Archiv für den Monat März 2013

Bündchen, mein grosses Vorbild.

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Wpippieisser Rauch steigt auf, ein Vorbild ist geboren. Ein einfacher Mensch, so heisst es. Einer, der sich für die Armen engagiert. Wir reden vom Oberhaupt einer Religion, die sich der Nächstenliebe verschrieben hat. Ich bin verwirrt. Hat sich das Dorf je gefreut, dass der neue Bäcker gerne Brötchen bäckt? Der Papst fordert Respekt und Achtung für alle Lebewesen, gleichzeitig hält er die Homosexualität für einen Schachzug des Teufels, sät damit Ablehnung und Intoleranz in den verworrenen Hirnen und Herzen mancher seiner Schafe. Eine gute Seele, die sich in eine schizophrene Umgebung verirrt hat? Kann einer Vorbild sein, der in der Rede widersprüchlich bleibt und dessen Hände im Handeln gebunden sind? Einer, der selbst sein Speckbesteck in Spiez noch zu spät bestellt?

Wer denn mein Vorbild sei, werde ich eben gefragt. Ich bin an nem Seminar zum Thema Job und Geld, auf der Suche nach Fähigkeiten, die mich weiter bringen. Wenn es um Geld geht, setze ich voll auf Pippi Langstrumpf. Mit dem Koffer voller Gold würde sich mein Liquiditätsproblem erübrigen, und auch menschlich hat sie ein Herz aus Gold. Ganz geil, wie sie um die Meinung anderer foutiert. Und hey, wir sind etwa gleich gut in Plutimikation. Okay, manche Menschen nehmen sich den Affen zum Vorbild. Man sehe sich nur die italienische Politik an. Sich das Pferd zum Vorbild zu nehmen, davon hingegen müsste man heute eher abraten. Wer will schon als Lasagne enden?

Im Seminarraum fallen eben grosse Namen. Eine der Teilnehmerinnen identifiziert sich mit Gandhi. Eine mutige Wahl, im Taser-Zeitalter. Wie oft sie sich wohl  von der Polizei hat niederknüppeln lassen? Auch Mandela wird genannt – alles ganz herausragende Männer, kein Zweifel. Aber müsste ein Vorbild nicht irgendetwas mit mir und meinem Leben zu tun haben? Ich selber schwanke noch zwischen Gisèle Bündchen und Lisa Randall. Oder ist es nicht vielleicht doch meine Freundin Leila, die für jeden noch so abgefahrenen Scheiss zu haben ist und dabei mit beiden Beinen am Boden steht; intelligent, differenziert, neugierig und fair. Oder Angélique, die den Stürmen des Lebens die Stirn bietet. Strauchelt, wieder aufsteht, zu voller Grösse. Mit einem warmen, gütigen Herz, Verstand und ganz viel Humor. Oder alle beide, volle Frauenpower, so wie Pippi eben?

Vielleicht noch ein bisschen Testosteron in meinem Vorbilder-Portfolio? Jener Typ mit der aufrechten Haltung, das Paket pure, gebündelte Kraft: Natürliches Selbstbewusstsein und Entschlossenheit liegt in seinem Blick, wenn er von seinen Plänen spricht. Eine Stärke, die von innen kommt. Diese Eigenschaft fehlt mir. Oder jener lebensfrohe Wildfang, der den Augenblick geniesst ohne ihn festhalten zu wollen und ohne zu fürchten, er könnte nicht wiederkehren. Auch davon könnt ich etwas mehr gebrauchen. Allenfalls noch jener zärtliche, einfühlsame Mann, der sich nicht fürchtet, Gefühle zu zeigen – der einfach sich selber ist, echt und authentisch. Ich selber trau mich noch nicht mal, meinen Respekt auszusprechen vor dem, der alle diese drei Männer in sich vereint. Er sitzt gerade neben mir und fragt mich nach meinem Vorbild. Ich habe keins, aber eins weiss ich: Die Allerbesten sind in unserer Nähe.

Ein Stück Normalität.

