Archiv für den Monat Oktober 2012

Bevor ich dich jetzt niedermäh, bring mir noch an Jagatee

Standard

Es ist totenstill, kaum jemand verirrt sich in diesen Winkel des Parks, in dem ein kleiner Brunnen fröhlich plätschert. Rot und gelb leuchten die Blätter im letzten Glanz der untergehenden Sonne. Lukas wirft eine blütenweisse Decke über die Parkbank. Eine grosse, helle Thermoskanne leuchtet in der Dämmerung. Ich wusste nicht, dass er ein Getränk mitnimmt, in meiner Tasche liegt eine Flasche mit leckerem mit süsslichem Beerenwein. Jetzt drückt Lukas den Knopf und giesst heissen Jagertee in eine mädchenrosa und eine bubenblaue Tasse.

Dieser Ort lässt alle Möglichkeiten offen. Das absurde Moment, hier sein Leben zu geniessen, öffnet der Heiterkeit die Türe. Schwarzer und Humor in allen Farben fügt sich in seinen passenden Rahmen. Geschichten liegen zum Greifen nahe in der Luft, machen nachdenklich. Hier finden Themen aus dem Grund der Tiefe ihren Weg an die Oberfläche, wenn es denn die Nähe zum Gegenüber zulässt. Nur wer jetzt noch über’s Büro diskutiert, ist nicht ganz beieinander.

Eine abgründige Melodie füllt die Luft mit Dunkelheit, während die schwere Glocke des nahe gelegenen Kirchenturms unbeugsam den Klang der Vergänglichkeit über heidebedeckte Beete trägt. Plötzlich durchbricht eine dumpfe Stimme die Komposition pythischer Laute. Ich erschaudere innerlich. Lukas nestelt an seinem kleinen, runden Lautsprecher herum, den er mit dem iPhone gekoppelt hat. „Grüss Gott. Ich bin der Tod – vorbei ist deine Not“ raunt die Stimme jetzt ihre Botschaft ins Dunkel der beginnenden Nacht; die erste allgemeine Verunsicherung greift um sich. Der steinerne Kopf auf Frau Toblers Grab blickt uns an: „Sturm ist Sturm, sagt der Wurm, als Leich ist jeder gleich“. Wann mag das letzte Mal gewesen sein, als dieser abschiedsgeplagte Ort mit Lachen erhellt wurde?

Die Uhr schlägt bald 19 Uhr, gleich wird hier geschlossen, die Mauern sind dick und hoch. Der Jagertee macht sich bemerkbar: Zum Glück wurde hier auch ein Platz für die irdischen Bedürfnisse eingerichtet. Ich bin froh, eine Toilette zu finden, knalle meine Tasche in die Ecke und mache mich an meiner Hose zu schaffen. In Gedanken lobe ich die Stadtverwaltung einmal mehr für dieses wunderbare Fleckchen Erde, als mein Blick zu Boden gleitet. Klebrig-süss breitet sich eine blutige Lache unter meinen Füssen aus. Ist es der Hund von Baskerville? Die jaulende Myrte*? Meine Nackenhare wachsen zum Himmel. Das Blut entströmt meiner Tasche. Ein angefahrenes Frettchen vielleicht, das sich mit einem letzten Kraftakt an den Henkeln empor gezogen und zum Sterben hinein gelegt hat? Ein kurzer Blick enthüllt das Ausmass der Katastrophe. Dunkel rinnt die Flüssigkeit aus der zerborstenen Flasche. Das „Halunkenblut“, mein herrlicher, leckerer Beerenwein! Honigsüss duftend fliesst er über den Boden der Friedhofstoilette. Ich fische mein rotgetränktes Anmeldeformular für die Kunsttherapeutenschule aus der Tasche. Es tropft symbolisch sein Halunkenblut zu Boden: Manch einem Anfang geht ein Ende voraus.

*für alle, die mich mal wieder nicht verstehen: Auch das ist ein Begriff aus dem unerschöpflichen Vokabular von Harry Potter.

„Der Tod“: http://www.youtube.com/watch?v=buw3GRbCtBI

.

Querulanten im Kochtopf

Standard

Der vielseitige Kürbis sei ein Alleskönner – ist er somit auch intelligent?

