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Deine Waffe, dein Mund

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Deine Waffe, dein Mund

„Bitte bring di um. Du würdsch mir en Gfalle tue“. Diese freundliche Bitte wurde jüngst per SMS – immerhin nicht an mich adressiert – in den Äther geschickt. Absender: Ein gebildeter junger Herr, in dessen Bücherregal sich ein psychologisches Fachbuch an das andere reiht. Die Vermutung, dass es sich bei besagter literarischer Sammlung um einen Notvorrat handelt, falls das Brennholz knapp werden sollte, ist sicher wohlwollend spekuliert. Übrigens lautete die Begründung für besagte Botschaft, man habe gewollt, dass der Adressat wegen eines – doch eher banalen – Konflikts möglichst schnell zurückruft. Ja dann. Was wohl kommt, wenn’s richtig dringend ist? „Deine Mutter wurde soeben von einem Lastwagen überfahren!“?

Szenenwechsel: Neulich stand ich in munterer Runde an einem Tischchen und erfreute mich an der Gesellschaft eines sehr scharfzüngigen und –sinnigen Mittvierzigers. Nun betrat ein Neuling, die Runde, dessen Antlitz deutlich vom Leben gezeichnet war: Dunkle Ringe unter den Augen, die Gesichtszüge aufgedunsen und offensichtlich nicht mehr gut in Form. „Mir tut da etwas weh“, klagte er, und piekste seinen Finger auf die Stelle über seinen Eingeweiden. „Was mag das sein?“, wandte er sich hilfesuchend an uns. „Es ist das Fett“, erwiderte der scharfzüngige Herr, und musterte ihn mit der Herablassung jener Menschen, die das Leben verschont hat von dem, was sich ins Gesicht des Mannes mit den Schmerzen gebrannt hat.

Kennt ihr das Geräusch, wenn Vinyl ruckartig vom Plattenteller gezogen wird? Das empfinde ich, wenn Menschen ihren Mund öffnen, um den Blick in ein Inneres freizugeben, in dem die Empathie offenbar den Kampf im Schlammcatchen verloren hat. Schlammcatchen – die neue Trendsportart, wenn man so die Kommentarspalten politisch heikler Artikel liest. Es geht hier aber nicht um Politik – es geht darum, dass Anstand scheinbar zum Luxusgut wird. Nicht umsonst existiert das Wort „Cyber-Mobbing“. Das Schlimmste ist dabei, dass diese Art von Worten auch hinter dem Rücken der Betroffenen über die Menschheit erbrochen wird. Im Wort „Rufmord“ steckt „Mord“ schon drin. Da ist die Bitte nach dem Suizid doch immerhin mal eine transparente Absichtserklärung. Übrigens rede ich nicht von einem schwungvollen „Du verd**** Soucheib!“ im Affekt. Ich rede von jenen Keulen, die gezielt geschwungen werden, mit dem K.O. als Endstation.

Bekanntlich hat jede Medaille zwei Seiten. Die andere Seite lautet „Ignorier den doch einfach“. Auch eine prima Methode, dem Gegenüber zu vermitteln, dass er keine Achtung verdient hat. Das mag ja angehen, wenn die zu ignorierende Person aufdringlich ist, ein Fremder, dem man zuvor vermittelt hat, dass man keinen Kontakt wünscht. Wenn sich die Wege zweier Freunde oder Kollegen aber teilen, bedeutet keine Antwort, dass man diesen Freund oder Kollegen nie hatte. Ich weiss nicht, wie mutlos und klein man sich fühlen muss, um keine Worte zu finden für einen, mit dem man über einen gewissen Zeitraum ein Stück des Wegs gegangen ist? Das soll keine Beleidigung sein an all jene, die sich wirklich mutlos fühlen, daran leiden und darum kämpfen, gehört zu werden und ihren Platz zu finden. Es ist eine Ansage an jene, die sich ihre Feigheit aussuchen und das für eine tolle Sache halten.

Was einen so aufregt, dass man jeden Stil und guten Geschmack oder gänzlich die Sprache verliert, hat übrigens meistens mit einem selber zu tun. Darüber nachzudenken lohnt sich. Dann finden sich auch die richtigen Worte.

Wie echt darf ein Mensch sein?

