Archiv der Kategorie: Alltäglicher Wahnsinn

Adieu, mon amour

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Adieu, mon amour

Meine treue Begleiterin! Wie viele Stunden mögen wir wohl zusammen schweigend auf dem Sofa gehöckelt haben, fast wie zwei alte Bergpuurli auf dem Bänkli vor der Alphütte. Okay, du warst dabei jeweils etwas lauter als ich, denn dein röchelndes Schnaufen erinnerte irgendwie an einen Tiefseetaucher. Manche haben dich dafür auch ausgelacht, aber das war uns beiden egal. Nie bist du von meiner Seite gewichen, egal wie ausgelassen ich war oder wie beschissen es mir ging. Du hast unerträgliche Wartezeiten verkürzt, zermürbende Langweile zerstreut, meine flatternden Nerven beruhigt und vor allem: meinen Kummer betäubt. Überall warst du dabei, nur auf die Toilette hab ich dich nicht mitgenommen – Tag für Tag, treu wie eine Fussfessel, und das warst du ja irgendwie auch.

Ich erinnere mich gut, wie alles begann. Da warst du noch klein. Was haben wir gelacht, wenn uns im Ausgang jemand Feuer geben wollte, während du an meinen Lippen hingst. Im Verlaufe der Zeit bist du gewachsen, und je grösser du wurdest, desto mehr hast du gesoffen. Das ging einige Zeit gut, aber so gegen das Ende hin hast du immer öfter zu sabbern angefangen oder littest unter sonstwelchen Zipperlein. Es wurde langsam anstrengend, und trotzdem waren wir unzertrennlich. Mehr als einmal hast du meinen Puls durch die Decke gehen lassen, mit deiner leicht pyromanen Art: Einmal, da hast du meine Handtasche in Brand gesteckt – ich sah mich genötigt, den ganzen Inhalt auf den Boden zu schütten, direkt unter der Hardbrücke und den entsetzten Augen meiner Kollegin. Auch im Papiersaal, an dieser 80er-Party – «the heat is on» – mussten wir gewisse Teile von dir in einem Eiskübel versenken, weil du mal wieder mit einer Büroklammer geknutscht und dir dabei die Finger verbrannt hast. Ach ja, du warst eine Verführerin. Kaum jemand, den du nicht angemacht hättest, egal ob Männlein oder Weiblein. Ich weiss nicht mehr, wieviele Menschen dich «nur mal kurz» ausleihen wollten, und dich dann, nach einem deiner süssen Küsse, äusserst widerwillig wieder hergaben.

Am Ende hast du begonnen, dein eigenes Ding durchzuziehen. Neulich, als ich schon im Bett lag, wurde ich von einem Geräusch aufgeschreckt – dieses Keuchen, das ich zu gut kenne, das aber zu diesem Zeitpunkt gar nicht möglich hätte sein dürfen. Ich war mir erst nicht sicher, ob es ein Einbrecher, ein Geist oder Darth Vader persönlich sei, der da mit dir zugange ist. Als ich schliesslich aufstand und nachsah, ertappte ich dich – total erhitzt standest du in der Küche und tatest, als wär nichts gewesen. Dabei hattest du dort ganz offensichtlich eben noch geraucht. Von da an wurdest du mir langsam unheimlich.

Teure Freundin, du hast mir nicht immer gut getan, aber ich habe dich schmerzlich vermisst, wenn du nicht da warst, ja ich war süchtig nach dir. Du hast mir wohl viel gegeben, aber ebenso viel genommen: Zeit und Energie. Es war eine Hassliebe – meine Güte, ich ging sogar einmal mit dem Hammer auf dich los, nur um dich endlich loszuwerden. Vorbei. Jetzt ist es endgültig. Ich denke zwar noch immer ab und zu an dich – doch die Zeit ist reif für eine Trennung. Vor zwei Wochen habe ich dich nun in deine Einzelteile zerlegt, gesäubert und tief hinten im Schrank versteckt. Ruhe in Frieden, liebe E-Zigarette.

Therapie in der Dunkelkammer

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Therapie in der Dunkelkammer

«Der Strom funzt leider nicht, nur diese Steckdose hier geht». Ich drücke den angeblich brach liegenden Lichtschalter, und tatsächlich, nichts tut sich. Der Befund wird in das Übernahmeprotokoll gekritzelt, das Protokoll der Verwaltung geschickt mit der Bitte, man möge den Schaden beheben. Aber erst mal egal: Endlich hab ich ein Atelier ganz für mich allein – das elektrisiert mich zur Genüge, wer braucht da schon eine funktionierende Steckdose?

Unterdessen vergehen Monate. Die Vormieterin hat freundlicherweise einen kleinen Lichtstrahler hinterlassen. Der bleibt vorerst ausgeschaltet – schliesslich ist Sommer, die Sonne taucht das Atelier bis in die Abendstunden in warmes Licht. Dann aber werden die Tage kürzer, und nun zaubert die kleine Lampe eine Atmosphäre ins Atelier, wie man sie sonst nur im Kino erlebt. Oder erlebt hat, damals, als «Ring» noch gespielt wurde. Ich bin mir nicht sicher, ob die Schatten in meinem Gesicht dem Gegenüber zuzumuten sind –  Desensibilisierungstherapie für Angstpatienten hab ich eigentlich nicht im Angebot. Für einen kurzem Moment überlege ich gar, meine Methoden der Situation anzupassen. Malen mit verbundenen Augen ist immer ein Erlebnis und spart Strom, erst recht, wenn es keinen hat. Ich entscheide mich dann doch, eine zweite Lampe herbeizuschleppen, die sich nun müde um erhellende Momente bemüht. Ihre Energie reicht aber nur für einen kleinen weissen Ring, den sie an die Wand zaubert – my precious. Im übrigen bleibt’s düster. Jetzt lege ich mit einem Verlängerungskabel nach, denn die einzige funktionierende Steckdose, die befindet sich beim Eingang, und die Kabel ziehen sich straff wie das Tanzseil im Zirkus über das Laminat. Den Teekocher stell ich auf den Boden, Improvisieren ist angesagt.

Beim Verlassen des dark rooms begegne ich der Nachbarin von gegenüber – sie ist auf dem Weg zu unserem gemeinsamen Klo. «Es tropft», klagt sie, und damit meint sie nicht das Klo, sondern ihr Dach. «Dann kündigen Sie doch», habe man ihr beschieden, als sie die Verwaltung wiederholt bat, der Schaden möge behoben werden. Sie müsse Kessel aufstellen, wenn es regnet, und die Heizung funktioniere auch nicht. «Ich bin total verzweifelt», ihre Augen röten sich, «aber ausziehen werde ich nicht». Warum, das ist mir klar. Das Haus ist alt und offensichtlich etwas verwahrlost. Für mich passt’s – das Atelier an sich ist ok, die Wände im Hausgang sind bunt bemalt und kreativ mit Scherben dekoriert – das Haus lebt, und wenn man abends um sieben die Treppe hochgeht, bekommt man einen guten Morgen gewünscht. Ein Hochglanzatelier würde sowieso nicht zu mir passen, bin ich doch selbst etwas nonkonformistisch. Dennoch; was in diesem Haus läuft, schert die Verwaltung nicht. Entsprechend sind die Mieten günstig und wer hier wohnt, kann sich wohl nichts anderes leisten. Gammelhäuser light. Das Gebäude hat den Charme eines besetzten Hauses: Der einzige Unterschied besteht darin, dass man von den Mietern noch nimmt, was möglich ist. Die Nachbarin tut mir leid, und für mein Licht sehe ich schwarz.

Grund genug, nochmals einen Anlauf bei der Verwaltung zu nehmen. Irgendetwas sagt mir, dass ich wohl doch die besseren Karten habe als meine Mitbewohner. Und voilà, jetzt klappt es tatsächlich. Ich bekomme die Koordinaten eines Elektrikers, und schon bald darauf steigt er – bewaffnet mit jeder Menge Material – schnaufend neben mir her in den fünften Stock. Oben angekommen, klettert er auf seine Leiter, dreht eine neue Sicherung rein und schwupps… schon scheint mir das Licht so hell auf den Kopf, dass man fast denken könnte, ich sei ein bisschen blond.

Am Ende des Regenbogens

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Am Ende des Regenbogens

Die Wolken sind weg, jetzt scheint mir die Sonne scheint ins Gesicht, dieser gehässige runde Ball, wie ein Scheinwerfer bei einem Verhör. „Du Looser“, scheint sie zu lachen, während du auf dem Sofa klebst – warum kann es heute nicht regnen? Heute, wo alle auf dem See sind, in den Bergen und was der Social Media-Stream sonst noch so hergibt. Dabei bist du ja eigentlich nicht hier, sondern in deinem Buch, in einer Welt weit weg von der deinen. Nur deine Hülle liegt noch da. Jene, die morgens müde abwinkte: Wozu durch die Gegend streifen? Hinter dem Park liegt der Friedhof, dahinter Wohnblocks und noch weiter der Uetliberg, wo sich halb Zürich fröhlich zusammenrottet, Kind und Kegel, zu einem undurchdringbaren Menschenknoten, in welchem du isoliert wie eine Kugel inmitten von Quadern ziellos die Zeit totschlägst. Die Kartographen dieser Welt wissen alles, rund ist die Welt, und sie wurde gefoltert, bis ihre Zunge sich locker machte. Alle Mysterien sind jetzt fichiert, du kannst sie googeln, und weisst am Ende trotzdem nichts. Willst du nach Atlantis suchen? Viel Spass. Es gibt so viel zu tun, tausend Bilder malen, bis sie aus deinem Fenster quellen und deine Wohnung zu einem Kletterpark aus Leinwänden formen, Text an Text, dein Erguss gleich über dem „Heftig“-Post, Buchstaben in einer gesättigten Suppe und dann, unangenehm berührt zu Tode geschwiegen oder schlimmer noch, auf den Seziertisch gezerrt und entweiht. „Früher war der Sinn des Lebens, zu überleben. Heute fehlt das“, meinte ein Freund. Dafür gibt es Bucketlists, Bungee-Jumping steht zuoberst, nichts als Kosmetik über dem Nichts, lachhaft. Also, noch 10 Tritte gegen den Sandsack, das hält fit, und dann gleich mal die gute Stube mit Luftballons füllen. Was ist schon Sinn?

Neben dir liegt eine Sammlung von Gesichtern, die sich eingefunden haben, um dich stumm anzuglotzen, eine Mauer des Schweigens oder vielmehr die Wand einer Squashhalle, die dir den Ball um die Ohren schlägt, den du ihr zuwirfst. Ich bin nicht gut in Squash. Für mich ist es trotzdem eine Mauer, vielleicht eine Klagemauer, und wenn du ihr ein Zettel zusteckst, dann sagt sie nichts. Ab und an löst sich ein Stein, um zu hören, dass es dir gut geht. Wie Enkel, deren Oma im Heim in sich zusammenschimmelt, dankbar entsorgt und umgeben von jenen, die bereits verfallen und geistig nicht mehr da sind. Man fühlt sich schlecht, aber was will man tun? Es ist der Lauf der Dinge, dass Oma verrottet im Heim, es gibt keinen Platz zwischen Laptop und Sofakissen und da ist es Balsam auf die Seele, wenigstens hat man wieder mal gefragt, und sie war so nett und sagte „mir geht es gut, ich brauch ja nichts“. Da hast du’s, so fühlt es sich an, 30 Jahre zu früh zwar, gewöhn dich dran, aber du, du hast jetzt noch eine Chance, und wenn es soweit ist, wirst du nicht mehr da sein. Du willst kein Verdingkind sein, unter dem Vorwand der Barmherzigkeit gehalten wie Nutzvieh, überhaupt ich will eure Almosen nicht und auch nicht eure Verlegenheit, aber um deiner selbst willen, das ist ein grosser Anspruch, überhaupt, dass du noch einen Willen hast? Verrückt. Nein, ich verlier nicht den Verstand, ich hab zuviel davon, und irgendwie tickt er anders, friss oder stirb, was kann ich tun? Und dann ist da einer, ja einer ist da, diese Leine am Boot, an der du dich festhältst und hoffst, sie möge nicht reissen, selbst wenn er spürt, dass dein Hirn Gedanken in die Welt spuckt wie Lava, schneller als er Töne aneinanderreiht, in seinem 140 dpM-Set.