„Dumm wie Brot ist er“, schnaube ich in die Tastatur. „Wie dumm ist denn Brot?“, fragt es postwendend aus dem Facebook-Chatböxli zurück. Ist Weissbrot dümmer als Pumpernickel? Hat verschimmeltes Brot sein intellektuelles Potenzial fundamental erweitert? Wie tief ist die Seele von Lebensmitteln? Wir wissen es nicht. Muscheln kreischen, wenn man sie ins kochende Wasser wirft – darum käme mir sowas auch nie auf den Teller. Aber auch Gemüse soll ja Gefühle haben. Eine gewisse Empathie konnte beim Philodendron gar nachgewiesen werden: Verschont also die Frucht eures Philodendrons, esst im Zweifelsfall lieber den Ex. Oder vielleicht euren Chef? Der Milch wiederum kann man immerhin den Verstand eines Lemmings zugestehen – zwar sucht sie beim Erhitzen richtigerweise die Flucht zu ergreifen, jedoch nur, um sich ins nächste Verderben zu stürzen: den Putzlappen. Die emotionalen Eigenschaften von Nüssen wiederum lassen auch Laura Zurbriggen nicht kalt: „Ich liebe Wasabi-Nüsse“, lässt sie während eines Interviews verlauten. Letzteres muss sie wohl schriftlich erteilt haben, denn weiter schreibt sie: „Ich esse alles. Ich habe schon Zunge gegessen und sie war sehr lecker“.

Auch Angélique und  ich haben uns neulich mit einem charakterstarken Lebensmittel herumgeplagt:  Schwarzer Reis. „10 Minuten kochen“, stand auf der Packung, doch die renitenten Körner hatten gerade einen schlechten Tag. Vielleicht das prämenstruelle Syndrom – das Wasser färbte sich verdächtig rot. Eine geschlagene Stunde lang haben wir  auf den Riso Venere eingeredet wie auf ein krankes Pferd. Mit Prosecco haben wir  ihn gehätschelt, mit Bouillon aus der Reserve gelockt. Längst hatten die strengsten Eltern der Welt ihre Schützlinge weichgekocht, aber das Zeug in  unserem Topf blieb noch immer hart. Ja, am Ende hat er sich gar verzweifelt am Boden des Topfes festgekrallt, um nicht verzehrt zu werden. Ob es daran lag, dass wir während des Kochens aus voller Brust die 7 Söhne von Vater Abraham besangen, zuletzt in der Version mit herausgestreckter Zunge, sei mal dahingestellt. Apropos altes Testament: In der Bibel soll der Ursprung des dummen Brotes zu finden sein, und zwar im Buch der Sprüche 4, 17: „Comedunt panem impietatis – sie essen des Frevels Brot“. Der Narr wird hier als Frevler mit Brot in der Hand gezeigt. Ob er es fallen lässt, und ob die bestrichene Seite nach unten fällt, darüber schweigt sich die Bibel aus. Wobei ja gerade Murphys Law beweist, dass das Brot eben doch nicht so dumm sein kann; immerhin entgeht es so seinem barbarischen Bestimmungszweck.

Besser lief indes die Sache mit den Datteln im Speckmantel. Datteln sind ja von Natur aus etwas nachgiebiger im Naturell; weiche Schale, weicher Kern. Auch der Speck bezeugte während des Bratens sein Einfühlungsvermögen in den Reis; er verfärbte sich schwarz. Willige Apérohäppchen eignen sich denn auch prima, wenn wir nächstens eine grössere Manifestation an Bohnenstroh auf 3+ mitverfolgen: „Der Bachelor“ – mit prickelndem Prosecco und fügsamem Dip-Gemüse werden wir mitfiebern, wenn zwei Damen aus unserem Bekanntenkreis in einem Pulk von Frauen um den Sprössling von Filipo Leutenegger buhlen. Da die Sendung in Thailand gedreht wird, weichen wir vielleicht auf Poh Pia Thod aus. Dann verstehen wir auch nichts, falls sich die Frühlingsrolle beschwert. Schliesslich möchten wir nicht verpassen, wenn der Schönling die Frage aller Fragen an das junge Gemüse richtet: „Willst du in diese Rose beissen?“. En Guete!

http://www.welt.de/welt_print/kultur/article5842242/Wie-das-Brot-dumm-wurde.html
*http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Narrenattribute&oldid=62750269

Geld her, oder ich mach dein Handy kaputt

Standard

Ausnahmsweise wird das Opfer vor der Tat autopsiert.

