Beistand kommt von „beistehen“. Eigentlich.

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mutterkind„Gotti Natascha, willsch du uf dä Wolche tanze?“. Die kleine Melanie blinzelt mich munter an. Ich male mir aus, wie ich federleicht auf rosa Wolken hüpfe: „Au jaaa!“. „Dann musst du sterben, so wie Papi“. Seit Thomas den Kampf gegen den Krebs verloren hat, ist die 3-jährige voller Fragen. Warum ist ihr Papi im Himmel und der von Gotti Natascha nicht? Geht es ihm gut? Was macht er dort? Die Angst, deine Worte nicht mit genügend Bedacht zu wählen, schwingt mit, wenn dich die Kleine mit grossen Augen ansieht. Und mehr noch: Wie begegnest du der Frau, die den allerwichtigsten Menschen verloren hat?

„Wir möchten Ihnen unser herzliches Beileid aussprechen“. Thomas liegt seit knapp drei Wochen unter der Erde, schon flattert der Brief einer Behörde ins Haus, die sich dem Schutze jener verschrieben hat, die sich nicht selber wehren können. Einen Beistand wollen sie für die kleine Melanie. Grund ist ein Generalverdacht, die Mutter könnte den Erbteil der kleinen Halbwaisen auf den Kopf hauen. Der Brief erstickt in einer Sprache, so steif wie der Tote daselbst. Feinstes Beamtendeutsch eben. Offenbar eilt die Angelegenheit, es könnte ja sein, dass sich die Trauernde ein ausgedehntes Frust-Shopping gönnt. Fragt sich nur womit – wo doch die Banken im Todesfall erst mal alle Konten sperren. Trotzdem. Die Witwe muss antraben – mitzubringen ist ein Wald an Dokumenten, welche aufzutreiben einer Schnitzeljagd gleicht.

So sitzen wir also zu viert in einem kahlen Sitzungszimmer. In der Luft liegt ein grünlicher Hauch von Amtsschimmel. Herr B. rückt seinen Zwicker zurecht und beeilt sich, in millimetergenau sortierten Worten die Trauernde erneut seiner Anteilnahme zu versichern. Woran Thomas denn gestorben sei, will er wissen, wie das Kind reagiere, ob es ein soziales Umfeld gibt. Und vor allem: „Was ist an Vermögen da?“. Mariannes Mimik ist unbewegt, während die intimen Fragen sie durchbohren. Sie kennt die Antwort nicht. Im Herzen ist das auch nicht ihre grösste Sorge. Eine wortkarge Dame notiert alles haarklein auf einem karierten Block. Nun zückt Herr B. das vor ihm liegende ZGB, blättert eifrig und schlägt uns die Paragraphen um die Ohren. „Da sie ihren eigenen, wie auch den Erbanteil ihrer Tochter verwalten, befinden Sie sich in einer Interessenskollision. Wie Sie sicher wissen, sind wir gemäss §3XY ZGB gesetzlich verpflichtet, Ihre Tochter in Bezug auf ihre Interessen zu vertreten“. Der Mann ist freundlich, trotzdem liegt keine Wärme in seinen Worten. Der Juristenslang verwirrt mehr, als er klärt. Mir schwirrt der Kopf: Bin ich in Kafkas Schloss oder in einem Sketch von Loriot?

