farbpalette. Ja, auch ein bisschen Rosa, fürs Lustprinzip. Ich klebe die fischverzierte Ansichtskarte in die Mitte eines überdimensionierten Papierblatts. Der Pinsel haucht helles Apricot ins unschuldige Weiss, noch mehr Pastell mischt sich dazu. Ich habe nicht mehr gemalt, seit es mir wieder gut geht. Ich versteh mich nicht; satt müssen Farben sein, intensiv wie das Leben. Was mach ich da? Bonbonartige Blasen formen sich auf dem Blatt, in süsslichen Tönen. Leicht und klebrig wie Frappée fliesst die Farbe übers Blatt, weich wie die Schleier einer orientalischen Tänzerin. Ich mag kein Rosa. Pinkige Schweine, Barbie, alberne Mäntelchen malträtierter Chihuahuas. Jetzt aber macht sie mir Freude. Ich wollte doch noch eine dunkle Seite… Zögerlich tauche ich den Pinsel ins trübe Schwarz, mische es mit Grau. Harte Striche, irgendwie kackt’s mich an, dieses Finstere. Zu lange drohte sie mich zu verschlucken, die Bestie. Das Malen fällt mir schwer, dickflüssige Tropfen landen auf dem Tisch. Ein paar wackelige, krumme Beisser krieg ich nur hin. Zu grob der Pinsel, das Gouache nicht deckend. Lächerlich, das verrotten stinkende Maul meines Tiefseemonsters. Ich will Rosa. Jetzt. Ich türme die Farbe wie Erdbeer-Softeis auf meine Palette. Der Pinsel genügt nicht, auch der Schwamm streichelt zu zart aufs Papier. Ich will baden in Rosa, versinken in Zuckerflausch, will Seifenblasen in die Luft pusten, Marshmellows an die Wand tackern. Tauche meine Hände in rosa Farbe und schmiere damit übers Bild. Brüll mir nur in den Nacken, du Vieh, ich weiss dass du da bist – kann dich hören, muss nicht, stelle mein Grundrauschen lauter. Durch diese maroden Beisser schlüpf ich noch jedes Mal durch.

Bildbesprechung. Jetzt sitzen wir auf Schemeln vor den Bildern, lassen sie setzen, in uns versickern. Jede erklärt ihr Werk, die andern fügen hinzu, was ihnen dazu durch Kopf und Bauch geht. Neue Blickwinkel, eine andere Perspektive. Was anklingt, darf bleiben, was nicht, soll weiter ziehen. Jemand bringt es auf den Punkt, ich seh’s erst jetzt: Der Fisch schwimmt in die richtige Richtung.

Wider das Vorurteil.

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urteil„Der Mensch ist mehr als die Summe seiner Teile.“ Aristoteles.

Sein fester Schritt stampfte über den Boden. Ich fühlte mich wie von einem Windstoss erfasst, wenn er funkensprühend vorbei fegte. Seine kräftige Stimme füllte den Raum, nicht selten begleitet von einem Lachen, das tief aus dem Bauch die Luft zum Vibrieren brachte. Der Mann versprühte Dynamik und Energie. Sein Blick aus engen Pupillen drohte mich zu durchbohren, wenn er in siegessicherem Lächeln seine Zähne entblösste und mit ballmaschinenartig vorgetragenen Fragen das verbale Duell eröffnete, immer hart an der Grenze zur Unverschämtheit. Stark und unaufhaltsam wie das Wasser eines Tsunamis schien er sich vorwärts zu schieben und über mich hereinzubrechen. Mit der Zeit, da ich ihn näher kennenlernte, zeigte sich Stück um Stück ein neues Bild. Die schillernde Schale brach da und dort auf, offenbarte einen sensiblen Kern; einen nachdenklichen Menschen, der nach Antworten sucht, nach einer höheren Wahrheit. Einen, der sich in der Stille, in zarten, leisen Tönen wohl fühlt. Einen, der bisweilen unsicher ist und Anerkennung sucht, so wie das jeder und jede von uns tut. Ich habe mir zig Mal ein Urteil über ihn gebildet, hätte ihn hundert Mal an die Wand schlagen können und habe ihn ebenso oft auf ein Podest gestellt. So viele verschiedene Facetten und Gott weiss, ich kenne ihn noch immer nicht.

