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Farbklecks.

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bildSie sitzen im Kreis und blinzeln erwartungsfroh in die Runde. Zwanzig Frauen – nein, hier gibt es keine Tupperware-Party. Es ist mein erster Schultag, ohne Zuckertüte und Schulranzen, dafür mit neu glänzenden Pinseln. Zwei Generationen treffen aufeinander, nur Männer sind rar unter den angehenden Mal- und Gestaltungstherapeuten. Meine Augen schweifen über die Gesichter. Manche von ihnen werde ich bis ins Innerste entdecken. Miteinander lachen, zusammen weinen, uns verändern in einer Ausbildung, bei der das Lernen auf einer tieferen Ebene stattfindet. Der Blick bleibt hängen: Sie da schräg gegenüber, farbenfroh gekleidet, ein gutes Stück älter sein als ich. Sie leuchtet von innen heraus, durch ihre Augen. Als sässe die Sonne in ihrem Bauch. Ich freue mich.

Vor uns auf dem Parkett liegen kreuz und quer bunte Postkarten. „Sucht euch eine davon aus“, lautet die Aufgabe. Die Vorstellungsrunde lässt unbeantwortet, wer wir sind und was uns hierher geführt hat. Nur: „Warum hast du diese Karte gewählt, was hat sie mit dir zu tun?“ Meine zeigt einen orange leuchtenden Goldfisch, einsam im kühlen Blau des Wassers. Lebensfreude und Tiefgang vereint, warm und kalt, die Farbtöne kontrastieren.

Die Farbe klebt überall an den mit Holz ausgekleideten Wänden und verströmt einen süsslichen Mandelduft. Wir binden uns grosse Schürzen um. Auf kleinen Tischchen reihen wir säuberlich Wasser, Schwämmchen und Pinsel nebeneinander auf. Es bleibt uns überlassen, welche Nuancen wir auf unsere kleine Tafel tropfen wollen. Am Ende soll das gemalte Bild die Gefühle zum Ausdruck bringen, die das Motiv auf der Postkarte in uns auslöst.

Für einmal will ich auf kraftvolle Farben verzichten. Nebulös dunkel wie das Ungewisse soll mein Bild sein, nur von Alice, dem Wunderfisch farbgetupft. „Ich möchte in die Tiefe gehen“, hörte ich mich sagen und gleichzeitig hab ich mich gefragt: Will ich das wirklich? Der Winter war kalt und dunkel die letzten Jahre. Bleischweres Gefängnis. Jetzt bin ich frei, will auf Wolken tanzen, singen und feiern bis der Morgen graut. Nein, ich will nicht auf Grund sinken, nicht jetzt, solange das Wasser kalt ist.

Ein kleiner Klecks Orange und etwas Grün verirren sich auf meine Farbpalette. Ja, auch ein bisschen Rosa, fürs Lustprinzip. Ich klebe die fischverzierte Ansichtskarte in die Mitte eines überdimensionierten Papierblatts. Der Pinsel haucht helles Apricot ins unschuldige Weiss, noch mehr Pastell mischt sich dazu. Ich habe nicht mehr gemalt, seit es mir wieder gut geht. Ich versteh mich nicht; satt müssen Farben sein, intensiv wie das Leben. Was mach ich da? Bonbonartige Blasen formen sich auf dem Blatt, in süsslichen Tönen. Leicht und klebrig wie Frappée fliesst die Farbe übers Blatt, weich wie die Schleier einer orientalischen Tänzerin. Ich mag kein Rosa. Pinkige Schweine, Barbie, alberne Mäntelchen malträtierter Chihuahuas. Jetzt aber macht sie mir Freude. Ich wollte doch noch eine dunkle Seite… Zögerlich tauche ich den Pinsel ins trübe Schwarz, mische es mit Grau. Harte Striche, irgendwie kackt’s mich an, dieses Finstere. Zu lange drohte sie mich zu verschlucken, die Bestie. Das Malen fällt mir schwer, dickflüssige Tropfen landen auf dem Tisch. Ein paar wackelige, krumme Beisser krieg ich nur hin. Zu grob der Pinsel, das Gouache nicht deckend. Lächerlich, das verrotten stinkende Maul meines Tiefseemonsters. Ich will Rosa. Jetzt. Ich türme die Farbe wie Erdbeer-Softeis auf meine Palette. Der Pinsel genügt nicht, auch der Schwamm streichelt zu zart aufs Papier. Ich will baden in Rosa, versinken in Zuckerflausch, will Seifenblasen in die Luft pusten, Marshmellows an die Wand tackern. Tauche meine Hände in rosa Farbe und schmiere damit übers Bild. Brüll mir nur in den Nacken, du Vieh, ich weiss dass du da bist – kann dich hören, muss nicht, stelle mein Grundrauschen lauter. Durch diese maroden Beisser schlüpf ich noch jedes Mal durch.