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flohmarktSie türmen sich vor mir auf, zwei grossgewachsene Männer, wild und urtümlich. Eine ausladende Pracht kunstvoll drapierter Dreadlocks und ein ungebändigt wuchernder Bart zieren den einen. Seine graue, zerschlissene Hose hat er unterm Knie mit Sicherheitsnadeln zusammengeheftet. Die Problemlösungsmethode könnte von mir sein. Grobe Wollsocken stecken in abgetragenen Schuhen, wollen nicht so recht passen. Dennoch hat der Look mit der bunt gemusterten Weste einen eigensinnigen, ansprechenden Stil. Sein Gegenüber hat die Kapuze seines Sweaters tief ins Gesicht gezogen, blonde Strubbelhaare und ein rötlicher Dreitagebart wachsen darunter in alle Richtungen. Die beiden sind schwer bepackt. Der Blonde trägt eine riesige Schüssel mit sich, und aus den prall gefüllten Säcken ragt eine Pfeffermühle und ein Kerzenständer. Es ist Samstag. Am Bürkliplatz ist Flohmarkt, man sieht’s.

Kurz ruht der Blick des Blonden auf mir, zwei grosse blaue Augen wärmen mein Gesicht. Die Frage schiesst mir durch den Kopf, was sie wohl von mir halten mögen, ich mit den goldenen Schühchen, wie immer kräftig geschminkt; Sinnbild des Kapitalismus, weit entfernt vom Natürlichen. Die Dame neben mir steht auf, steigt aus. Ich rücke nach, Fensterplatz. Nun setzt sich der Dunkle neben mich hin. Ich spüre den fragenden Blick aus runden, braunen Augen und ziehe meine Stöpsel aus den Ohren. „Wir waren auf dem Flohmarkt“, setzt er jetzt an, mit sanfter Stimme und in gepflegtem Hochdeutsch. Er deutet auf die Taschen. „Eine grosse Ausbeute habt ihr gemacht, wie es scheint“. Er wiegt den Kopf hin und her und korrigiert: Was er wollte, habe er nicht gefunden. Kenne ich – man sucht eine Hose und findet fünf Paar Schuhe. Eine Zivilschutzjacke, das sei sein Wunsch. Die sei besonders schick, lacht er. Auch einen Samsonite-Koffer hätt er gern gehabt. Das Markenbewusstsein überrascht mich. Dafür hat er Schmuck gefunden, „glitzernden, glänzenden Schmuck“. Er strahlt. „Jetzt haben ja alle so ein weisses iPhone“, schmunzelt er, und da habe er sich auch eins gekauft. Mit breitem Grinsen zupft er ein grosses, rundes Plastikei aus der Tüte. Es ist in der Mitte zusammengesteckt und kann in zwei Hälften geteilt werden. „Da fehlt noch ein Schnürchen, und dann funktioniert das auf kurze Distanze hervorragend“, freue ich mich mit ihm und die Idee kommt an: „Das mach ich“, nickt er begeistert seinem Kollegen zu. Wieder deutet er auf die Tasche: „Eine Backform hab ich auch gefunden!“. Auflauf sei nämlich seine Spezialität; Lasagne mit roter Beete. Da hat es bestimmt kein Pferdefleisch drin. Er nickt und ergänzt: Da sei doch Industriefett zur Biodieselherstellung im Tierfutter gefunden worden. „Und dann werden tonnenweise Lebensmittel verbrannt, um Treibstoff herzustellen, wo man doch die Schweine damit füttern könnte“. Der Mann lässt einen aufmerksamen Intellekt erahnen. Ich indes frage mich, ob es überhaupt noch eine Rolle spielt, womit man sich vergiftet.

Letzigrund. „Jetzt müssen wir raus“, meint er, „weiter zum nächsten Flohmarkt“. Eine junge Frau mustert uns, lächelt süffisant. Es ist ungewohnt im Zürcher ÖV, dass Menschen miteinander sprechen. Ich wünsche den beiden viel Erfolg und bedaure ein bisschen, dass die Fahrt nicht länger gedauert hat. Traurig eigentlich, dass dieses kurze Erlebnis von Menschlichkeit ein kleines Highlight und Grund genug für einen Blog ist. Ich wünschte, es gäbe mehr unbefangene Menschen wie diese, und ich wäre eine davon.