Archiv für den Monat Februar 2013

Farbklecks.

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bildSie sitzen im Kreis und blinzeln erwartungsfroh in die Runde. Zwanzig Frauen – nein, hier gibt es keine Tupperware-Party. Es ist mein erster Schultag, ohne Zuckertüte und Schulranzen, dafür mit neu glänzenden Pinseln. Zwei Generationen treffen aufeinander, nur Männer sind rar unter den angehenden Mal- und Gestaltungstherapeuten. Meine Augen schweifen über die Gesichter. Manche von ihnen werde ich bis ins Innerste entdecken. Miteinander lachen, zusammen weinen, uns verändern in einer Ausbildung, bei der das Lernen auf einer tieferen Ebene stattfindet. Der Blick bleibt hängen: Sie da schräg gegenüber, farbenfroh gekleidet, ein gutes Stück älter sein als ich. Sie leuchtet von innen heraus, durch ihre Augen. Als sässe die Sonne in ihrem Bauch. Ich freue mich.

Vor uns auf dem Parkett liegen kreuz und quer bunte Postkarten. „Sucht euch eine davon aus“, lautet die Aufgabe. Die Vorstellungsrunde lässt unbeantwortet, wer wir sind und was uns hierher geführt hat. Nur: „Warum hast du diese Karte gewählt, was hat sie mit dir zu tun?“ Meine zeigt einen orange leuchtenden Goldfisch, einsam im kühlen Blau des Wassers. Lebensfreude und Tiefgang vereint, warm und kalt, die Farbtöne kontrastieren.

Die Farbe klebt überall an den mit Holz ausgekleideten Wänden und verströmt einen süsslichen Mandelduft. Wir binden uns grosse Schürzen um. Auf kleinen Tischchen reihen wir säuberlich Wasser, Schwämmchen und Pinsel nebeneinander auf. Es bleibt uns überlassen, welche Nuancen wir auf unsere kleine Tafel tropfen wollen. Am Ende soll das gemalte Bild die Gefühle zum Ausdruck bringen, die das Motiv auf der Postkarte in uns auslöst.

Für einmal will ich auf kraftvolle Farben verzichten. Nebulös dunkel wie das Ungewisse soll mein Bild sein, nur von Alice, dem Wunderfisch farbgetupft. „Ich möchte in die Tiefe gehen“, hörte ich mich sagen und gleichzeitig hab ich mich gefragt: Will ich das wirklich? Der Winter war kalt und dunkel die letzten Jahre. Bleischweres Gefängnis. Jetzt bin ich frei, will auf Wolken tanzen, singen und feiern bis der Morgen graut. Nein, ich will nicht auf Grund sinken, nicht jetzt, solange das Wasser kalt ist.

Ein kleiner Klecks Orange und etwas Grün verirren sich auf meine Farbpalette. Ja, auch ein bisschen Rosa, fürs Lustprinzip. Ich klebe die fischverzierte Ansichtskarte in die Mitte eines überdimensionierten Papierblatts. Der Pinsel haucht helles Apricot ins unschuldige Weiss, noch mehr Pastell mischt sich dazu. Ich habe nicht mehr gemalt, seit es mir wieder gut geht. Ich versteh mich nicht; satt müssen Farben sein, intensiv wie das Leben. Was mach ich da? Bonbonartige Blasen formen sich auf dem Blatt, in süsslichen Tönen. Leicht und klebrig wie Frappée fliesst die Farbe übers Blatt, weich wie die Schleier einer orientalischen Tänzerin. Ich mag kein Rosa. Pinkige Schweine, Barbie, alberne Mäntelchen malträtierter Chihuahuas. Jetzt aber macht sie mir Freude. Ich wollte doch noch eine dunkle Seite… Zögerlich tauche ich den Pinsel ins trübe Schwarz, mische es mit Grau. Harte Striche, irgendwie kackt’s mich an, dieses Finstere. Zu lange drohte sie mich zu verschlucken, die Bestie. Das Malen fällt mir schwer, dickflüssige Tropfen landen auf dem Tisch. Ein paar wackelige, krumme Beisser krieg ich nur hin. Zu grob der Pinsel, das Gouache nicht deckend. Lächerlich, das verrotten stinkende Maul meines Tiefseemonsters. Ich will Rosa. Jetzt. Ich türme die Farbe wie Erdbeer-Softeis auf meine Palette. Der Pinsel genügt nicht, auch der Schwamm streichelt zu zart aufs Papier. Ich will baden in Rosa, versinken in Zuckerflausch, will Seifenblasen in die Luft pusten, Marshmellows an die Wand tackern. Tauche meine Hände in rosa Farbe und schmiere damit übers Bild. Brüll mir nur in den Nacken, du Vieh, ich weiss dass du da bist – kann dich hören, muss nicht, stelle mein Grundrauschen lauter. Durch diese maroden Beisser schlüpf ich noch jedes Mal durch.

