Archiv der Kategorie: In der Natur

Bevor ich dich jetzt niedermäh, bring mir noch an Jagatee

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Es ist totenstill, kaum jemand verirrt sich in diesen Winkel des Parks, in dem ein kleiner Brunnen fröhlich plätschert. Rot und gelb leuchten die Blätter im letzten Glanz der untergehenden Sonne. Lukas wirft eine blütenweisse Decke über die Parkbank. Eine grosse, helle Thermoskanne leuchtet in der Dämmerung. Ich wusste nicht, dass er ein Getränk mitnimmt, in meiner Tasche liegt eine Flasche mit leckerem mit süsslichem Beerenwein. Jetzt drückt Lukas den Knopf und giesst heissen Jagertee in eine mädchenrosa und eine bubenblaue Tasse.

Dieser Ort lässt alle Möglichkeiten offen. Das absurde Moment, hier sein Leben zu geniessen, öffnet der Heiterkeit die Türe. Schwarzer und Humor in allen Farben fügt sich in seinen passenden Rahmen. Geschichten liegen zum Greifen nahe in der Luft, machen nachdenklich. Hier finden Themen aus dem Grund der Tiefe ihren Weg an die Oberfläche, wenn es denn die Nähe zum Gegenüber zulässt. Nur wer jetzt noch über’s Büro diskutiert, ist nicht ganz beieinander.

Eine abgründige Melodie füllt die Luft mit Dunkelheit, während die schwere Glocke des nahe gelegenen Kirchenturms unbeugsam den Klang der Vergänglichkeit über heidebedeckte Beete trägt. Plötzlich durchbricht eine dumpfe Stimme die Komposition pythischer Laute. Ich erschaudere innerlich. Lukas nestelt an seinem kleinen, runden Lautsprecher herum, den er mit dem iPhone gekoppelt hat. „Grüss Gott. Ich bin der Tod – vorbei ist deine Not“ raunt die Stimme jetzt ihre Botschaft ins Dunkel der beginnenden Nacht; die erste allgemeine Verunsicherung greift um sich. Der steinerne Kopf auf Frau Toblers Grab blickt uns an: „Sturm ist Sturm, sagt der Wurm, als Leich ist jeder gleich“. Wann mag das letzte Mal gewesen sein, als dieser abschiedsgeplagte Ort mit Lachen erhellt wurde?

Die Uhr schlägt bald 19 Uhr, gleich wird hier geschlossen, die Mauern sind dick und hoch. Der Jagertee macht sich bemerkbar: Zum Glück wurde hier auch ein Platz für die irdischen Bedürfnisse eingerichtet. Ich bin froh, eine Toilette zu finden, knalle meine Tasche in die Ecke und mache mich an meiner Hose zu schaffen. In Gedanken lobe ich die Stadtverwaltung einmal mehr für dieses wunderbare Fleckchen Erde, als mein Blick zu Boden gleitet. Klebrig-süss breitet sich eine blutige Lache unter meinen Füssen aus. Ist es der Hund von Baskerville? Die jaulende Myrte*? Meine Nackenhare wachsen zum Himmel. Das Blut entströmt meiner Tasche. Ein angefahrenes Frettchen vielleicht, das sich mit einem letzten Kraftakt an den Henkeln empor gezogen und zum Sterben hinein gelegt hat? Ein kurzer Blick enthüllt das Ausmass der Katastrophe. Dunkel rinnt die Flüssigkeit aus der zerborstenen Flasche. Das „Halunkenblut“, mein herrlicher, leckerer Beerenwein! Honigsüss duftend fliesst er über den Boden der Friedhofstoilette. Ich fische mein rotgetränktes Anmeldeformular für die Kunsttherapeutenschule aus der Tasche. Es tropft symbolisch sein Halunkenblut zu Boden: Manch einem Anfang geht ein Ende voraus.

