Klumpenrisiko im Ashram

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Klumpenrisiko im Ashram

Es liegt ja in der Natur des Menschen, nach Höherem zu streben. Ob Karriere- oder Hühnerleitern, es wird geklettert, was das Zeug hält. Auch ich trachtete nach der Krone. Nicht jene des Königs, zumal wir ja nicht in einem Königreich leben, sondern bekanntermassen in einer Diktatur. Auch nicht jene des Baumes –  ich war schon immer ganz, ganz mies im Sport. Nein, das Ziel war mein Kronenchakra, von welchem ich vermittels spiritueller Praxis zumindest mal hören wollte, ob es überhaupt da ist.

Also begab es sich, dass ich nach Indien reiste. Es mögen nun einige unter euch maulen, dass man ja nicht in Indien zu sich finde, sondern in sich selbst. Ja, ja, ja. Dennoch erhoffte ich, in der Ferne und abseits des täglichen Wahnsinns eine Art Kick-Start zu erfahren, dank welchem ich zu einer täglichen Praxis, einem Rhythmus, einer für mich guten Art und Weise, all dies in den Alltag zu integrieren, finden würde. Jemanden zu finden, der mich am Händchen nehmen und mir sanft den Weg weisen würde.

So schloss ich mich einer Gruppe Reisewilliger an, welche nicht nur die Absicht hegte, Körper und Geist mit einer täglichen Portion Yoga zu kräftigen, sondern ausserdem einige Tage in einem Ashram zu verbringen. Die Mitreisenden hatten da einen gewissen Vorsprung, waren sie doch der Astralreisen (wiewohl sie dennoch mit dem Flieger kamen) und der Heilung mit Wellen (ohne dabei nass zu werden) kundig. Aber ich will mich nicht lustig machen: Ohnehin bin ich mir gewöhnt, in vielen Welten dazuzugehören und doch nirgends richtig, was auch ok ist.

Die Tage in besagtem Ashram waren eingebettet in ein Programm, das es zu durchlaufen oder vielmehr zu durchschnaufen galt. Kernstück bildeten nämlich verschiedene Atemtechniken, wovon eine anscheinend die Königsdisziplin – die Krone – bildete. Kein Geringerer als der Guru selbst leitete diese unterschiedlichen Atemrhythmen an, wenn auch ab Band. Manche von euch werden ahnen, was jetzt kommt, ich nicht. Ich schnaubte und hechelte, als ginge es darum, ein Kind zu gebären.

Beim ersten Mal ging alles gut. Ein Kind gebar ich zwar nicht, aber einen tanzenden Stern. Eine Art Euphorie, gar eine Explosion im Kopf, ja man kann sagen, ein geistiger Orgasmus. All das trotz eines gewissen Widerwillens, der mein Gekeuche begleitete. Eine kleine Stimme, die leise sang, «let it be». Die Stimme hatte sich wohl geirrt. Beflügelt von dieser Erkenntnis, ging ich am folgenden Tag mit gestärktem Elan an die Sache heran.

Das leichte Kräuseln, das ich am Vortag schon verspürt hatte, wuchs beim zweiten Mal zu einem Krausen an, vielmehr ein Grausen. Mein ganzer Körper krampfte, verdreht wie eine balinesische Tempeltänzerin auf Ketamin zog er sich zu einem grotesken Haufen Knochen, einem Klumpen zusammen. Sogar das Gesicht fühlte sich an, als hätte ich den Kopf in einen Vakuumkanal gesteckt, in das Eingangsfenster eines Wurmlochs gewissermassen. Vor allem der Mund, der ja gar kein Mund mehr war, nur noch eine Öffnung, so eng und klein, als läge sie nicht im Gesicht, sondern anderswo. Es schien, als schrumpfte ich, hin zu einem neuen Dasein als Wurzel. Ich geriet in Panik.

Die, die sich um uns hätte kümmern sollen, kümmerte es wenig. «Es hat wohl etwas raus müssen», erklärte man mir. Eine Art Auto-Exorzismus? Mir war bis dahin nicht bewusst, vom Teufel besessen zu sein. Ich zog es vor, zu googeln, und zwar das Verb «hyperventilieren».

Nun kann aus meiner Sicht ja jeder atmen wie er will. Wenn ich aber auf die Blutversorgung in meinem Hirn verzichten soll, wäre ich im Vorfeld gerne darüber informiert. Risiken und Nebenwirkungen, in diesem Fall ein Klumpenrisiko quasi, stehen auf der Packungsbeilage, nur im Ashram nicht. Selbst der Schamane serviert nicht Ayahuasca und konstatiert dann, wenn alle kotzen, überrascht «hups, da wollte wohl etwas raus». Man weiss schon vorher, dass es so sein wird. Das Problem, so erfuhr ich später, ist durchaus bekannt, wird aber negiert. Auf einer Website des Ashrams steht gar, die besagte Übung habe nichts mit Hyperventilation zu tun. Und das, meine Damen und Herren, ist gelogen. Und erstickt jeden Austausch dazu im Keim. Ich werfe also die ketzerische Frage in den Raum, ob es vielleicht gewollt sei, wenn die Community nicht allzu gut durchblutete Hirnzellen hat. Man stellt so nicht zu viele Fragen und schreibt auch keine blöden Blogs.

Seither sind zwei Jahre vergangen. Einige Menschen, von denen ich einst dachte, sie könnten mich etwas lehren, sind „erwacht“. Und dieser Karrieresprung scheint mir unwahrscheinlich, vor allem dann nicht, wenn er mit der Abwertung Anderer einher geht. Es lehrt mich aber tatsächlich etwas: Natürlich soll man offen bleiben, sich auf neue Sichtweisen, Welten, Erfahrungen einlassen. Aber all das nicht, ohne einer Stimme höchste Priorität einzuräumen: Der eigenen, inneren. Es verhält sich nämlich mit der Wahrheit genau so, wie mit der Spiritualität an sich. Man findet sie, wenn überhaupt, nicht in Indien, nicht in Anderen, sondern tief in sich selbst. Oder anders gesagt: Wenn ihr einem Guru begegnet, nehmt euch in Acht vor zu viel heisser Luft.

*es handelt sich hierbei um meine persönliche Erfahrung ohne die Absicht, jemanden in die Pfanne zu hauen. Weshalb hier keine Namen genannt werden. Wer mehr wissen will, kann mich direkt fragen.

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