Mich kennen die Leute bisweilen, ohne je ein Wort mit mir gesprochen zu haben. „Weisst du, ich bin ein Hobbypsychologe“, meint irgendein Kerl vor mir mit selbstgefälligem Grinsen, „du bist so eine, die gut ins Pascha passen würde – ein bisschen Luxus und gut situierte Typen“. Die analytischen Eigenschaften des Hobbypsychologen reichen genau bis zu meinem geschminktem Gesicht. Wie so oft. Eine Armee von selbst ernannten Freuds übersät unseren Planeten, stolz auf ihre Fähigkeit, Menschen in eine Schublade zu stecken. Das nennen sie dann psychologischen Schwach-, pardon, Scharfsinn. In Wikipedia lässt sich zum Begriff „Vorurteil“ lesen: „Es ist eine meist wenig reflektierte Meinung – ohne verstandesgemäße Würdigung aller relevanten Eigenschaften eines Sachverhaltes oder einer Person“. Werten, Abwerten – wie oft hab ich‘s schon getan, tue es noch, völlig unbewusst. Wo ist die Grenze, was ist erlaubt? Klar, es käme mir nicht in den Sinn, über den Obdachlosen zu richten, der mit seinem Bier in der Hand am Stauffacher auf dem Bänkli sitzt. Gott weiss, was er erlebt hat, wie es dazu kam, und was der Mann tagtäglich übersteht. Aber was ist mit der blöden Gumsel, die meiner Freundin im Büro das Leben zur Hölle macht? Was wiegt stärker, die Loyalität zur Freundin oder der Anspruch, keinen Stab über andere zu brechen? Was ist mit den kleingeistigen, scheinheiligen, selbstgerechten, menschenverachtenden… ich finde sicher noch ein paar Adjektive, ich spür schon so ein Würgen im Hals – jene, die ich verurteile, weil sie verurteilen?

Manche Menschen fühlen sich überlegen, weil sie eine bestimmte Kleidermarke tragen. Manche, weil sie die „richtige“ Musik hören oder die „falsche“ eben nicht. Weil sie den richtigen Fussballklub unterstützen. Weil sie diese Literatur lesen, aber jene Zeitung nicht. Weil sie schön sind, als ob das ein Verdienst wäre. Wegen ihres grossen Wissens – jener Eigenschaft, die in der Zukunft am leichtesten durch künstliche Intelligenz ersetzt werden kann. Sobald es um Politik oder Religion geht, sind die Leute dann auch gerne mal bereit, jedem den Kopf einzuschlagen, der die eigene Meinung nicht teilt. Soviel Überheblichkeit und Intoleranz find ich persönlich ziemlich unterbelichtet – zack, ein Urteil, wie Agent Orange im Rundumschlag über den Grossteil des Menschenwalds gesprüht.

„Man“ tut das nicht und da geht „man“ auch nicht hin. Der Arsch der Frau da vorne ist zu dick für das enge Kleid. Wir wissen das, wir sind vom Ordnungsamt zur Regelung einheitlicher Arschgrössen. Leggins sind out, Grün ebenfalls, Grau ist eh schöner. Aber bitte nicht im Mustermix. Wer Ziegelsteine vom Dach wirft, verdient nicht zu leben. Albaner sind, ebenso wie die Türken… und Aargauer sowieso. Von den Zürchern wollen wir schon gar nicht erst reden. Wir sind hochintellektuell, aber das könnt ihr freilich nicht beurteilen, dazu ist euer Geist zu unterkomplex. Die ist billig, der arrogant, Schlampe, Spiesser, Koksnase, und jener mit der Brille, also da hab ich von Anfang an gemerkt, dass der irgendwie suspekt ist. Schau mal, der guckt schon so komisch.

