Archiv für den Monat Februar 2014

Liebesbrief.

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moeweWahrscheinlich mag die mich nicht, dachte ich erst. Sie stilvoll klassisch , ich Villa Kunterbunt. Ich war neu in Zürich, neu an jener Schule. Dann haben wir zusammen gebüffelt, für den Planer Marketing-Kommunikation, so hiess das damals noch..

Nur wenige meiner Gspänli kennen Susanne, denn sie ist nie dabei an Partys, sie hasst sowas. Sie aber kennt alle, die zu meinem Leben gehören. Weil sie sich aufrichtig interessiert erkundigt. Sie macht sich nicht einfach ein Bild von einem Menschen, sie stellt ein Gebäude, das sie allmählich und wohlwollend möbliert.

Es ist nicht die Art Freundschaft, in der man ständig zusammenklebt. Und doch spielt sie eine Hauptrolle in den Erinnerungen, die mir Zürich zur Heimat machen:
Wie sie stets freudig aufgesprungen ist im Büro, um diesen vermaledeiten Radio aufzudrehen, sobald ein Song nur grässlich genug durch den Äther schepperte: „Eeeeeeeh Macarena“. Grauslich… Den Job bei der EPA hatte ich ihr zu verdanken. Keine Ahnung, wie sie mich angepriesen hat, aber als ich bewerbenderweise friedlich mit der Personalchefin plauderte, platzte der Gruber, mein zukünftiger Chef hinein, und beschied: „Es isch guät, sie isch agschtellt“. Ich hatte den Mann zuvor noch nie gesehen. Oder später, als Chibbi, Susannes Hund, den Toute-de-Suite hatte und ins Büro schiss. Der Gruber ist reingetrampt. Läck, hat der geflucht. Einmal haben wir uns kurzerhand bei ihr eingequartiert, Michel und ich, weil in der neuen Bleibe noch die Handwerker wüteten. Es geht mir heut noch ans Herz, wie zerstört sie war, als dieser Dumpfbeutel von einem frisch geschlüpften Vogel, den sie unter dem Baum aufgefischt und daheim aufgepäppelt hatte, nichts besseres wusste, als ausgerechnet ins Aquarium zu flattern und dort zu ersaufen. Oder jener Moment, als wir für jemanden ein Kerzli anzündeten, vor der geschlossenen Kirche. Es war für mich ein Geschenk, diesen Moment mit ihr teilen zu dürfen.

Freundinnen kamen und gingen. Letzteres, sagen sie, wegen meiner unverhohlen geäusserten Selbstzweifel, die mir anscheinend nicht zustehen. In Phasen, in denen ich im Kreis ging, weil sie nicht mitdrehen wollten. Oder weil sie schlicht wegzogen und neue Freunde fanden, in jener Stadt eine Stunde von hier. Vielleicht auch, weil ich Erwartungen, die ich nicht kannte, nicht erfüllte. Susanne hört sich meinen Scheiss jetzt schon dreizehn Jahre lang an. Ich kenne nur wenig Leute, die mich so virtuos zum Lachen bringen, wenn ich im Elend bin. Mit ihrem staubtrockenen, einfühlenden Humor. Sie will mich nicht belehren, erst mal ein herzhaftes „Am liebsten würde ich ihm die Fxxxx polieren, weil er dich verletzt hat“ aus ihrem eleganten Mund, und dann kann die Sache auch ganz gepflegt erörtert werden.  

Gestern Nacht nun, kurz vor dem Einschlafen, krächzte eine Möwe vor dem Fenster. Ich kicherte leise. „Was ist?“, fragte das Gspänli neben mir im Dunkeln. Ich erzählte ihm von jener kleinen Brücke auf Mallorca. Unter ihr ergoss sich ein gewundener, seichter Fluss ins offene Meer. Wir seufzten „Jöööh“ und „Hach“, hinunter, Susanne, ihr Freund, Michel und ich. Dort nämlich paddelten flauschige gelbe Entchen arglos durch die Welt. Plötzlich, wie ein Komet aus dem Himmel, stürzte die Möwe herab und krallte sich eines der Küken. Susanne, die liebe, warmherzige Susanne war tief geschockt. Wir anderen kommentierten diesen Situationszynismus mit tiefschwarzen Witzen, was den Susann’schen Vulkan zunehmend zum Brodeln brachte und sich abends – ich traute mich schon gar nicht mehr, am Buffet von der Ente zu schöpfen – in einem wütenden Ausbruch über uns ergoss. Ich fürchtete schon, sie sei jetzt für immer muff. Doch noch in der gleichen Nacht kroch leise ein Blatt Papier unter der Zimmertür durch – Susannes Friedenspfeife.

So erzählte ich die Geschichte zu Ende, hörte die tiefen Atemzüge neben mir. Ich lag wach da. Susanne ist einer meiner Grundpfeiler. Und jetzt rüttelt die ganze Härte des Lebens an ihren filigranen Schultern, derweil mein Dasein weitertänzelt, als würde sich die Erde drehen, die Blätter fallen und neue erblühen. Kann das, darf das so sein? 

