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Martin

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Ein Blog muss unterhaltsam sein. So hat man es mir gesagt. Darum wollte ich heute etwas Lustiges schreiben. Heute, am  1. April, dem Tag der Spässchen. Sowas verpflichtet. Bloss, was ist lustig? Dass ich gestern die Verpackung meiner Convenience-Spargelspitzen auf der Herdplatte eingeschmolzen hab? Wohl eher nicht.

Ich hatte also alle Hoffnungen in meinen gestrigen Ausgang gesetzt. Singles im Ausgang, das gibt immer was her, wie die Bienek vom Zürcher Tagblatt mehrfach unter Beweis gestellt hat. Der Ausgang als Garant für den ultimativen Spassfaktor quasi. Ausgehen, das bedeutet für mich nicht, mit gelangweiltem Gesichtausdruck auf Stilettos herumzustehen (auch nicht in Manolo Blahniks, aber das hatten wir ja schon). Grenzenlose Fröhlichkeit ist die Devise, sympathische Leute kennenlernen und tanzen ohne Ende. So in etwa stelle ich mir das vor. Ausserdem hatte ich auch wirklich keine Lust, den Samstag Abend allein daheim vor der Glotze zu verbringen. Wie trostlos wäre das! Also nichts wie auf in den Chreis Cheib, wo sich die Jungen und Wilden treffen. Gut, ich selber zähle ja eher zu den betagten Kartons (auch: alte Schachteln) , aber soweit bin ich noch lange nicht, dass ich meine Stützstrümpfe montiere, um an einer ü30 neben gesetzten Herren mit Schlips und Blazer mein Sulzer-Gelenk zu schütteln. Solange ich mein Gebiss zur Reinigung nicht raus nehmen kann, kriegen mich da keine 10 Pferde hin.

Ich schliesse mich also meiner lieben Kollegin an und begebe mich ordnungsgemäss aufgebretzelt in eins der illustren Szenelokale, so eins mit Elektro, House und so. Es ist noch früh, über das Lokal verteilen sich hübsche, durchgestylte Mädels und Jungs in hippen Jeans und Turnschuhen. Sie haben ihr Glas in der Hand und stehen abwartend herum. Einzig eine Gruppe von Jungs mit Haartollen, höher als die darunter liegende Stirn, geht schon in die Vollen und tanzt mit eckigen Bewegungen. Sie gleichen sich wie ein Elvis-Imitator dem anderen. Nur ein blondgelockter Knabe mit Justin-Bieber-Frisur, das Gesicht milchig wie ein Weggli, bevor es in den Backofen geschoben wird, fällt dabei aus dem Rahmen. Der Junge – er wirkt, als hiesse er Martin – hat frappante Ähnlichkeit Albert Ankers „Bildnis eines Knaben mit Mütze“ und wirft sich eben mit Anlauf an die Pole-Dance-Stange, wo er sich immerhin knapp 2 Sekunden hält, bevor er wie eine fette Robbe zu Boden sackt. Das an sich wäre ja nun wirklich amüsant – über allfällige eigene Versuche dieser Art müsste ich mich sicherlich kringeln vor Lachen, und alle anderen schätzungsweise auch. Nicht aber Martin, seine Mimik mit einem Blick, so milchig wie sein Gesicht, wird nur gelegentlich durch das Spiel seiner Lippen gestört – geschürzt wie jene von Mick Jagger, bevor er ins Mikro röhrt. Was seinen Kontrast zum Haartollen-Quartett wieder relativiert: Alle haben sie nämlich das gleiche ausdruckslose Gesicht. Den selben Tanzstil in leichter Rücklage – ich muss an Herbert Grönemeyer denken. Abgerundet wird das Bild durch in die Choreographie integrierte Siegerposen und einer Handbewegung, die an das Ziehen der Notbremse erinnert. Das hätten die gescheiter schon vorher mal gemacht.

Ich sitze da also, auf dieser kleinen harten Bank unmittelbar an der Tanzfläche, mit meinem Aperol Spritz in der Hand. Ich weiss nicht, wie lange schon. Die Kollegin ist draussen, wo es mir zu kalt ist, und raucht. Ich sitze da wie bestellt und nicht abgeholt. Statt „Deutschland sucht den Superstar“ gibt’s heute „Zugedröhnte Jungs“. Frage mich, was wohl das Mami von Martin sagen würde, wenn sie sähe, wie sich ihr süsser Spatz, kaum den Windeln entwachsen, gebärdet wie ein brünstiger Pfau. Den Spinat wollte er nicht, aber bei kleinen, chemischen Bonbons greift er munter zu. Nein, das ist keine lustige Geschichte. „Trostlos“, höre ich mich selbst murmeln. Es spielt keine Rolle; hier ist jeder mit sich selbst beschäftigt. Man hört mich nicht. Ich fühle, wie das Elend in mir hochkriecht, füge eine kleine Melodie hinzu, singe leise vor mich hin: „Troohoooooostloooos. Trostlos, trostlos. Gott, wie ist das trostlos.“. Dann stehe ich auf und gehe. Bevor noch jemand einen Blog über mich schreibt.