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Klumpenrisiko im Ashram

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Klumpenrisiko im Ashram

Es liegt ja in der Natur des Menschen, nach Höherem zu streben. Ob Karriere- oder Hühnerleitern, es wird geklettert, was das Zeug hält. Auch ich trachtete nach der Krone. Nicht jene des Königs, zumal wir ja nicht in einem Königreich leben, sondern bekanntermassen in einer Diktatur. Auch nicht jene des Baumes –  ich war schon immer ganz, ganz mies im Sport. Nein, das Ziel war mein Kronenchakra, von welchem ich vermittels spiritueller Praxis zumindest mal hören wollte, ob es überhaupt da ist.

Also begab es sich, dass ich nach Indien reiste. Es mögen nun einige unter euch maulen, dass man ja nicht in Indien zu sich finde, sondern in sich selbst. Ja, ja, ja. Dennoch erhoffte ich, in der Ferne und abseits des täglichen Wahnsinns eine Art Kick-Start zu erfahren, dank welchem ich zu einer täglichen Praxis, einem Rhythmus, einer für mich guten Art und Weise, all dies in den Alltag zu integrieren, finden würde. Jemanden zu finden, der mich am Händchen nehmen und mir sanft den Weg weisen würde.

So schloss ich mich einer Gruppe Reisewilliger an, welche nicht nur die Absicht hegte, Körper und Geist mit einer täglichen Portion Yoga zu kräftigen, sondern ausserdem einige Tage in einem Ashram zu verbringen. Die Mitreisenden hatten da einen gewissen Vorsprung, waren sie doch der Astralreisen (wiewohl sie dennoch mit dem Flieger kamen) und der Heilung mit Wellen (ohne dabei nass zu werden) kundig. Aber ich will mich nicht lustig machen: Ohnehin bin ich mir gewöhnt, in vielen Welten dazuzugehören und doch nirgends richtig, was auch ok ist.

Die Tage in besagtem Ashram waren eingebettet in ein Programm, das es zu durchlaufen oder vielmehr zu durchschnaufen galt. Kernstück bildeten nämlich verschiedene Atemtechniken, wovon eine anscheinend die Königsdisziplin – die Krone – bildete. Kein Geringerer als der Guru selbst leitete diese unterschiedlichen Atemrhythmen an, wenn auch ab Band. Manche von euch werden ahnen, was jetzt kommt, ich nicht. Ich schnaubte und hechelte, als ginge es darum, ein Kind zu gebären.

Beim ersten Mal ging alles gut. Ein Kind gebar ich zwar nicht, aber einen tanzenden Stern. Eine Art Euphorie, gar eine Explosion im Kopf, ja man kann sagen, ein geistiger Orgasmus. All das trotz eines gewissen Widerwillens, der mein Gekeuche begleitete. Eine kleine Stimme, die leise sang, «let it be». Die Stimme hatte sich wohl geirrt. Beflügelt von dieser Erkenntnis, ging ich am folgenden Tag mit gestärktem Elan an die Sache heran.

Das leichte Kräuseln, das ich am Vortag schon verspürt hatte, wuchs beim zweiten Mal zu einem Krausen an, vielmehr ein Grausen. Mein ganzer Körper krampfte, verdreht wie eine balinesische Tempeltänzerin auf Ketamin zog er sich zu einem grotesken Haufen Knochen, einem Klumpen zusammen. Sogar das Gesicht fühlte sich an, als hätte ich den Kopf in einen Vakuumkanal gesteckt, in das Eingangsfenster eines Wurmlochs gewissermassen. Vor allem der Mund, der ja gar kein Mund mehr war, nur noch eine Öffnung, so eng und klein, als läge sie nicht im Gesicht, sondern anderswo. Es schien, als schrumpfte ich, hin zu einem neuen Dasein als Wurzel. Ich geriet in Panik.

Die, die sich um uns hätte kümmern sollen, kümmerte es wenig. «Es hat wohl etwas raus müssen», erklärte man mir. Eine Art Auto-Exorzismus? Mir war bis dahin nicht bewusst, vom Teufel besessen zu sein. Ich zog es vor, zu googeln, und zwar das Verb «hyperventilieren».