Ein Blickwinkel wie ein Röhrchen in einem grossen Krug Panaché. Zielorientiert saugen wir den Zitronensirup vom Boden des Glases und verkünden, Panaché inskünftig zu meiden. Es schmeckt einfach zu säuerlich.

Wer zu wissen glaubt, (hinter)fragt nicht. Wer nicht fragt, lernt nichts dazu.

Mobile und online verloren.

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„Verliebt, verloren, vergessen, verzeiiiiiihn“… Wolfgang Petry plärrte aus den Boxen, ich pflügte mir meinen Weg durch die Menge. Verbissen versuchte ich, mein prall gefülltes Handytäschen zuzuklappen. Der Verschluss wollte partout nicht einrasten. Ich hatte den Kampf noch nicht gewonnen, da fühlte ich mich grob an den Armen gepackt. Ein dürres Männlein mit schwarzen Augen schnappte nach mir und schüttelte mich hektisch hin und her. Zuckend, als wäre er an eine Fahrleitung angeschlossen, fuchtelte er herum, meine dünnen Arme fest im Griff. Geppetto, der Puppenmacher, hatte mich eben zur Marionette gemacht. Ein wild gestikulierender Kermit. Sorgenvoll dachte ich ans offene Täschchen. „Der soll mich loslassen, damn!“ Er dachte nicht daran. Eben drehte er mich wie einen Kreisel. Ich versuchte mich loszuwinden und erntete verständnislose Blicke. Das Täschchen. „Ich will es schliessen. Jetzt!“. Bloss, warum war das Ding so leicht? Ein Blick hinein bestätigte den grausigen Verdacht. Leer. Mein Handy! Funknagelneu und verschwunden.

handyMein Blick scannte den Boden. 1000 trampelnde Füsse an einer voll besetzten Schlagerparty. Würde ich es noch finden, dann höchstens in 1000 Stücken. „Wo hast du es denn zuletzt gesehen?“. Der Zitteraal von vorhin. „In meinem Täschchen hab ich es gesehen, bevor du wie ein Hunne über mich hergefallen und mich geschüttelt hast, als wäre ich ein McDonalds-Salat im Becher. Und jetzt mach dich vom Acker und lass mich suchen!“. Manchmal wäre es eine Erlösung, seine Gedanken einfach auszusprechen. Ich wähnte meinen Abend im Eimer. Hab an der Garderobe nachgefragt. Nichts. An der Kasse. Nur mitleidige Blicke. „Vielleicht hat ja jemand das Handy gefunden und ruft mich an – ich hab dir eben noch geschrieben, bin zuoberst auf der Liste“, meinte Julia und checkte ihre SMS. Wieder nichts. Ich brauchte erst mal n’Drink. Mehr beiläufig fragte ich den Typen hinter der Bar, ob wohl ein Handy abgegeben worden sei. Er tuschelte mit seinem Kollegen. „Was für ein Modell?“ fragte er. „XPeria Pro, mit Klapptastatur“. Ein bedeutungsvoller Blick, ein Griff, und der Typ hielt mir mein Handy unter die Nase. Hallellujah! Was für ein Scheiss Glück!

