Liebesbrief.

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moeweWahrscheinlich mag die mich nicht, dachte ich erst. Sie stilvoll klassisch , ich Villa Kunterbunt. Ich war neu in Zürich, neu an jener Schule. Dann haben wir zusammen gebüffelt, für den Planer Marketing-Kommunikation, so hiess das damals noch..

Nur wenige meiner Gspänli kennen Susanne, denn sie ist nie dabei an Partys, sie hasst sowas. Sie aber kennt alle, die zu meinem Leben gehören. Weil sie sich aufrichtig interessiert erkundigt. Sie macht sich nicht einfach ein Bild von einem Menschen, sie stellt ein Gebäude, das sie allmählich und wohlwollend möbliert.

Es ist nicht die Art Freundschaft, in der man ständig zusammenklebt. Und doch spielt sie eine Hauptrolle in den Erinnerungen, die mir Zürich zur Heimat machen:
Wie sie stets freudig aufgesprungen ist im Büro, um diesen vermaledeiten Radio aufzudrehen, sobald ein Song nur grässlich genug durch den Äther schepperte: „Eeeeeeeh Macarena“. Grauslich… Den Job bei der EPA hatte ich ihr zu verdanken. Keine Ahnung, wie sie mich angepriesen hat, aber als ich bewerbenderweise friedlich mit der Personalchefin plauderte, platzte der Gruber, mein zukünftiger Chef hinein, und beschied: „Es isch guät, sie isch agschtellt“. Ich hatte den Mann zuvor noch nie gesehen. Oder später, als Chibbi, Susannes Hund, den Toute-de-Suite hatte und ins Büro schiss. Der Gruber ist reingetrampt. Läck, hat der geflucht. Einmal haben wir uns kurzerhand bei ihr eingequartiert, Michel und ich, weil in der neuen Bleibe noch die Handwerker wüteten. Es geht mir heut noch ans Herz, wie zerstört sie war, als dieser Dumpfbeutel von einem frisch geschlüpften Vogel, den sie unter dem Baum aufgefischt und daheim aufgepäppelt hatte, nichts besseres wusste, als ausgerechnet ins Aquarium zu flattern und dort zu ersaufen. Oder jener Moment, als wir für jemanden ein Kerzli anzündeten, vor der geschlossenen Kirche. Es war für mich ein Geschenk, diesen Moment mit ihr teilen zu dürfen.

Freundinnen kamen und gingen. Letzteres, sagen sie, wegen meiner unverhohlen geäusserten Selbstzweifel, die mir anscheinend nicht zustehen. In Phasen, in denen ich im Kreis ging, weil sie nicht mitdrehen wollten. Oder weil sie schlicht wegzogen und neue Freunde fanden, in jener Stadt eine Stunde von hier. Vielleicht auch, weil ich Erwartungen, die ich nicht kannte, nicht erfüllte. Susanne hört sich meinen Scheiss jetzt schon dreizehn Jahre lang an. Ich kenne nur wenig Leute, die mich so virtuos zum Lachen bringen, wenn ich im Elend bin. Mit ihrem staubtrockenen, einfühlenden Humor. Sie will mich nicht belehren, erst mal ein herzhaftes „Am liebsten würde ich ihm die Fxxxx polieren, weil er dich verletzt hat“ aus ihrem eleganten Mund, und dann kann die Sache auch ganz gepflegt erörtert werden.  

Gestern Nacht nun, kurz vor dem Einschlafen, krächzte eine Möwe vor dem Fenster. Ich kicherte leise. „Was ist?“, fragte das Gspänli neben mir im Dunkeln. Ich erzählte ihm von jener kleinen Brücke auf Mallorca. Unter ihr ergoss sich ein gewundener, seichter Fluss ins offene Meer. Wir seufzten „Jöööh“ und „Hach“, hinunter, Susanne, ihr Freund, Michel und ich. Dort nämlich paddelten flauschige gelbe Entchen arglos durch die Welt. Plötzlich, wie ein Komet aus dem Himmel, stürzte die Möwe herab und krallte sich eines der Küken. Susanne, die liebe, warmherzige Susanne war tief geschockt. Wir anderen kommentierten diesen Situationszynismus mit tiefschwarzen Witzen, was den Susann’schen Vulkan zunehmend zum Brodeln brachte und sich abends – ich traute mich schon gar nicht mehr, am Buffet von der Ente zu schöpfen – in einem wütenden Ausbruch über uns ergoss. Ich fürchtete schon, sie sei jetzt für immer muff. Doch noch in der gleichen Nacht kroch leise ein Blatt Papier unter der Zimmertür durch – Susannes Friedenspfeife.

So erzählte ich die Geschichte zu Ende, hörte die tiefen Atemzüge neben mir. Ich lag wach da. Susanne ist einer meiner Grundpfeiler. Und jetzt rüttelt die ganze Härte des Lebens an ihren filigranen Schultern, derweil mein Dasein weitertänzelt, als würde sich die Erde drehen, die Blätter fallen und neue erblühen. Kann das, darf das so sein? 

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