Nun kann aus meiner Sicht ja jeder atmen wie er will. Wenn ich aber auf die Blutversorgung in meinem Hirn verzichten soll, wäre ich im Vorfeld gerne darüber informiert. Risiken und Nebenwirkungen, in diesem Fall ein Klumpenrisiko quasi, stehen auf der Packungsbeilage, nur im Ashram nicht. Selbst der Schamane serviert nicht Ayahuasca und konstatiert dann, wenn alle kotzen, überrascht «hups, da wollte wohl etwas raus». Man weiss schon vorher, dass es so sein wird. Das Problem, so erfuhr ich später, ist durchaus bekannt, wird aber negiert. Auf einer Website des Ashrams steht gar, die besagte Übung habe nichts mit Hyperventilation zu tun. Und das, meine Damen und Herren, ist gelogen. Und erstickt jeden Austausch dazu im Keim. Ich werfe also die ketzerische Frage in den Raum, ob es vielleicht gewollt sei, wenn die Community nicht allzu gut durchblutete Hirnzellen hat. Man stellt so nicht zu viele Fragen und schreibt auch keine blöden Blogs.

Seither sind zwei Jahre vergangen. Einige Menschen, von denen ich einst dachte, sie könnten mich etwas lehren, sind „erwacht“. Und dieser Karrieresprung scheint mir unwahrscheinlich, vor allem dann nicht, wenn er mit der Abwertung Anderer einher geht. Es lehrt mich aber tatsächlich etwas: Natürlich soll man offen bleiben, sich auf neue Sichtweisen, Welten, Erfahrungen einlassen. Aber all das nicht, ohne einer Stimme höchste Priorität einzuräumen: Der eigenen, inneren. Es verhält sich nämlich mit der Wahrheit genau so, wie mit der Spiritualität an sich. Man findet sie, wenn überhaupt, nicht in Indien, nicht in Anderen, sondern tief in sich selbst. Oder anders gesagt: Wenn ihr einem Guru begegnet, nehmt euch in Acht vor zu viel heisser Luft.

*es handelt sich hierbei um meine persönliche Erfahrung ohne die Absicht, jemanden in die Pfanne zu hauen. Weshalb hier keine Namen genannt werden. Wer mehr wissen will, kann mich direkt fragen.

Die Bedeutung von Glück

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Die Bedeutung von Glück

Ich schlenderte im gleichmässigen Takt der Fussgängerpassage. Aus den Häusern drang Musik im Viervierteltakt, als plötzlich plätscherndes Stimmengewirr den Rhythmus unterbrach. Unter der glühenden Sonne von Santiago de Cuba versammelten sich farbenfroh Frauen zu einer einer kleinen Menschentraube. Bei näherem Hinsehen erkannte ich, wie sie geduldig vor einem kleinen Geschäft ausharrten, in einem Land, wo die Menschen zumeist nur das Nötigste haben – das, und ein Lächeln im Gesicht, trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen. Augenscheinlich gab es günstig Shampoo und Seife zu kaufen, und dazu drängten sie nun in Richtung der Türe – gerade so, wie die jungen Menschen in unseren Breitengraden, wenn sie sich vom Türsteher Einlass in den angesagten Club erhoffen. Erschwingliches Shampoo. Was für uns ganz selbstverständlich scheint, ist in Kuba meist das Erste, worum dich bittet, wer sich von dir ein Scherflein erhofft.