Was wäre, wenn man einfach hinausposaunte, was man denkt? Ich wachse während ich schrumpfe, nie war ich stärker als jetzt und nie schwächer. Was gibt es denn noch zu verlieren? Ich will raus. Wo, bitte, ist das Ende des Regenbogens? Gebt mir Dynamit um die Grenzen zu sprengen, überall Grenzen, wohin man sieht. Wo gibt es noch Zauber in einer entzauberten Welt? Ich bin halt kein Archäologe, kein Astronom und nein, ich will in keine komische Sekte, keine Drogen fressen und auch keine Bäume küssen, das wär komisch. In die Welt hinaus, ja das wär toll, aber gibt es dort mehr? Und sorry, ich bin grad blank und sowieso, ich fühl mich irgendwie zu klein, so allein da draussen.

Deine Waffe, dein Mund

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Deine Waffe, dein Mund

„Bitte bring di um. Du würdsch mir en Gfalle tue“. Diese freundliche Bitte wurde jüngst per SMS – immerhin nicht an mich adressiert – in den Äther geschickt. Absender: Ein gebildeter junger Herr, in dessen Bücherregal sich ein psychologisches Fachbuch an das andere reiht. Die Vermutung, dass es sich bei besagter literarischer Sammlung um einen Notvorrat handelt, falls das Brennholz knapp werden sollte, ist sicher wohlwollend spekuliert. Übrigens lautete die Begründung für besagte Botschaft, man habe gewollt, dass der Adressat wegen eines – doch eher banalen – Konflikts möglichst schnell zurückruft. Ja dann. Was wohl kommt, wenn’s richtig dringend ist? „Deine Mutter wurde soeben von einem Lastwagen überfahren!“?

Szenenwechsel: Neulich stand ich in munterer Runde an einem Tischchen und erfreute mich an der Gesellschaft eines sehr scharfzüngigen und –sinnigen Mittvierzigers. Nun betrat ein Neuling, die Runde, dessen Antlitz deutlich vom Leben gezeichnet war: Dunkle Ringe unter den Augen, die Gesichtszüge aufgedunsen und offensichtlich nicht mehr gut in Form. „Mir tut da etwas weh“, klagte er, und piekste seinen Finger auf die Stelle über seinen Eingeweiden. „Was mag das sein?“, wandte er sich hilfesuchend an uns. „Es ist das Fett“, erwiderte der scharfzüngige Herr, und musterte ihn mit der Herablassung jener Menschen, die das Leben verschont hat von dem, was sich ins Gesicht des Mannes mit den Schmerzen gebrannt hat.

Kennt ihr das Geräusch, wenn Vinyl ruckartig vom Plattenteller gezogen wird? Das empfinde ich, wenn Menschen ihren Mund öffnen, um den Blick in ein Inneres freizugeben, in dem die Empathie offenbar den Kampf im Schlammcatchen verloren hat. Schlammcatchen – die neue Trendsportart, wenn man so die Kommentarspalten politisch heikler Artikel liest. Es geht hier aber nicht um Politik – es geht darum, dass Anstand scheinbar zum Luxusgut wird. Nicht umsonst existiert das Wort „Cyber-Mobbing“. Das Schlimmste ist dabei, dass diese Art von Worten auch hinter dem Rücken der Betroffenen über die Menschheit erbrochen wird. Im Wort „Rufmord“ steckt „Mord“ schon drin. Da ist die Bitte nach dem Suizid doch immerhin mal eine transparente Absichtserklärung. Übrigens rede ich nicht von einem schwungvollen „Du verd**** Soucheib!“ im Affekt. Ich rede von jenen Keulen, die gezielt geschwungen werden, mit dem K.O. als Endstation.

Bekanntlich hat jede Medaille zwei Seiten. Die andere Seite lautet „Ignorier den doch einfach“. Auch eine prima Methode, dem Gegenüber zu vermitteln, dass er keine Achtung verdient hat. Das mag ja angehen, wenn die zu ignorierende Person aufdringlich ist, ein Fremder, dem man zuvor vermittelt hat, dass man keinen Kontakt wünscht. Wenn sich die Wege zweier Freunde oder Kollegen aber teilen, bedeutet keine Antwort, dass man diesen Freund oder Kollegen nie hatte. Ich weiss nicht, wie mutlos und klein man sich fühlen muss, um keine Worte zu finden für einen, mit dem man über einen gewissen Zeitraum ein Stück des Wegs gegangen ist? Das soll keine Beleidigung sein an all jene, die sich wirklich mutlos fühlen, daran leiden und darum kämpfen, gehört zu werden und ihren Platz zu finden. Es ist eine Ansage an jene, die sich ihre Feigheit aussuchen und das für eine tolle Sache halten.

Was einen so aufregt, dass man jeden Stil und guten Geschmack oder gänzlich die Sprache verliert, hat übrigens meistens mit einem selber zu tun. Darüber nachzudenken lohnt sich. Dann finden sich auch die richtigen Worte.

Romantik im Tram

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Romantik im Tram

romantiktramJa, ja, ich weiss schon: Süffisante Texte über das Leiden mit unbequemen Weggenossen im ÖV füllen die Motzspalten der einschlägigen Plattformen wie das Wasser mein Lavabo, wenn wieder mal zu viele Haare in den Abfluss gefluscht sind. Aber zu diesen Meckernasen gehöre ich nicht. Wirklich. Im vollen Tram Zeitungsberichte über abgehackte Köpfe und amerikanische Foltermethoden lesen zu müssen, belastet mich wesentlich mehr als der telefonierende oder friedlich mampfende Nachbar. ÖV-Motz, das ist Jammern auf verdammt hohem Niveau. Jene, die sich über Taschen auf den Sitzen ereifern, manifestieren in meinen Augen ein weitaus übleres Problem: die grassierende Wortlosigkeit. Man könnte ja versehentlich einen Frosch ausspeien, wenn man darum bittet, den Platz frei zu machen. Selbst wenn sie das Tram verlassen will, durchbohrt dich die schweigende Masse lieber mit Blicken – du weisst nie, ob der Mensch neben dir aussteigen möchte, oder ob er intensiv den Pickel an deiner Schläfe mustert. „Äxgüsi“ ist gefährlich, jedenfalls für Männer. Es könnte als „Ex-Büsi“ missverstanden und von der Dame mit einem scharfen „das wüssti, du Perversling!“ gekontert werden.

Item. Ich stieg also frohen Mutes und offen für die Menschlichkeiten dieser Welt ins Tram. Die Plätze waren alle besetzt, beinahe jedenfalls. Drei der Passagiere führten Gepäck neben sich auf dem Sitz und ja, schon klar, ich habe eben gepredigt, man könne sich ja bemerkbar machen. Aber diese Damen hatten ihren halben Hausrat mit. Ich versicherte mich, ob ich nicht irrtümlich ins Cargo-Tram eingestiegen bin und habe mir das Geächze vorgestellt, wenn das ganze Bagage zu Boden gezügelt werden muss. Nein, ich hatte ehrlich ganz einfach keine Lust, und pilgerte weiter ins Heck. Dort hat es im Tram 2000 nämlich so ein kleines Bänkchen, an das man sich ganz bequem anlehnen kann. Ein Herr hatte die Vorzüge dieses Aufenthaltsorts ebenfalls erkannt, und so standen wir dort einträchtig beeinander.

Plötzlich steuerte eine junge Dame in Rot auf uns zu, und ehe ich wusste, wie mir geschieht, pflatsch, schon hatte sie sich zwischen uns fallen lassen. Zum besseren Verständnis: Das besagte Bänkchen ist so breit wie ein normaler Sitz. Sie war von eher korpulenter Statur, das ist nun wirklich nicht despektierlich gemeint – ich will damit nur verdeutlichen, dass die Sache unerfreulich eng wurde. Um Missverständnissen vorzubeugen: Es fanden sich reihum genügend Stehplätze, um auch einen Klaustrophoben noch frohlocken zu lassen. Ich prüfte meine Jacke, ob mir etwa jemand aus Spass einen Sticker mit der Aufschrift „Free Hugs“ aufgeklebt hätte. Meitli, gspürsch s’Sardinefeeling nid? Sie muss sich unwohl gefühlt haben. So leicht gibt man ja aber einen Kampf nicht auf. Ich auch nicht. Wir haben uns also zärtlich aneinander geschmiegt: Bald erhob sie sich, zum Gehen gewandt, bald besonn sie sich ihres Kampfgeistes und liess sich wieder in unser lauschiges Nest fallen.

Die vorletzte Haltestelle, einer stieg ein, musterte uns.  Er schien zu überlegen, ob er mitmachen will. Ok. Ich bin raus: „Adieu, s’isch romantisch gsi. E kuschligi Wiehnacht no“.

Chmchmchm.

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geraeusch„Dass mein Büro-Kollege immer wie ein Ross aus seiner blöden Wasserflasche saufen muss. Diese penetrante Dauer-Wasser-Sauferei von gewissen Leuten….“. Marc ist entnervt: „Die Gluckserei von dem Vis-à-vis, als würde man gleich verdursten, wenn man mal eine Viertelstunde nix trinkt…“. Sabber, schmatz, gurgel, hicks: Wie steht’s mit dir? Bist du geräuschempfindlich?

Ich für meinen Teil lasse zwei Liter Wasser täglich durch die Flasche gluggern. Mindestens. Das ist geräuschetechnisch noch harmlos: Neulich hab ich im Büro lautstark einen Tirggel (für alle Nichtzürcher:  http://lmgtfy.com/?q=tirggel) zwischen meinen Backenzähnen zermalmt. Einige Tage später erreichte mich eine Mail: „.Du, nicht dass es da ein Missverständnis gibt. Neulich hast du einen Tirggel gegessen, und dann fing Melanie auch noch damit an. Da hab ich gesagt, das sei ja ein richtiger Tirggel-Chor. Mehr habe ich nicht gesagt. Nur dass du nicht das Gefühl hast, wir unterhalten uns des Langen und Breiten über deine Kaugeräusche.. 🙂“. Emissionen des Verdauungstrakts sind per se heikel, auch rein akustisch. Vom Kiefer bis zum Allerwertesten nimmt das Unheil zunehmend seinen Lauf. Hingebungsvolles Kauen würde zumindest dem wesentlich skandalöseren Bäuerchen vorbeugen. Wenn dann die Luft der Schwerkraft entsprechend erst mal ihren Weg bahnt, weiss man ja, wo das endet. „Chmchmchm. Chmchmchm“. Es knabbert vernehmbar im Grossraumbüro und ja, das kann nerven. Auch mich, wenn ich eh schon mies gelaunt bin. Dann tut mir der arglose Knusperling trotzdem fast leid, wie er da sitzt, friedlich vor sich hin knusperknäuschend. Der frohgemute Hase am Möhrchen, nicht ahnend, dass man ihn am liebsten in den Kochtopf stecken würde.