 „Hättest halt mal Lookout installiert“ meinte Yves, mein Arbeitskollege. Stimmt. Das tolle Programm ist nicht nur Virenscanner, man kann damit auch online sein Handy lokalisieren. Und auf dem Gerät eine Sirene erschallen lassen. Selbst wenn’s auf lautlos gestellt ist. Das Dumme ist nur, dass sich der vorinstallierte McAfee benimmt wie eine eifersüchtige Geliebte; laufend werd ich gefragt, ob ich denn Lookout nicht endlich wieder deinstallieren möchte. I-Phone geht noch nen Schritt weiter: Neulich wurde in den Zeitungen das Foto einer jungen Frau abgedruckt, welche in England ein Handy gestohlen haben soll. Das iPhone-App namens iGotYa knipst nämlich ein Bild, sobald jemand mehr als drei Mal den falschen Code eingibt. Die Bestohlene erstattete Anzeige, und flugs schickte die Polizei das Bild zur Unterstützung bei der Fahnung an die Redaktionen. Jetzt wird das Konterfei der vermeintlichen Diebin in Europa durch die Medien geschleppt, auf dass sie geschnappt werde. Stell dir vor, du findet ein Handy und versucht, den Code zu knacken, um einen Kollegen des Besitzers zu kontaktieren. Gut, das Ansinnen, rein zufällig den richtigen Code eingeben zu wollen, ist ja an sich eher unsinnig, egal ob die Absichten lauter oder unlauter sind. Trotzdem, du tust es – und kriegst ne gepflegte Rufmord-Kampagne. Selbst wenn das Teil wirklich gestohlen worden wäre – seit wann ist es denkbar, Menschen öffentlich an den Pranger zu stellen? Sind wir wieder im Mittelalter angelangt? Und falls ja, gäbe es nicht schlimmere Verbrechen, die in der halben Welt zur Fahndung auszuschreiben wären? Lustigerweise schreibt 20 Minuten einige Seiten weiter hinten über die neue Kampagne gegen Cybermobbing und darüber, wie Kids in den Suizid getrieben werden. Schöne virtuelle Welt; so viele neue Möglichkeiten. Die Technik entwickelt sich, der Mensch ist noch bereit zur Steinigung. Online, versteht sich.

Bevor ich dich jetzt niedermäh, bring mir noch an Jagatee

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Es ist totenstill, kaum jemand verirrt sich in diesen Winkel des Parks, in dem ein kleiner Brunnen fröhlich plätschert. Rot und gelb leuchten die Blätter im letzten Glanz der untergehenden Sonne. Lukas wirft eine blütenweisse Decke über die Parkbank. Eine grosse, helle Thermoskanne leuchtet in der Dämmerung. Ich wusste nicht, dass er ein Getränk mitnimmt, in meiner Tasche liegt eine Flasche mit leckerem mit süsslichem Beerenwein. Jetzt drückt Lukas den Knopf und giesst heissen Jagertee in eine mädchenrosa und eine bubenblaue Tasse.

Dieser Ort lässt alle Möglichkeiten offen. Das absurde Moment, hier sein Leben zu geniessen, öffnet der Heiterkeit die Türe. Schwarzer und Humor in allen Farben fügt sich in seinen passenden Rahmen. Geschichten liegen zum Greifen nahe in der Luft, machen nachdenklich. Hier finden Themen aus dem Grund der Tiefe ihren Weg an die Oberfläche, wenn es denn die Nähe zum Gegenüber zulässt. Nur wer jetzt noch über’s Büro diskutiert, ist nicht ganz beieinander.

Eine abgründige Melodie füllt die Luft mit Dunkelheit, während die schwere Glocke des nahe gelegenen Kirchenturms unbeugsam den Klang der Vergänglichkeit über heidebedeckte Beete trägt. Plötzlich durchbricht eine dumpfe Stimme die Komposition pythischer Laute. Ich erschaudere innerlich. Lukas nestelt an seinem kleinen, runden Lautsprecher herum, den er mit dem iPhone gekoppelt hat. „Grüss Gott. Ich bin der Tod – vorbei ist deine Not“ raunt die Stimme jetzt ihre Botschaft ins Dunkel der beginnenden Nacht; die erste allgemeine Verunsicherung greift um sich. Der steinerne Kopf auf Frau Toblers Grab blickt uns an: „Sturm ist Sturm, sagt der Wurm, als Leich ist jeder gleich“. Wann mag das letzte Mal gewesen sein, als dieser abschiedsgeplagte Ort mit Lachen erhellt wurde?

