Archiv für den Monat September 2013

Auszeit im Lift

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OLYMPUS DIGITAL CAMERA„Rchrchrchr“. Die Falttüre des Lifts klappt zu. „Rchrchrchr“. Sie schnellt wieder auf. „„Rchrchrchr, Rchrchrchr“. Der Aufzug flattert mit seinen Flügeln wie ein aufgescheuchtes Huhn beim Anblick des Bündner Wolfs. Wahrscheinlich fährt er gleich wieder mit mir in den Keller. Des Gefährt aus dem Jahr 1952 ist im Alter etwas eigensinnig geworden. Heute steht mir der Sinn nicht nach Abenteuer: Ich geh zu Fuss, ächze mich zehn Etagen hoch. Oben angekommen, steht die renitente Kabine schon da und grinst mich an, mit ihrem fahlgelben Licht.  

Ich hab ja so quasi schon mal im Lift festgesteckt, am Zürifäscht vor einigen Jahren. Michel und ich hatten uns bereit erklärt, für einen Coiffeur Werbung zu machen. Dazu hatten wir nichts weiter zu tun, als mit opulenten Frisuren und wildem Make-up durch die Altstadt zu ziehen. Wir wurden begleitet von Gusti. Dessen Freundin, eine Bankerin, lud uns ein, spontan auf der Dachterrasse der Crédit Suisse vorbeizuschauen. Es gab Cüpli und freien Blick aufs Feuerwerk. Ich liebe Feuerwerk!

Die Raketen schiessen hoch und bunt. Wie der letzte Funke vom Himmel regnet, wollen wir weiterziehen. Wo Sibylle wohl steckt, ist sie schon draussen? Wir steigen zu dritt in den Lift und drücken frohgemut den Parterreknopf. Die kleine Kammer ruckelt und surrt gemächlich ins Erdgeschoss, bleibt mit einem kleinen Zittern stehen und gibt den Blick in einen mit Bancomaten ausgestatten Raum frei. „Ha-haalt“, stottert Gusti, „das ist die Schalterhalle – da gehen wir besser nicht rein!“. Er drückt den ersten Stock, den zweiten, der Lift macht keinen Wank. Er flucht, seine Stirn beginnt zu glänzen. Nervös zückt er sein Handy, wählt Sibylles Nummer: „Wir sind hier im Lift, in der Schalterhalle unten“. 

„Wo seid ihr???“. Sibylles Stimme gellt durchs Handy als hätte sie eben ein Zalando-Paket erhalten.
„Ich hab dir gesagt, nimm nicht den Lift! Ich habe es dir GESAGT“.
Schade, hat sie es uns nicht auch wissen lassen. Ich seufze in mich hinein.
Das Handy kreischt weiter: „Wenn ihr den Lift durch die Schalterhalle verlasst, steht in 5 Minuten die Polizei im Raum und steckt euch ein Maschinengewehr in die Nase“.
Klingt verlockend. Ich bin mir sicher, wir würden es locker auf die Titelseite diverser Tageszeitungen schaffen, erst recht mit dieser Frisur. Ich stell mir die Gesichter vor, wenn die uns in diesem Aufzug im Aufzug finden.

Wir warten.
Eine halbe, eine ganze Stunde. Sibylle versucht den Hauswart zu erreichen – keine Ahnung, was geht.
Jetzt ist es soweit, der Plan steht. Es gibt einen Ausweg. Vorsichtig öffnen wir die Tür zur Schalterhalle. Wir zünden eine Zigarette an. Im Rauch werden die Lichtschranken sichtbar. Ich spüre die Milben des Teppichs in meinen Atemwegen, während ich flach unter den Strahlen durchrobbe. Wo bleibt George?? Ok, alles Quatsch. Gleich neben dem Lift gibt’s eine Treppe. Die ist zu erreichen, ohne dass der Alarm losgeht. Warum hat man uns das nicht vor einer Stunde schon gesagt?

Sibylle steht oben an der Treppe, und entlädt eine Salve tief emotionaler Begrüssungsworte über dem Haupt ihres Liebsten. Ich bin einfach nur froh, gibt es keine Blick-Schlagzeile.

Klingeln bei Klinger.

