Aus Italien, Österreich und Frankreich sind sie angereist, für eine Nacht. Ärzte, Coiffeusen, Bauführer, Verkäufer, Juristinnen, Informatiker, Rechte und Linke, die sich freuen, einander zu sehen um das Verbindende zu zelebrieren. Sie reihen sich geduldig ein, die Schlange dehnt sich aus zu einem breiten Menschenstrom. Bei Wind und Wetter harren sie aus, oft über eine Stunde, bis es an quadratischen Türstehern und –steherinnen vorbei ins vibrierend-wummernde Innere geht. Ein paar Stunden die Gedanken abschütteln, bis zum Morgengrauen, meistens auch länger. Dem Alltag entfliehen und eintauchen in sphärische Klänge, harte Bässe, bis sich der Körper von selbst bewegt, als würde er von einer höheren Macht gelenkt. Viele der Protagonisten hat man schon hundert Mal gesehen, nickt sich zu: „Wie geht’s?“, „Danke, dir?“ und dann wird getanzt. Jeder für sich und doch alle zusammen. Dekorativ platzierte Mädchen in hohen Stöckelschuhen sieht man hier kaum, cool am Tresen lehnende Jungs auch nicht. Die Liebe zum Rhythmus steht im Vordergrund, nicht das Sehen und Gesehen werden. Ohnehin bleiben viele der Augen geschlossen, um ganz im Klang aufzugehen. Die Zusammengehörigkeit wird durch das Andersartige demonstriert, tief-düster, schrill-bunt. Manche Gäste leuchten und blinken im finsteren Raum, auf dessen Nebelschwaden sich bunte Lichtkompositionen abzeichnen. Wenn der Junge, der sich ausschliesslich per Mundsteuerung fortzubewegen vermag, seinen Rollstuhl zum Tanze vor und zurück schnellen lässt, machen alle Platz. Für die übrigen zählt die ausgefeilte Beintechnik. Nicht immer nur elegant; egal – hier darf man sein. Ab und an durchbricht ein Freudenschrei aus hundert Kehlen die Melodie. Ein Klassiker wird gespielt, tausend Mal gehört, wirft nostalgische Gefühle auf. Man will das hören, immer wieder.
An eben jenem Ort trat er wie ein Geist aus dem Nebel hervor, Mitternacht war schon vorbei, es muss wohl auf die 6 Uhr früh zugegangen sein. Gross und dunkel, die Haare wirr vom Kopf abstehend. Dicke Stacheln an Hals und Armen geboten Abstand, sein Blick mit der Anziehung eines Neutronensterns drängte auf Nähe. Wir umkreisten uns wie Planeten, damals im Februar 2003 und die Monate darauf, immer wieder. Unzählige Geschichten könnte dieses Lokal erzählen, auch von Freunden, die kamen und gingen. Uwe, der stets tanzte, als wolle er Pilze mit einer Sichel schneiden. Der Kraken – jene junge Dame die sich zwischen uns zu drängen pflegte, wo sie sich wie mit Saugnäpfen an ihm festsog, zu unserer Erheiterung. Jedenfalls bis sie mir nach Jahresfrist allmählich auf die Nerven fiel. Wie zu heiss gekochte Milch überschäumte ich vor schierem Glück, das uns im Wunderland umschloss. Es hätte mich nicht gekümmert tot umzufallen im Taumel des Hochgefühls. Oder in den Abgründen des Kummers, als er mir aus dem Weg ging, zwischen den Etagen des Lokals. Die Begegnungen hatten sich etabliert und eine Verbindlichkeit angenommen, die sich wie eine Schlinge um seinen Hals zurrte. Also befreite er sich. Schliesslich scharte er eine Gruppe scharrender Blondinen um sich – Bachelor im Kleinformat, und ich tanzte mit meinem neuen Freund. Hin und her, auf und ab. Und dann haben wir doch geheiratet.
Nun also wird das Oxa geschlossen. Der Baum, unter dem wir uns zum ersten Mal geküsst haben, wird gefällt. Das Kapitel wird geschlossen, so wie auch Liebe kommt und geht, selbst wenn wir damals dachten, es gehe für immer so weiter. Jener, den man geheiratet hat, nimmt stets einen speziellen Platz in der Erinnerung ein, und das gilt auch für den Ort, an dem alles begann. Selbst wenn längst neues Wasser durchs Flussbett fliesst. Auf Facebook nun klagen Gruppen wie „Heimatlose Raver suchen einen Club in ZH“ ihr Leid und auch der Zürcher Tagesanzeiger würzt seinen Artikel dazu mit einer Prise Wehmut. Die Tickets für die Closing-Party sind fast ausverkauft (aber ich hab drei davon, haha!). Dann verschwindet ein Andenken in der Versenkung. Und vielleicht ist das auch gut so, denn die alten Zeiten sind vorbei und werden nie mehr die selben sein. Sind es schon jetzt nicht mehr. Wo etwas zu Ende geht, kann Neues wachsen – wer weiss, vielleicht leuchtender als zuvor, und sei es auch im Kleinen?
http://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/stadt/Das-Oxa-schliesst/story/25470330