Schlagwort-Archive: ÖV

Romantik im Tram

Standard
Romantik im Tram

romantiktramJa, ja, ich weiss schon: Süffisante Texte über das Leiden mit unbequemen Weggenossen im ÖV füllen die Motzspalten der einschlägigen Plattformen wie das Wasser mein Lavabo, wenn wieder mal zu viele Haare in den Abfluss gefluscht sind. Aber zu diesen Meckernasen gehöre ich nicht. Wirklich. Im vollen Tram Zeitungsberichte über abgehackte Köpfe und amerikanische Foltermethoden lesen zu müssen, belastet mich wesentlich mehr als der telefonierende oder friedlich mampfende Nachbar. ÖV-Motz, das ist Jammern auf verdammt hohem Niveau. Jene, die sich über Taschen auf den Sitzen ereifern, manifestieren in meinen Augen ein weitaus übleres Problem: die grassierende Wortlosigkeit. Man könnte ja versehentlich einen Frosch ausspeien, wenn man darum bittet, den Platz frei zu machen. Selbst wenn sie das Tram verlassen will, durchbohrt dich die schweigende Masse lieber mit Blicken – du weisst nie, ob der Mensch neben dir aussteigen möchte, oder ob er intensiv den Pickel an deiner Schläfe mustert. „Äxgüsi“ ist gefährlich, jedenfalls für Männer. Es könnte als „Ex-Büsi“ missverstanden und von der Dame mit einem scharfen „das wüssti, du Perversling!“ gekontert werden.

Item. Ich stieg also frohen Mutes und offen für die Menschlichkeiten dieser Welt ins Tram. Die Plätze waren alle besetzt, beinahe jedenfalls. Drei der Passagiere führten Gepäck neben sich auf dem Sitz und ja, schon klar, ich habe eben gepredigt, man könne sich ja bemerkbar machen. Aber diese Damen hatten ihren halben Hausrat mit. Ich versicherte mich, ob ich nicht irrtümlich ins Cargo-Tram eingestiegen bin und habe mir das Geächze vorgestellt, wenn das ganze Bagage zu Boden gezügelt werden muss. Nein, ich hatte ehrlich ganz einfach keine Lust, und pilgerte weiter ins Heck. Dort hat es im Tram 2000 nämlich so ein kleines Bänkchen, an das man sich ganz bequem anlehnen kann. Ein Herr hatte die Vorzüge dieses Aufenthaltsorts ebenfalls erkannt, und so standen wir dort einträchtig beeinander.

Plötzlich steuerte eine junge Dame in Rot auf uns zu, und ehe ich wusste, wie mir geschieht, pflatsch, schon hatte sie sich zwischen uns fallen lassen. Zum besseren Verständnis: Das besagte Bänkchen ist so breit wie ein normaler Sitz. Sie war von eher korpulenter Statur, das ist nun wirklich nicht despektierlich gemeint – ich will damit nur verdeutlichen, dass die Sache unerfreulich eng wurde. Um Missverständnissen vorzubeugen: Es fanden sich reihum genügend Stehplätze, um auch einen Klaustrophoben noch frohlocken zu lassen. Ich prüfte meine Jacke, ob mir etwa jemand aus Spass einen Sticker mit der Aufschrift „Free Hugs“ aufgeklebt hätte. Meitli, gspürsch s’Sardinefeeling nid? Sie muss sich unwohl gefühlt haben. So leicht gibt man ja aber einen Kampf nicht auf. Ich auch nicht. Wir haben uns also zärtlich aneinander geschmiegt: Bald erhob sie sich, zum Gehen gewandt, bald besonn sie sich ihres Kampfgeistes und liess sich wieder in unser lauschiges Nest fallen.

Die vorletzte Haltestelle, einer stieg ein, musterte uns.  Er schien zu überlegen, ob er mitmachen will. Ok. Ich bin raus: „Adieu, s’isch romantisch gsi. E kuschligi Wiehnacht no“.

Ein Stück Normalität.