Wie ich das Ereignis so auf mich wirken liess, sprach mich ein älterer Herr an, der vor dem Gebäude im Rollstuhl sass. Woher ich denn käme, wollte er auf Spanisch wissen. Nun kann ich in etwa so gut Spanisch wie Johann Schneider-Ammann Breakdance, nämlich gar nicht. Es dauerte eine Weile, bis ich seine Frage entschlüsselt hatte, die er mehrfach ruhig und in unterschiedlichen Worten formulierte, bis ich verstand. Wie es denn in der Schweiz so sei, wollte er wissen, nachdem die Frage der Herkunft geklärt war. Er kramte dazu einzelne Brocken Englisch aus seinem Gedächtnis, im Wortschatz ähnlich reichhaltig wie meine Spanisch-Kenntnisse. Die Unterhaltung schien sich in die Länge zu ziehen, und so kniete ich vor seinen Rollstuhl, um mich auf Augenhöhe mit ihm auszutauschen. Ob es tranquillo sei in der Schweiz? Er selber sei vor allem froh, dass es in Kuba kaum Gewalt gebe, oder zumindest keine Schiessereien – er zielte mit zwei Fingern in die Luft, „päng päng“.

„Bist du glücklich?“. So eine Frage hatte mir nie zuvor ein fremder Mensch auf der Strasse gestellt. Ein freudig entgegen gestrahltes „Ja“ wäre der Ernsthaftigkeit der Frage nicht gerecht geworden, wenn auch im Augenblick gewiss korrekt – aber hey, drei Wochen Kuba, siiiicher bini glücklich. Und so führten wir mit Händen und Füssen einen Diskurs über die Bedeutung von Glück, was es dazu brauche oder eben nicht. Meine Meinung, wonach Geld ab einem gewissen Punkt nichts zum Glück beitrage, erschien mir zwar etwas zynisch: Immerhin habe ich es. Trotzdem ist es nicht weniger wahr. Was unzufrieden macht, ist nicht das bisschen Mehr oder Weniger, es ist der Vergleich. Einen kleinen Moment lang zögerte ich, ihm die Gegenfrage zu stellen – ist es angemessen, einen Mann im Rollstuhl zu fragen, ob er glücklich sei? Einer, der tagsüber auf der Strasse sitzt, komplett im Ungewissen darüber, wie er sein Leben meistert? Oder ist es nicht eher völlig unangemessen, davon auszugehen, dass so ein Mensch nicht ebenso glücklich sein könne wie ich mit zwei gesunden Beinen. Ich, die ich eben noch offenbart hatte, dass auch ich nicht immer glücklich sei? „Mal mehr, mal weniger“, erwiderte er – meine Worte.

Als ich mich schliesslich zum Abschied bei ihm bedankte und meinen Weg fortsetzte, da fühlte ich mich noch beschwingter als zuvor. Ich hatte das Gefühl, etwas gelernt zu haben. Aber was? Natürlich wäre es Unfug zu denken, die Unterhaltung zwischen zwei Menschen, die nicht die selbe Sprache sprechen, würde tiefere Erkenntnisse bringen, als was in unzähligen Büchern schon geschrieben steht: Nämlich das Wichtigste, neben dem, was der Körper braucht, sei das Gefühl von Sicherheit und ein soziales Netz. Freundschaften, Familie, Zusammenhalt. Das lässt sich ganz simpel in der Maslow-Pyramide ablesen. Nichts Neues im Westen. Vielleicht, so mein Gedanke, trifft man in Kuba nicht nur der warmen Sonne wegen mehr freundliche Gesichter und Offenheit an als hierzulande. Wahrscheinlich ist es auch der starke soziale Zusammenhalt dieses Volkes, der Glück bringt. Etwas, das verloren geht, wo ein Jeder damit beschäftigt ist, unter unzähligen Optionen die beste für sich zu suchen.

Nach einigen Schritten, in Gedanken versunken, lag es plötzlich klar wie ein Bergsee vor mir. Nicht der Inhalt des Gesprächs war die Lektion gewesen! Zwei Menschen hatten sich die Zeit genommen, völlig absichtslos und trotz erheblicher Verständigungsschwierigkeiten einander zuzuhören. Das ist Glück.

Das Mass ist voll!

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„Nach vorne und links!“. Gerade mal an die zehn bedirndelte Madl reihen sich vor dem Damenklo aneinander, doch am Oktoberfest wird nichts dem Zufall überlassen. Breitbeinig wie ein Gaucho bewacht der kräftige Sicherheitsmann die Pforte zum Lokus. Er schüttelt seine dunklen Locken und treibt uns, das weibliche Vieh, in die freien Pipiboxen. „Nach vorne und links!“ brüllt er erneut in gebieterischem Ton. Das erste Fleisch gewordene TomTom für die Pinkelpause. „Rock anheben, in die Mitte zielen, los“, versuchen einige Mädels die herrische Stimme nachzuäffen, und brechen in Kichern aus.