Ein neues Handy, für viele ein Quell hehrer Freude, ist für mich so wonnig wie ein Pickel auf der Nase. Nach einer kryptischen Logik versteckte Funktionen und – viel schlimmer – mit meinen Fingerkuppen nicht kompatible Tasten. Nur ein Ersatzhandy bereitet noch sinnlosere Mühsal – bin ich damit warm geworden, muss ich es wieder abgeben. Seit einem Monat quäle ich mich mit dem klitzekleinen Tastatürchen meines Ersatzgeräts, scheine Finger zu haben wie ein Gorilla. Nachdem sich meine Freunde allmählich um mich sorgen, weil ich mich nurmehr mit barschen Nachrichten im Telegrammstil zu Wort melde, beschliesse ich, nun doch mal bei dieser kleinen Telekommunikationsfirma an der Limmatstrasse anzurufen. Was machen die so lange mit meinem HTC?? Letzteres hatte seit jeher einen sturen Kopf – Playlisten und neue Songs speicherte es nur bei guter Laune. Als es dann willkürlich meine Mutter zu kontaktieren pflegte, war „gnueg Heu dunde“.„Ihr Handy hat einen Feuchtigkeitsschaden“ erklärt die Stimme am Telefon. „Das wird durch die Garantie nicht gedeckt. Die Reparatur kostet 380.—. Das lohnt sich nicht. Am besten kaufen Sie ein neues. Wir machen Ihnen ein Spezialangebot: Das Samsung Galaxy bekommen Sie für 580.—“. Wie jetzt, Feuchtigkeitsschaden? Ich war damit ja nicht zum Kitesurfen! Es gebe viele mögliche Gründe, klärt man mich auf: Schwitzen im Sommer, Telefonieren im Regen, grosse Temperaturunterschiede, Skifahren im Winter. Ich vermute, am allerschlimmsten ist es, damit zu telefonieren! Man stelle sich vor, nur schon der hohe Feuchtigkeitsgehalt im Atem − was, wenn einer dazu eine feuchte Aussprache hat?! „Ich möchte kein Handy kaufen“, erkläre ich der Telefonistin. „Ja, dann holen Sie ihr defektes Handy wieder ab, kostet 90.— für den Kostenvoranschlag“. Ich protestiere, während sich ein Wortschwall ins andere Ende der Leitung ergiesst. Das sei so üblich, und überhaupt hätte ich halt mal früher kommen sollen. „Wenn Sie die 90.— nicht bezahlen wollen, werden wir ihr Handy kostenfrei entsorgen“. Danke, da hätt ich es lieber mal selber in einen Mixer geworfen und den Film auf Youtube gestellt. Das gibt wenigstens Likes.Ich beschliesse, nicht so schnell klein beizugeben. Auf meinem Reparaturschein steht „Kosten: Fr. 0.00“. Von einem Lösegeld hat niemand etwas erwähnt, auch nicht davon, dass meinem Handy andernfalls die Kehle durchgeschnitten wird. Ich wende mich an die Key Account Managerin, diesmal schriftlich. Wo ich denn in diese Konditionen eingewilligt habe, will ich wissen. „Man akzeptiert beim Kauf des Geräts automatisch die AGB des Händlers“. Wo und was da steht, kann sie mir auch nicht sagen. Fünf Mails später ist die Frau allmählich genervt und hat einen Stundenlohn von wesentlich mehr als 90.— in die Sache investiert. Ob ich denn jetzt einverstanden wäre, dass man mein Handy kostenfrei entsorge. „Selbstverständlich möchte ich mein funktionstüchtiges Handy, das ich Ihrer Verkaufsstelle in gutem Treu und Glauben überlassen habe, nicht verschrotten lassen – das widerstrebt meinem einer übertriebenen Wegwerfgesellschaft kritisch gegenüberstehenden Naturell. Da ich für diese kafkaeske Sache aber auch keine 90.— zahlen will, werden Sie es wohl trotzdem tun – ob das rechtens ist, sei mal dahingestellt.“. Gemäss ihren Anwälten sei das rechtens, schnaubt es per Mail zurück, und ich hätte jetzt noch zwei Tage. Dann wird das gute Stück geschreddert. Und das alles nur, weil es mit meiner Mutter plaudern wollte. Da hätte es mal besser seinen Anwalt angerufen.