Standard

flohmarktSie türmen sich vor mir auf, zwei grossgewachsene Männer, wild und urtümlich. Eine ausladende Pracht kunstvoll drapierter Dreadlocks und ein ungebändigt wuchernder Bart zieren den einen. Seine graue, zerschlissene Hose hat er unterm Knie mit Sicherheitsnadeln zusammengeheftet. Die Problemlösungsmethode könnte von mir sein. Grobe Wollsocken stecken in abgetragenen Schuhen, wollen nicht so recht passen. Dennoch hat der Look mit der bunt gemusterten Weste einen eigensinnigen, ansprechenden Stil. Sein Gegenüber hat die Kapuze seines Sweaters tief ins Gesicht gezogen, blonde Strubbelhaare und ein rötlicher Dreitagebart wachsen darunter in alle Richtungen. Die beiden sind schwer bepackt. Der Blonde trägt eine riesige Schüssel mit sich, und aus den prall gefüllten Säcken ragt eine Pfeffermühle und ein Kerzenständer. Es ist Samstag. Am Bürkliplatz ist Flohmarkt, man sieht’s.

Kurz ruht der Blick des Blonden auf mir, zwei grosse blaue Augen wärmen mein Gesicht. Die Frage schiesst mir durch den Kopf, was sie wohl von mir halten mögen, ich mit den goldenen Schühchen, wie immer kräftig geschminkt; Sinnbild des Kapitalismus, weit entfernt vom Natürlichen. Die Dame neben mir steht auf, steigt aus. Ich rücke nach, Fensterplatz. Nun setzt sich der Dunkle neben mich hin. Ich spüre den fragenden Blick aus runden, braunen Augen und ziehe meine Stöpsel aus den Ohren. „Wir waren auf dem Flohmarkt“, setzt er jetzt an, mit sanfter Stimme und in gepflegtem Hochdeutsch. Er deutet auf die Taschen. „Eine grosse Ausbeute habt ihr gemacht, wie es scheint“. Er wiegt den Kopf hin und her und korrigiert: Was er wollte, habe er nicht gefunden. Kenne ich – man sucht eine Hose und findet fünf Paar Schuhe. Eine Zivilschutzjacke, das sei sein Wunsch. Die sei besonders schick, lacht er. Auch einen Samsonite-Koffer hätt er gern gehabt. Das Markenbewusstsein überrascht mich. Dafür hat er Schmuck gefunden, „glitzernden, glänzenden Schmuck“. Er strahlt. „Jetzt haben ja alle so ein weisses iPhone“, schmunzelt er, und da habe er sich auch eins gekauft. Mit breitem Grinsen zupft er ein grosses, rundes Plastikei aus der Tüte. Es ist in der Mitte zusammengesteckt und kann in zwei Hälften geteilt werden. „Da fehlt noch ein Schnürchen, und dann funktioniert das auf kurze Distanze hervorragend“, freue ich mich mit ihm und die Idee kommt an: „Das mach ich“, nickt er begeistert seinem Kollegen zu. Wieder deutet er auf die Tasche: „Eine Backform hab ich auch gefunden!“. Auflauf sei nämlich seine Spezialität; Lasagne mit roter Beete. Da hat es bestimmt kein Pferdefleisch drin. Er nickt und ergänzt: Da sei doch Industriefett zur Biodieselherstellung im Tierfutter gefunden worden. „Und dann werden tonnenweise Lebensmittel verbrannt, um Treibstoff herzustellen, wo man doch die Schweine damit füttern könnte“. Der Mann lässt einen aufmerksamen Intellekt erahnen. Ich indes frage mich, ob es überhaupt noch eine Rolle spielt, womit man sich vergiftet.

Letzigrund. „Jetzt müssen wir raus“, meint er, „weiter zum nächsten Flohmarkt“. Eine junge Frau mustert uns, lächelt süffisant. Es ist ungewohnt im Zürcher ÖV, dass Menschen miteinander sprechen. Ich wünsche den beiden viel Erfolg und bedaure ein bisschen, dass die Fahrt nicht länger gedauert hat. Traurig eigentlich, dass dieses kurze Erlebnis von Menschlichkeit ein kleines Highlight und Grund genug für einen Blog ist. Ich wünschte, es gäbe mehr unbefangene Menschen wie diese, und ich wäre eine davon.

Leicht versch(r)oben.

