Archiv für den Monat Juni 2013

Luschen statt Duschen.

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brause„Du, dini Duschbrause isch völlig verkalkt“. Mein Süsser steht tropfend und mit gequälter Miene im Badezimmer. „Das macht ja weh! De Strahl ist total hert. Bring mir mal Essig, ich entkalk dir das jetzt“. Ich winke ab. Es ist 23 Uhr, Entkalken steht gerade nicht auf meiner Prioritätenliste. Sowieso, ist sie zu hart, bist du zu schwach. Wir leben in einer Wegwerfgesellschaft – ich beschliesse, die Brause ihrer Vernichtung zuzuführen und erinnere mich an den Besuch bei jenem Medium, das vorgab, Jesus zu sein: „Du beziehst deine Kraft aus Farbe – eine Farbdusche wäre gut für dich“. Bingo. Nebst all dem Bullshit mal ne weise Aussage. Ich male mit Farben, schmeisse an indisch orientierten Festivals mit Farbpulver, kleide mich schon mal in Gelb mit Purpur. Keine Frage: Ich dusche auch bunt!

Eine Frau, ein Wort, schon am nächsten Tag durchkämme ich das World Wide Web nach Düsen, die Wasser in buntes Licht verwandeln. Es wimmelt von Angeboten. Ein paar Klicks, Kreditkarte gezückt, die Brause ist mein, und ich harre freudig der Farben, die da fliessen sollen. Eine Woche, zwei, drei Wochen vergeblichen Wartens. Ich beschliesse, nachzufragen.

„Wir haben einen Lieferrückstand auf Ihrem bestellten Artikel“, heisst es, „wir wissen, dass dies ein neuer Lieferrückstands-Rekord ist.“. Okee. Zwei Wochen später klopfe ich nochmals an: „Ich wollt mich mal schüchtern erkundigen, ob dieses Farbduschendings langsam versandt werden kann, oder ob das Ziel ist, mit dem Lieferrückstandsrekord einen Eintrag im Guinessbuch zu erlangen? Mein Lover wird langsam sauer, weil er noch immer mit dem kaputten Duschkopf duschen muss.“
Der Lieferant hat uns Duschen gesendet, die der guten Qualität nicht entsprechen. Da wir keinesfalls möchten, unsere Kunden mit solchen Produkten zu beliefern, warten wir jetzt auf eine andere Lieferung von qualitativen Duschen“. Ich warte also mit.

Wochen vergehen, der Duschstrahl piekst mich noch immer in den Hintern. Mein Süsser ist mir unterdessen auch abhanden gekommen, ich hätte ihn doch das blöde Ding entkalken lassen sollen. Gut, wie man Duschköpfe entkalkt, kann man auf Youtube lernen. Vielleicht müsste man etwas Essig in die Leitung des Online-Shops giessen, damit was geht? Ich beschliesse, nochmals einen Anlauf zu nehmen.
„Grüezi mitenand. Die Tage ziehen ins Land, flugs sind schon wieder 3 Wochen verstrichen. Mein Typ hat inzwischen mit mir Schluss gemacht, ich vermute, es ist wegen der Duschbrause. Ich schlage vor, dass ich von der Bestellung zurücktrete. Ehrlich gesagt zweifle ich, ob ich die Brause von Ihnen noch in diesem Leben bekomme und im nächsten werde ich vielleicht als Wal wiedergeboren und hab meine Dusche schon integriert. Bitte bestätigen Sie mir doch kurz die Stornierung der Bestellung“.

Wieder warte ich, tagelang. Der Online-Shop bleibt stumm. Interessant. Schweigende Männer bin ich mir gewohnt, schweigende Online-Shops noch nicht. Ich beschliesse, etwas geharnischter aufzutreten:
Ich warte immer noch auf eine Bestätigung, dass meine Bestellung storniert wird. Ich bestelle sicher nicht woanders, und dann fällt Ihnen ein, dass Sie die vermaledeite Duschbrause vielleicht doch liefern möchten. Wäre flott, wenn wenigstens das geht, danke.“.
Tags darauf, hurrrrah, eine Antwort: „
Der Lieferant hat uns Duschen gesendet, die der guten Qualität nicht entsprechen. Da wir keinesfalls möchten, unsere Kunden mit solchen Produkten zu beliefern, warten wir jetzt auf eine andere Lieferung von qualitativen Duschen“. Hm. Dieses hervorragende Deutsch hab ich doch schon mal gelesen? Hach ja. Vor einem Monat.

 Konflikte soll man nicht schriftlich austragen. Ich greife also zum Hörer. Schildere freundlich den Sachverhalt, erlaube mir dann aber die Frage, ob man mich veräppeln will?
„Wenn Sie anständig mit mir sprechen möchten, können Sie nochmals anrufen“, bellt es aus dem Hörer, „so reden Sie nicht mit mir!“. Ich bin perplex. Hänge auf. Meine Arbeitskollegin guckt mich mit grossen Augen an. Zum Glück hat sie mitgehört – hab ich was Falsches gesagt? Nein, hab ich nicht! Sie versteht’s auch nicht… Tja. Der hat wohl zu heiss geduscht? Wer ist der Kerl, ich werd mich beim Chef beschweren! Hach blöd, es war der Geschäftsführer. Aber hey, hoch lebe Social Media. Da gibt’s diese supi Bewertungsplattformen. „Meine“ Firma lässt sich da auch beurteilen, und das tu ich jetzt mit Hochgenuss. Und bestelle gleich danach meine Duschbrause – woanders und mit 7 statt 4 Farben. Lieferung: Ein Tag später. Das hab ich mir verdient.