Auch draussen auf den Gängen wird man unbarmherzig vorwärtsgeschoben: „Weitergehen“, bellt ein Security, als ob der unaufhörlich fliessende Menschenstrom eine Alternative böte. Einige Sicherheitskräfte versuchen, auf dem stark frequentierten Weg eine Spur für das Servierpersonal freizuschaufeln. In Abschrankungen mochte man nicht investieren, statt dessen wuchten stiernackige Hulks beiderlei Geschlechts die Besucher grob beiseite. Rugby auf bayrisch. „Paxus“ steht auf dem Shirt der Dame, die mit Anlauf einen arglos daher tapsenden jungen Mann beiseite rempelt. War er eben noch friedlich, so ist er jetzt aggressiv. Klar, eine alkoholisierte Meute braucht ordnende Kräfte. Die Aufgabe ist schwer, und wer sie meistert, dem gebührt Respekt. Im Moment aber scheint es, dass manche der Kräfte den Zustand herstellen, den sie verhindern sollten.

Wer sich frühmorgens schnell genug auf einen Tisch werfen konnte, ist eh zu glücklich, um noch Ärger zu machen. Um 9 Uhr öffnet sich die Pforte zum Löwenbräu: Wer Beine hat, rennt um seine Leber – kein Sitzplatz, kein Bier. Herumstreunende Bierzeltbesucher auf der Pirsch nach einem Platz auf der Bank werden schon mal mit einem harschen „Hau ab“ vom zahnbehaarten Serviermadl vertrieben. Es gibt aber auch solche wie die unerschütterliche Anni, die mit mütterlicher Strenge und einem schmunzelnden Funkeln im Blick das übermütige Publikum in die Schranken weist und die Bänke wie Tetris mit herumirrenden Platzsuchenden füllt. Wer erst mal deponiert ist, verlässt kaum freiwillig seinen Platz, wo will man auch hin – wer das Zelt verlässt, bleibt draussen. Platz zum Tanzen gibt es auf den Bänken, und Musik nur ab und an, wenn die Kapelle spielt. Das Mass soll in Massen genossen werden – wem die Mimik entfliesst und die Augendenkel sich auf Halbmast senken, der wird von der Security herausgefischt und ins Freie entsorgt. Stil hat, wer seinen Suff kreativ erlangt: Da klettert einer schon mal auf den Tisch und giesst sich das kühle Nass zum Tranke in den Schuh oder – wenn der Durst nicht gross genug ist – einfach über den Kopf. Auf Ex kann ja jeder. Das Summen und Schwirren der Stimmen schwillt zu einem Johlen an.

So gegen 17 Uhr nachmittags, wenn genug Gerstensaft geflossen ist, steigt die Stimmung und das Publikum auf die Bank, die Musik geht in die Beine. Sodom und Gomorrha, berauschtes Feiern, deftiges Flirten, Gesang tief aus dem Zwerchfell – wer es bis dahin schafft, hat Sitzleder bewiesen, egal ob in der Krachledernen oder im Dirndl. Die Feier ist redlich verdient, acht Stunden eiserne Disziplin verlangt nach einem Ausgleich. Man nennt das Yin und Yang.

Verschlafenes Ibiza

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Mein Herz schlägt im Rhythmus der Töne, die mir orkangleich aus den Boxen entgegenfegen. Über meinem Kopf schwingen Artisten zum Takt am Trapez, wirbeln glitzernde Papierschnipsel und versenken sich in meinem Dekolleté. Das Space in Ibiza ist ein Tollhaus. Oder besser: Ein Puppenhaus. So eins ist auf der Bühne nämlich aufgebaut, mit sechs Zimmern, jedes individuell dekoriert. In einigen davon haben überirdisch schöne Burlesque-Tänzerinnen Platz genommen, sie räkeln sich in der Wanne oder auf der Récamière. In anderen Zimmern schüren bizarre und lüsterne SM-Szenen den Voyeurismus der Zuschauer. Hinter mir speit ein Polizist Feuer – er muss in seinem früheren Leben ein Drachen gewesen sein.

