Archiv für den Monat April 2013

Wie man ein Date verpennt.

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rauchHeller Rauch steigt auf, vernebelt sein Antlitz und wohl auch Teile seines Denkapparats. Nein, mit dem neuen Papst hat das nichts zu tun. Seine Finger umklammern einen Joint, er nimmt einen weiteren tiefen Zug. Vor uns liegen die leer geschmausten Teller. So richtig leicht ist es mir nicht gefallen, die Einladung zum Essen anzunehmen. Heutzutage ist ja nie ganz klar, wer oder was gefressen werden soll. Ab wann muss man nicht mehr damit rechnen, zerstückelt und gepökelt im Gefrierfach zu enden? Noch aber hat er das Beil nicht ausgepackt. „Lass uns mal fernsehen“. Er trottet auf das Sofa zu.

Er knautscht sich wie ein Mehlsack in das quietschende Leder. Zielstrebig zaubert er mit der Fernbedienung Mike Shiva, den Helden der Zukunftsprognosen, in den Flimmerkasten. „Meine Lieblingssendung, ich lach mich jedesmal schlapp“. Seine Augen glänzen. Ich überlege, selber Shivas Nummer zu wählen, um nachzufragen, wo dieser Abend hinführen soll? Neben mir gluckst und wiehert es unablässig. Ab und an wiederholt er die Worte des Wahrsagers: „Die anderen sind Scharlatane, hua hua“. Mein Blick gleitet über das kahl eingerichtete Wohnzimmer – wo bitte ist die Kamera versteckt?

Die Position des Fernsehers macht es unmöglich, Shiva und den Typen gleichzeitig im Blickfeld zu halten. Ohnehin ist einer so skurril wie der andere. Plötzlich werd ich stutzig. Es hat gar nichts gekichert, die letzte Minute? Ein Blick zur Seite – was zum Henker…? Der Typ ist weg. Eingepennt. Was jetzt? Rütteln und schütteln? Wie das Bäumchen bei Aschenputtel? Shiva voll aufdrehen? Bloss – was will ich mit nem miesmuschligen, verpeilten Mannsbild? Ich schinde Zeit um die Gedanken zu ordnen, spüle erst mal das Geschirr. Vielleicht weckt ihn das Klappern? Eben sackt er ne Handbreite tiefer ins Sofa ab. Ob er wohl wirklich schläft? Vielleicht tut er ja nur so – welch eine Demütigung wäre das?! Meine Gedanken erschrecken mich. „Frau Klinger, jetzt wirst du paranoid“, schimpf ich mit mir. Sein Gesicht ist leicht zur Seite geknickt, wirkt jetzt zerknüllt. Wozu hab ich meine Haare malträtiert, mein Näschen gepudert, ewig vor dem Schrank gestanden? Er streckt einen Fuss von sich. In der Socke klafft ein riesiges Loch. Ich weiss jetzt, was zu tun ist. Setz der Kollegin mal ne Nachricht ab: „Er pennt“. Ne Minute später piept es: „Wie bitte???? Bin im Hive“. Ich mach ne Fliege. Irre durch die Nacht, es ist finster im Industriequartier. Wo nur geht es zum Bahnhof? Plötzlich durchbricht ein Klingeln die Stille. Der Siebenschläfer ist aufgewacht. „Ich bin so ein Arschloch“, jammert er mir ins Ohr.

Zwei Wochen Funkstille. Dann kotzt er mir sein Elend in die Facebook-Mailbox. Es bricht aus ihm heraus, eine wahre Textflut. Beschreibt, wie er sich zudröhnt, um die Freudlosigkeit nicht zu spüren. Abgelöscht, depressiv. Meist will er einfach allein sein. Deswegen habe er sich auch schlafend gestellt. Ehm, moment mal: Schlafend GESTELLT??? Ein wahrer Komiker scheut auch die schrägste Nummer nicht. Schwer, sich nicht clownesk zu fühlen, wenn man zum Kasper solch eines bizarren Schauspiels erkoren wird. Es geht mir da wie vielen, Männern wie Frauen, und auch nicht zum ersten Mal. Meist wird ja einfach die Antwort verweigert. Das Stockfischsyndrom hat epidemische Ausmasse erreicht. Schweigen, die Waffe der Überforderten und kommunikativ Schwachen. Er immerhin erklärt sich. Es hat nichts mit mir zu tun – dass er’s mich wissen lässt, setzt der Scheisse ein Quantum an Grösse entgegen. Ist man dumm, wenn man Menschen ne zweite Chance gibt? Die er freilich verbockt, und bei seinem dritten Anlauf mag auch ich nicht mehr. Wenn einer lebt, als würde er lustlos im Teller rumstochern, ist man nie mehr als ne Erbse, die hin und her geschoben wird. Erbsen kann man zählen oder drauf liegen, aber das Märchen, in dem die Heldin selber ne Hülsenfrucht ist, gibt’s leider nicht.

