Archiv für den Monat August 2013

Am Rand der Parkbank.

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3376768576_9b3f6341c9_bEs kotzt mich an. Ich häng schon wieder alleine rum. Hallo, es ist 1. August!? Grillieren mit Freunden wär angesagt. Ja, ich hab auch was abgemacht, aber dann waren alle zu müde. Jetzt sitz ich auf einem Bänkli, am Rande der Bäckeranlage. In der Hand eine Dose Büchsensekt. Wie eine Randständige oder besser: eine Randsitzende. Ich schau in die Wolken und auf das bunte Treiben vor mir. Wie wird ein Penner wohl zu dem, was er ist? Irgendwie muss es anfangen. Wahrscheinlich genau so.

Der Gedanke lässt mich nicht los. Ein Penner. Was geht in einem Menschen vor, der so lebt? Ich wollt’s schon immer wissen, hab aber zuviel Respekt. Ich wage nicht, die Leute auszufragen. Heute aber bin ich mutig. Immerhin sind es schon zwei Büchsen. Mit einem Ruck stehe ich auf und ziehe los. Man weiss ja, wo sie sitzen, mit dem Bier in der Hand. Am Stadelhofen werde ich fündig. Eine Gruppe Herren schart sich um eine Parkbank. Die meisten sind schon etwas älter. Einer trägt Federn am Hut, das Heroin hat sich ihm ins Gesicht gefressen. Zwei oder drei der Männer sitzen auf dem Kiesplatz. „Hat’s hier noch Platz für mich?“ frage ich, und zeige mit dem Finger auf das leere Fleckchen am Rande der Parkbank. Ein älterer Herr um die 60, wacher Blick, Schalk in den Augen, rückt sofort beiseite. „Aber klar“, sagt er. „Was machst du so?“, frag ich ihn. Designer sei er, erwidert er mit verschmitztem Grinsen. Er tippt auf seine olivgrün-verblichene Weste mit dem H&M-Schild: „Das da, das hab ich designed“.

Ein Riesenknall, gefolgt von einem langen Pfeifen in meinem Ohr. Einer hat nen Knallkörper gezündet, viel zu nahe bei den Leuten, der Knallfrosch. Hab ich 15 Jahre Parties schadlos überstanden, um mir hier jetzt einen Tinnitus einzufangen? Es geht keine 15 Sekunden, schon schnappt sich die Polizei den Missetäter: „Ausweis bitte“, herrscht ihn der Uniformierte an„Ich hab keinen!“. Hände auf dem Rücken, so wird er abgeführt. „Hat hier noch jemand Feuerwerkskörper?“. Wir schütteln die Köpfe. Jetzt zeigen die Männer ihre Blessuren Einer scheint getroffen, hat eine Wunde. Ein anderer zeigt auf eine Narbe; auch die sei vom Feuerwerk.

Auf dem Platz wuseln allerlei Gestalten durcheinander. Wie Pilze aus dem Boden treiben neue Gspänli in die Gruppe, um nach einer Weile wieder weiterzufliessen. Manche wirken verwildert, andere gepflegt. Einer davon erkundigt nach dem Jahrgang meiner Mutter. „Du könntest meine Tochter sein, gleichst mir irgendwie“, mustert er mich und grinst, „frag mal deine Mutter, ob sie den Charlie kennt“.

Vor mir sitzt Karol auf dem Boden. Sein Blick aus stahlblauen Augen ist fokussiert und fixiert mich. Er mag vielleicht um die 40 sein. Dilettantisch gestochene Tattoos zieren seine Arme. „Die hat er aus dem Knast“, verrät der Designer. „Eine Schlägerei“, ergänzt Karol. Er habe in Haft auch Japanisch gelernt. Es muss wohl ein gröberer Raufhandel gewesen sein. Karol spricht Deutsch mit Akzent. Das „i“ betont er spitz. Aus Polen sei er herkommen. „Warum?“, frage ich. „„Mein Sohn“, Karols Blick ist ernst „er Krebs. 10 Jahre alt. Tot.“. Karol steht auf, gestikuliert. „Meine Frau mit Tochter: Kreuzung, Lastwagen, Bumm, Tot.“. Er setzt sich wieder hin. „Meine Mutter sagen, Karol, du trinken, hier Karol, Wooodka. Ich trinken. Ich sagen, nein, Mutti, nicht trinken, ich Problem, trinken immer mehr. Ich gehen Frankreich, Italien, Deutschland, kommen hier. Jetzt, ich bin Penner“. Sein Blick durchdringt mich.

Nun tastet sich Silvia auf den Platz neben mir. Nur ab und an scheint sie mich anzusehen, blickt meist durch mich hindurch. Sie schätzt mich auf 50, das Alter, das sie selber zählt. Sie sieht verwittert aus, spricht wenig. Leise singt sie vor sich hin. Ich hol mal eine Runde Freibier und Cheeseburger. Hab ein schlechtes Gewissen. Wie heisst das Fachwort schon wieder, wenn man die Sucht unterstützt? Na anyway. Wie oft kriegen die schon was geschenkt?

Unterdessen hat auch Pfarrer Sieber die Parknank angesteuert. Jedenfalls gleicht er ihm aufs Haar. Ich denke nicht, dass er es ist, will ihn Urs nennen. Seit bald 40 Jahren schon sei er Sozialarbeiter, sinniert Urs. Er habe vieles gesehen, auch viele gehen sehen, teils mit der Nadel noch im Arm. Urs ist belesen, zitiert aus der griechischen Mythologie. Ein kluger Mann. Die Silvia, die sei aus der Psychiatrie, weiss er. Silvia singt unterdessen „Sailing“, von Rod Stewart. Ein wunderschönes Lied. Es ist kaum wiederzuerkennen. Ich versuche, mitzusingen.

Unterdessen schnappt sich Karol meinen Fuss. Fussmassage ist angesagt, das Wellnesspaket zum 1. August. Es ist mir nicht ganz wohl dabei, aber ich will ihn nicht vor den Kopf stossen. Urs erzählt derweil weiter aus seinem Leben. „Der hatte keinen roten Rappen mehr, weder für die Unterkunft, noch für den Heimflug. Da hab ich ihm 800 Franken geliehen.“. Er schüttelt den Kopf. „Monate später hab ich ihn angerufen, da hat er am Telefon seine Stimme verstellt, hat sich für seinen Bruder ausgegeben. Also bin ich vorbei gegangen. Ich klopfe, er macht auf, lässt mich rein. Geht schnell weg, und wie er wieder kommt, hält er mir eine Waffe an die Nase. Stell dir das vor, direkt ans Nasenloch!“. Ich will’s mir lieber nicht vorstellen.

Ich weiss nicht, was wahr ist an all den Geschichten, die ich an diesem Abend zu hören bekomme. Egal, denn ich weiss noch etwas nicht: Wann ich das letzte Mal so herzlich aufgenommen wurde. Vielleicht ist es wirklich so, wie ein Freund meinte: Wer nichts zu verlieren hat, kann auch offen sein. Dann wünschte ich, die Menschen hätten nicht so viel zu verlieren. Die Welt wäre eine Bessere. Hab ich erfahren, was ich wissen wollte? Eigentlich nicht. Aber es war ein schöner Abend.

Die Sonne ist längst am Horizont verschwunden. Urs steht unvermittelt auf, geht davon. Nach einigen Schritten dreht er sich nochmals um: „Hör auf mich. Lass die Finger von Drogen“. Sagt’s und verschwindet in der Nacht.