Es gibt also Argumente, hier noch etwas zu verweilen, aber auch solche, zu gehen. Der Schlaf ist die Woche arg zu kurz gekommen; „Trainingswoche“ lautet das Motto, morgens um 10 geht es los mit Zumba, bis in den Abend hinein wird durch den Tag getanzt, immer wieder. Keine Sekunde ist es langweilig auf dieser Insel. Nachts gibt es noch mehr Gelegenheit, sich des Lebens zu freuen. Acht Stunden Schlaf sind optimal, sieben sind ok, mit sechs macht’s langsam weh. Erst vorgestern waren es gerade mal drei Stunden und heute früh bin ich – aus Gründen, die hier nicht näher beleuchtet werden sollen – vollständig bekleidet aufgewacht und morgen, ja da geht der Flieger. Ich wollt nicht völlig zerstört zu Hause ankommen. Ausserdem passt sich das Weiss meiner Augen zunehmend der Hautfarbe an – dunkelrot. Die Menge im Club ist dicht gedrängt, Leib an Leib. Niemals würde ich in der Hauptsaison herkommen wollen. Besser, ich mach mal nen Abgang.

Es ist vier Uhr in der Früh, wie ich ins Hotel schlurfe. Jetzt hab ich genau noch 5 Stunden. Das Zimmer teile ich mit Ayla, sie ist topfit und gerade mit dem Packen ihres Koffers beschäftigt. Fröhlich schwenkt sie eine Flasche. „Ich habe diesen Wein gewonnen“, frohlockt sie, „wollen wir trinken?“. Verlockend, aber ich winke ermattet ab. „Danke, muss schlafen, dringend.“ „Ich muss meinen Koffer packen“, stöhnt sie. „Mach was du willst, ich schlafe jetzt“, knurre ich müde, und lasse mich schon bald ins Bett sinken. Ayla ist die beste Zimmergenossin, die man sich wünschen kann, aber jetzt gerade knistert sie. Ich bin mir nicht sicher, ob sie ihre Kleider einzeln in Staniolpapier verpackt hat. 1000 Tüten scheinen im Zimmer hin und her zu sausen und Fangen zu spielen. Ich versuche, die Geräusche zu ignorieren, und ins Land der Träume einzutauchen. „Du, also dieser Sound war ja Schrott – und viel zu laut. Die Claudia hat sogar Herzrythmusstörungen bekommen, wegen dem Bass“ schüttelt sie fassungslos den Kopf. Mir hatte es eigentlich gepasst, ich fiepe irgendwas, und Ayla lacht „jöö, du bist so herzig – erinnerst mich ein bisschen an einen Maulwurf“. Silberne Steinchen an orientalischen Tüchern klimpern, im Necessaire rasseln Stifte, irgendetwas raschelt. Der Maulwurf gräbt sich ins Kissen.

Rund drei Stunden später wach ich zerschlagen auf. Ein Knistern dringt an mein Ohr. Hat sie etwa die ganze Nacht durchgepackt? Ich versuche weiterzuschlafen. Das Telefon klingelt: „Nein, ich kann jetzt nicht sprechen, meine Kollegin schläft noch“. Ich stelle mir Schafe vor. Noch zwei Stunden, bittteeee! Sie legt sie auf. Allmählich gleite ich wieder weg. Da klopft es an der Tür. Das Zimmermädchen. Ayla schickt sie fort, ich nicke wieder ein. „Willst du nicht aufstehen? Es ist schon nach neun – um 10 müssen wir das Zimmer abgeben!“, spüre ich eine Hand sanft an meiner Schulter. „Neeein, ich habe den Wecker auf 10 gestellt!“. Ich fühle, wie meine Augenringe tiefer in mich hinein sinken. Bestimmt wird gleich der Zimmernachbar seine Oboe auspacken oder aufs Schlagzeug hauen. Ayla geht zum Frühstück. Stille breitet sich aus im Zimmer. Eigentlich hat sie recht – ne Stunde ist knapp. Dann steh ich halt auf.       