Des einen Kuss, des andern Verdruss.

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kissIhr dickes, schwarzgraues Haar steht wirr in alle Richtungen. Einst war sie eine hübsche Frau. Davon sind nurmehr einzelne Fragmente zu sehen, ein Paar muntere, dunkle Augen etwa, die unter ihren buschigen Augenbrauen hervor blitzen. Kaum mehr als Haut und Knochen, den Rücken leicht zum Buckel geformt, schlurft sie durch die Küche. Ein dürres Fraueli mit schalkhaftem Blick, ein kleiner Kobold. Sie verlässt ihre Wohnung kaum, schon seit Jahren igelt sie sich ein. Ihre Verbindung zur Aussenwelt ist das Fernsehgerät. Mitten in der Nacht lässt sie den Wecker klingeln. Wrestling. Sie liebt es. Live übertragen aus den Staaten. Dafür kann man schon mal um 3 Uhr aufstehen, auch mit über 70 noch.

„Wo sin mini Frösch?“. Sie kramt nach ihren Zigaretten, versucht, sich eine anzuzünden. Ihre Hand zittert, sie zielt. Zwei, drei Mal knapp am Glimmstängel vorbei, dann merkt sie, dass sie ihn verkehrt in den Händen hält. Vor ihr steht ein Glas Rotwein, sie nimmt einen grossen Schluck. Sie war schon immer ein fröhlicher Mensch, meine Grossmutter, gesellig im Wesen. Sie spricht mit rauchiger Stimme und wenn sie lacht, klingt es, als würde Rod Stewart husten. Vor einigen Jahren, an ihrem Sechzigsten, da hat sie noch kräftig gefeiert, mit buntem Glitzerspray im Haar. Zu meiner Verlobung (nein, ich will nicht darüber sprechen!!), da hat sie getanzt. Ein zartes Blümlein ist sie keines, immer gerade heraus, fordernd und nicht eben zimperlich in der Wahl ihrer Worte. Die Spitex hat sie erfolgreich in die Flucht geschlagen; zu stolz, um sich helfen zu lassen. Viel gibt sie nicht preis, von sich und ihrem Leben. Wenn sie von früher erzählt, in meinem Beisein, dann von mir und der Zeit, als ich noch bei ihr ein und ausging. Jetzt lobt sie mich, freut sich, dass ich hier bin, in Begleitung meines neuen Freundes. Ich schäme mich, denn ich bin viel zu selten da.

Der junge Herr an meiner Seite wirkt seltsam betreten. Schon klar, der Besuch bei der Grossmutter ist nicht der Traum eines 25-jährigen Kerls. „Du hesch soone schöne Fründ“, klatscht Oma begeistert in die Hände. Ich bestaune gerade das Blumengesteck, ein Geschenk meines Onkels. Mein Süsser ist errötet und Oma grinst spitzbübisch. „Ein wahrhaft schöner Mann“, wiederholt sie entzückt. Ich bin leicht erstaunt; er ist keiner, wie man ihn dem Geschmack einer älteren Dame zuordnen würde, eher zart, mit femininen Zügen, jungenhaft. Lange kann ich ihm den Besuch nicht zumuten, es ist ja nicht seine Familie. Jetzt tut es mir leid, Oma wieder zurückzulassen. Keine Ahnung, wie oft sie Besuch bekommt. Mein Vater ist ab und zu dort, vermutlich nie lange. „Du weisst ja, wie er ist,“ pflegt sie zu sagen, „kurz und barsch“.

„Ich hoffe, das war so ok für dich“, erkundige ich mich schüchtern, wie wir das Haus verlassen. „Es war schon ok“, schnaubt er, „aber jedes Mal, wenn du weggeschaut hast, hat sie versucht, mich abzuküssen“. In mein Gelächter mag er nicht so recht einstimmen „Wirklich, jedes Mal, wenn du nicht geguckt hast!“. Er schüttelt fassungslos den Kopf. Ich erinnere ich mich: Damals, als ich ein kleines Mädchen war, im Kindergarten, da hab ich auch immer versucht, mein blondes Gspänli zu küssen, den Alain aus Frankreich. Jedesmal, wenn niemand geschaut hat. Das fand der gar nicht toll, er hat sich beschwert, die Petze. Dabei war ich so süss!? Hat nichts geholfen, die Kindergärtnerin hat mit mir geschimpft. Ihr seht, im Alter wird man eben tatsächlich wieder zum Kind. Meine Herren, jetzt wisst ihr, was euch dermaleinst erwartet. Nehmt euch in Acht!

Die mühsame Patientin.