Die Uhr schlägt bald 19 Uhr, gleich wird hier geschlossen, die Mauern sind dick und hoch. Der Jagertee macht sich bemerkbar: Zum Glück wurde hier auch ein Platz für die irdischen Bedürfnisse eingerichtet. Ich bin froh, eine Toilette zu finden, knalle meine Tasche in die Ecke und mache mich an meiner Hose zu schaffen. In Gedanken lobe ich die Stadtverwaltung einmal mehr für dieses wunderbare Fleckchen Erde, als mein Blick zu Boden gleitet. Klebrig-süss breitet sich eine blutige Lache unter meinen Füssen aus. Ist es der Hund von Baskerville? Die jaulende Myrte*? Meine Nackenhare wachsen zum Himmel. Das Blut entströmt meiner Tasche. Ein angefahrenes Frettchen vielleicht, das sich mit einem letzten Kraftakt an den Henkeln empor gezogen und zum Sterben hinein gelegt hat? Ein kurzer Blick enthüllt das Ausmass der Katastrophe. Dunkel rinnt die Flüssigkeit aus der zerborstenen Flasche. Das „Halunkenblut“, mein herrlicher, leckerer Beerenwein! Honigsüss duftend fliesst er über den Boden der Friedhofstoilette. Ich fische mein rotgetränktes Anmeldeformular für die Kunsttherapeutenschule aus der Tasche. Es tropft symbolisch sein Halunkenblut zu Boden: Manch einem Anfang geht ein Ende voraus.

*für alle, die mich mal wieder nicht verstehen: Auch das ist ein Begriff aus dem unerschöpflichen Vokabular von Harry Potter.

„Der Tod“: http://www.youtube.com/watch?v=buw3GRbCtBI

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Smalltalk oder „Wie alt bist du?“

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Schweigend sitzen wir nebeneinander. Die junge Bewegungstherapeutin weiss nichts mit mir anzufangen, das ist so klar wie ein Gebirgsbach. Sie scheint aber auch nicht der Typ Frau zu sein, die das so stehen lassen kann. Mehr so „Ich-bin-total-locker-und-kann-mit-allen“. Keine Ahnung, wie lange sie nach einem Gesprächsthema gesucht haben muss, während sie hier am Mittagstisch in ihrem Müsli stocherte. Plötzlich kommt’s: „Hast du dir eigentlich deine Lippen machen lassen?“. „Neiiin, ich bin bloss dick geschminkt. Und du, hast du dein Gesicht von Natur aus?“. Es ist nicht das erste Mal, dass eine Frau aus dem therapeutischen Bereich an meiner Fassade hängen bleibt. Gerade dieser Berufsgattung nehme ich so wenig Tiefgang besonders übel.  

In den meisten Menschen steckt ja ein kleiner Zöllner. Die gehen erst mal den Pass durch. „Wie heisst du?“, „Bist du Schweizerin?“ und „Ich weiss, man fragt das nicht, aber wie alt bist du?“ Ob es wohl Frauen gibt, die schon mal mit „Ich weiss, man fragt das nicht, aber wie hoch ist dein Nettoeinkommen?“ in ein Gespräch einsteigen? Gebe ich Auskunft, folgt eine halbstündige Diskussion, wieso ich noch nicht aussehe wie Stallones Mutter und – falls das Gespräch unter Tanzenden stattfindet – wie es kommt, dass ich mich mit bald 42 überhaupt noch bewegen kann und nicht wenigstens den Rollator vor mir herschiebe. Da hängen sie einen mit 94 ohne zu zögern an lebenserhaltende Apparate, wundern sich aber, dass man in der Lebensmitte nicht wie die Altvordern seine müden Gebeine aufs Sofa bettet, um sie fortan zu schonen, ehe sie von alleine auseinanderbrechen. „Aus dem Alter bin ich raus“, erklärt manch ein Zeitgenosse mit stolzgeschwellter Brust, und es scheinen nicht wenige so zu denken: Geht mal in einen Zumba-Kurs und schaut euch den Altersdurchschnitt an. „Da bin ich zu alt“: Das schützte auch meine Grossmutter vor, als ich versuchte, ihr den Gebrauch eines Handys schmackhaft zu machen. Viele Menschen wagen sich im Alter ja kaum noch aus dem Haus. Kein Wunder: Egal, um welche Fertigkeit es sich handelt – was nicht gebraucht wird, baut ab. Egal obs ums Denken, ums Tanzen, Muskeln und Ausdauer generell oder auch um den Mut geht, etwas Neues zu wagen. Man sollte nie aus dem Alter raus sein, sich für etwas noch Unbekanntes zu interessieren und zu tun, was einen Spass macht,