Bildbesprechung. Jetzt sitzen wir auf Schemeln vor den Bildern, lassen sie setzen, in uns versickern. Jede erklärt ihr Werk, die andern fügen hinzu, was ihnen dazu durch Kopf und Bauch geht. Neue Blickwinkel, eine andere Perspektive. Was anklingt, darf bleiben, was nicht, soll weiter ziehen. Jemand bringt es auf den Punkt, ich seh’s erst jetzt: Der Fisch schwimmt in die richtige Richtung.

Psychopathologische Köpfe

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Also ich hab da so nen Spleen. Ich zeichne Köpfe. Genauer gesagt Frauenköpfe. Und zwar schon seit ich denken kann.

Seinen ersten Höhepunkt fand mein Wirken im Vorschulalter, als mein Kinderzimmer neu eingerichtet werden sollte. Das Pult war zum Zwecke des Abtransports ausnahmsweise vertikal statt horizontal aufgestellt. Die ungewohnte Ausrichtung ermöglichte es meinem Kumpel Patrick und mir, die Seitenwände besagten Mobiliars zu erklimmen und so die Decke zu erreichen. Diese Chance haben wir genutzt, und es entstand im Gemeinschaftswerk eine meiner nachhaltigsten Ölmalereien. Wir haben nämlich die Köpfe ausladend und mit Ölkreide in Decke und Wand hinein gepresst. Ich weiss nicht, wie oft der Maler Jahre später noch überpinseln musste – aber hey, schon als Knirpse wussten wir die Wirtschaft anzukurbeln!

Eine weitere Schaffensphase prägte schliesslich meine Gymnasialzeit, als ich das Pult grossflächig und in Farbe neu zu gestalten pflegte. Warum die Lehrpersonen sich gegen das Kritzeln von Zettelchen wehrten, gegen meinen Vandalismus hingegen nicht, ist mir bis heute ein Rätsel. Zwischenzeitlich im Berufsleben angekommen, lebe ich meine Passion während Sitzungen etwas kleinformatiger auf firmenintern gesponserten Schreibblöcken aus. Das soll nämlich die Konzentration fördern. Hab ich gelesen.

Seit einiger Zeit gibt es nun meine Frauenköpfe auch auf dem dafür vorgesehenen, mithin am meisten geduldeten Trägermaterial; der Leinwand. Die Bilder sind nicht im eigentlichen Sinne schön, aber sie zeigen frei nach Yin und Yang unmissverständlich den Gegenpol und Ausgleich zu meinem unbändig fröhlichen Naturell. Kurz und gut, sie sind schrecklich. Auf ihre ganz eigene Art. Die meisten jedenfalls. Voller Verzweiflung und Elend. „Gell, das bist du?“, fragt mich eine Kollegin zu dem dunkelroten Bild mit der zweigeteilten Frau, die kurz vor ihrem Ableben zu stehen scheint. Ich fühle einen Widerwillen. Jetzt sprechen wir nicht mehr über das Bild, wir sprechen über mich. Klar, ich möchte mein Bild zeigen. Es ist vielleicht kein Kunstwerk, aber ich fühle wie ein Kind, das stolz seine Strichmännchen zeigt. Wenn ich das Bild zwanzig Leuten zeige, möchte ich mit allen zwanzig Leuten über mich sprechen? Nee. Aber wie gehen Maler expressionistischer Bilder mit sowas um? Gut, bei Frieda Kahlo erübrigen sich die Fragen. Hingegen Munch mit seinem „Schrei“? Hat er über sein innerstes Seelenleben geplaudert, mit jedwedem, der darüber Vermutungen äussern mochte? Oder hat er sich temporär ins Ausland abgesetzt? Ich weiss es nicht.

Die schönste Rückmeldung übrigens, die ich dazu je zu einem Bild erhalten habe, lautete: „Es hat mich berührt“. Danke, Susi. Jedenfalls, hier ist mein Neuestes. Keine Ahnung, was es aussagt – vielleicht wisst ihr’s?

http://www.presseportal.de/pm/7861/1393765/gruner_jahr_geo