Bildbesprechung. Jetzt sitzen wir auf Schemeln vor den Bildern, lassen sie setzen, in uns versickern. Jede erklärt ihr Werk, die andern fügen hinzu, was ihnen dazu durch Kopf und Bauch geht. Neue Blickwinkel, eine andere Perspektive. Was anklingt, darf bleiben, was nicht, soll weiter ziehen. Jemand bringt es auf den Punkt, ich seh’s erst jetzt: Der Fisch schwimmt in die richtige Richtung.

Sportklecks.

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ski„Gehts heit ned zum Schifoan?“ fragt mich die Hotelière mit missbilligendem Unterton. Man sieht’s ihr an, innerlich schüttelt sie den Kopf. Zum dritten Mal in Folge ächze ich zur Mittagszeit erst aus dem Zimmer, alle anderen sind längst im Schnee. Hab stundenlang getanzt in der Nacht zuvor. Dabei bewege ich mich wesentlich mehr, als wenn ich die Piste runtergurke. Für die Meisten zählt das dennoch nicht als redliche Leibesertüchtigung. Für meinen Körper schon. „Sie haben die Werte von jemandem, der regelmässig Sport macht“, sagt mein Arzt. Trotzdem: „Warst heut nicht Skifahren?“, jedes Mal, wenn ich ohne Skischuhe im Après-Ski steh. Vielleicht lass ich mir ein T-Shirt drucken: „Nee, ich hab heut mal ausgeschlafen“. „Ich bin drei Stunden in den Hängen herumgewandert“, rechtfertige ich mich kleinlaut und obwohl es steil den Berg hinauf ging und ich dabei geschwitzt habe wie ein Büffel bei der Begattung seiner Herde: Hier wird Ski gefahren, verdammt!

Skifahren. Meine Freundin Lina, zitternd und weinend vor Angst am Start des Skirennens. Die Armleuchter von Lehrern, die zu zweit und unter lautem Ächzen meinen sich sträubenden, verstauchten und demzufolge geschwollenen Fuss in den Skischuh stopften. Ich weiss auch nicht, wo die Typen immer all diese fiesen steilen vereisten Hänge gefunden haben. Als ich in dichtem Nebel vom Bügellift purzelte und für zwei Abfahrten alleine den Hang runterfuhr, da war das Skifahren endlich mal richtig geil. Leider fehlte mir das nötige Quantum Rebellion, um den Bügel inskünftig absichtlich davonflattern zu lassen.

Als schüchternes, eher ruhiges Mädchen widerstrebte es mir dazumal auch, Bälle etwelcher Art mitten in die Fresse geknallt zu bekommen. Ich sah den Sinn nicht, mir das Volleyleder auf meine zarten Handgelenke peitschen zu lassen. Unihockey war ok, da biste wenigstens bewaffnet. Beim Schwimmen zog ich es vor, unter Wasser zu bleiben. Hab denn heute auch nen Tauchschein, aber die dazu nötigen 200m Schwimmen hab ich gerade mal knapp und nur mit Flossen geschafft. Am Sporttag mochte ich am liebsten die Bandansage, die mir morgens am Telefon mitteilte, der Anlass finde wegen der üblen Witterungsverhältnisse nicht statt. Na, und alternativ vielleicht noch das Speerwerfen. Hab mir vorgestellt, der Sportlehrer stehe da vorn.

Selbst wenn Sibylles ausgerenkte Mittelfussknochen meinen Verdacht bestätigen, dass Churchill Recht hatte – heute mag ich Sport. Ehrlich! Die Sache ist die – Bewegung ist dann schön, wenn man innerlich dabei aufblüht. Dann, wenn der Körper von sich aus noch ein bisschen mehr leisten möchte, immer noch weiter rennt, kraftvoller tanzt, oder im Duell mit einem Gegner lustvoll einen Weg sucht, zu siegen. Ich bin ein Freigeist, ich brauch das nicht, dass irgendein Arschloch hinter mir steht und mich einen eisigen Hang hinunter treibt. Auch wenn Angst angeblich eine geile Droge sei, wie ich unlängst las. Mama sagte, ich soll die Finger von Drogen lassen. Also. Die Domina, die in die Runde brüllt, ob sie uns die Moves wie Behinderten erklären müsse, damit wir die Choreo endlich kapieren, motiviert mein musisches Naturell nicht zu einem Serotoninausstoss. Auch auf die subtile Art werd ich bei Leistungsdruck bockig: Zum Beispiel, wenn die Übungen im Kreis rennend gemacht werden, damit man der Lücke vor und dem Stau hinter dir deutlich ansieht, dass du die Lahmste bist. Besonders desolat, wenn du das eigentliche Training magst und das Handtuch wirfst, weil du dich beim Aufwärmen wie ein Vollidiot fühlst.

Aber anyway. Sport kräftigt Körper und Psyche. Ist so. Erst recht in fröhlicher Gesellschaft. Drum wird das Klingersche Mammut wieder in Joggingschuhen durch Zürich stampfen, sobald die Eiszeit vorbei ist. Oder sonst was machen. Also, wer kommt mit?

It’s Destiny’s Path.