Was keinen Spass macht ist, fortwährend die selbe Frage zu beantworten, die meist nur darauf abzielt, dich in eine Schublade zu stecken. Wenn du nicht reinpasst, fangen sie an, drin rumzuwühlen, als müsste man bloss eine rausragende Socke richten, ehe sie aufhört zu klemmen. Beantwortest du die Frage nicht, hast du ein Problem mit deinem Alter – zack, neue Schublade! Auch wenn es rund um die Altersfrage Komplimente regnet, und ja, ich mag gerne Komplimente hören, aber ein längeres Gespräch über optische Merkmale? Ich habe Augen im Kopf und Spiegel zu Hause! Manche Menschen haben sich der Mühsal des Smalltalks gänzlich entzogen – die fragen einfach gar nichts. Und ich selber? Den Gesprächspartner über Dinge berichten lassen, die er mag, kommt immer gut. Wo er das letzte Mal in den Ferien war, was er in seiner Freizeit macht. So richtig aber liebe ich es, wenn es ohne Umweg direkt in die Tiefe geht. Einmal hat mich einer gefragt, ob ich an ein Leben nach dem Tod glaube. Gleich nachdem er wissen wollte, wofür es sich für mich lohnt, morgens aufzustehen. Das Resultat: Gespräche bis in die frühen Morgenstunden. Spätestens da habe ich mich in ihn verliebt.

Minus ein Blogbeitrag.

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Gegen alle Regeln der Kunst hab ich den Blog von letzter Woche deaktiviert. Jenen, in dem ich ein paar absurde Situationen im männlich-weiblichen Beisammensein beschrieben habe. Warum ich ihn gelöscht hab? Bauchgefühl.

Ganz ehrlich, ich verabscheue Geschlechterdiskussionen jedwelcher Art. Für mich ist Männlein wie Weiblein in erster Linie Mensch – mit Herz und Verstand, mit Schwächen und Stärken. Mir scheint, das wird bei jener Art von Streitgesprächen gerne vergessen. Darum meide ich sie wie der Teufel das Weihwasser. Die kruden Argumente beider Seiten gehen mir nämlich im Normalfall auf die Nerven. Nun war ja mein Beitrag keine Geschlechterdebatte, sondern eine Sammlung skurriler menschlicher Verhaltensweisen, die wohl kaum jemand kopieren möchte. Ich habe gerade mal zwei Feedbacks zu dem Artikel bekommen: Das erste von ner Frau, die sich freute, weil sie’s genau so verstanden hat, wie’s nicht gemeint war. Das zweite von einem Mann, dessen Thematik mit meiner auch nicht zu harmonieren schien. Etwas, was aber nicht so verstanden wird, wie ich’s gemeint hab, ist ja irgendwie nicht von mir. Da kann ich dann so nicht dahinter stehen, und darum muss es weg.