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DSC_0202„Hm, also das würde ich nicht veröffentlichen“. Joël ist besorgt. Ich hab ihm meinen jüngsten Blogbeitrag zum Vortesten geschickt – nee, besonders fröhlich ist der nicht. „Man kennt dich als strahlende, stolze Frau. Das hier wird an dir haften bleiben, man wird dich fortan so sehen“. Ich bin erst mal geschockt, dann wütend. Weil ich weiss, dass er recht hat. Kein Mensch ist so einseitig, dass er nur eine Facette hätte. Aber jene, die am meisten auffällt, daran wirst du gemessen und bewertet. Wir sind ein lustiges Volk von Hedonisten, das Dunkle wird in den Keller verbannt. Das gilt nicht nur für Typen wie Fritzl. Gefühle sind generell verdächtig und mit Bedacht zu äussern. Tut man es trotzdem, und ich kann einfach nicht anders, erntet man bestenfalls komische Blicke, schlimmstenfalls wird man gemieden. Manche finden keine Worte, wenn du das Dunkle, Leidvolle aussprichst. Sie finden die Worte, sobald du ihnen den Rücken gedreht hast – dann nämlich, wenn sie dich bei Dritten verhandeln. Gewisse lachen dich aus, sagen „solche Probleme kenne ich nicht“ oder „ich kann das halt besser ertragen“, suhlen sich im Gefühl, überlegen zu sein. Will man solchen Menschen eine Steilvorlage bieten?

Die Sache ist nur – ist eine Welt voll von gottverdammten Fassaden lebenswert? Ist es nicht eben von Wert zu sehen, dass auch andere stolpern, hadern und mit den selben Problemen kämpfen? Sind nicht jene die wahren Helden, die ihr Schiff bei starkem Seegang lenken, ihre Bürde mit Würde tragen? Wieviel Tiefgang kann jemand haben, der keine Tiefen hat?

Ich denke oft an Beat. Er weiss es wohl nicht, aber er ist mein Vorbild. Schon optisch hob er sich von der Menge ab, mit langem Haar, stets schwarz gekleidet. Man traf ihn an Parties, bei deren Erwähnung den Bravbürgern der Atem stockt. Er selber freilich machte keinen Hehl daraus. Kompromisslos authentisch. Beat lebte intensiv. Selber wirkte er dennoch ruhig, überlegt, reflektiert. Als er durch ein Schicksal in der Familie einen Rückschlag erlitt, da hat er vom wilden Leben Abschied genommen. Ein Mensch mit Verantwortungsbewusstsein. Eine Führungskraft. Seine ganze Abteilung leitete er mit Herz, Verstand und viel Feingefühl. Wer immer ihn kannte, respektierte ihn trotz seiner Andersartigkeit. Weil er das Rückgrat hatte, zu sich zu stehen, was immer auch andere darüber denken mögen. Und weil er tief in sich hinein blicken liess, direkt in sein grosses Herz.

Auch Rebekka, die hübsche, sympathische junge Frau, bringt mich ins Grübeln. Sie ist Alkoholikerin. Eines Tages stiess ich auf ihren Blog, der mit ehrlich gewählten Worten all ihre Abstürze beschrieb. Im Detail. Was in ihr vorging angesichts der leeren Flaschen, die sich in ihrem Hause türmen. Ein Scherbenhaufen, nicht nur aus Glas. Ihre Scham darüber, was sie alles angestellt hat während ihrer Filmrisse. Das Bedauern, viele Menschen durch ihre Krankheit verletzt zu haben. Ihren Kampf, ihre innere Zerrissenheit. Worte einer sensiblen, intelligenten Frau. Dank ihren Zeilen konnte ich sie ein bisschen verstehen. So viele blicken auf solch einen Menschen vom hohen Ross mit Verachtung herab. Für mich hat sie durch ihre Offenheit an Grösse gewonnen.

Ja, Joël hat nicht unrecht mit seinen Bedenken. Und das macht mir Angst. Der Mensch wertet, reduziert, verzerrt. Wer will so eine Karikatur von sich schon sehen? Es ist mir nicht egal, was ihr über mich denkt. Ihr habt keine Ahnung, was ihr deswegen an geilen Blogs schon verpasst habt. Der erste Besuch einer *** beispielsweise, oder dieses völlig skurrile Stelldichein im ***. Gar nicht zu sprechen von der durch und durch komischen Geschichte einer komplett missglückten ***. Trotzdem. Es ist ein Unrecht, dass er damit recht hat. Und deswegen bring ich den Blogbeitrag trotzdem. Bald.