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Schnitzeljagd auf französisch.

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Es ist still im Zug. Nur der Geruch von Käsefüssen hängt weiter in der Luft. Ich lege mein Buch beiseite, mein Blick streift beiläufig die Abfahrtstafel. Augenscheinlich fährt der Zug, in welchem ich sitze, ab Gleis „Car“. Car? Als hätte ich eben in eine Steckdose gegriffen, erschliesst sich mir schlagartig der Sinn der vom Zugbegleiter genuschelten Worte. Darum haben sich alle Mitreisenden ins unscheinbare Chambery ergossen. Jetzt hechte auch ich aus dem Zug. „Le bus?“, werfe ich in die Runde, und eine Gruppe älterer Herren deutet nach links. „A gauche“, nicken sie, und so renne ich wie Chocolate, das Huhn, mit Koffer bald nach links, bald nach rechts: Sackgasse – ich war eins zu früh.

Der Bus blinkt, zur Abfahrt bereit, ich werfe meinen Koffer hinein und mich hinterher. Ob der Bus rechtzeitig in Vallence-Ville eintreffe, will ich wissen: ich muss nämlich mit dem TGV weiter nach Orange. „Aaah oui, bien sur! Le TGV à Marseille“. Ich bin beruhigt, ein bisschen wenigstens. Gewisse Zweifel bleiben. Ob ein Bus gleich schnell sein kann wie ein TGV? Nun ja. Französischer Fahrstil vielleicht?

Ich kann mein Glück kaum fassen, wie wir sogar früher in Vallence TGV eintreffen und hüpfe fröhlich dem Perron entgegen. Blöd nur – mein Zug ist nirgends vermerkt. Hinter einer Glasscheibe sitzt ein Mann mit Mütze. Er weiss, dass die von mir begehrte Verbindung in wenigen Minuten startet – an einem anderen Bahnhof. Wohin freilich wiederum ein Zug fährt, bloss gerät nun alles durcheinander. Eine Französin spricht mich an – auch sie ist hier gestrandet. Ich bin froh, eine Gefährtin im Bahnhofs- und Umsteigedschungel gefunden zu haben. Seit zwei Monaten sei die Streckenblockierung bekannt.  Es bräuchte dann theoretisch nur noch ein gewisses Mass an Informatik und irgendeinen, der besagte Änderung in seine Tastatur eintöggelt. „Il faut composter le billet“, sagt sie, und ich weiss nicht, wozu man das Billett hier kompostieren muss, meines brauch ich jedenfalls noch.

Eine Woche später. Merkwürdiges geht in mir vor. Am Vorabend mit 38 Grad im Fieber erglüht, waren’s am Morgen noch 34.9 Grad. Ich bin also völlig cool, steige so einmal mehr in den Zug und will nur eins: heim. Ich wähne mich in Sicherheit: Dieses Mal wird eine andere Route gefahren. Trotzdem schwant mir Übles, wie in Grenoble alles zur Tür hinaus strömt: „Le train ne continue pas?“. „Non“. Meine 34.9 steigern sich auf gefühlte 90 Grad. Ich stürze auf einen Zugbegleiter zu, bereit, ihn am Kragen zu packen und notfalls auch zu würgen. „Vous devez prendre l’Autocar“, meint er. Ich könnte schreien. Toben. Eine Handgranate zünden. Statt dessen irre ich von dannen, auf der Suche nach diesem verfluchten Autocar, der ja auch nirgends angeschrieben steht, und den ich rein kraft meiner Intuition finde. Vor dem Bus steht unscheinbar ein Tischchen, man weiss nicht, werden hier Mitgliedschaften bei Weltbild, Scientology oder dem WWF erteilt, oder allenfalls doch brauchbare Auskünfte. Eine junge Frau kaut gelangweilt auf ihren Chips herum. „Genève?“ Lethargisch blättert sie in ihren Dokumenten und kaut weiter. „Vier Stunden später“, lässt sie mich wissen, und für einen kurzen Augenblick überlege ich, meine Faust auf ihre Chipstüte niedersausen zu lassen. Zurück zum Profi: Die Hoffnung, der hübsche Bursche am offiziellen Schalter wüsste ne schnellere Verbindung, verflüchtigt sich. Fünf mal umsteigen, macht dann insgesamt 11 Stunden für die Strecke Orange – Zürich. Die Odyssee schreibt er auf einen Fresszettel – Drucker haben die da nicht. Immerhin, der attraktive Mann rennt mir hinterher – ich habe in der Wut mein Billett liegengelassen. Mein Fazit:  Nächste Mal fliege ich lieber auf die Malediven: Zürich – Male. Direktflug, in 9 Stunden biste da.