Irgendwo ahne ich auch, warum es nicht so verstanden wurde, wie ich’s verstanden haben wollte: Ich hab mich selber verarscht. Ich wollte einen witzigen Artikel schreiben, wie wir ja auch in der Frauenrunde herzhaft über die Geschichten gelacht haben. Aber wisst ihr was? Ich find’s gar nicht witzig. Ich hab mir meinen eigenen Blog vorhin gerade nochmals zu Gemüte geführt. Die geschilderten Verhaltensweisen sind überhaupt nicht skurril. Sie sind herabsetzend. Ich find’s nicht lustig, es macht mich traurig. Das Eine oder Andere hab ich selbst erlebt, das und vergleichbares, das nicht im Blog gestanden hat – und immer hat es mich getroffen. Über die grossen und kleinen Tragödien im Leben trotzdem lachen zu können halte ich für wichtig, aber unterm Strich ist ein Tritt in die Magengrube nicht amüsant, selbst mit ner Riesenportion schwarzem Humor nicht.

Der eine Leser, der mir Feedback gegeben hat, meinte: „Frau kann sich fragen, was sie tun / wie sie sein kann, dass es in eine gewünschte Richtung läuft.“ Ich habe geantwortet: „Das Weite suchen!“.  Ich will die Frage mal anders formulieren: „Was kann ein Mensch tun / wie kann er sein, wenn er geringschätzig behandelt wird?“. Meine Meinung:
1. Nicht dem Reiz erliegen, den Spiess umzudrehen, sondern authentisch bleiben und mit dem Gegenüber so umgehen, wie man es für sich selber wünscht.
2. Darauf bestehen, mit Anstand und Respekt behandelt zu werden.
Und wenn alles nichts hilft:
3. Das Weite suchen.

Psychopathologische Köpfe

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Also ich hab da so nen Spleen. Ich zeichne Köpfe. Genauer gesagt Frauenköpfe. Und zwar schon seit ich denken kann.

Seinen ersten Höhepunkt fand mein Wirken im Vorschulalter, als mein Kinderzimmer neu eingerichtet werden sollte. Das Pult war zum Zwecke des Abtransports ausnahmsweise vertikal statt horizontal aufgestellt. Die ungewohnte Ausrichtung ermöglichte es meinem Kumpel Patrick und mir, die Seitenwände besagten Mobiliars zu erklimmen und so die Decke zu erreichen. Diese Chance haben wir genutzt, und es entstand im Gemeinschaftswerk eine meiner nachhaltigsten Ölmalereien. Wir haben nämlich die Köpfe ausladend und mit Ölkreide in Decke und Wand hinein gepresst. Ich weiss nicht, wie oft der Maler Jahre später noch überpinseln musste – aber hey, schon als Knirpse wussten wir die Wirtschaft anzukurbeln!

Eine weitere Schaffensphase prägte schliesslich meine Gymnasialzeit, als ich das Pult grossflächig und in Farbe neu zu gestalten pflegte. Warum die Lehrpersonen sich gegen das Kritzeln von Zettelchen wehrten, gegen meinen Vandalismus hingegen nicht, ist mir bis heute ein Rätsel. Zwischenzeitlich im Berufsleben angekommen, lebe ich meine Passion während Sitzungen etwas kleinformatiger auf firmenintern gesponserten Schreibblöcken aus. Das soll nämlich die Konzentration fördern. Hab ich gelesen.