*für alle, die mich mal wieder nicht verstehen: Auch das ist ein Begriff aus dem unerschöpflichen Vokabular von Harry Potter.

„Der Tod“: http://www.youtube.com/watch?v=buw3GRbCtBI

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Zwei auf einem Velo.

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Ich wache auf, irgendwo in der Provence. In meinem Bett liegt eine Kreatur mit dünnen Armen und Beinen. Die Gestalt, soviel ist klar, heisst „Ich“. Erst wackelt sie mit dem Zeh, dann klimpern ihre Lider.  „Ich“ sitzt in mir drin und guckt aus mir heraus. Ihr Blick fällt jetzt auf die Spinne. Gestern noch hing jene an der Decke, nun erklimmt sie soeben den Koffer. Bis nach Avignon hat „Ich“ mich verfolgt und ja, es ist ok. Ich könnte mir schlimmere Gesellschaft vorstellen. Seufzend wälze ich mich aus dem Bett, wissend, dass „Ich“ heute mit ihren dünnen Beinen auf dem e-Bike in die Pedale treten muss, und ich ebenfalls.

In Frankreich ist es hilfreich, der französischen Sprache mächtig zu sein. Besonders, wenn sich der Routenbeschrieb der Tour als heiteres Abzweigungsraten entpuppt. Durch endlose Rebberge radle ich, Sonne im Herzen und Freiheit im Haar, dem Horizont entgegen. „An der Einmündung links“, steht da. Links bedeutet bergab. Von unten her keuchen zwei Radfahrer den Berg hinauf, ich glaube sie aus dem Hotel wiederzuerkennen. Sie haben wohl die gleiche Tour gebucht. Der Umstand, dass sie mir entgegenkommen, stimmt mich etwas argwöhnisch, was die von mir gewählte Richtung anbelangt. Und wirklich – am Ende des Berges angekommen, stelle ich fest; nach Chateauneuf geht’s bergauf.

Ich radle mit mir um die Wette, versuche, mich hinter mir zu lassen. Vorbei an duftendem Raps, raschelndem Schilf und leuchtendem Mohn. Einsame Landschaften, keine Menschenseele bis zur nächsten Ortschaft, bis zum nächsten Schloss. Mücken entlang der Flüsse, dieser freche Vogel auf dem Rücken des Pferdes: zweimal narrt er mich und flattert davon, sowie ich die Kamera zücke. Unerwartete Verzweigungen, Wege ohne Namen: Zum Glück findet sich ab und an ein Jogger, Bauarbeiter oder ein Einheimischer im Ort, um mir den kraft meiner Intuition gewählten Weg zu bestätigen.

Der meistgehörte Satz ist „Vous êtes courageuse“. Das denke ich mir auch jeden Morgen, bevor ich in den Spiegel sehe, doch in diesem Kontext halte ich die Aussage für etwas übertrieben – ich bin ja nicht im Irak? Die Blicke im Restaurant amüsieren mich. Eine Frau, alleine am Tisch : Das scheint viele Fragen aufzuwerfen. Neugieriges Getuschel. Auf dem Rad, da geht’s mir gut, aber am Ende des Tages kann ich nichts teilen, ausser meine Gedanken, treu wie Flöhe, mit mir selbst. So eine Reise allein ist wie ein Rückzug in einen Kokon. Perfekt für eine Introspektive – sofern du nicht längst drin bist und eigentlich den Ausgang suchst.

http://www.flickr.com//photos/64036638@N07/sets/72157630093326516/show/

Im Einklang mit den Klängen.

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Wusstet ihr, dass ihr bezüglich eurer Sinne, auch wenn ihr von Sinnen seit, einen Präferenzkanal habt? In unserem Kulturkreis ist es häufig der visuelle. Ich für meinen Teil bin ja allen Sinnesfreuden zugewandt, dennoch habe ich jüngst der akustischen Wahrnehmung den Vorzug gegeben.