Hier wurde der Konsument immerhin vorgewarnt und auf mögliche Kosten aufmerksam gemacht: http://www.wienerzeitung.at/nachrichten/wirtschaft/oesterreich/440950_Handy-hat-Feuchtigkeitsschaden-Eine-faule-Ausrede-der-Anbieter.html

http://www.kassensturz.sf.tv/Nachrichten/Archiv/2009/06/09/Klartext/Handy-Aerger-Wasserschaden-Garantie-abgelehnt

Das Mass ist voll!

Standard

„Nach vorne und links!“. Gerade mal an die zehn bedirndelte Madl reihen sich vor dem Damenklo aneinander, doch am Oktoberfest wird nichts dem Zufall überlassen. Breitbeinig wie ein Gaucho bewacht der kräftige Sicherheitsmann die Pforte zum Lokus. Er schüttelt seine dunklen Locken und treibt uns, das weibliche Vieh, in die freien Pipiboxen. „Nach vorne und links!“ brüllt er erneut in gebieterischem Ton. Das erste Fleisch gewordene TomTom für die Pinkelpause. „Rock anheben, in die Mitte zielen, los“, versuchen einige Mädels die herrische Stimme nachzuäffen, und brechen in Kichern aus.

Auch draussen auf den Gängen wird man unbarmherzig vorwärtsgeschoben: „Weitergehen“, bellt ein Security, als ob der unaufhörlich fliessende Menschenstrom eine Alternative böte. Einige Sicherheitskräfte versuchen, auf dem stark frequentierten Weg eine Spur für das Servierpersonal freizuschaufeln. In Abschrankungen mochte man nicht investieren, statt dessen wuchten stiernackige Hulks beiderlei Geschlechts die Besucher grob beiseite. Rugby auf bayrisch. „Paxus“ steht auf dem Shirt der Dame, die mit Anlauf einen arglos daher tapsenden jungen Mann beiseite rempelt. War er eben noch friedlich, so ist er jetzt aggressiv. Klar, eine alkoholisierte Meute braucht ordnende Kräfte. Die Aufgabe ist schwer, und wer sie meistert, dem gebührt Respekt. Im Moment aber scheint es, dass manche der Kräfte den Zustand herstellen, den sie verhindern sollten.

Wer sich frühmorgens schnell genug auf einen Tisch werfen konnte, ist eh zu glücklich, um noch Ärger zu machen. Um 9 Uhr öffnet sich die Pforte zum Löwenbräu: Wer Beine hat, rennt um seine Leber – kein Sitzplatz, kein Bier. Herumstreunende Bierzeltbesucher auf der Pirsch nach einem Platz auf der Bank werden schon mal mit einem harschen „Hau ab“ vom zahnbehaarten Serviermadl vertrieben. Es gibt aber auch solche wie die unerschütterliche Anni, die mit mütterlicher Strenge und einem schmunzelnden Funkeln im Blick das übermütige Publikum in die Schranken weist und die Bänke wie Tetris mit herumirrenden Platzsuchenden füllt. Wer erst mal deponiert ist, verlässt kaum freiwillig seinen Platz, wo will man auch hin – wer das Zelt verlässt, bleibt draussen. Platz zum Tanzen gibt es auf den Bänken, und Musik nur ab und an, wenn die Kapelle spielt. Das Mass soll in Massen genossen werden – wem die Mimik entfliesst und die Augendenkel sich auf Halbmast senken, der wird von der Security herausgefischt und ins Freie entsorgt. Stil hat, wer seinen Suff kreativ erlangt: Da klettert einer schon mal auf den Tisch und giesst sich das kühle Nass zum Tranke in den Schuh oder – wenn der Durst nicht gross genug ist – einfach über den Kopf. Auf Ex kann ja jeder. Das Summen und Schwirren der Stimmen schwillt zu einem Johlen an.

So gegen 17 Uhr nachmittags, wenn genug Gerstensaft geflossen ist, steigt die Stimmung und das Publikum auf die Bank, die Musik geht in die Beine. Sodom und Gomorrha, berauschtes Feiern, deftiges Flirten, Gesang tief aus dem Zwerchfell – wer es bis dahin schafft, hat Sitzleder bewiesen, egal ob in der Krachledernen oder im Dirndl. Die Feier ist redlich verdient, acht Stunden eiserne Disziplin verlangt nach einem Ausgleich. Man nennt das Yin und Yang.