Archiv für den Monat September 2015

Deine Waffe, dein Mund

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Deine Waffe, dein Mund

„Bitte bring di um. Du würdsch mir en Gfalle tue“. Diese freundliche Bitte wurde jüngst per SMS – immerhin nicht an mich adressiert – in den Äther geschickt. Absender: Ein gebildeter junger Herr, in dessen Bücherregal sich ein psychologisches Fachbuch an das andere reiht. Die Vermutung, dass es sich bei besagter literarischer Sammlung um einen Notvorrat handelt, falls das Brennholz knapp werden sollte, ist sicher wohlwollend spekuliert. Übrigens lautete die Begründung für besagte Botschaft, man habe gewollt, dass der Adressat wegen eines – doch eher banalen – Konflikts möglichst schnell zurückruft. Ja dann. Was wohl kommt, wenn’s richtig dringend ist? „Deine Mutter wurde soeben von einem Lastwagen überfahren!“?

Szenenwechsel: Neulich stand ich in munterer Runde an einem Tischchen und erfreute mich an der Gesellschaft eines sehr scharfzüngigen und –sinnigen Mittvierzigers. Nun betrat ein Neuling, die Runde, dessen Antlitz deutlich vom Leben gezeichnet war: Dunkle Ringe unter den Augen, die Gesichtszüge aufgedunsen und offensichtlich nicht mehr gut in Form. „Mir tut da etwas weh“, klagte er, und piekste seinen Finger auf die Stelle über seinen Eingeweiden. „Was mag das sein?“, wandte er sich hilfesuchend an uns. „Es ist das Fett“, erwiderte der scharfzüngige Herr, und musterte ihn mit der Herablassung jener Menschen, die das Leben verschont hat von dem, was sich ins Gesicht des Mannes mit den Schmerzen gebrannt hat.

Kennt ihr das Geräusch, wenn Vinyl ruckartig vom Plattenteller gezogen wird? Das empfinde ich, wenn Menschen ihren Mund öffnen, um den Blick in ein Inneres freizugeben, in dem die Empathie offenbar den Kampf im Schlammcatchen verloren hat. Schlammcatchen – die neue Trendsportart, wenn man so die Kommentarspalten politisch heikler Artikel liest. Es geht hier aber nicht um Politik – es geht darum, dass Anstand scheinbar zum Luxusgut wird. Nicht umsonst existiert das Wort „Cyber-Mobbing“. Das Schlimmste ist dabei, dass diese Art von Worten auch hinter dem Rücken der Betroffenen über die Menschheit erbrochen wird. Im Wort „Rufmord“ steckt „Mord“ schon drin. Da ist die Bitte nach dem Suizid doch immerhin mal eine transparente Absichtserklärung. Übrigens rede ich nicht von einem schwungvollen „Du verd**** Soucheib!“ im Affekt. Ich rede von jenen Keulen, die gezielt geschwungen werden, mit dem K.O. als Endstation.

Bekanntlich hat jede Medaille zwei Seiten. Die andere Seite lautet „Ignorier den doch einfach“. Auch eine prima Methode, dem Gegenüber zu vermitteln, dass er keine Achtung verdient hat. Das mag ja angehen, wenn die zu ignorierende Person aufdringlich ist, ein Fremder, dem man zuvor vermittelt hat, dass man keinen Kontakt wünscht. Wenn sich die Wege zweier Freunde oder Kollegen aber teilen, bedeutet keine Antwort, dass man diesen Freund oder Kollegen nie hatte. Ich weiss nicht, wie mutlos und klein man sich fühlen muss, um keine Worte zu finden für einen, mit dem man über einen gewissen Zeitraum ein Stück des Wegs gegangen ist? Das soll keine Beleidigung sein an all jene, die sich wirklich mutlos fühlen, daran leiden und darum kämpfen, gehört zu werden und ihren Platz zu finden. Es ist eine Ansage an jene, die sich ihre Feigheit aussuchen und das für eine tolle Sache halten.

Was einen so aufregt, dass man jeden Stil und guten Geschmack oder gänzlich die Sprache verliert, hat übrigens meistens mit einem selber zu tun. Darüber nachzudenken lohnt sich. Dann finden sich auch die richtigen Worte.