Einmal hatten wir ein Bürogspänli, das – man weiss nicht warum – immer wieder mal wohlig vor sich hingrunzte. Dem Vernehmen nach sollen sich einige der unfreiwilligen Zuhörer mit dem Gedanken getragen haben, offiziell dagegen zu protestieren. Obschon er ja schätzungsweise nicht aus freien Stücken gegrunzt hat, das arme Schwein. Jedenfalls bin ich froh, sammelt niemand gegen meine Selbstgespräche Unterschriften, noch nicht mal gegen meine leidenschaftlich dahingeschmetterten Flüche. Und ich bin auch dankbar, darf ich während der Arbeit überhaupt essen. Sogar vom Brötchengeber gesponserte Äpfel, deren Knacken auch nicht eben dezent ausfällt. Solches in einer Zeit, wo ja gegen das Essen im Tram arg polemisiert wird. . „Fressen im Tram geht gar nicht“, hat neulich einer auf Ronorp gepostet. Telefonieren auch nicht. Greifst du im ÖV zum Handy, widmet man dir bestenfalls einen Leserbrief, schlimmstenfalls einen Blogbeitrag. Noch verpönter ist Gesang, da schwingen gleich mal ein Dutzend Köpfe in deine Richtung und man fragt sich, aus welcher Anstalt du ausgebrochen bist. Selbst schreiende Kinder ernten böse Blicke. Verbote müssen her, alle Macht den Scheintoten! Spätestens wenn man sich auf dem Sihlhölzli statt im Tram wähnt, werden dann wieder die griesgrämigen Mienen der Mitreisenden beklagt.

In Diskussionen um die Moral sind jene mit der lascheren Haltung immer in der Defensive. Mich stört das alles nicht. Singende Menschen wärmen mir das Herz, selbst wenn die Töne schiefer sind als der Turm zu Pisa. Ich lass mich auch gern von nem schallenden Lachen anstecken. Oder tausche mit anderen Menschen augenzwickernd ein Schmunzeln, wenn wir Zeuge eines lautstark geführten skurrilen Gesprächs sein dürfen. Ich weiss, es gibt Menschen, die ernsthaft unter lauten, nervigen Geräuschen leiden. Aber mal ganz ehrlich, kann es sein, dass eine Mehrheit ganz einfach mürrisch ist? Genauso wie ich, wenn mich das Knuspergeräusch meines Gegenübers auf die Palme bringt. An Parties gibt‘s gratis Oropax, im ÖV muss man sie selber zahlen. He jo, drno. Und Marc? Sein Gspänli hat jetzt Grippe und muss Tee trinken. Und weil der so heiss ist, gluckst er nicht mehr – er schlürft.

Land unter in der WG

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wgDieser Tage beherrscht die Debatte zur Masseneinwanderungsinitiative die Medien. Es wird diskutiert, ob in der urchigen Schweiz bald Wohnsilos wie Pilze aus dem Boden schiessen – Türme, randvoll gefüllt mit Menschen auf engstem Raum. Wir wissen es nicht. Falls es so wäre: Im Anlitz des knappen Wohnraum scheint eine WG als Wohnform geradezu ideal. WG – nein, keine (Ein-)Wandergruppe. Individuen, günstig lebend in netter Gesellschaft ; die Wohngemeinschaft. Zurzeit bin ich öfters zu Gast in eben einer solchen. Und weil man das ja alles selbst schon mal durchgemacht hat, geh ich auf eine gedankliche Reise in die Vergangenheit – damals, als ich neu in die Stadt an der Limmat kam und meine Chance sah, als Baslerin so WG-mässig das Zürcher Integrationsprogramm zu durchlaufen.
 
In jenem Haus im Kreis 6 gab es drei Wohnungen, verteilt auf ebensoviele Stockwerke. Jedes der Zimmer zierte ein Lavabo, 16 Lavabos im ganzen Haus. Dieser ungewöhnlichen Innenarchitektur wegen war jedes Stockwerk von einer WG bewohnt – wer sonst will schon fliessend Wasser im Wohnzimmer? Im obersten Stock streuten sich zerlegte PC’s über den Boden. Ein paar Jungs, vermutlich keine Gärtner. Die Gemeinschaft im zweiten Stock markierte ihren Bereich bis ins Waschhaus, wo eine kunstvolle Installation schmutziger Wäsche ganzjährig zu einem hohen Turm gestapelt war. Wir, Bianca, Melanie, Babsi und ich, hielten als WG-Frischlinge im Hochparterre Einzug. Nun hatte ich so ein romantisches Bild. Philosophische Diskurse in der Küche, ab und an ne fette Party, alles ganz easy, alle für einen, einer für alle. So ähnlich. Das Erstere scheiterte daran, dass Bianca – eine junge, schüchterne Studentin – flüchtete wie ein aufgescheuchtes Reh, sobald wir Wölfe hungrig die Schnauzen zur Küchentür rein streckten. Melanie indes war nicht schüchtern, sie hatte einfach gern ihre Ruhe und daher die Türe stets geschlossen. Natürlich gab es Gespräche, nicht selten darüber, von wem dieser Speiserest auf dem Löffel stammt. Wie hat das Klopapier zu hängen, Gefrierbrand am Hintern oder Mief über dem Lokus, und wer klaubt die Spinne von der Decke? Das sind die wahren Entscheidungen, die das Dasein des modernen Menschen bestimmen. Abends überzog ein rhythmisches Klopfen regelmässig den Raum mit einem hellen Klangteppich. Dong, Dong, Dong, jemand spielt Xylophon auf dem Heizkörper. Die von oben. Sobald wir den Fernseher einschalteten, so gegen 20 Uhr. Anscheinend zu laut, die Wände sind ringhörig. Es weiss der Mensch ganz genau, wie die Welt zu sein hat – nämlich so, wie es eben gerade seinem Bedürfnis entspricht. Selten kommt einer auf die Idee, es hätten auch andere Sichtweisen ihre Berechtigung. Leider ist das in einer WG nicht anders. Trotzdem, die Welt ist paradox, ich mein ja nur: Kiffen, Räucherstäbchen und Kleiderberge im Waschhaus, aber dann auf hypersensibel machen? Was ist mit Toleranz und so? Oder einfach mal klingeln und freundlich die Sache klären?
 
Eines Tages jedenfalls latsch ich ahnungslos ins Badezimmer. Ein Schritt und meine Socke fühlt sich an wie ein kaltes Gerber-Fondue frisch aus der Packung. Gleichzeitig versenkt sich mit Anlauf etwas Feuchtes in meinem Haaransatz. Mein Blick geht zur Decke. Es tropft. Ich stutze kurz, renn aus der Wohnung, die nassen Socken pflitsch, pflatsch, immer zwei Stufen auf einmal. Ich presse meinen Finger gegen die Türglocke. Nichts regt sich. Nochmals: „Drrrring, drrrring“. Njet. Mal die Türfalle drücken, man weiss ja nie. Tatsache, die Wohnungstür öffnet sich. Zu meiner Linken dringt ein lautes Plätschern, nein eher ein Rauschen aus dem Badezimmer. Leise quietschend schwingt die Türe nach innen und gibt den Blick frei auf die Miseria. Der Raum steht unter Wasser, aus dem Hahnen ergiesst sich froh das lauwarme Nass in die übervolle Wanne. Wie Kate Winslet in Titanic pflüge ich mich durch die Überschwemmung, und bereite dem Spuk ein Ende. Jetzt, wo die wogende Brandung in der Wanne dem gierigen Gurgeln des Abflusses Platz macht, höre ich Stimmen. Ich wate Richtung Küche, sehe Licht. Die Damen sind am Plaudern, mustern mich jetzt mit überraschtem Blick. „Ihr habt ein Problem im Badezimmer“, stelle ich fest. Wie von der Tarantel gestochen springen sie auf. „Die Wanne!“. Mit Baden ist jetzt wohl nichts mehr. Immerhin – die haben offenbar, was ich wollte: Philosophische Runden, die dich echt noch reinziehen. Von diesem Tag an hörte das Klopfen am Heizkörper auf. Nichts und niemand ist perfekt, und wenn wir das merken, erwarten wir’s auch von anderen nicht mehr. Wenn nicht, löst sich vielleicht auch das Problem mit der Überbesiedlung – durch Totschlag mit schmutzigen Löffeln. Oder Ertränken. Wenn die Wanne ja schon mal voll ist.  

Der heilige Gral der Jugend.

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aperoaltDer Flakon ist leer, kein Zweifel. Mein Daumen hämmert auf den Dosierspender ein wie ein Specht auf den Baumstamm. Nichts quillt hinaus. Ja, es ist wissenschaftlich belegt, dass Hautcrèmes den Zerfall nicht zu stoppen vermögen, den Wunderpreisungen der Werbung zum Trotz. Ich setze dennoch voll auf den Placebo-Effekt. Ausserdem hat man mir schon den Nikolaus genommen und die Feen. Den Glauben an den ewigen Jungbrunnen, unter dessen streichelzartem Einfluss meine Haut sich gleichsam dem merkwürdigen Falle des Benjamin Button ins Kindesalter zurück entwickelt, halte ich trotzig aufrecht. Nun, da mir die Leere des Topfes entgegen gähnt, ist die Zeit gekommen, sich über die neuesten technologischen Errungenschaften der Kosmetikindustrie kundig zu machen. Ich mache mich auf, den heiligen Gral der Jugend zu finden.

Ich tigere also in die Apotheke. Hier gibt es nicht nur Tablettchen, die dem verfrühten Tode ein Schnippchen schlagen. Die Gestelle sind randvoll gefüllt mit Salben, welche selbst einen Zombie wie die dralle Maid aus der Milchwerbung aussehen lassen. Meine Recherchen haben ergeben, dass die Presse ein Produkt von Clinique lobpreist. Dieses bewässert die Haut angeblich besser als der Nil Ägypten. Ich trinke untertags zwar mehr Wasser als ein afrikanischer Wasserbüffel an der Tränke, trotzdem lacht mir aus dem Spiegel oft eher ein Knollensellerie entgegen statt eines Golden Delicious.

„Das ist ein 3-Phasen-Produkt“, erklärt die adrette Apothekenhelferin. 3 Phasen bedeutet, du hast die Phasen der Hoffnung und Vernunft überwunden und befindest dich in der Endphase, der schieren Verzweiflung. Das ist der Moment, wo du bereit bist, dir drei verschiedene Crèmes statt deren einer ins Gesicht zu schmieren. So weit bin ich noch nicht. Ich will keine chemische Reaktion erzeugen und brauch auch keinen Zweikomponenten-Kleber. Ich will eine für alles. Ein Musketier-Balsam quasi. „Hm“, murmle ich, „können Sie mir vielleicht sonst was empfehlen?“. Die Dame im weissen Kittel blickt mich an. Ihre Pupillen verengen sich. Jetzt spricht sie schneller, ich spüre ihre Aufregung. „Ich habe hier etwas“, flüstert sie beschwörend, mit lauerndem Blick. Wie ein Luchs, dessen Beute sich arglos nähert. „Sensai… da hat es Seide drin. Das macht die Haut ganz weich“.