Zwei auf einem Velo.

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Ich wache auf, irgendwo in der Provence. In meinem Bett liegt eine Kreatur mit dünnen Armen und Beinen. Die Gestalt, soviel ist klar, heisst „Ich“. Erst wackelt sie mit dem Zeh, dann klimpern ihre Lider.  „Ich“ sitzt in mir drin und guckt aus mir heraus. Ihr Blick fällt jetzt auf die Spinne. Gestern noch hing jene an der Decke, nun erklimmt sie soeben den Koffer. Bis nach Avignon hat „Ich“ mich verfolgt und ja, es ist ok. Ich könnte mir schlimmere Gesellschaft vorstellen. Seufzend wälze ich mich aus dem Bett, wissend, dass „Ich“ heute mit ihren dünnen Beinen auf dem e-Bike in die Pedale treten muss, und ich ebenfalls.

In Frankreich ist es hilfreich, der französischen Sprache mächtig zu sein. Besonders, wenn sich der Routenbeschrieb der Tour als heiteres Abzweigungsraten entpuppt. Durch endlose Rebberge radle ich, Sonne im Herzen und Freiheit im Haar, dem Horizont entgegen. „An der Einmündung links“, steht da. Links bedeutet bergab. Von unten her keuchen zwei Radfahrer den Berg hinauf, ich glaube sie aus dem Hotel wiederzuerkennen. Sie haben wohl die gleiche Tour gebucht. Der Umstand, dass sie mir entgegenkommen, stimmt mich etwas argwöhnisch, was die von mir gewählte Richtung anbelangt. Und wirklich – am Ende des Berges angekommen, stelle ich fest; nach Chateauneuf geht’s bergauf.

Ich radle mit mir um die Wette, versuche, mich hinter mir zu lassen. Vorbei an duftendem Raps, raschelndem Schilf und leuchtendem Mohn. Einsame Landschaften, keine Menschenseele bis zur nächsten Ortschaft, bis zum nächsten Schloss. Mücken entlang der Flüsse, dieser freche Vogel auf dem Rücken des Pferdes: zweimal narrt er mich und flattert davon, sowie ich die Kamera zücke. Unerwartete Verzweigungen, Wege ohne Namen: Zum Glück findet sich ab und an ein Jogger, Bauarbeiter oder ein Einheimischer im Ort, um mir den kraft meiner Intuition gewählten Weg zu bestätigen.

Der meistgehörte Satz ist „Vous êtes courageuse“. Das denke ich mir auch jeden Morgen, bevor ich in den Spiegel sehe, doch in diesem Kontext halte ich die Aussage für etwas übertrieben – ich bin ja nicht im Irak? Die Blicke im Restaurant amüsieren mich. Eine Frau, alleine am Tisch : Das scheint viele Fragen aufzuwerfen. Neugieriges Getuschel. Auf dem Rad, da geht’s mir gut, aber am Ende des Tages kann ich nichts teilen, ausser meine Gedanken, treu wie Flöhe, mit mir selbst. So eine Reise allein ist wie ein Rückzug in einen Kokon. Perfekt für eine Introspektive – sofern du nicht längst drin bist und eigentlich den Ausgang suchst.

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Schnitzeljagd auf französisch.

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Es ist still im Zug. Nur der Geruch von Käsefüssen hängt weiter in der Luft. Ich lege mein Buch beiseite, mein Blick streift beiläufig die Abfahrtstafel. Augenscheinlich fährt der Zug, in welchem ich sitze, ab Gleis „Car“. Car? Als hätte ich eben in eine Steckdose gegriffen, erschliesst sich mir schlagartig der Sinn der vom Zugbegleiter genuschelten Worte. Darum haben sich alle Mitreisenden ins unscheinbare Chambery ergossen. Jetzt hechte auch ich aus dem Zug. „Le bus?“, werfe ich in die Runde, und eine Gruppe älterer Herren deutet nach links. „A gauche“, nicken sie, und so renne ich wie Chocolate, das Huhn, mit Koffer bald nach links, bald nach rechts: Sackgasse – ich war eins zu früh.

