Archiv für den Monat Januar 2013

Wider das Vorurteil.

Standard

urteil„Der Mensch ist mehr als die Summe seiner Teile.“ Aristoteles.

Sein fester Schritt stampfte über den Boden. Ich fühlte mich wie von einem Windstoss erfasst, wenn er funkensprühend vorbei fegte. Seine kräftige Stimme füllte den Raum, nicht selten begleitet von einem Lachen, das tief aus dem Bauch die Luft zum Vibrieren brachte. Der Mann versprühte Dynamik und Energie. Sein Blick aus engen Pupillen drohte mich zu durchbohren, wenn er in siegessicherem Lächeln seine Zähne entblösste und mit ballmaschinenartig vorgetragenen Fragen das verbale Duell eröffnete, immer hart an der Grenze zur Unverschämtheit. Stark und unaufhaltsam wie das Wasser eines Tsunamis schien er sich vorwärts zu schieben und über mich hereinzubrechen. Mit der Zeit, da ich ihn näher kennenlernte, zeigte sich Stück um Stück ein neues Bild. Die schillernde Schale brach da und dort auf, offenbarte einen sensiblen Kern; einen nachdenklichen Menschen, der nach Antworten sucht, nach einer höheren Wahrheit. Einen, der sich in der Stille, in zarten, leisen Tönen wohl fühlt. Einen, der bisweilen unsicher ist und Anerkennung sucht, so wie das jeder und jede von uns tut. Ich habe mir zig Mal ein Urteil über ihn gebildet, hätte ihn hundert Mal an die Wand schlagen können und habe ihn ebenso oft auf ein Podest gestellt. So viele verschiedene Facetten und Gott weiss, ich kenne ihn noch immer nicht.

Mich kennen die Leute bisweilen, ohne je ein Wort mit mir gesprochen zu haben. „Weisst du, ich bin ein Hobbypsychologe“, meint irgendein Kerl vor mir mit selbstgefälligem Grinsen, „du bist so eine, die gut ins Pascha passen würde – ein bisschen Luxus und gut situierte Typen“. Die analytischen Eigenschaften des Hobbypsychologen reichen genau bis zu meinem geschminktem Gesicht. Wie so oft. Eine Armee von selbst ernannten Freuds übersät unseren Planeten, stolz auf ihre Fähigkeit, Menschen in eine Schublade zu stecken. Das nennen sie dann psychologischen Schwach-, pardon, Scharfsinn. In Wikipedia lässt sich zum Begriff „Vorurteil“ lesen: „Es ist eine meist wenig reflektierte Meinung – ohne verstandesgemäße Würdigung aller relevanten Eigenschaften eines Sachverhaltes oder einer Person“. Werten, Abwerten – wie oft hab ich‘s schon getan, tue es noch, völlig unbewusst. Wo ist die Grenze, was ist erlaubt? Klar, es käme mir nicht in den Sinn, über den Obdachlosen zu richten, der mit seinem Bier in der Hand am Stauffacher auf dem Bänkli sitzt. Gott weiss, was er erlebt hat, wie es dazu kam, und was der Mann tagtäglich übersteht. Aber was ist mit der blöden Gumsel, die meiner Freundin im Büro das Leben zur Hölle macht? Was wiegt stärker, die Loyalität zur Freundin oder der Anspruch, keinen Stab über andere zu brechen? Was ist mit den kleingeistigen, scheinheiligen, selbstgerechten, menschenverachtenden… ich finde sicher noch ein paar Adjektive, ich spür schon so ein Würgen im Hals – jene, die ich verurteile, weil sie verurteilen?

Manche Menschen fühlen sich überlegen, weil sie eine bestimmte Kleidermarke tragen. Manche, weil sie die „richtige“ Musik hören oder die „falsche“ eben nicht. Weil sie den richtigen Fussballklub unterstützen. Weil sie diese Literatur lesen, aber jene Zeitung nicht. Weil sie schön sind, als ob das ein Verdienst wäre. Wegen ihres grossen Wissens – jener Eigenschaft, die in der Zukunft am leichtesten durch künstliche Intelligenz ersetzt werden kann. Sobald es um Politik oder Religion geht, sind die Leute dann auch gerne mal bereit, jedem den Kopf einzuschlagen, der die eigene Meinung nicht teilt. Soviel Überheblichkeit und Intoleranz find ich persönlich ziemlich unterbelichtet – zack, ein Urteil, wie Agent Orange im Rundumschlag über den Grossteil des Menschenwalds gesprüht.