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208Aus Italien, Österreich und Frankreich sind sie angereist, für eine Nacht. Ärzte, Coiffeusen, Bauführer, Verkäufer, Juristinnen, Informatiker, Rechte und Linke, die sich freuen, einander zu sehen um das Verbindende zu zelebrieren. Sie reihen sich geduldig ein, die Schlange dehnt sich aus zu einem breiten Menschenstrom. Bei Wind und Wetter harren sie aus, oft über eine Stunde, bis es an quadratischen Türstehern und –steherinnen vorbei ins vibrierend-wummernde Innere geht. Ein paar Stunden die Gedanken abschütteln, bis zum Morgengrauen, meistens auch länger. Dem Alltag entfliehen und eintauchen in sphärische Klänge, harte Bässe, bis sich der Körper von selbst bewegt, als würde er von einer höheren Macht gelenkt. Viele der Protagonisten hat man schon hundert Mal gesehen, nickt sich zu: „Wie geht’s?“, „Danke, dir?“ und dann wird getanzt. Jeder für sich und doch alle zusammen. Dekorativ platzierte Mädchen in hohen Stöckelschuhen sieht man hier kaum, cool am Tresen lehnende Jungs auch nicht. Die Liebe zum Rhythmus steht im Vordergrund, nicht das Sehen und Gesehen werden. Ohnehin bleiben viele der Augen geschlossen, um ganz im Klang aufzugehen. Die Zusammengehörigkeit wird durch das Andersartige demonstriert, tief-düster, schrill-bunt. Manche Gäste leuchten und blinken im finsteren Raum, auf dessen Nebelschwaden sich bunte Lichtkompositionen abzeichnen. Wenn der Junge, der sich ausschliesslich per Mundsteuerung fortzubewegen vermag, seinen Rollstuhl zum Tanze vor und zurück schnellen lässt, machen alle Platz. Für die übrigen zählt die ausgefeilte Beintechnik. Nicht immer nur elegant; egal – hier darf man sein. Ab und an durchbricht ein Freudenschrei aus hundert Kehlen die Melodie. Ein Klassiker wird gespielt, tausend Mal gehört, wirft nostalgische Gefühle auf. Man will das hören, immer wieder.

An eben jenem Ort trat er wie ein Geist aus dem Nebel hervor, Mitternacht war schon vorbei, es muss wohl auf die 6 Uhr früh zugegangen sein. Gross und dunkel, die Haare wirr vom Kopf abstehend. Dicke Stacheln an Hals und Armen geboten Abstand, sein Blick mit der Anziehung eines Neutronensterns drängte auf Nähe. Wir umkreisten uns wie Planeten, damals im Februar 2003 und die Monate darauf, immer wieder. Unzählige Geschichten könnte dieses Lokal erzählen, auch von Freunden, die kamen und gingen. Uwe, der stets tanzte, als wolle er Pilze mit einer Sichel schneiden. Der Kraken – jene junge Dame die sich zwischen uns zu drängen pflegte, wo sie sich wie mit Saugnäpfen an ihm festsog, zu unserer Erheiterung. Jedenfalls bis sie mir nach Jahresfrist allmählich auf die Nerven fiel. Wie zu heiss gekochte Milch überschäumte ich vor schierem Glück, das uns im Wunderland umschloss. Es hätte mich nicht gekümmert tot umzufallen im Taumel des Hochgefühls. Oder in den Abgründen des Kummers, als er mir aus dem Weg ging, zwischen den Etagen des Lokals. Die Begegnungen hatten sich etabliert und eine Verbindlichkeit angenommen, die sich wie eine Schlinge um seinen Hals zurrte. Also befreite er sich. Schliesslich scharte er eine Gruppe scharrender Blondinen um sich – Bachelor im Kleinformat, und ich tanzte mit meinem neuen Freund. Hin und her, auf und ab. Und dann haben wir doch geheiratet.

Nun also wird das Oxa geschlossen. Der Baum, unter dem wir uns zum ersten Mal geküsst haben, wird gefällt. Das Kapitel wird geschlossen, so wie auch Liebe kommt und geht, selbst wenn wir damals dachten, es gehe für immer so weiter. Jener, den man geheiratet hat, nimmt stets einen speziellen Platz in der Erinnerung ein, und das gilt auch für den Ort, an dem alles begann. Selbst wenn längst neues Wasser durchs Flussbett fliesst. Auf Facebook nun klagen Gruppen wie „Heimatlose Raver suchen einen Club in ZH“ ihr Leid und auch der Zürcher Tagesanzeiger würzt seinen Artikel dazu mit einer Prise Wehmut. Die Tickets für die Closing-Party sind fast ausverkauft (aber ich hab drei davon, haha!). Dann verschwindet ein Andenken in der Versenkung. Und vielleicht ist das auch gut so, denn die alten Zeiten sind vorbei und werden nie mehr die selben sein. Sind es schon jetzt nicht mehr. Wo etwas zu Ende geht, kann Neues wachsen – wer weiss, vielleicht leuchtender als zuvor, und sei es auch im Kleinen?

http://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/stadt/Das-Oxa-schliesst/story/25470330

http://ch.tilllate.com/de/story/oxa-nachzug?ref=20min-story