Seide, Kaviar, ja gar Gold. Warum hatte noch keiner die Idee, da Vincis „Mona Lisa“ zu zermahlen und in Crème-Tiegel abzufüllen? Würde sich sicher gut verkaufen. Ich weiss genau, wieso die luchsige Dame mir die Kokonfasern leidgeplagter Insektentiere empfiehlt – nicht weil sie mich für ein Kleid hält, nein, die Crème ist so teuer, dass mir die Falten vor Schreck aus dem Gesicht fallen sollen. 300.— kostet das Zeug. Das muss ja ordentlich was können! Darf ich damit rechnen, beim nächsten Warenhausbesuch am Kundenservice abgegeben zu werden, weil ich mein Mami verloren hab?

Ich beschliesse, dem Elend ein Ende zu setzen und endlich irgendwas zu kaufen. Es gibt da ein neues Produkt von Eucerin. Das kann etwas, was bisher nur Haarsprays vermochten. „Rom, 30 Grad, das Gesicht hält“. Nein, dieses Produkt verspricht Volumen. Ich stelle mir vor, wie mein schmales Gesicht aufploppt, wie ein Kugelfisch in Rage. Das ist super. Dieser Topf wird gekauft.

Am nächsten Morgen streiche ich mir das Mittel der ewigen Jugend erwartungsfroh ins Gesicht. Ich glänze wie eine Speckschwarte. Falls ich gleich anfange zu grunzen, wär wohl zumindest die Sache mit dem Volumen erfüllt. Anstatt in die Haut einzuziehen und dort ihre Wunderwirkung zu vollbringen, überzieht dieses Erzeugnis mein Antlitz mit einer schmierigen Schicht. Spätestens nach dem Auftragen des Make-ups sehe ich aus wie Alaskas Küstengewässer nach dem Tankerunfall der Exxon Valdez. Eigentlich wollte ich etwas, das mehr in der Tiefe wirkt. Ich glaube, das nächste Mal nehm ich was mit Algenextrakt.

Schmutzige Wäsche.

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DSC_0011sJa, ich tue es schon wieder. Auf leisen Sohlen schleich ich mich herein, blicke mich um. Niemand da, die Luft ist rein. Schnell breite ich meine Ware aus, bevor jemand kommt. Drei grosse Haufen, heute hab ich besonders viel Material. Ich öffne leise die Luke, stopfe die erste Ladung rein. Husch, husch, weiter, die zweite Fuhre, dann die dritte. Ich weiss, es ist nicht ganz sauber, aber heute wird schmutzige Wäsche gewaschen. Jetzt gibt es kein Zurück. Die Maschinerie ist angelaufen, nimmt ihren Gang. Es wird nur eine halbe Stunde dauern. Eh mich jemand erwischt, ist das Geschäft erledigt. Hoffe ich. Jetzt erst lasse ich meinen Blick über die Tabelle mit den fein säuberlich eingetragenen Daten gleiten: 2-Z-Whg, 5. Stock. Ich wohne im Zehnten. Ich bin ein Rebell, fast schon kriminell: Ich habe die Waschküche ausserhalb meines Waschtags belegt! „Lapalie“, höre ich euch verächtlich schnauben. Aber hört, Waschküchenstreit kann tödlich enden.

„Die Saumore“, Oma Lisbeth schüttelt sich angewidert. „Die schmeisst die Essensreste einfach in den Hof. Das zieht doch die Ratten an!“. Oma Lisbeth hasst Ratten – sie hat eine Phobie und die Wohnung parterre. „Im Waschhaus hinterlässt die auch nur Dreck. Neulich hab ich Schrauben in der Maschine gefunden, Schrauben! Jetzt kannst dir mal vorstellen, wie die putzt“. Die Stimmung ist miserabel im 6-Familienhaus am Erlacherhof. „Die“, das ist die Nachbarin, Clémence Poletti. Eine Elsässerin. Nicht dass es relevant wäre, die Verständigungsschwierigkeiten übersteigen das Sprachliche. Poletti ist selten zu sehen, aber wenn sie mir begegnet, sehe ich aufgeschwemmte Gesichtszüge. „Alkoholiker“, flüstert man hinter vorgehaltener Hand, „alle beide, der Mann auch“. Man wohnt Tür an Tür, aus dem Weg gehen kann man sich nicht. Eines Morgens klopft es an eben dieser Tür. Lisbeths Mann Ruedi öffnet. Vor der Tür steht der alte Poletti, mit blutunterlaufenen Augen. Er hat eine Waffe in der Hand. Drückt ab. Ruedi geht nieder. Er ist getroffen, in der Schulter. Poletti wendet sich ab, geht breitbeinig die Treppe hinauf, gemächlich, er ist nicht mehr so fit, bis in den dritten Stock. Klopft wieder. In der Tür erscheint Beat K.. Beat, ein ruhiger, netter Mann, immer gut gelaunt. Er hat sich in den Streit nie eingemischt. Wieder zielt Poletti. Jetzt hat er Übung, trifft. Wir werden nie erfahren, was Beat in diesem Moment gedacht hat.

Einige Monate später klingelt es auch an meiner Türe, gefolgt von einem energischen Klopfen. Die Wäsche ist schon gewaschen, hängt an der Leine zum Trocknen. Vor mir steht bücklings die Huber vom vierten Stock. Sie ist unbewaffnet, bis auf ihren Stock, auf den sie sich jetzt stützt. Heute mein offizieller Waschtag. „Chöme sie emoll mit“, fordert sie bestimmt, „ich zeig ihne öbbis“. Ich folge ihr in den Keller. Ob sie mir den Stock über die Rübe ziehen wird? „Luege sie emoll, düen sie d’Chleider nid eifach so über d’Lyyne hängge. Nähme sie Chlämmerli!“. Und jetzt? Hab mich bis heute dem Chlämmerli-Diktat verweigert. Bin eben ein Rebell. Und heute, hier im Hause am Letzigraben, hat es eh keinen Trockenraum. Nur Tumbler. 2000-Watt-Gesellschaft ade, ich elende Stromverschwenderin. Asche auf mein Haupt.

* die Namen sind wie meistens und in heiklen Fällen immer frei erfunden.

Auszeit im Lift

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OLYMPUS DIGITAL CAMERA„Rchrchrchr“. Die Falttüre des Lifts klappt zu. „Rchrchrchr“. Sie schnellt wieder auf. „„Rchrchrchr, Rchrchrchr“. Der Aufzug flattert mit seinen Flügeln wie ein aufgescheuchtes Huhn beim Anblick des Bündner Wolfs. Wahrscheinlich fährt er gleich wieder mit mir in den Keller. Des Gefährt aus dem Jahr 1952 ist im Alter etwas eigensinnig geworden. Heute steht mir der Sinn nicht nach Abenteuer: Ich geh zu Fuss, ächze mich zehn Etagen hoch. Oben angekommen, steht die renitente Kabine schon da und grinst mich an, mit ihrem fahlgelben Licht.  

Ich hab ja so quasi schon mal im Lift festgesteckt, am Zürifäscht vor einigen Jahren. Michel und ich hatten uns bereit erklärt, für einen Coiffeur Werbung zu machen. Dazu hatten wir nichts weiter zu tun, als mit opulenten Frisuren und wildem Make-up durch die Altstadt zu ziehen. Wir wurden begleitet von Gusti. Dessen Freundin, eine Bankerin, lud uns ein, spontan auf der Dachterrasse der Crédit Suisse vorbeizuschauen. Es gab Cüpli und freien Blick aufs Feuerwerk. Ich liebe Feuerwerk!

Die Raketen schiessen hoch und bunt. Wie der letzte Funke vom Himmel regnet, wollen wir weiterziehen. Wo Sibylle wohl steckt, ist sie schon draussen? Wir steigen zu dritt in den Lift und drücken frohgemut den Parterreknopf. Die kleine Kammer ruckelt und surrt gemächlich ins Erdgeschoss, bleibt mit einem kleinen Zittern stehen und gibt den Blick in einen mit Bancomaten ausgestatten Raum frei. „Ha-haalt“, stottert Gusti, „das ist die Schalterhalle – da gehen wir besser nicht rein!“. Er drückt den ersten Stock, den zweiten, der Lift macht keinen Wank. Er flucht, seine Stirn beginnt zu glänzen. Nervös zückt er sein Handy, wählt Sibylles Nummer: „Wir sind hier im Lift, in der Schalterhalle unten“. 

„Wo seid ihr???“. Sibylles Stimme gellt durchs Handy als hätte sie eben ein Zalando-Paket erhalten.
„Ich hab dir gesagt, nimm nicht den Lift! Ich habe es dir GESAGT“.
Schade, hat sie es uns nicht auch wissen lassen. Ich seufze in mich hinein.
Das Handy kreischt weiter: „Wenn ihr den Lift durch die Schalterhalle verlasst, steht in 5 Minuten die Polizei im Raum und steckt euch ein Maschinengewehr in die Nase“.
Klingt verlockend. Ich bin mir sicher, wir würden es locker auf die Titelseite diverser Tageszeitungen schaffen, erst recht mit dieser Frisur. Ich stell mir die Gesichter vor, wenn die uns in diesem Aufzug im Aufzug finden.

Wir warten.
Eine halbe, eine ganze Stunde. Sibylle versucht den Hauswart zu erreichen – keine Ahnung, was geht.
Jetzt ist es soweit, der Plan steht. Es gibt einen Ausweg. Vorsichtig öffnen wir die Tür zur Schalterhalle. Wir zünden eine Zigarette an. Im Rauch werden die Lichtschranken sichtbar. Ich spüre die Milben des Teppichs in meinen Atemwegen, während ich flach unter den Strahlen durchrobbe. Wo bleibt George?? Ok, alles Quatsch. Gleich neben dem Lift gibt’s eine Treppe. Die ist zu erreichen, ohne dass der Alarm losgeht. Warum hat man uns das nicht vor einer Stunde schon gesagt?

Sibylle steht oben an der Treppe, und entlädt eine Salve tief emotionaler Begrüssungsworte über dem Haupt ihres Liebsten. Ich bin einfach nur froh, gibt es keine Blick-Schlagzeile.

Klingeln bei Klinger.

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DSC_0494Kopfüber hänge ich in der Badewanne, das Haar schäumt. Eine dicke, weisse Schicht ziert mein Antlitz: „Totes Meer, Erholung“ stand auf der Packung. Tot fühl ich mich auch, brauch dringend Erholung. Ich versuche eben, die Spuren meiner nächtlichen Eskapaden zu verwischen. „Ding-dang-dong“. An der Türe klingelt es. Ich erwarte niemanden. „Ding-dang-dong, ding-dang-dong“. Es klingelt Sturm. Ich spüle gelassen den Schaum aus meinem Haar. „Klopf, klopf“. Oh je. Der Feind steht direkt vor der Türe. Ob die Nachbarin frische Eier braucht? Mein Kühlschrank ist leer. Wie immer. Bier hätt ich noch. „Plonk“. Eben drückt jemand die Türfalle runter, versucht, auch ohne Einladung in mein Reich einzudringen.

What the hell? Vielleicht brennt die Hütte? Das Handtuch um den Kopf gewickelt, guck ich vom Balkon runter. Ein Polizeiauto steht da. Zwei Polizisten betrachten einen verwitterten VW-Bus. Daneben, auf der Wiese, liegt ein Surfbrett. Ob sich jemand für den Silver Surfer hielt und vom Balkon sprang? Ich komme als Mörderin nicht in Frage. Mein Balkon liegt auf der anderen Seite. Ich glaube, ein Stück Zelt zu sehen. Ob jemand auf dem Rasen campiert? „Es muss die Klinger sein“, höre ich in Gedanken die Nachbarn sagen, „die läuft schon immer so komisch rum, und was da für Leute ein und aus gehen…“. Vielleicht ist es auch die Plane mit der Leiche.