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ah„Ausgeprägte Wangenknochen gelten als Schönheitsideal“. Die Ärztin kehrt mir den Rücken zu und kramt nach einem Holzstäbchen. „Ja, aber symmetrisch, nicht einseitig!“. Mein Gesicht ist diagonal angeschwollen. Ich halte nichts davon, wenn mein Antlitz kreativ wird. Wer weiss, was es als nächstes ausheckt? Einen Kornkreis auf meiner Stirn vielleicht, oder möglicherweise lacht mir demnächst Karl Dall aus dem Spiegel entgegen? Nun sitze ich hier in der Permanence und die Frau veräppelt mich. „Sagen Sie mal Aaaah!“ befiehlt sie, und steckt mir den Holzstab in den Mund. „Äääääääh!“ röchelt es aus meinem Hals. „Hmm… das ist knallrot. Sie haben vielleicht Scharlach“. Scharlach? In meinem Kopf singt es. „I baue mir mini Träum uf rund um di und male se scharlachrot a“. Patent Ochsner, das krieg ich für den Rest des Tages nicht mehr los. Kriegt man da rote Pünktchen? Und erklärt das, warum ich zunehmend dem Hulk ähnele? „Nein, das ist keine Erklärung“, brummt die Ärztin und tippt irgendwas in ihren Computer ein.

Scharlachrot ist auch das Blut, das man mir jetzt aus den Venen pumpt. So hab ich mir das nicht vorgestellt! Ich dachte an eine kleine Salbe, fertig. Hab doch nur ne leichte Erkältung, was soll der Aufstand? Wenn es so weiter geht, werd ich noch in die Röhre gesteckt!? „Es ist kein Scharlach!“ freut sich die Ärztin. Ich mich auch. „Sie müssen aber trotzdem sechs Tage lang Antibiotika nehmen“. Ich freue mich doch nicht. 1000 mg, die volle Dröhnung. Sechs Tage lang? Hallo, für das bisschen Halsweh? „Sie haben eine Halsentzündung“. Zustände wie in Nordkorea, sobald einer hustet wird mit ner Atombombe gedroht. „Und was ist jetzt mit meiner Schwellung?“. „Sie müssen eh am Samstag zur Kontrolle vorbeikommen“. Na prima. Hab ich sonst keine anderen Hobbies? Ich weigere mich, desertiere, geh da einfach nicht mehr hin.

Es ist Samstag, Frau Klinger sitzt im Wartezimmer der Permanence. Die Hoffnung, ich müsse die blöden Antibiotika vielleicht doch nicht so lange nehmen, hat mich her getrieben. Diesmal begleitet mich meine Freundin Marlie, um mir die Wartezeit zu versüssen. Letztere wird sehr kurz sein. Ich hab nämlich einen Termin und bin die Erste, welche meine Ärztin empfängt. Hat man mir versprochen. Ehm, vielleicht bis auf diese indische Grossfamilie, welche eben das Praxiszimmer betritt, in dem ich jetzt sitzen sollte. Eine Viertelstunde später ein jüngerer Herr mit schütterem Haar. Danach nochmals Mama Bhavani und ihr Gefolge. Wahrscheinlich kommt nächstens Vater Abraham mit seinen sieben Söhnen – allmählich breitet sich die Röte meines Rachens auf den übrigen Kopf aus. Der innere Widerstand ähnelt dem Ätna kurz vor dem Aufbruch, gleich werd ich zum Rumpelstilz: Ich will keine Antibiotika, will auch nicht hier sitzen. „Ich verbringe hier nicht den ganzen verdammten Samstag“, fauche ich. „Jetzt sind wir da, wir ziehen das durch“, runzelt Marlie streng die Stirn.

Nach einer Dreiviertelstunde werde ich in ein neues Wartegefängnis komplimentiert. Etwa sechs Quadratmeter, acht Verseuchte auf engstem Raum. Ich wünsche mir eine Burka, vergrabe mich in mein Taschentuch, ganz Zicke. Mein Nachbar richtet seinen gelb verschleierten Blick auf mich. Gegenüber chodert es. „Ich will hier raus!“, tippe ich in mein Handy. „Du bleibst dort“, schreibt es aus dem oberen Stock zurück. Eine Art Kranken-Klaustrophobie packt mich, ich schnelle hoch, stelle mich in den Flur. „Setzen Sie sich bitte hin“, bellt die Praxisassistentin. Mir reichts. Ich packe meine Jacke, stapfe die Treppe hoch, schnappe mir Marlie. „Das bringt doch alles nichts“, rufe ich entnervt aus. „Frau Klinger, bitte, Sie sind dran!“. Na gut. Dann bleib ich eben noch ein bisschen. Dracul mustert mich über den Rand ihrer Hornbrille, steckt mir die Nadel in den Arm und zapft mir Blut ab. Dann endlich, die Resultate liegen vor. „Es sieht viel besser aus!“, freut sich die Ärztin. Ich freue mich auch. „Die Antibiotika müssen Sie aber trotzdem bis zu Schluss nehmen“. Ich freu mich doch nicht.

calvin