Nach 15 Jahren freudigen Raver-Daseins, vorzugsweise vor den Boxen – wo man die Musik nicht nur hört, sondern sie tief im Herzen vibrieren spürt (frei nach dem Motto: wer nicht nur hören will, soll auch fühlen) –  schneide ich bei Hörtest noch immer prima ab. Ja, ich höre sogar den Teenbuzz – hab’s grad vorhin ausprobiert. Zwar dachte ich erst, jetzt hör ich ihn nimmer, aber es stellte sich heraus, dass ich bloss vergessen hab, die Boxen einzuschalten.

Trotzdem habe ich meine Tour durch die Welt der Klänge ganz von vorn begonnen: Bei Bobo. Also nicht DJ Bobo, ich bin ja keine Masochistin, sondern Bobo, der Siebenschläfer. Ein Hörspiel für Kinder. Ich habe nämlich mein 2-jähriges Patenkind Leonie gehütet. Wenn ihr jetzt denkt, ich werde den Klangbogen bald weiterspannen zu Schilderungen lautstarken Gebrülls, muss ich euch enttäuschen. Nein, wir hatten mächtig Spass. Getanzt haben wir, zu den Kinderliedern auf Leonie’s CD, und wer auf dem rutschenden Teppich dabei fast die Schraube, pardon, eine Pirouette gemacht hat, das war ich. Ein nicht enden wollendes Sortiment von Rasseln wollte ausprobiert werden, mit grossen und kleinen Glöckchen. Klappernde Bänder, die man sich ans Fussgelenk stecken konnte, schnatternde Frösche und quakende Enten, ein Eldorado an Geräuschkulissen: Erst als ich verständnislose Blicke von Leonie erntete, hab ich damit wieder aufgehört. Nachdem ich dann all die Tierstimmen im sprechenden Bilderbuch nicht nur erkannte, sondern sogar zu imitieren imstande war, wusste ich: Ich bin bereit für den Fortgeschrittenenmodus.

Also haben wir uns ins Toggenburg aufgemacht, um den Klangweg zu beschreiten. Wie gesagt, ein Name verpflichtet. Das erste Geräusch, das wir gehört haben, war das Klingeln der Kasse, als sie uns an der Talstation das Billett für eine Bahn verkauft hat, die nicht fährt. Darauf folgte auf 1400 m.ü.M. das Knirschen des Neuschnees, und wer immer hier singen möchte „Das sind nicht 20 cm“, dem sage ich: Doch, sind es! Vor lauter blendendem Weiss sind wir dann auch vom Weg abgekommen, und spätestens als wir bis über die Knie in der weissen Pracht versanken, hallte das Knirschen unserer Zähne durchs stille Tal: Wir mussten uns eingestehen, dass wir uns verirrt haben und umdrehen sollten. Zurück auf dem Weg kamen die geneigten Geräuschekundler doch noch auf ihre Kosten: Von der Melodiengampfi über Felsentöne bis hin zur Glockenbühne ratterte, knatterte und schepperte es die Tonleiter hinauf und hinunter. Ich daselbst habe die Liebe zum Treibjagdhorn entdeckt und werde mir statt eines E-Bikes vielleicht doch ein Heulvelo erwerben. Nach drei Stunden durch den Schnee stapfen bin ich jetzt aber doch etwas erschöpft – ob mir wohl irgendwer eine Klangmassage spendieren könnte?

Zum Thema Teen-Buzz:
http://de.wikipedia.org/wiki/The_Mosquito

Eine Wanderung ist wunderföhn.

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Heute gibt’s mal was Praktisches. Nämlich einen Erfahrungsbericht für nicht allzu ehrgeizige Wandervögel:

http://www.wandersite.ch/Tageswanderung/871_Zug.html.