„Ding-dang-dong“. Ich bin eben der Dusche entstiegen, noch immer nackt, was soll der Terror an einem heiligen Sonntag? Hoffentlich ist es wenigstens ein schöner Polizist…?! Ich werf mir was über. Spähe durchs Guckloch. Niemand da. Also wenn die mich verhaften wollen, sollen sie mich gefälligst holen. Die Gegensprechanlage funktioniert nicht. Ich lass doch nicht einfach jeden ins Haus. Am Ende heisst es noch „Erwachet!“ oder ein Mobilfunkverkäufer klemmt seinen Fuss in meine Tür.

Eine Stunde später: „Ding-dang-dong“. Na gut, dann geh ich jetzt doch mal runter. So schlimm kann’s ja nicht sein, sonst hätten die mir schon längst die Türe eingetreten und das Sturmgewehr ins Nasenloch gesteckt. Im Hausflur begegne ich dem Hauswart. „Wissen Sie, warum es bei mir den lieben Tag lang klingelt?“. Er wirkt verblüfft, überlegt kurz, jetzt ist es ihm klar. „Ja, die suchen Frau Klingler aus dem 4. Stock. Die ist aus dem Pflegeheim abgehauen“. Meine Namensvetterin. Eine freundliche, ältere Dame, die immer wieder von Neuem erstaunt ist, dass ich ihren Namen kenne. Kein Wunder, entflieht sie aus dem Pflegeheim. Sie wird vergessen haben, dass sie jetzt dort wohnt. Ein GPS-Sender käme wohl günstiger als dieses Polizeiaufgebot.

Auf dem Bildschirm flimmert ein Krimi. Gleich wird sich herausstellen, warum dieser Kerl all die Frauen erstochen hat. „Ding-dang-dong“. Ich seufze und versuche ächzend, mich vom Sofa zu erheben. Zu meinem Bandscheibenvorfall am Hals hat sich nun noch ein Hexenschuss im Kreuz gesellt. Wenn man mich in ein Pflegeheim stecken wollte, ich schwöre, ich würde gern dort bleiben.

Unten vor der Haustüre tummeln sich, schnittig in Polizeiuniform gekleidet, zwei hochattraktive, ahm, Blondinen. Heute gönnt man mir auch gar nichts. Ich kläre auf, dass ich nicht aus dem Pflegeheim entwichen bin: „Klinger – Klingler, Sie haben am falschen Ort geklingelt“. Hiesse jemand im Hause Lüthi, die hätten wohl auch dort geläutet. Oder bei Schellenbergs geschellt. Die Damen schmunzeln und entschuldigen sich.

Der Krimi ist zu Ende. Warum die Frauen ermordet wurden, weiss ich jetzt auch nicht. Vermutlich habe sie einem Fremden die Tür geöffnet. Bewaffnet mit nem Teller Nudeln mach ich’s mir wieder gemütlich. „Ding-dang-dong“. Das Erinnerungsvermögen der Polizei scheint nicht viel besser zu sein als das der dementen Flüchtigen. Nochmals aufstehen, autsch mein Rücken, drück jetzt ganz einfach den Türöffner. Morgen häng ich ein Schild hin: Wenn die Spitex kommt, soll sie bei mir bitte auch mal durchklingeln.

Bündner auf dem Kriegspfad.

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steinbockZeitung, Handy, Schuhspitzen. In Zürich blicken die Menschen überall hin, aber selten in die Augen fremder Leute. Was also tut die pragmatische Single-Frau von heute? Sie geht online. Vielleicht findet sich dort ja ein Gspänli? Man muss dem Schicksal Gelegenheit geben. Bald schon flattern Dutzende Nachrichten in die Mailbox. Von Herren, die entweder meine Väter oder Söhne sein könnten oder solche, die sicher, mh, nett sind. Ab und an findet sich einer, der den Kinderschuhen entwachsen ist und noch keine AHV-Rente bezieht, ja den gar ein passables Foto ziert, auch wenn es vielleicht seinen Cousin zeigt. Kann man ja mal näher anschauen. Dummerweise folgt meist nach wenigen, nichtssagenden Sätzen die Frage, ob ich ihn denn nicht gerne noch gleichen Abends daheim besuchen möchte.

Ich will nicht nach Hause bestellt werden, als wäre ich eine Pizza! Prominent platziere ich meinen Unmut im Profil. Ich gebe zu, meine Feder ist nicht für alle Gemüter gleich verträglich, erst recht nicht, wenn mir der Kragen platzt. Und so schreibt mir bald Attila, der Hunnenkönig. Wirres Haar, voll tätowiert. Der Blick sagt: „Ich hau dir gleich eins in die Fresse“. Ich sei arrogant, meint er grimmig, mit 20 Ausrufezeichen. Bald folgt ein zweiter Herr mit finsterem Antlitz: „Eine alte blöde Tussi und obendrein hässlich, die Lippen sind sicher gespritzt“. Der Dritte, ein grobschlächtiger Kerl um die 40, bläst ins gleiche Horn. Ungefragt erklärt er, er wolle junges Gemüse, kein altes. Und eben, die Lippen. Ich bin bestürzt. So viel Boshaftigkeit, nur weil ich etwas Respekt gefordert hab? Andererseits, wir leben in einer Welt, in der Frauen in Kellern festgehalten und auf offener Strasse Köpfe abgehackt werden. Ist es nicht etwas naiv, sich wegen einiger gehässiger Nachrichten aufzuregen? Und sowieso – den Pilznasen bin ich doch haushoch überlegen. Vielleicht nicht beim Holz hacken, aber sicher im Schreibkrieg. Ich krieg mich wieder ein, sehe, dass die Herren allesamt Bündner sind. Einer indes aus Zürich, aber auch der schreibt mit Bündner Dialekt. Ha! Ein Komplott aus dem Land der Steinböcke. Denen steckt meine Rede wohl wie ein Pizokel im Hals – jetzt kriegen sie einen dicken Kopf.

Bald stimmt der vierte Bündner, ein dicklicher Typ, ins selbe Lied ein. Ich bin kampfbereit und haue in die Tasten:
„Huh! Noch n’Bünder mit Lippen-Aversion? Gott, muss ich euch eingefahren sein, dass ihr euch so ne Mühe macht. Zugegeben, etwas lästig seid ihr schon, so wie die ganzen Mücken im Moment. Kommen die auch aus dem Bündnerland? Ich kann ja verstehen, dass ihr den Anblick voller Lippen nicht kennt. Ihr seht wohl nur schmallippige Damen, weil die sich das Lachen verbeissen. Dein Kumpel meinte, er stehe auf Gemüse, was klar ist, da seine kognitiven Fähigkeiten jene einer Zucchetti nicht zu übersteigen scheinen. Trotzdem weiss ich nicht, was ihr für’n Problem mit gespritzten Lippen habt, wenn sie’s denn wären – hab die Tage Bildli von mindestens einem Bündner gesehen, der aussieht, als hätte er selber den ganzen Kopf gespritzt. Mit Gips. Eigentlich kenn ich euren Kanton als gemütliche Leute, echt, ich mag euch, aber vielleicht hatte Mike Müller doch recht mit den zusammengewachsenen Fingern (ihr wisst schon, Inzest und so – n’bisserl fies, aber hey, ich hab den Witz nicht erfunden!). Auch wenn eure Nusstorte super ist, muss ich von den Nüssen nicht zwingend angeschrieben werden, vor allem nicht, wenn sie hohl sind. Nicht böse sein, war uh lustig mit euch :-D“.

Ich rechne damit, von halb Graubünden gedisst zu werden und meinen Account erst mal löschen zu müssen, aber nein. Bis jetzt herrscht Stille. Wer weiss, vielleicht sind Gian und Giachen schon unterwegs, um mir die Hörner in den Hintern zu rammen?

Haarig.

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387745_2810031378248_812161715_n„Wenn es sich so kräuselt, wäääääääh!“. Das kleine Grüppchen Männer und Frauen verhandelt gerade die „haarigen Geschöpfe“, wie meine liebe Freundin Melanie das männliche Geschlecht zu nennen pflegt. Haare auf der Brust – da scheiden sich die Geister. Für die Beine besitzen Radfahrer eine Ausnahmebewilligung, und unter den Achseln – also bitte! Pelz ist in der Neuzeit nicht nur bei Peta verpönt, und ja, es geht jetzt auch den Herren ans Fell. Die letzte Tabuzone ist gefallen. Haare auf den Zähnen werden nicht toleriert, in der Suppe ebenfalls nicht, und frei von Hemmungen richtet sich der kritische Blick auch auf jene Körperstelle, wo manche beim männlichen Geschlecht den Denkapparat wähnen. Von Grundsatzdebatten verschont wird in diesem Gespräch einzig die Frisur auf den Köpfen. Obschon es da weitaus mehr Gesprächsstoff gäbe.

„Gott, wie banal“, höre ich einige von euch stöhnen. Nicht unbedingt. Frühkindliche Traumata nach der Lektüre des „Struwwelpeters“ lassen das Volk zu den Frisören strömen, was selbigen Haare ins Lavabo und Geld in die Kasse spült. Wer sich im Schweisse seines Angesichts den Sommerlook schneiden liess, kann das Erlittene vermittels Extensions binnen zwei Stunden wieder rückgängig machen. Die Herren unterstützen die Pharmaindustrie mit dem Kauf ominöser Wässerchen, zumeist erfolglos gegen das schwindene Deckhaar. Haariges Ungemach drohte auch im Mittelalter: Da wurden die Schäfchen zur Strafe und Demütigung am Kopf geschoren – und auch heute noch nimmt man in den Gefängnissen gewisser Staaten den eingebuchteten Damen die wallenden Locken ab, um es an westliche Frauen mit ungewollt kurzem Pagenschnitt weiterzureichen. Auch René Kuhn, der grosse Frauenversteher, weiss etwas zum Thema beizutragen: Er rügte die Damen der Linken kurzum kollektiv als verfilzte Vogelscheuchen. Seither habe ich schon viele linke Damen gemustert, um den Unterschied zwischen ihren und den Haaren politisch rechts orientierter Zeitgenossinnen zu eruieren. Bislang ohne nennenswerten Erfolg. Das einzige zerzauste Exemplar bin ich selbst, aber das wird morgen geändert, im Fall.

„Er hat eine Frisur wie Dachziegel – so aufeinander geschichtet“. Meine liebe Freundin Anna hat einen Neuen. Ich weiss nicht, welche Botschaft eine Ziegelfrisur transportiert, ausser vielleicht „Ich hab keinen Dachschaden“?. Grundsätzlich aber sind Frisuren ein Statement, sei’s mit kahlgeschorener Glatze oder Rastas. Ich erinnere mich an das Entsetzen meiner Eltern, als ich Marco mit den blauen Haaren nach Hause brachte. Heute ist die Gefahr provokanter Haarpracht weitgehend gebannt. Vielmehr liest sich die Standardbotschaft von Menschen über 35 mehrheitlich als: „Ich bin ganz brav“ – warum man so freiwillig auf einen kecken Look verzichtet, bleibt mir verborgen. Seriös ist doch nicht gleich langweilig? Anders der Sänger jener hippen Band am Wipkinger Open-Air. Er trug sie seitlich geschoren, oben spiralförmig zu einer Art überdimensionaler Muschel geformt. Sein Kopf wippte im Takt des Beats, und die Muschel wippte mit. Ich war fasziniert. Wenn wir schon bei „hip“ sind: Die ganz Coolen tragen ja jetzt Turnbeutel auf dem Rücken, so wie wir früher zur Primarschulzeit. Ich hab neulich einen gefragt, was er eigentlich da drin hat – Znünibrot, Apfel und Banane? „Bier und einen Pulli“, liess er mich wissen. Das war am Züri-Fäscht, aber die tragen diese Beutel ja auch in den Clubs, wo Bier nicht erlaubt ist und es keinen Pulli braucht. Ich vermute, sie stopfen Styropor rein, damit es so aussieht als ob. Apropos Züri-Fäscht: Dicht gedrängt standen wir in der tanzenden Menge bei der Vogelvolière, Schulter an Schulter mit anderen schrägen Vögeln. Und wie wir uns da so aneinander quetschen, meint meine Freundin Leila  „Stell dir mal vor, die hätten alle Afro-Frisuren – dann würden wir ja oben gar nicht mehr raus sehen“.