Der Bus blinkt, zur Abfahrt bereit, ich werfe meinen Koffer hinein und mich hinterher. Ob der Bus rechtzeitig in Vallence-Ville eintreffe, will ich wissen: ich muss nämlich mit dem TGV weiter nach Orange. „Aaah oui, bien sur! Le TGV à Marseille“. Ich bin beruhigt, ein bisschen wenigstens. Gewisse Zweifel bleiben. Ob ein Bus gleich schnell sein kann wie ein TGV? Nun ja. Französischer Fahrstil vielleicht?

Ich kann mein Glück kaum fassen, wie wir sogar früher in Vallence TGV eintreffen und hüpfe fröhlich dem Perron entgegen. Blöd nur – mein Zug ist nirgends vermerkt. Hinter einer Glasscheibe sitzt ein Mann mit Mütze. Er weiss, dass die von mir begehrte Verbindung in wenigen Minuten startet – an einem anderen Bahnhof. Wohin freilich wiederum ein Zug fährt, bloss gerät nun alles durcheinander. Eine Französin spricht mich an – auch sie ist hier gestrandet. Ich bin froh, eine Gefährtin im Bahnhofs- und Umsteigedschungel gefunden zu haben. Seit zwei Monaten sei die Streckenblockierung bekannt.  Es bräuchte dann theoretisch nur noch ein gewisses Mass an Informatik und irgendeinen, der besagte Änderung in seine Tastatur eintöggelt. „Il faut composter le billet“, sagt sie, und ich weiss nicht, wozu man das Billett hier kompostieren muss, meines brauch ich jedenfalls noch.

Eine Woche später. Merkwürdiges geht in mir vor. Am Vorabend mit 38 Grad im Fieber erglüht, waren’s am Morgen noch 34.9 Grad. Ich bin also völlig cool, steige so einmal mehr in den Zug und will nur eins: heim. Ich wähne mich in Sicherheit: Dieses Mal wird eine andere Route gefahren. Trotzdem schwant mir Übles, wie in Grenoble alles zur Tür hinaus strömt: „Le train ne continue pas?“. „Non“. Meine 34.9 steigern sich auf gefühlte 90 Grad. Ich stürze auf einen Zugbegleiter zu, bereit, ihn am Kragen zu packen und notfalls auch zu würgen. „Vous devez prendre l’Autocar“, meint er. Ich könnte schreien. Toben. Eine Handgranate zünden. Statt dessen irre ich von dannen, auf der Suche nach diesem verfluchten Autocar, der ja auch nirgends angeschrieben steht, und den ich rein kraft meiner Intuition finde. Vor dem Bus steht unscheinbar ein Tischchen, man weiss nicht, werden hier Mitgliedschaften bei Weltbild, Scientology oder dem WWF erteilt, oder allenfalls doch brauchbare Auskünfte. Eine junge Frau kaut gelangweilt auf ihren Chips herum. „Genève?“ Lethargisch blättert sie in ihren Dokumenten und kaut weiter. „Vier Stunden später“, lässt sie mich wissen, und für einen kurzen Augenblick überlege ich, meine Faust auf ihre Chipstüte niedersausen zu lassen. Zurück zum Profi: Die Hoffnung, der hübsche Bursche am offiziellen Schalter wüsste ne schnellere Verbindung, verflüchtigt sich. Fünf mal umsteigen, macht dann insgesamt 11 Stunden für die Strecke Orange – Zürich. Die Odyssee schreibt er auf einen Fresszettel – Drucker haben die da nicht. Immerhin, der attraktive Mann rennt mir hinterher – ich habe in der Wut mein Billett liegengelassen. Mein Fazit:  Nächste Mal fliege ich lieber auf die Malediven: Zürich – Male. Direktflug, in 9 Stunden biste da.