Standard

Hopp in den 2er, in ner halben Stunde startet das Einführungsseminar in Tanz- und Bewegungstherapie. Ich bin spät dran und im emotionalen Ausnahmezustand. Ok, letzteres sind nicht wirklich Breaking News. So geht’s mir ab und an, übrigens immer der gleichen Geschichte wegen, man nennt das „Kontinuität“ – aber keine Bange, das soll hier keine Schreibtherapie werden.

Wann immer ich neben mir stehe, geschehen merkwürdige Dinge. Es scheint, als zögen skurille Naturelle das Obskure magnetisch an?! Eben beschliesst mein Handy spontan, einen kleinen Schwatz mit meiner Mutter aufzugleisen. Bin ich auf die Taste gekommen? Nein – sobald ich den funknagelneuen Kopfhörer in die Buchse stecke, dauert es vielleicht 15 Sekunden, ehe die Musik abbricht und mein HTC die Nummer meiner Mutter wählt. Ich lass es dann auch mal klingeln, um sicherzugehen, ob sie noch lebt, oder ob ich hier Zeuge eines paranormalen Phänomens werde. Sie ist wohlauf. Wir reden ein paar Worte, ich hänge auf – munter zeigt mein Handy sofort wieder das grüne Anrufsymbol, noch etwa zehn Mal, bis ich das Ding ganz einfach ausschalte.

Ich steige in den Bus der Linie 32. Er ist proppenvoll (es scheint, die Strecke ist wirklich reif für die neuen Doppelgelenktrolleybusse ist, die hier bald fahren). „Bitte gehen Sie von der Türe weg, ich kann sonst nicht weiterfahren“, meldet der Chauffeur. Immer mehr Leute zwängen sich in den Bus. „Piiiiep, piiiiep“. Die Türen flattern auf und zu wie Fledermäuse, die man ins Licht taucht. Es dauert eine Weile, bis sie endlich zuschnappen und sich das Schauspiel an der nächsten Haltestelle wiederholen kann. „Der nächste Bus kommt bald, es lohnt sich zu warten“, fleht der Fahrer. Vergebens. Die Leute bohren sich in den Bus. „So, ihr chönd mal ufschlüsse, da hätts no Platz“, bellt eine ältere Frau und pflügt sich wie eine Dampfwalze durch die Menge. „De gahsch halt dure“, giftelt eine Andere, das tizianrote Haar schüttelnd, „aber hör uf speutze!“. Wir sind unterwegs zur Militär-/Langstrasse. Eben sehe ich draussen den mit dem V-Ausschnitt vorbei gehen, zum fünften Mal seit ich ihn kürzlicj in meinem Blog erwähnte. Er erscheint mir meistens, wenn ich grad im Roten drehe. Ist er real? Oder verliere ich allmählich den Verstand? Der Buschauffeur bemüht sich einmal mehr, die Türe zu schliessen. „Es isch nöd s’Schaf, es isch de Hund – er lehnt z’wyt füre“. Auf dem vordersten Sitz hält ein Paar seinen kecken Dackel, der neugierig über der Haltestange zappelt. Aber wo ist das Schaf? Die Dampfwalze von vorhin muss aussteigen. „Ah jetzt wottsch wieder use“, freut sich die Tizianrote, „aber jetzt chasch warte“. Die Dampfwalze spitzt ihre Ellbogen, holt Anlauf, der Hund bellt, „ja gang, du blödi Chue“ poltert der Rotschopf, die Masse wird nach draussen gedrückt wie Senf, wenn man auf die Tube steht. Jetzt sehe ich auch das Schaf, es ist ein Hocker mit flauschigem Wollbezug.

Limmatplatz. Ich bin zu spät, das Seminar hat vor 5 Minuten begonnen. Dachte ich jedenfalls, leider ist kein Schwein da. Ich bin im falschen Gebäude, hier sind die Maltherapeuten – die Tanztherapeuten sind beim Bahnhof vorne. Das Schreibzeugs hab ich auch vergessen. Trotzdem bin ich dann irgendwann noch angekommen. Und die Stimmung? Wir haben im Seminar gestampft und gebrüllt, aus Leibeskräften. Hammer. Wenn jemand eine Stampf- und Schrei-Therapie-Gruppe gründen will, ich bin dabei.