Luschen statt Duschen.

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brause„Du, dini Duschbrause isch völlig verkalkt“. Mein Süsser steht tropfend und mit gequälter Miene im Badezimmer. „Das macht ja weh! De Strahl ist total hert. Bring mir mal Essig, ich entkalk dir das jetzt“. Ich winke ab. Es ist 23 Uhr, Entkalken steht gerade nicht auf meiner Prioritätenliste. Sowieso, ist sie zu hart, bist du zu schwach. Wir leben in einer Wegwerfgesellschaft – ich beschliesse, die Brause ihrer Vernichtung zuzuführen und erinnere mich an den Besuch bei jenem Medium, das vorgab, Jesus zu sein: „Du beziehst deine Kraft aus Farbe – eine Farbdusche wäre gut für dich“. Bingo. Nebst all dem Bullshit mal ne weise Aussage. Ich male mit Farben, schmeisse an indisch orientierten Festivals mit Farbpulver, kleide mich schon mal in Gelb mit Purpur. Keine Frage: Ich dusche auch bunt!

Eine Frau, ein Wort, schon am nächsten Tag durchkämme ich das World Wide Web nach Düsen, die Wasser in buntes Licht verwandeln. Es wimmelt von Angeboten. Ein paar Klicks, Kreditkarte gezückt, die Brause ist mein, und ich harre freudig der Farben, die da fliessen sollen. Eine Woche, zwei, drei Wochen vergeblichen Wartens. Ich beschliesse, nachzufragen.

„Wir haben einen Lieferrückstand auf Ihrem bestellten Artikel“, heisst es, „wir wissen, dass dies ein neuer Lieferrückstands-Rekord ist.“. Okee. Zwei Wochen später klopfe ich nochmals an: „Ich wollt mich mal schüchtern erkundigen, ob dieses Farbduschendings langsam versandt werden kann, oder ob das Ziel ist, mit dem Lieferrückstandsrekord einen Eintrag im Guinessbuch zu erlangen? Mein Lover wird langsam sauer, weil er noch immer mit dem kaputten Duschkopf duschen muss.“
Der Lieferant hat uns Duschen gesendet, die der guten Qualität nicht entsprechen. Da wir keinesfalls möchten, unsere Kunden mit solchen Produkten zu beliefern, warten wir jetzt auf eine andere Lieferung von qualitativen Duschen“. Ich warte also mit.

Wochen vergehen, der Duschstrahl piekst mich noch immer in den Hintern. Mein Süsser ist mir unterdessen auch abhanden gekommen, ich hätte ihn doch das blöde Ding entkalken lassen sollen. Gut, wie man Duschköpfe entkalkt, kann man auf Youtube lernen. Vielleicht müsste man etwas Essig in die Leitung des Online-Shops giessen, damit was geht? Ich beschliesse, nochmals einen Anlauf zu nehmen.
„Grüezi mitenand. Die Tage ziehen ins Land, flugs sind schon wieder 3 Wochen verstrichen. Mein Typ hat inzwischen mit mir Schluss gemacht, ich vermute, es ist wegen der Duschbrause. Ich schlage vor, dass ich von der Bestellung zurücktrete. Ehrlich gesagt zweifle ich, ob ich die Brause von Ihnen noch in diesem Leben bekomme und im nächsten werde ich vielleicht als Wal wiedergeboren und hab meine Dusche schon integriert. Bitte bestätigen Sie mir doch kurz die Stornierung der Bestellung“.

Wieder warte ich, tagelang. Der Online-Shop bleibt stumm. Interessant. Schweigende Männer bin ich mir gewohnt, schweigende Online-Shops noch nicht. Ich beschliesse, etwas geharnischter aufzutreten:
Ich warte immer noch auf eine Bestätigung, dass meine Bestellung storniert wird. Ich bestelle sicher nicht woanders, und dann fällt Ihnen ein, dass Sie die vermaledeite Duschbrause vielleicht doch liefern möchten. Wäre flott, wenn wenigstens das geht, danke.“.
Tags darauf, hurrrrah, eine Antwort: „
Der Lieferant hat uns Duschen gesendet, die der guten Qualität nicht entsprechen. Da wir keinesfalls möchten, unsere Kunden mit solchen Produkten zu beliefern, warten wir jetzt auf eine andere Lieferung von qualitativen Duschen“. Hm. Dieses hervorragende Deutsch hab ich doch schon mal gelesen? Hach ja. Vor einem Monat.

 Konflikte soll man nicht schriftlich austragen. Ich greife also zum Hörer. Schildere freundlich den Sachverhalt, erlaube mir dann aber die Frage, ob man mich veräppeln will?
„Wenn Sie anständig mit mir sprechen möchten, können Sie nochmals anrufen“, bellt es aus dem Hörer, „so reden Sie nicht mit mir!“. Ich bin perplex. Hänge auf. Meine Arbeitskollegin guckt mich mit grossen Augen an. Zum Glück hat sie mitgehört – hab ich was Falsches gesagt? Nein, hab ich nicht! Sie versteht’s auch nicht… Tja. Der hat wohl zu heiss geduscht? Wer ist der Kerl, ich werd mich beim Chef beschweren! Hach blöd, es war der Geschäftsführer. Aber hey, hoch lebe Social Media. Da gibt’s diese supi Bewertungsplattformen. „Meine“ Firma lässt sich da auch beurteilen, und das tu ich jetzt mit Hochgenuss. Und bestelle gleich danach meine Duschbrause – woanders und mit 7 statt 4 Farben. Lieferung: Ein Tag später. Das hab ich mir verdient.

Wie man ein Date verpennt.

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rauchHeller Rauch steigt auf, vernebelt sein Antlitz und wohl auch Teile seines Denkapparats. Nein, mit dem neuen Papst hat das nichts zu tun. Seine Finger umklammern einen Joint, er nimmt einen weiteren tiefen Zug. Vor uns liegen die leer geschmausten Teller. So richtig leicht ist es mir nicht gefallen, die Einladung zum Essen anzunehmen. Heutzutage ist ja nie ganz klar, wer oder was gefressen werden soll. Ab wann muss man nicht mehr damit rechnen, zerstückelt und gepökelt im Gefrierfach zu enden? Noch aber hat er das Beil nicht ausgepackt. „Lass uns mal fernsehen“. Er trottet auf das Sofa zu.

Er knautscht sich wie ein Mehlsack in das quietschende Leder. Zielstrebig zaubert er mit der Fernbedienung Mike Shiva, den Helden der Zukunftsprognosen, in den Flimmerkasten. „Meine Lieblingssendung, ich lach mich jedesmal schlapp“. Seine Augen glänzen. Ich überlege, selber Shivas Nummer zu wählen, um nachzufragen, wo dieser Abend hinführen soll? Neben mir gluckst und wiehert es unablässig. Ab und an wiederholt er die Worte des Wahrsagers: „Die anderen sind Scharlatane, hua hua“. Mein Blick gleitet über das kahl eingerichtete Wohnzimmer – wo bitte ist die Kamera versteckt?

Die Position des Fernsehers macht es unmöglich, Shiva und den Typen gleichzeitig im Blickfeld zu halten. Ohnehin ist einer so skurril wie der andere. Plötzlich werd ich stutzig. Es hat gar nichts gekichert, die letzte Minute? Ein Blick zur Seite – was zum Henker…? Der Typ ist weg. Eingepennt. Was jetzt? Rütteln und schütteln? Wie das Bäumchen bei Aschenputtel? Shiva voll aufdrehen? Bloss – was will ich mit nem miesmuschligen, verpeilten Mannsbild? Ich schinde Zeit um die Gedanken zu ordnen, spüle erst mal das Geschirr. Vielleicht weckt ihn das Klappern? Eben sackt er ne Handbreite tiefer ins Sofa ab. Ob er wohl wirklich schläft? Vielleicht tut er ja nur so – welch eine Demütigung wäre das?! Meine Gedanken erschrecken mich. „Frau Klinger, jetzt wirst du paranoid“, schimpf ich mit mir. Sein Gesicht ist leicht zur Seite geknickt, wirkt jetzt zerknüllt. Wozu hab ich meine Haare malträtiert, mein Näschen gepudert, ewig vor dem Schrank gestanden? Er streckt einen Fuss von sich. In der Socke klafft ein riesiges Loch. Ich weiss jetzt, was zu tun ist. Setz der Kollegin mal ne Nachricht ab: „Er pennt“. Ne Minute später piept es: „Wie bitte???? Bin im Hive“. Ich mach ne Fliege. Irre durch die Nacht, es ist finster im Industriequartier. Wo nur geht es zum Bahnhof? Plötzlich durchbricht ein Klingeln die Stille. Der Siebenschläfer ist aufgewacht. „Ich bin so ein Arschloch“, jammert er mir ins Ohr.

Zwei Wochen Funkstille. Dann kotzt er mir sein Elend in die Facebook-Mailbox. Es bricht aus ihm heraus, eine wahre Textflut. Beschreibt, wie er sich zudröhnt, um die Freudlosigkeit nicht zu spüren. Abgelöscht, depressiv. Meist will er einfach allein sein. Deswegen habe er sich auch schlafend gestellt. Ehm, moment mal: Schlafend GESTELLT??? Ein wahrer Komiker scheut auch die schrägste Nummer nicht. Schwer, sich nicht clownesk zu fühlen, wenn man zum Kasper solch eines bizarren Schauspiels erkoren wird. Es geht mir da wie vielen, Männern wie Frauen, und auch nicht zum ersten Mal. Meist wird ja einfach die Antwort verweigert. Das Stockfischsyndrom hat epidemische Ausmasse erreicht. Schweigen, die Waffe der Überforderten und kommunikativ Schwachen. Er immerhin erklärt sich. Es hat nichts mit mir zu tun – dass er’s mich wissen lässt, setzt der Scheisse ein Quantum an Grösse entgegen. Ist man dumm, wenn man Menschen ne zweite Chance gibt? Die er freilich verbockt, und bei seinem dritten Anlauf mag auch ich nicht mehr. Wenn einer lebt, als würde er lustlos im Teller rumstochern, ist man nie mehr als ne Erbse, die hin und her geschoben wird. Erbsen kann man zählen oder drauf liegen, aber das Märchen, in dem die Heldin selber ne Hülsenfrucht ist, gibt’s leider nicht.

Des einen Kuss, des andern Verdruss.