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DSC_0494Kopfüber hänge ich in der Badewanne, das Haar schäumt. Eine dicke, weisse Schicht ziert mein Antlitz: „Totes Meer, Erholung“ stand auf der Packung. Tot fühl ich mich auch, brauch dringend Erholung. Ich versuche eben, die Spuren meiner nächtlichen Eskapaden zu verwischen. „Ding-dang-dong“. An der Türe klingelt es. Ich erwarte niemanden. „Ding-dang-dong, ding-dang-dong“. Es klingelt Sturm. Ich spüle gelassen den Schaum aus meinem Haar. „Klopf, klopf“. Oh je. Der Feind steht direkt vor der Türe. Ob die Nachbarin frische Eier braucht? Mein Kühlschrank ist leer. Wie immer. Bier hätt ich noch. „Plonk“. Eben drückt jemand die Türfalle runter, versucht, auch ohne Einladung in mein Reich einzudringen.

What the hell? Vielleicht brennt die Hütte? Das Handtuch um den Kopf gewickelt, guck ich vom Balkon runter. Ein Polizeiauto steht da. Zwei Polizisten betrachten einen verwitterten VW-Bus. Daneben, auf der Wiese, liegt ein Surfbrett. Ob sich jemand für den Silver Surfer hielt und vom Balkon sprang? Ich komme als Mörderin nicht in Frage. Mein Balkon liegt auf der anderen Seite. Ich glaube, ein Stück Zelt zu sehen. Ob jemand auf dem Rasen campiert? „Es muss die Klinger sein“, höre ich in Gedanken die Nachbarn sagen, „die läuft schon immer so komisch rum, und was da für Leute ein und aus gehen…“. Vielleicht ist es auch die Plane mit der Leiche.

„Ding-dang-dong“. Ich bin eben der Dusche entstiegen, noch immer nackt, was soll der Terror an einem heiligen Sonntag? Hoffentlich ist es wenigstens ein schöner Polizist…?! Ich werf mir was über. Spähe durchs Guckloch. Niemand da. Also wenn die mich verhaften wollen, sollen sie mich gefälligst holen. Die Gegensprechanlage funktioniert nicht. Ich lass doch nicht einfach jeden ins Haus. Am Ende heisst es noch „Erwachet!“ oder ein Mobilfunkverkäufer klemmt seinen Fuss in meine Tür.

Eine Stunde später: „Ding-dang-dong“. Na gut, dann geh ich jetzt doch mal runter. So schlimm kann’s ja nicht sein, sonst hätten die mir schon längst die Türe eingetreten und das Sturmgewehr ins Nasenloch gesteckt. Im Hausflur begegne ich dem Hauswart. „Wissen Sie, warum es bei mir den lieben Tag lang klingelt?“. Er wirkt verblüfft, überlegt kurz, jetzt ist es ihm klar. „Ja, die suchen Frau Klingler aus dem 4. Stock. Die ist aus dem Pflegeheim abgehauen“. Meine Namensvetterin. Eine freundliche, ältere Dame, die immer wieder von Neuem erstaunt ist, dass ich ihren Namen kenne. Kein Wunder, entflieht sie aus dem Pflegeheim. Sie wird vergessen haben, dass sie jetzt dort wohnt. Ein GPS-Sender käme wohl günstiger als dieses Polizeiaufgebot.

Auf dem Bildschirm flimmert ein Krimi. Gleich wird sich herausstellen, warum dieser Kerl all die Frauen erstochen hat. „Ding-dang-dong“. Ich seufze und versuche ächzend, mich vom Sofa zu erheben. Zu meinem Bandscheibenvorfall am Hals hat sich nun noch ein Hexenschuss im Kreuz gesellt. Wenn man mich in ein Pflegeheim stecken wollte, ich schwöre, ich würde gern dort bleiben.

Unten vor der Haustüre tummeln sich, schnittig in Polizeiuniform gekleidet, zwei hochattraktive, ahm, Blondinen. Heute gönnt man mir auch gar nichts. Ich kläre auf, dass ich nicht aus dem Pflegeheim entwichen bin: „Klinger – Klingler, Sie haben am falschen Ort geklingelt“. Hiesse jemand im Hause Lüthi, die hätten wohl auch dort geläutet. Oder bei Schellenbergs geschellt. Die Damen schmunzeln und entschuldigen sich.

Der Krimi ist zu Ende. Warum die Frauen ermordet wurden, weiss ich jetzt auch nicht. Vermutlich habe sie einem Fremden die Tür geöffnet. Bewaffnet mit nem Teller Nudeln mach ich’s mir wieder gemütlich. „Ding-dang-dong“. Das Erinnerungsvermögen der Polizei scheint nicht viel besser zu sein als das der dementen Flüchtigen. Nochmals aufstehen, autsch mein Rücken, drück jetzt ganz einfach den Türöffner. Morgen häng ich ein Schild hin: Wenn die Spitex kommt, soll sie bei mir bitte auch mal durchklingeln.