„Man“ tut das nicht und da geht „man“ auch nicht hin. Der Arsch der Frau da vorne ist zu dick für das enge Kleid. Wir wissen das, wir sind vom Ordnungsamt zur Regelung einheitlicher Arschgrössen. Leggins sind out, Grün ebenfalls, Grau ist eh schöner. Aber bitte nicht im Mustermix. Wer Ziegelsteine vom Dach wirft, verdient nicht zu leben. Albaner sind, ebenso wie die Türken… und Aargauer sowieso. Von den Zürchern wollen wir schon gar nicht erst reden. Wir sind hochintellektuell, aber das könnt ihr freilich nicht beurteilen, dazu ist euer Geist zu unterkomplex. Die ist billig, der arrogant, Schlampe, Spiesser, Koksnase, und jener mit der Brille, also da hab ich von Anfang an gemerkt, dass der irgendwie suspekt ist. Schau mal, der guckt schon so komisch.

Ein Blickwinkel wie ein Röhrchen in einem grossen Krug Panaché. Zielorientiert saugen wir den Zitronensirup vom Boden des Glases und verkünden, Panaché inskünftig zu meiden. Es schmeckt einfach zu säuerlich.

Wer zu wissen glaubt, (hinter)fragt nicht. Wer nicht fragt, lernt nichts dazu.

Mach mal „Aaaah“.

Standard

gebissGrell brennt die Lampe in mein Gesicht, das gleissende Licht bohrt sich in meine Augen. Nein, ich habe nichts verbrochen, und würde man mich hier einem Verhör unterziehen, ich würde kein Wort sagen. Ich kann nämlich nicht. Man hat mich mit einer Maulsperre und einer Art Gesichtskondom lahmgelegt. Der Mann über mir fixiert mich mit seinem Blick, und doch bleiben mir die Fenster zu seiner Seele verschlossen. Ich wähnte mich als stolze Siegerin, als wir neulich im Büro die Bilder unserer Zahnärzte verglichen und darüber debattiert hatten, welcher wohl der Schönste sei. Heute nützt mir das herzlich wenig, denn er versteckt seine Augen hinter einer Lupenbrille und studiert konzentriert meine Zähne.

Spritzen mit furchterregender Nadel, brachial in das Zahnfleisch gerammt; das war einmal. Gut, zu früheren Zeiten gab es überhaupt keine Betäubung. Was sind wir für Weicheier, heutzutage. Seit neuestem pieksen winzig kleine Nadeln ihre narkotisierende Fracht ins zarte Fleisch, kaum spürbar. Einiges angenehmer als von einer Ameise gebissen zu werden. Martin Horat lebt also wesentlich risikoreicher und die Ameisen ebenfalls. Beim Zahnarzt indes wird die Drogendosis von einer Maschine kontrolliert, die laute Geräusche von sich gibt. Es klingt, als spiele eine Steel Drum Band im Hintergrund. Sowie sich mein Mund anfühlt wie ein gut gegartes Suppenhuhn, hisst der Zahnarzt die Segel: Kofferdam – ein Name wie ein holländischer Fluch. Unter diesem blauen Gummi werde ich soeben beerdigt. Der Bohrer schrillt durch Mark und Bein. Schlimmer als Heidi Klum, wenn sie quiekt; „meine Frisur hält das aus!“. Der Speichel tropft mir ungehindert die Kehle runter. Würde man es wohl in der Zeitung lesen, wenn jemand auf dem Zahnarztstuhl erstickt? Ich schätze, so fühlt man sich mit Knebelball im Mund. Ob sich unter den Zahnärzten potenziell vermehrt Sadisten finden? Falls ja, sind sie gut getarnt. Meine waren immer sehr nett. Ich würde jetzt gerne einfach die Augen schliessen. Einst bin ich schon mal auf dem Zahnarztstuhl fast eingeschlafen. Das Blöde ist nur: Der Zahnarzt gerät in Panik, denkt, die Patientin sei bewusstlos. Also blinzle ich immer wieder mal. Ich will ihm ja nicht Angst machen.