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kissIhr dickes, schwarzgraues Haar steht wirr in alle Richtungen. Einst war sie eine hübsche Frau. Davon sind nurmehr einzelne Fragmente zu sehen, ein Paar muntere, dunkle Augen etwa, die unter ihren buschigen Augenbrauen hervor blitzen. Kaum mehr als Haut und Knochen, den Rücken leicht zum Buckel geformt, schlurft sie durch die Küche. Ein dürres Fraueli mit schalkhaftem Blick, ein kleiner Kobold. Sie verlässt ihre Wohnung kaum, schon seit Jahren igelt sie sich ein. Ihre Verbindung zur Aussenwelt ist das Fernsehgerät. Mitten in der Nacht lässt sie den Wecker klingeln. Wrestling. Sie liebt es. Live übertragen aus den Staaten. Dafür kann man schon mal um 3 Uhr aufstehen, auch mit über 70 noch.

„Wo sin mini Frösch?“. Sie kramt nach ihren Zigaretten, versucht, sich eine anzuzünden. Ihre Hand zittert, sie zielt. Zwei, drei Mal knapp am Glimmstängel vorbei, dann merkt sie, dass sie ihn verkehrt in den Händen hält. Vor ihr steht ein Glas Rotwein, sie nimmt einen grossen Schluck. Sie war schon immer ein fröhlicher Mensch, meine Grossmutter, gesellig im Wesen. Sie spricht mit rauchiger Stimme und wenn sie lacht, klingt es, als würde Rod Stewart husten. Vor einigen Jahren, an ihrem Sechzigsten, da hat sie noch kräftig gefeiert, mit buntem Glitzerspray im Haar. Zu meiner Verlobung (nein, ich will nicht darüber sprechen!!), da hat sie getanzt. Ein zartes Blümlein ist sie keines, immer gerade heraus, fordernd und nicht eben zimperlich in der Wahl ihrer Worte. Die Spitex hat sie erfolgreich in die Flucht geschlagen; zu stolz, um sich helfen zu lassen. Viel gibt sie nicht preis, von sich und ihrem Leben. Wenn sie von früher erzählt, in meinem Beisein, dann von mir und der Zeit, als ich noch bei ihr ein und ausging. Jetzt lobt sie mich, freut sich, dass ich hier bin, in Begleitung meines neuen Freundes. Ich schäme mich, denn ich bin viel zu selten da.

Der junge Herr an meiner Seite wirkt seltsam betreten. Schon klar, der Besuch bei der Grossmutter ist nicht der Traum eines 25-jährigen Kerls. „Du hesch soone schöne Fründ“, klatscht Oma begeistert in die Hände. Ich bestaune gerade das Blumengesteck, ein Geschenk meines Onkels. Mein Süsser ist errötet und Oma grinst spitzbübisch. „Ein wahrhaft schöner Mann“, wiederholt sie entzückt. Ich bin leicht erstaunt; er ist keiner, wie man ihn dem Geschmack einer älteren Dame zuordnen würde, eher zart, mit femininen Zügen, jungenhaft. Lange kann ich ihm den Besuch nicht zumuten, es ist ja nicht seine Familie. Jetzt tut es mir leid, Oma wieder zurückzulassen. Keine Ahnung, wie oft sie Besuch bekommt. Mein Vater ist ab und zu dort, vermutlich nie lange. „Du weisst ja, wie er ist,“ pflegt sie zu sagen, „kurz und barsch“.

„Ich hoffe, das war so ok für dich“, erkundige ich mich schüchtern, wie wir das Haus verlassen. „Es war schon ok“, schnaubt er, „aber jedes Mal, wenn du weggeschaut hast, hat sie versucht, mich abzuküssen“. In mein Gelächter mag er nicht so recht einstimmen „Wirklich, jedes Mal, wenn du nicht geguckt hast!“. Er schüttelt fassungslos den Kopf. Ich erinnere ich mich: Damals, als ich ein kleines Mädchen war, im Kindergarten, da hab ich auch immer versucht, mein blondes Gspänli zu küssen, den Alain aus Frankreich. Jedesmal, wenn niemand geschaut hat. Das fand der gar nicht toll, er hat sich beschwert, die Petze. Dabei war ich so süss!? Hat nichts geholfen, die Kindergärtnerin hat mit mir geschimpft. Ihr seht, im Alter wird man eben tatsächlich wieder zum Kind. Meine Herren, jetzt wisst ihr, was euch dermaleinst erwartet. Nehmt euch in Acht!

Die mühsame Patientin.

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ah„Ausgeprägte Wangenknochen gelten als Schönheitsideal“. Die Ärztin kehrt mir den Rücken zu und kramt nach einem Holzstäbchen. „Ja, aber symmetrisch, nicht einseitig!“. Mein Gesicht ist diagonal angeschwollen. Ich halte nichts davon, wenn mein Antlitz kreativ wird. Wer weiss, was es als nächstes ausheckt? Einen Kornkreis auf meiner Stirn vielleicht, oder möglicherweise lacht mir demnächst Karl Dall aus dem Spiegel entgegen? Nun sitze ich hier in der Permanence und die Frau veräppelt mich. „Sagen Sie mal Aaaah!“ befiehlt sie, und steckt mir den Holzstab in den Mund. „Äääääääh!“ röchelt es aus meinem Hals. „Hmm… das ist knallrot. Sie haben vielleicht Scharlach“. Scharlach? In meinem Kopf singt es. „I baue mir mini Träum uf rund um di und male se scharlachrot a“. Patent Ochsner, das krieg ich für den Rest des Tages nicht mehr los. Kriegt man da rote Pünktchen? Und erklärt das, warum ich zunehmend dem Hulk ähnele? „Nein, das ist keine Erklärung“, brummt die Ärztin und tippt irgendwas in ihren Computer ein.

Scharlachrot ist auch das Blut, das man mir jetzt aus den Venen pumpt. So hab ich mir das nicht vorgestellt! Ich dachte an eine kleine Salbe, fertig. Hab doch nur ne leichte Erkältung, was soll der Aufstand? Wenn es so weiter geht, werd ich noch in die Röhre gesteckt!? „Es ist kein Scharlach!“ freut sich die Ärztin. Ich mich auch. „Sie müssen aber trotzdem sechs Tage lang Antibiotika nehmen“. Ich freue mich doch nicht. 1000 mg, die volle Dröhnung. Sechs Tage lang? Hallo, für das bisschen Halsweh? „Sie haben eine Halsentzündung“. Zustände wie in Nordkorea, sobald einer hustet wird mit ner Atombombe gedroht. „Und was ist jetzt mit meiner Schwellung?“. „Sie müssen eh am Samstag zur Kontrolle vorbeikommen“. Na prima. Hab ich sonst keine anderen Hobbies? Ich weigere mich, desertiere, geh da einfach nicht mehr hin.

Es ist Samstag, Frau Klinger sitzt im Wartezimmer der Permanence. Die Hoffnung, ich müsse die blöden Antibiotika vielleicht doch nicht so lange nehmen, hat mich her getrieben. Diesmal begleitet mich meine Freundin Marlie, um mir die Wartezeit zu versüssen. Letztere wird sehr kurz sein. Ich hab nämlich einen Termin und bin die Erste, welche meine Ärztin empfängt. Hat man mir versprochen. Ehm, vielleicht bis auf diese indische Grossfamilie, welche eben das Praxiszimmer betritt, in dem ich jetzt sitzen sollte. Eine Viertelstunde später ein jüngerer Herr mit schütterem Haar. Danach nochmals Mama Bhavani und ihr Gefolge. Wahrscheinlich kommt nächstens Vater Abraham mit seinen sieben Söhnen – allmählich breitet sich die Röte meines Rachens auf den übrigen Kopf aus. Der innere Widerstand ähnelt dem Ätna kurz vor dem Aufbruch, gleich werd ich zum Rumpelstilz: Ich will keine Antibiotika, will auch nicht hier sitzen. „Ich verbringe hier nicht den ganzen verdammten Samstag“, fauche ich. „Jetzt sind wir da, wir ziehen das durch“, runzelt Marlie streng die Stirn.

Nach einer Dreiviertelstunde werde ich in ein neues Wartegefängnis komplimentiert. Etwa sechs Quadratmeter, acht Verseuchte auf engstem Raum. Ich wünsche mir eine Burka, vergrabe mich in mein Taschentuch, ganz Zicke. Mein Nachbar richtet seinen gelb verschleierten Blick auf mich. Gegenüber chodert es. „Ich will hier raus!“, tippe ich in mein Handy. „Du bleibst dort“, schreibt es aus dem oberen Stock zurück. Eine Art Kranken-Klaustrophobie packt mich, ich schnelle hoch, stelle mich in den Flur. „Setzen Sie sich bitte hin“, bellt die Praxisassistentin. Mir reichts. Ich packe meine Jacke, stapfe die Treppe hoch, schnappe mir Marlie. „Das bringt doch alles nichts“, rufe ich entnervt aus. „Frau Klinger, bitte, Sie sind dran!“. Na gut. Dann bleib ich eben noch ein bisschen. Dracul mustert mich über den Rand ihrer Hornbrille, steckt mir die Nadel in den Arm und zapft mir Blut ab. Dann endlich, die Resultate liegen vor. „Es sieht viel besser aus!“, freut sich die Ärztin. Ich freue mich auch. „Die Antibiotika müssen Sie aber trotzdem bis zu Schluss nehmen“. Ich freu mich doch nicht.

calvin

 

Sportklecks.

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ski„Gehts heit ned zum Schifoan?“ fragt mich die Hotelière mit missbilligendem Unterton. Man sieht’s ihr an, innerlich schüttelt sie den Kopf. Zum dritten Mal in Folge ächze ich zur Mittagszeit erst aus dem Zimmer, alle anderen sind längst im Schnee. Hab stundenlang getanzt in der Nacht zuvor. Dabei bewege ich mich wesentlich mehr, als wenn ich die Piste runtergurke. Für die Meisten zählt das dennoch nicht als redliche Leibesertüchtigung. Für meinen Körper schon. „Sie haben die Werte von jemandem, der regelmässig Sport macht“, sagt mein Arzt. Trotzdem: „Warst heut nicht Skifahren?“, jedes Mal, wenn ich ohne Skischuhe im Après-Ski steh. Vielleicht lass ich mir ein T-Shirt drucken: „Nee, ich hab heut mal ausgeschlafen“. „Ich bin drei Stunden in den Hängen herumgewandert“, rechtfertige ich mich kleinlaut und obwohl es steil den Berg hinauf ging und ich dabei geschwitzt habe wie ein Büffel bei der Begattung seiner Herde: Hier wird Ski gefahren, verdammt!

Skifahren. Meine Freundin Lina, zitternd und weinend vor Angst am Start des Skirennens. Die Armleuchter von Lehrern, die zu zweit und unter lautem Ächzen meinen sich sträubenden, verstauchten und demzufolge geschwollenen Fuss in den Skischuh stopften. Ich weiss auch nicht, wo die Typen immer all diese fiesen steilen vereisten Hänge gefunden haben. Als ich in dichtem Nebel vom Bügellift purzelte und für zwei Abfahrten alleine den Hang runterfuhr, da war das Skifahren endlich mal richtig geil. Leider fehlte mir das nötige Quantum Rebellion, um den Bügel inskünftig absichtlich davonflattern zu lassen.