Von der Wiege bis zur Bahre… Für all die Ämter, Versicherungen und Banken sind mehr Formulare auszufüllen als der Friedhof Grabsteine hat. Dafür gibt‘s jedes Mal eine Totenbescheinigung, natürlich nicht gratis, damit Marianne auch ja nicht vergisst, dass ihr Schatz wirklich tot ist. Jetzt will Herr B. wissen, ob sie denn die Finanzfirma ihres Mannes weiterführt, oder ob sie veräussern will. Das ist ja auch das Erste, was man sich so überlegt, nachdem man seine grosse Liebe beerdigt hat – so in den 5 Minuten zwischen der Wahl des Grabsteins und dem Seriendruck von Trauerkarten. Ach ja. Die kleine Melanie ist auch noch da und braucht ihre Mutter. Jetzt ganz besonders. „Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht“, antwortet Marianne müde. „Ich empfehle, die Tochter auszuzahlen“, macht Herr B. unverdrossen weiter, „sie können dazu auch ein Darlehen aufnehmen“. Schulden machen? Wem ist damit denn gedient? „Ich will ihre Gefühle nicht verletzen“, fährt er fort , „aber vielleicht lernen Sie irgendwann einen neuen Mann kennen. Dann wird es kompliziert“. Jetzt ist klar, warum es so pressiert. Möglicherweise wartet der Liebhaber bereits unten im Auto und hofft, mit dem Erbe die langersehnte Golfausrüstung anzuschaffen.

Was kann denn dieser Beistand eigentlich, was das Erbschaftsamt nicht auch hinkriegt? Ist er ein Finanzprofi? Immerhin soll er doch das Beste aus Melanies Vermögenswerten machen. „Nun, wir hätten zwei Notare an der Hand…“. Ah ja, noch mehr Juristen. „Es kann auch jemand aus dem privaten Umfeld sein, den müssten wir dann aber prüfen“. Marianne scheint das Gleiche durch den Kopf zu gehen: „Arbeitet dieser Beistand ehrenamtlich, oder wer bezahlt das?“ „Nun, das wird aus Melanies Vermögen finanziert“.

Ich fasse zusammen. Die Kleine ist per Gesetz verpflichtet, ihr Geld zu einem Juristen zu tragen, der sie vor der „Interessenskollision“ ihrer Mutter schützen soll. Welche übrigens ihr letztes Hemd für ihre Tochter geben würde. Das einzige was hier kollidiert, ist Paragraph irgendwas mit dem gesunden Menschenverstand. Wer schützt das Kind vor diesem Schutz? Ich frage Herrn B., wie denn sichergestellt wird, dass der Beistand seinen Aufwand auf dem nötigsten Minimum hält. Er windet sich. So sei halt das Gesetz. „Das haben wir aber noch nie erlebt, dass ein Beistand mehr Geld aus der Sache geschlagen hätte, als nötig ist“. Das hat meine Mutter seinerzeit ganz anders erlebt. Aber die Zeiten haben ja geändert, nicht wahr? Es geht doch nichts über Vertrauen.

Eine Antwort »

  1. beim lesen deines Textes nahm bei mir, wie sicher bei einer grosszahl der Leser, ein starkes Gefül von Wut und Unbeholfenheit überhand. Ganz im Sinn „das cha ja ächt nid wahr si“

    Dieses beschriebene Dilemma lies mich nicht in ruhe und drängte mich mehr Gedanken zu machen als mir eigentlich lieb war.

    Was mich nicht loslässt ist die Frage wie sich wohl Herr B. fühlen muss!

    Meine Vorstellung über sein Auftragsgebiet stimmt mich schon eher traurig.
    Er muss sich gegenüber seinem Arbeitgeber sicher penibel an den von „klugen“ Köpfen, danach ISO zertifizierten, und in dicken Ordern niedergeschriebenen Prozessablauf halten. So darf er seinem Job behalten und bekommt ende Jahr im MBO ein Sternchen bei QM!!
    Was fühlt Herr B. wohl tief in sich bei fällen solcher Entscheidungen??

    • Ich habe noch ganz anderes über derlei Institutionen gehört und merke unterdessen, dass wir nicht so weit von den 70ern enternt sind. Auch ich frage mich, wie sich die Herr B’s dieser Welt fühlen müssen. Man wählt doch so einen Beruf, weil man etwas für die Menschen tun will – dachte ich. Nach und nach verliere ich aber die Naivität und wundere mich nur noch, wie wenig Menschlichkeit bisweilen unter den Menschen zu finden ist – das hier war weiss Gott irgendwie noch ein harmloses Beispiel. Aber wie du sagst: Letztere Eigenschaft bekommt keine Sternchen im QM. Und darauf kommt es anscheinend im Leben an.

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