Nun pinselt er etwas auf meine Zähne. „Haben Sie’s gemerkt? Es riecht nach grünem Apfel“. In seiner Stimme schwingt Stolz mit, die Geschmacksnote muss neu sein. Ich habe Hunger, würde ihn gerne fragen, ob’s das Zeug auch mit Pizza-Flavour gibt. Bloss – ich kann ja nicht sprechen, kofferdam nochmal. Er feilt hier noch etwas, wurstelt da mit lautstarker Gerätschaft in meinem Mund herum, erteilt seiner Assistentin kryptische Instruktionen. „Sie haben es gleich geschafft“, beruhigt er mich. Nach einigen weiteren Minuten, mein Kiefer schmerzt allmählich, stellt er mir den Stuhl hoch. Wann will er mir wohl dieses blöde blaue Gummizeugs aus dem Mund…? „Oh!“, bricht es aus ihm hinaus, „Sie haben ja noch den Kofferdam…“. Der Stuhl fährt wieder runter. „Das ist mir auch noch nie passiert“, schüttelt er den Kopf, und befreit mich endlich von meinem Maulkorb. „Leider ist nicht Halloween“, nicke ich, „sonst hätte ich so gleich weiter können“. „Danke für die erneute Folter“, versuche ich ein schiefes Lächeln. Hat auch gar nicht weh gemacht. Das wird es erst noch – wenn die Rechnung kommt.  

Ein Nekrolog.

Standard
kuhstall

Die letzte Ruhestätte.

Im Gedränge der Menschenmenge

hab ich dich zuletzt gesichtet.

Oh, wie vermiss ich deine Klänge

doch es scheint, du bist vernichtet.

——

Wie eine Horde wilde Paviane,

sind wir im Kreis herum gesprungen.

Dabei bist du, wie ich ahne,

zu Bruch gegangen und verklungen.

——

Ich liess den Blick zu Boden gleiten,

nichts – hab gleich die Swisscom kontaktiert.

„Sie erreichen uns fernab der Öffnungszeiten“

hat mich ne Stimme informiert.

——

„Du musst die 0041 wählen“,

sprach der Deutsche neben mir.

Muss ich mich noch mit Details quälen?

„Guete Abig, Swisscom hier“.

——

Wir feierten Sylvesternacht,

es floss der Sekt durch meine Adern,

bin anderntags bald aufgewacht,

und fing gleich an, mit mir zu hadern.

——

Lookout war auf dem Gerät,

warum hab ich nicht dran gedacht?

Will dich orten, s’ist zu spät,

wurdest vollends umgebracht.

——

Hab meinen Freunden etwas mitzuteilen,

am anderen Ortsende untergebracht,

muss zu ihnen rübereilen,

was mich etwas grimmig macht.

——

Die Sorge gilt vor allen Dingen,

nicht dem verlor’nen Geld,

Worte, die Sonne in mein Dasein bringen,

sind es, was mir wirklich fehlt.

——

Erster Jänner, die Läden geschlossen,

kein Wecker, zur Aussenwelt keinen Kontakt,

Ich fühle mich irgendwie erschossen,

und kann’s nicht ändern, s’ist vertrackt.

——

Geh ich auf der Piste verloren,

ohne Handy unter den Massen,

findet man meine Gebeine erfroren,

und wird mein Gebiss identifizieren lassen.

——

Werd nicht dein Piepen nur vermissen

hör’s als Phantompiep immer wieder

hast mit dir in den Tod gerissen,

alle meine Lieblingslieder.

——

Am Zweiten wollt ich ein Prepaid kaufen,

„die kriegen wir derzeit nicht rein“;

es ist doch einfach zum Haare raufen,

oh je, oh je, ich armes Schwein.

——

Kann mich auch nicht wecken lassen,

der war im Handy integriert,

werd wohl noch den Zug verpassen,

der mich schliesslich nach Hause führt.

2012 in review

Standard

Die WordPress.com-Statistik-Elfen fertigten einen Jahresbericht dieses Blogs für das Jahr 2012 an.

Hier ist ein Auszug:

600 Personen haben 2012 den Gipfel des Mount Everest erreicht. Dieser Blog hat 2012 über 4.400 Aufrufe bekommen. Hätte jede Person, die den Gipfel des Mount Everest erreicht hat, diesen Blog aufgerufen, würde es 7 Jahre dauern, um so viele Aufrufe zu erhalten.

Klicke hier um den vollständigen Bericht zu sehen.