Als schüchternes, eher ruhiges Mädchen widerstrebte es mir dazumal auch, Bälle etwelcher Art mitten in die Fresse geknallt zu bekommen. Ich sah den Sinn nicht, mir das Volleyleder auf meine zarten Handgelenke peitschen zu lassen. Unihockey war ok, da biste wenigstens bewaffnet. Beim Schwimmen zog ich es vor, unter Wasser zu bleiben. Hab denn heute auch nen Tauchschein, aber die dazu nötigen 200m Schwimmen hab ich gerade mal knapp und nur mit Flossen geschafft. Am Sporttag mochte ich am liebsten die Bandansage, die mir morgens am Telefon mitteilte, der Anlass finde wegen der üblen Witterungsverhältnisse nicht statt. Na, und alternativ vielleicht noch das Speerwerfen. Hab mir vorgestellt, der Sportlehrer stehe da vorn.

Selbst wenn Sibylles ausgerenkte Mittelfussknochen meinen Verdacht bestätigen, dass Churchill Recht hatte – heute mag ich Sport. Ehrlich! Die Sache ist die – Bewegung ist dann schön, wenn man innerlich dabei aufblüht. Dann, wenn der Körper von sich aus noch ein bisschen mehr leisten möchte, immer noch weiter rennt, kraftvoller tanzt, oder im Duell mit einem Gegner lustvoll einen Weg sucht, zu siegen. Ich bin ein Freigeist, ich brauch das nicht, dass irgendein Arschloch hinter mir steht und mich einen eisigen Hang hinunter treibt. Auch wenn Angst angeblich eine geile Droge sei, wie ich unlängst las. Mama sagte, ich soll die Finger von Drogen lassen. Also. Die Domina, die in die Runde brüllt, ob sie uns die Moves wie Behinderten erklären müsse, damit wir die Choreo endlich kapieren, motiviert mein musisches Naturell nicht zu einem Serotoninausstoss. Auch auf die subtile Art werd ich bei Leistungsdruck bockig: Zum Beispiel, wenn die Übungen im Kreis rennend gemacht werden, damit man der Lücke vor und dem Stau hinter dir deutlich ansieht, dass du die Lahmste bist. Besonders desolat, wenn du das eigentliche Training magst und das Handtuch wirfst, weil du dich beim Aufwärmen wie ein Vollidiot fühlst.

Aber anyway. Sport kräftigt Körper und Psyche. Ist so. Erst recht in fröhlicher Gesellschaft. Drum wird das Klingersche Mammut wieder in Joggingschuhen durch Zürich stampfen, sobald die Eiszeit vorbei ist. Oder sonst was machen. Also, wer kommt mit?

Nur ne klitze-kleine Katastrophe.

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399295_4984890188359_1324026080_nVon einem herabstürzenden Container erschlagen. Händchen haltend mit dem Mann, den ich liebe. So ähnlich stelle ich mir den optimalen Tod vor. Ja, ich bin eine echte Romantikerin. Und abergläubisch. Es ist also keine Option, am Weltuntergang alleine zu verrecken. Vor allem, nachdem ich schon am letzten Geburtstag die Einsamkeit auf eine Weise zelebriert habe, die man bei aller Freude an der Selbstoffenbarung nun wirklich nicht in einem öffentlichen Blog festhalten kann. Ich habe dazu gelernt. Das Ende aller Enden will ich mit Menschen verbringen, die mir am Herzen liegen.

Coop hat da so nen super Online-Lieferdienst. Die schleppen dir das Zeugs in deine Wohnung. Perfekt, wenn du eine Party mit vielen Flaschen feiern willst… die Getränke mein ich, nicht die Gäste. Allerdings gibt es erst ein eher renitentes Tool zu überwinden: Ich wähl ein Lieferdatum, er speichert irgendein anderes Datum rein. Jawohl, der Tool – das Kerl muss ein Mann sein. Da musst du aufpassen wie ein Häftlimacher. Letztes Mal waren sie einen Tag zu früh da. Zum Glück war ich in der Nähe, als der Anruf kam. Genervt hab ich mich trotzdem. Wenn die das Zeug wieder mitnehmen, zahlst nämlich du die Unkosten. Und zweifelst an deinem Verstand, weil es nicht nachprüfbar ist, ob du das richtige Datum angetippt hast. Auch wenn du weisst, dass es so ist. Volle Einkaufstaschen vor der Türe stehen lassen ist in einem Wohnblock kein beruhigender Ansatz. Auch dieses Mal will mir das Tool alle mögliche Daten unterjubeln, aber hey, die Katastrophe ist am 21sten, punktum und Schluss. Am Ende hab ich alles akribisch genau kontrolliert. Man lernt schliesslich aus Fehlern.

Ich dümple ein bisserl herum. Hab heute zum jüngsten Gericht frei genommen, wer will schon im Büro von der Flutwelle erfasst werden? Wenn dann der Zalan… äh, Coop-Bote kommt, werd ich erst mal laut schreien und hernach gemütlich die schwarze Bowle mit den Glubschaugen vorbereiten. Ein Blick auf die Uhr; kurz vor Vier. Der vermaledeite Coop ist noch nicht da. Mir schwant Fürchterliches. Vielleicht sollt ich doch mal die Bestätigungsmail konsultieren? Hm. Hab keine bekommen. Ich logge mich ein. Mein Puls steigt allmählich. In drei Stunden stehen die Leute auf der Matte und meine Schränke sind so leer wie die Tüten aus der Denner-Werbung. Nicht mal Dosenbrot hab ich im Haus. Ah, da steht’s: Liefertermin 28. Dezember. Verdammt, da die ersten Reiter der Apokalypse!!!

Mein Hirn ist ein Teilchenbeschleuniger, die Gedanken rasen im Kreis. Was wollt ich… wie kann ich… wo muss ich… Ich rufe Coop an. „Wir können Ihnen die Sachen morgen bringen“. Morgen bin ich tot. Nächster Ansatz, bitte. Der Chef ist ein Problemlöser, haben wir am Führungsseminar gelernt. Und er ist eh eingeladen. Also, wo ist das Telefon?? „Aläääääääää!“. Meine Stimme ist ein paar Oktaven höher. „Der Coop ist nicht gekommen!!! Was mach ich denn jetzt??“. „Jetzt komm erst mal her“, meint eine ruhige Stimme am anderen Ende.

Ich stehe im Büro. Im Pausenraum sitzen Kollegen und Kolleginnen aus Abteilungen, die normalerweise hier nicht anzutreffen sind. Die meisten davon kenne ich kaum. Sie gucken ein bisschen komisch. Ich schau an mir runter. Kurzes, goldenes Kleidchen, tiefer Ausschnitt. Mist. Ich wollt mich für die Afterparty nicht mehr umziehen. Jetzt krieg ich erst mal ein Sektchen. Und dann noch eins. Danach ziehn wir los. Einkaufen. So einfach ist das.

Ach ja: Also von mir aus könnt jede Woche mal Weltuntergang sein. Absurd lustiger Abend mit Leuten, die ich gern hab. Genau so hab ich’s mir vorgestellt, danke. Drück euch alle.

Die dargebotene Endzeit: Droopy, Jesus oder Metatron?

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katzeBald rafft uns der Weltuntergang dahin. Vor den Haustüren lauern Abgesandte undefinierter christlicher Strömungen. „Gott liebt dich“, verkünden sie, obschon er uns demnächst in der Sintflut ertränkt oder mit Fröschen und Astoeroiden erschlägt. Während sich die Ängstlichen mit Dosenbrot verbarrikadieren (Leute, ihr habt da was falsch verstanden: WeltUNTERGANG – ihr braucht kein Brot mehr, auch nicht in Dosen), ziehen die Esoteriker neue Jünger an wie Hugh Hefner Blondinen.

Als ich neulich bei einem Herrn zum Essen eingeladen war – alles frisch zubereitet, keine Astronautennahrung – steuerte er unmittelbar nach dem Gaumenschmaus auf das Fernsehgerät zu, droopywillenlos wie ein ferngesteuerter Roboter, und wählte 3+: Mike Shiva, der Mann mit dem Kopfverband. Manche Leute zahlen 4.50 pro Minute um ihn darüber wettern zu hören, dass es Scharlatane mit günstigerem Tarif gibt. Rechts im Bild winkte eine japanische Glückskatze unablässig mit der Pfote, vor-zurück, vor-zurück, wahrscheinlich für die hypnotisierende Wirkung frei nach Schlange Kaa: „Glaube mir, vertraue miiiiiiiirr“. Findet ihr nicht auch, dass Shiva Ähnlichkeit mit Droopy, dem lethargischen Cartoon-Basset, hat?  Hund und Katz, gehört die Sendung zu Netz Natur? Ich tät mich ja lieber von Jane, dem Mentalisten in Trance versetzen lassen; dennoch wirbelte das Miezchen Erinnerungen an einen Besuch bei einer Luzerner Geisterbeschwörerin aus meinem Unbewussten zutage:

Die Dame wurde mir von einer Kollegin empfohlen: Eine gepflegte, attraktive Mitvierzigerin sass mir barfuss gegenüber, in einem von Pastellfarben dominierten Raum. Im Büchergestell zu meiner Rechten fanden sich Bücher über Engel und die Jungfrau Maria. Für mich n’Tick zu katholisch. Sie schloss die Augen, wechselte von Mundart auf Hochdeutsch und begann, mich wie ein Wasserschwall in Komplimenten zu baden. „Aus Farben ziehst du deine Kraft“, sang sie salbungsvoll und rrrrrollte das „r“. Ja, sie hatte den Mix aus roten Hosen und blau-gemustertem Shirt zu deuten verstanden, ehe sie die Augen schloss. „Siehe, deine Aura ist zart wie eine Rose, dem Regenbogen gleich schillert sie in allen Farben“. Da liegt doch noch so’n Aurafoto in der Schublade, das ich an der Esoterikmesse zum Spass hatte machen lassen – ich, umgeben von einer blau-schwarzen Wolke. Gut, an jenem Tag hatte ich Kopfweh. Sie flötete weiter: Medial begabt sei ich, und ja, Mutter Maria persönlich stehe mir schützend zur Seite. So plätscherte sie eine Weile vor sich hin. Plötzlich hielt sie inne. Nun könne ich Fragen stellen, ermunterte sie mich. „Kann ich gehen?“, schoss es mir durch den Kopf, aber eins noch musste ich wissen: „Wer bist du?“. Sie überlegte kurz. „Jesus Christus“, klappte ihr Mund auf und zu, die Augen noch immer geschlossen. Jesus? Warum in Dreiteufels Namen spricht er hochdeutsch – warum nicht wenigstens hebräisch?? Was für eine Schmierenkomödie. Ein prustendes Lachen schob sich wie ein Geysir meine Kehle empor, ich würgte es herunter als seien es pürierte Maden. Die Mutter Gottes, Jesus Christus – thank god, I’m a VIP! Nichts wie weg, bevor Vater Abraham mit seinen sieben Söhnen durch die Türe kommt.

Unermüdlich tropfte Jesus seine pathetische Rede in meine leidgeplagten Ohren. Ich rollte mit den Augen, fasste mir an die Stirn, gestikulierte, la mano a borsa. Er sah nichts. Schliesslich räusperte ich mich. „Entschuldigung“. Sie klappte erstaunt ihre Augen auf. Ich schüttelte bedächtig den Kopf. „Das war nix“. „Nein?“. „Nein. Falls Jesus bei mir ist, hoffe ich, er kennt mich ein besser als das“. Get the fuck out. Ich verabschiedete mich höflich und floh auf die Strasse.

Tage später stieg ich bei mir im Hauseingang zum Lift aus. Da stand ein Paar, Mann und Frau, verloren im Hausgang. Zwei Köpfe drehten sich und fixierten mich mit starrem Blick. Die Frau wandte sich mir zu: „Jesus liebt Sie“.