Weisser Rauch steigt auf, ein Vorbild ist geboren. Ein einfacher Mensch, so heisst es. Einer, der sich für die Armen engagiert. Wir reden vom Oberhaupt einer Religion, die sich der Nächstenliebe verschrieben hat. Ich bin verwirrt. Hat sich das Dorf je gefreut, dass der neue Bäcker gerne Brötchen bäckt? Der Papst fordert Respekt und Achtung für alle Lebewesen, gleichzeitig hält er die Homosexualität für einen Schachzug des Teufels, sät damit Ablehnung und Intoleranz in den verworrenen Hirnen und Herzen mancher seiner Schafe. Eine gute Seele, die sich in eine schizophrene Umgebung verirrt hat? Kann einer Vorbild sein, der in der Rede widersprüchlich bleibt und dessen Hände im Handeln gebunden sind? Einer, der selbst sein Speckbesteck in Spiez noch zu spät bestellt?
Wer denn mein Vorbild sei, werde ich eben gefragt. Ich bin an nem Seminar zum Thema Job und Geld, auf der Suche nach Fähigkeiten, die mich weiter bringen. Wenn es um Geld geht, setze ich voll auf Pippi Langstrumpf. Mit dem Koffer voller Gold würde sich mein Liquiditätsproblem erübrigen, und auch menschlich hat sie ein Herz aus Gold. Ganz geil, wie sie um die Meinung anderer foutiert. Und hey, wir sind etwa gleich gut in Plutimikation. Okay, manche Menschen nehmen sich den Affen zum Vorbild. Man sehe sich nur die italienische Politik an. Sich das Pferd zum Vorbild zu nehmen, davon hingegen müsste man heute eher abraten. Wer will schon als Lasagne enden?
Im Seminarraum fallen eben grosse Namen. Eine der Teilnehmerinnen identifiziert sich mit Gandhi. Eine mutige Wahl, im Taser-Zeitalter. Wie oft sie sich wohl von der Polizei hat niederknüppeln lassen? Auch Mandela wird genannt – alles ganz herausragende Männer, kein Zweifel. Aber müsste ein Vorbild nicht irgendetwas mit mir und meinem Leben zu tun haben? Ich selber schwanke noch zwischen Gisèle Bündchen und Lisa Randall. Oder ist es nicht vielleicht doch meine Freundin Leila, die für jeden noch so abgefahrenen Scheiss zu haben ist und dabei mit beiden Beinen am Boden steht; intelligent, differenziert, neugierig und fair. Oder Angélique, die den Stürmen des Lebens die Stirn bietet. Strauchelt, wieder aufsteht, zu voller Grösse. Mit einem warmen, gütigen Herz, Verstand und ganz viel Humor. Oder alle beide, volle Frauenpower, so wie Pippi eben?
Vielleicht noch ein bisschen Testosteron in meinem Vorbilder-Portfolio? Jener Typ mit der aufrechten Haltung, das Paket pure, gebündelte Kraft: Natürliches Selbstbewusstsein und Entschlossenheit liegt in seinem Blick, wenn er von seinen Plänen spricht. Eine Stärke, die von innen kommt. Diese Eigenschaft fehlt mir. Oder jener lebensfrohe Wildfang, der den Augenblick geniesst ohne ihn festhalten zu wollen und ohne zu fürchten, er könnte nicht wiederkehren. Auch davon könnt ich etwas mehr gebrauchen. Allenfalls noch jener zärtliche, einfühlsame Mann, der sich nicht fürchtet, Gefühle zu zeigen – der einfach sich selber ist, echt und authentisch. Ich selber trau mich noch nicht mal, meinen Respekt auszusprechen vor dem, der alle diese drei Männer in sich vereint. Er sitzt gerade neben mir und fragt mich nach meinem Vorbild. Ich habe keins, aber eins weiss ich: Die Allerbesten sind in unserer Nähe.