Seit einiger Zeit gibt es nun meine Frauenköpfe auch auf dem dafür vorgesehenen, mithin am meisten geduldeten Trägermaterial; der Leinwand. Die Bilder sind nicht im eigentlichen Sinne schön, aber sie zeigen frei nach Yin und Yang unmissverständlich den Gegenpol und Ausgleich zu meinem unbändig fröhlichen Naturell. Kurz und gut, sie sind schrecklich. Auf ihre ganz eigene Art. Die meisten jedenfalls. Voller Verzweiflung und Elend. „Gell, das bist du?“, fragt mich eine Kollegin zu dem dunkelroten Bild mit der zweigeteilten Frau, die kurz vor ihrem Ableben zu stehen scheint. Ich fühle einen Widerwillen. Jetzt sprechen wir nicht mehr über das Bild, wir sprechen über mich. Klar, ich möchte mein Bild zeigen. Es ist vielleicht kein Kunstwerk, aber ich fühle wie ein Kind, das stolz seine Strichmännchen zeigt. Wenn ich das Bild zwanzig Leuten zeige, möchte ich mit allen zwanzig Leuten über mich sprechen? Nee. Aber wie gehen Maler expressionistischer Bilder mit sowas um? Gut, bei Frieda Kahlo erübrigen sich die Fragen. Hingegen Munch mit seinem „Schrei“? Hat er über sein innerstes Seelenleben geplaudert, mit jedwedem, der darüber Vermutungen äussern mochte? Oder hat er sich temporär ins Ausland abgesetzt? Ich weiss es nicht.

Die schönste Rückmeldung übrigens, die ich dazu je zu einem Bild erhalten habe, lautete: „Es hat mich berührt“. Danke, Susi. Jedenfalls, hier ist mein Neuestes. Keine Ahnung, was es aussagt – vielleicht wisst ihr’s?

http://www.presseportal.de/pm/7861/1393765/gruner_jahr_geo

Klamotten, Schuhe und so.

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Auf meine Frage, worüber ich denn schreiben soll, wurde mir von Tiefschürfendem abgeraten. Aus einer Reihe leicht verdaulicher Vorschläge habe ich also das Thema „hippe Schuhe und Klamotten“ ausgewählt.

„Kleider machen Leute“ heisst es, und unzählige Mode- und Stilberater verdienen ihr Geld damit, Leute zu Leuten zu machen. In einschlägigen Magazinen wird darüber sinniert, ob transparente Strümpfe noch tragbar seien, Muster kombiniert werden dürfen, oder wie lange das Haar alternder Damen zu sein hat. Extreme werden nicht geduldet, im Strassenalltag westeuropäischer Städte wird mit Blicken sanktioniert, was aus dem Rahmen fällt, der topmoderne Morphsuit ebenso wie das Kopftuch.  Während sich den Damen bei der Wahl ihrer Persönlichkeit eine breite Palette bietet, von der grauen Maus über die Esotante bis zur Modetussi,  behält der Mann den Überblick über diverse Jeansvarianten sowie Anzüge in Schwarz, Dunkelblau oder einem frischen Steingrau. Kreativität in Modefragen wird allenfalls bei mindestens stadtbekannten Protagonisten aus dem Mode- und Kunstgewerbe geduldet, ansonsten macht sich die in Ringelsocken, Tütü und neongelben Blazer Gehüllte verdächtig, dem Burghölzli entflohen zu sein – schlimmer noch , wenn ein Mann das besagte Modell austrägt, am besten auf High-Heels einher stöckelnd.

Kleider machen Leute, ja, aber nicht unbedingt jenen, der sie trägt. Sondern allenfalls auch jenen, der sie bewertet. Den zum Beispiel, der Nase rümpfend den zerlumpt gekleideten Mittzwanziger asozial schimpft, und sich selbst sozial wähnt. Oder jenen, der mit oberflächlicher Selbstgerechtigkeit die stark geschminkte, modebewusste Dame der Oberflächlichkeit bezichtigt. Den, der allen Ernstes glaubt, vom Banker in Jeans schlechter beraten zu werden, als von dessen schwitzendem, bei 30 Grad im Blazer bald kollabierendem Kollegen. Eigentlich jeden, der wegens eines Fetzen Stoffs glaubt, über einen anderen urteilen zu können, ohne je ein Wort getauscht, ohne sich für den Menschen interessiert zu haben. 

Gucci, Diesel, Manolo Blahnik – ich schrei da nicht vor Glück. Was wäre die Welt schön, könnte jeder tragen was ihm Spass macht – man würde endlich wieder beginnen, hinter die Fassade zu schauen. Ich käme übrigens in Hippie-Klamotten daher. Peace.