Das Kind.

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8350355167_58bca64fe1_zFettverkrustete Pfannen und Essensreste an Tellern türmen sich im Spültrog. Von den weiss getünchten Schränken des letzten Jahrhunderts blättert die Farbe in Fetzen ab, es gibt vielleicht zwei Quadratmeter Platz in dieser düsteren, dreckbefleckten Küche. In den dunklen Ecken formiert sich antiquarisches Sperrgut zu surrealen Skulpturen. Das bleiche Licht, das durch die trüben Fenster fällt, taucht die Szenerie in unheimliche Schatten. Verloren wie Alice im Plunderland stehe ich inmitten des Unrats und starre auf die verschmierten, schwarz-weissen Kacheln. „Du musst schon den Finger zum A raus nehmen, wenn sie noch herkommen soll“, schnarrt die Kollegin vor mir. Ihr Gesicht ist mir fremd. Ja, ich würde sie gerne sehen, Dolores, meine Freundin. Aber hierher kann ich sie unmöglich einladen. Schlimm genug, ich weiss, was mich erwartet. Die beiden werden mich auseinandernehmen. Und doch wähle ich Dolores‘ Nummer.

Sie klingt unwirsch. „Lass uns doch einen Drink nehmen, in der Kneipe um die Ecke“, schlage ich vor. „Ich hab aber nicht lange Zeit“, murrt es mir aus dem Telefon entgegen, „eine halbe Stunde vielleicht. Ich geh jetzt los, hol euch ab“. In zehn Minuten wird sie da sein – ich renne durchs Wohnzimmer, suche mein Portemonnaie. Wo ist meine Handtasche? Im Wohnzimmer ist es zappenduster. Schemenhaft zeichnen sich Berge von Stühlen, Lampen und allerlei Gegenständen ab. Porzellanpuppen mit starren Gesichtern stecken in Schuhen, glotzen aus Vasen. Hier sieht es aus, als wäre ein Flohmarkt explodiert. Schwere, staubige Vorhänge ersticken den Raum in beklemmendem, dunkelgrün-schwarzem Gräuel. Ich wähne mich in einem Horrorfilm. Womöglich springt gleich Chucky, die Mörderpuppe, hinter einem Schirmständer hervor. Ich finde nie etwas, wenn ich es suche, wühle im Unrat, wo zur Hölle ist mein Portemonnaie? „Chhhhhhhhh“. Ein bedrohliches Geräusch schreckt mich auf. Vor mir krümmt eine Katze ihren Buckel, faucht mich an. Ihre gelben Augen leuchten im Dunkeln.

Es klingelt, Dolores streckt ihren Kopf durch die Türe. „Kommst du?“. Sie mustert mich mit kühlem Blick. Schuhe, ich brauche Schuhe. Schnell schnappe ich nach einem purpurroten Ballerina-Schuh, der vor mir am Boden liegt. Ich schlüpfe in den Schuh, mein Fuss wird feucht. Der Wohnzimmerteppich ist mit Schlamm durchtränkt, er quillt durch meinen Schuh, färbt ihn kotig oliv, während ich mit einer Hand im Matsch tastend nach dem zweiten Treter suche. „Kommst du endlich?“. Der Tonfall ist härter, mein rotes Kleid bekleckert, ich mache einer Sumpf-Fee alle Ehre. Hektisch stolpere ich Richtung Türe, der Schweiss steht mir auf der Stirn, will den Raum verlassen, da höre ich es. „Nicht gehen“. Ich dreh mich um, hinter mir steht ein kleines Kind. Im Dunkeln, mit kurzen Haaren, nichts als ein Nachthemd am Leib. Sein Blick aus grossen Augen trifft mich, es flüstert mit heller Stimme: „Ich bin ganz allein“. Ich fühle mich nach drinnen und draussen gerissen, da dieses Kind, ich kann es so nicht stehenlassen, dort Dolores, die sich zum Gehen wendet.

Meine Augen sind jetzt offen. Wo zur Hölle bin ich? Kein Schlamm mehr, alles ordentlich aufgeräumt. Ich liege in meinem Bett und bin hellwach. Die kleinen, realen Alpträume des vergangenen Tages drängen sich in mein Bewusstsein, vermischen sich mit der klammen Atmosphäre des eben erlebten Traumes. Es fällt mir wie Regentropfen von den Augen. Ich schliesse die Lider, lass mich sinken, zurück in die andere Welt. Der Traum ist noch nicht zu Ende: Das Kind. Jemand muss es dort rausholen. Und dieser Jemand bin ich.