Chmchmchm.

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geraeusch„Dass mein Büro-Kollege immer wie ein Ross aus seiner blöden Wasserflasche saufen muss. Diese penetrante Dauer-Wasser-Sauferei von gewissen Leuten….“. Marc ist entnervt: „Die Gluckserei von dem Vis-à-vis, als würde man gleich verdursten, wenn man mal eine Viertelstunde nix trinkt…“. Sabber, schmatz, gurgel, hicks: Wie steht’s mit dir? Bist du geräuschempfindlich?

Ich für meinen Teil lasse zwei Liter Wasser täglich durch die Flasche gluggern. Mindestens. Das ist geräuschetechnisch noch harmlos: Neulich hab ich im Büro lautstark einen Tirggel (für alle Nichtzürcher:  http://lmgtfy.com/?q=tirggel) zwischen meinen Backenzähnen zermalmt. Einige Tage später erreichte mich eine Mail: „.Du, nicht dass es da ein Missverständnis gibt. Neulich hast du einen Tirggel gegessen, und dann fing Melanie auch noch damit an. Da hab ich gesagt, das sei ja ein richtiger Tirggel-Chor. Mehr habe ich nicht gesagt. Nur dass du nicht das Gefühl hast, wir unterhalten uns des Langen und Breiten über deine Kaugeräusche.. 🙂“. Emissionen des Verdauungstrakts sind per se heikel, auch rein akustisch. Vom Kiefer bis zum Allerwertesten nimmt das Unheil zunehmend seinen Lauf. Hingebungsvolles Kauen würde zumindest dem wesentlich skandalöseren Bäuerchen vorbeugen. Wenn dann die Luft der Schwerkraft entsprechend erst mal ihren Weg bahnt, weiss man ja, wo das endet. „Chmchmchm. Chmchmchm“. Es knabbert vernehmbar im Grossraumbüro und ja, das kann nerven. Auch mich, wenn ich eh schon mies gelaunt bin. Dann tut mir der arglose Knusperling trotzdem fast leid, wie er da sitzt, friedlich vor sich hin knusperknäuschend. Der frohgemute Hase am Möhrchen, nicht ahnend, dass man ihn am liebsten in den Kochtopf stecken würde.

Einmal hatten wir ein Bürogspänli, das – man weiss nicht warum – immer wieder mal wohlig vor sich hingrunzte. Dem Vernehmen nach sollen sich einige der unfreiwilligen Zuhörer mit dem Gedanken getragen haben, offiziell dagegen zu protestieren. Obschon er ja schätzungsweise nicht aus freien Stücken gegrunzt hat, das arme Schwein. Jedenfalls bin ich froh, sammelt niemand gegen meine Selbstgespräche Unterschriften, noch nicht mal gegen meine leidenschaftlich dahingeschmetterten Flüche. Und ich bin auch dankbar, darf ich während der Arbeit überhaupt essen. Sogar vom Brötchengeber gesponserte Äpfel, deren Knacken auch nicht eben dezent ausfällt. Solches in einer Zeit, wo ja gegen das Essen im Tram arg polemisiert wird. . „Fressen im Tram geht gar nicht“, hat neulich einer auf Ronorp gepostet. Telefonieren auch nicht. Greifst du im ÖV zum Handy, widmet man dir bestenfalls einen Leserbrief, schlimmstenfalls einen Blogbeitrag. Noch verpönter ist Gesang, da schwingen gleich mal ein Dutzend Köpfe in deine Richtung und man fragt sich, aus welcher Anstalt du ausgebrochen bist. Selbst schreiende Kinder ernten böse Blicke. Verbote müssen her, alle Macht den Scheintoten! Spätestens wenn man sich auf dem Sihlhölzli statt im Tram wähnt, werden dann wieder die griesgrämigen Mienen der Mitreisenden beklagt.

In Diskussionen um die Moral sind jene mit der lascheren Haltung immer in der Defensive. Mich stört das alles nicht. Singende Menschen wärmen mir das Herz, selbst wenn die Töne schiefer sind als der Turm zu Pisa. Ich lass mich auch gern von nem schallenden Lachen anstecken. Oder tausche mit anderen Menschen augenzwickernd ein Schmunzeln, wenn wir Zeuge eines lautstark geführten skurrilen Gesprächs sein dürfen. Ich weiss, es gibt Menschen, die ernsthaft unter lauten, nervigen Geräuschen leiden. Aber mal ganz ehrlich, kann es sein, dass eine Mehrheit ganz einfach mürrisch ist? Genauso wie ich, wenn mich das Knuspergeräusch meines Gegenübers auf die Palme bringt. An Parties gibt‘s gratis Oropax, im ÖV muss man sie selber zahlen. He jo, drno. Und Marc? Sein Gspänli hat jetzt Grippe und muss Tee trinken. Und weil der so heiss ist, gluckst er nicht mehr – er schlürft.