Die Sonne scheint, 27 Grad sind angesagt: Ja, die leichte Wanderung von Sihlbrugg nach Neuägeri scheint genau richtig, die müden Wintergebeine wieder in Schwung zu bringen. Und das, ohne uns allzu sehr zu verausgaben, denn abends steht der Besuch eines Raves auf dem Programm – das bedeutet tanzen bis in die Puppen. Drei Stündchen Wandern im Vorfeld reichen da völlig.

Kaum haben wir keuchend die erste steilere Passage passiert, werden wir munter von einem Esel und seinem Freund, dem Pony begrüsst. Aufgeregt rennen die beiden auf und ab, wie zwei schwanzwedelnde Hunde, jedoch iahend und wiehernd, so als hätte sich seit Ewigkeiten kein Besucher mehr in diese Gegend verirrt. Weiter oben verteilen sich die versprochenen Apfelbäume übers Feld – wir sind etwas zu früh, die Blüten sind eben im Begriff, sich zu öffnen. Der interessierte Apfelfreund wird bestens informiert: Die Bäume sind beschildert, etwa mit „Baselbieter Lederapfel“. Eine Liebhabersorte, heisst es, was ich wohl glaube – der Name verspricht nicht eben zart-saftige Gaumenfreuden, ein gutes Gebiss wird wohl vorausgesetzt. Wer weiss, wie viel Ungemach Schneewittchen erspart geblieben wäre, hätte sie nur in diese Sorte gebissen?

Weiter auf der Route wird bald klar: Tratschende Frauen kriegen mehr Training. Wer nämlich plaudernd die Abzweigung verpasst, geht das Stück dann eben wieder zurück. Den Josefsgütsch mitsamt der 250 Jahre alten Eiche finden wir trotzdem und lassen es uns nicht nehmen, für ein Fotoshooting in den hohlen Baum zu steigen. Wer schon immer wissen wollte, was eine Frau denkt, die in einem Baum steckt: „Iiiks, hat’s hier Spinnen und Käfer??!“. Ich läche unverdrossen in die Kamera. Scheint mir irgendwie ähnlich, wie beim Sex an die Steuererklärung zu denken. Spätestens jetzt, auf diesem frei stehenden Hügel, merken wir auch: Toupet-Träger haben es heute schwer. Wir krallen uns in unser Hab und Gut, damit es nicht vom Föhn davongetragen werde.

Wir verstehen jetzt die Aufregung unserer beiden behuften Freunde. Auf der Strecke ist kaum jemand zu sehen, auch in Hinterburg keine Menschenseele in den gepflegten Vorgärten, trotz des schönen Wetters. Ob die Anwohner tagsüber in ihren Särgen liegen, um nachts ihren Durst nach Blut zu stillen? Apropos Durst, wann kommt hier mal ein Restaurant oder wenigstens ein Brunnen?. „Ehm, moooment, beim Hof Bolzli links“. Welches ist der Hof Bolzli? Jener, der hinter uns liegt? Der da vorne? Wir beschliessen, querfeldein zu wandern. Befremdliche Geruchsemissionen dringen in unsere Nase und der braune Belag legt Zeugnis darüber ab, dass dieses Feld eben erst gedüngt wurde. So werden aus wandernden Hühnern zwei Mistchratzerli.

Nach einem letzten steilen Anstieg zum Gubel liegt das lang ersehnte Restaurant vor uns. Wir ergattern uns einen Platz im Freien, was uns eine tolle Aussicht beschert, aber dazu führt, dass der Käse in meinem Teller nur knapp Franziskas Frisur verfehlt – der Föhnsturm macht auch vor meinem Wurst-Käse-Salat nicht Halt. Nach einem obligaten Zwätschgelutz geht’s in munterem Trab bergab.

Apropos Lederapfel: Ja, genügend Wasser, und was war da noch? Sonnencrème… Ich glaube, jetzt hab ich die Basics wieder präsent – muss mal das Kortison einstreichen, hat mich ganz böse erwischt…