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Verschlafenes Ibiza

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Mein Herz schlägt im Rhythmus der Töne, die mir orkangleich aus den Boxen entgegenfegen. Über meinem Kopf schwingen Artisten zum Takt am Trapez, wirbeln glitzernde Papierschnipsel und versenken sich in meinem Dekolleté. Das Space in Ibiza ist ein Tollhaus. Oder besser: Ein Puppenhaus. So eins ist auf der Bühne nämlich aufgebaut, mit sechs Zimmern, jedes individuell dekoriert. In einigen davon haben überirdisch schöne Burlesque-Tänzerinnen Platz genommen, sie räkeln sich in der Wanne oder auf der Récamière. In anderen Zimmern schüren bizarre und lüsterne SM-Szenen den Voyeurismus der Zuschauer. Hinter mir speit ein Polizist Feuer – er muss in seinem früheren Leben ein Drachen gewesen sein.

Es gibt also Argumente, hier noch etwas zu verweilen, aber auch solche, zu gehen. Der Schlaf ist die Woche arg zu kurz gekommen; „Trainingswoche“ lautet das Motto, morgens um 10 geht es los mit Zumba, bis in den Abend hinein wird durch den Tag getanzt, immer wieder. Keine Sekunde ist es langweilig auf dieser Insel. Nachts gibt es noch mehr Gelegenheit, sich des Lebens zu freuen. Acht Stunden Schlaf sind optimal, sieben sind ok, mit sechs macht’s langsam weh. Erst vorgestern waren es gerade mal drei Stunden und heute früh bin ich – aus Gründen, die hier nicht näher beleuchtet werden sollen – vollständig bekleidet aufgewacht und morgen, ja da geht der Flieger. Ich wollt nicht völlig zerstört zu Hause ankommen. Ausserdem passt sich das Weiss meiner Augen zunehmend der Hautfarbe an – dunkelrot. Die Menge im Club ist dicht gedrängt, Leib an Leib. Niemals würde ich in der Hauptsaison herkommen wollen. Besser, ich mach mal nen Abgang.

Es ist vier Uhr in der Früh, wie ich ins Hotel schlurfe. Jetzt hab ich genau noch 5 Stunden. Das Zimmer teile ich mit Ayla, sie ist topfit und gerade mit dem Packen ihres Koffers beschäftigt. Fröhlich schwenkt sie eine Flasche. „Ich habe diesen Wein gewonnen“, frohlockt sie, „wollen wir trinken?“. Verlockend, aber ich winke ermattet ab. „Danke, muss schlafen, dringend.“ „Ich muss meinen Koffer packen“, stöhnt sie. „Mach was du willst, ich schlafe jetzt“, knurre ich müde, und lasse mich schon bald ins Bett sinken. Ayla ist die beste Zimmergenossin, die man sich wünschen kann, aber jetzt gerade knistert sie. Ich bin mir nicht sicher, ob sie ihre Kleider einzeln in Staniolpapier verpackt hat. 1000 Tüten scheinen im Zimmer hin und her zu sausen und Fangen zu spielen. Ich versuche, die Geräusche zu ignorieren, und ins Land der Träume einzutauchen. „Du, also dieser Sound war ja Schrott – und viel zu laut. Die Claudia hat sogar Herzrythmusstörungen bekommen, wegen dem Bass“ schüttelt sie fassungslos den Kopf. Mir hatte es eigentlich gepasst, ich fiepe irgendwas, und Ayla lacht „jöö, du bist so herzig – erinnerst mich ein bisschen an einen Maulwurf“. Silberne Steinchen an orientalischen Tüchern klimpern, im Necessaire rasseln Stifte, irgendetwas raschelt. Der Maulwurf gräbt sich ins Kissen.

Rund drei Stunden später wach ich zerschlagen auf. Ein Knistern dringt an mein Ohr. Hat sie etwa die ganze Nacht durchgepackt? Ich versuche weiterzuschlafen. Das Telefon klingelt: „Nein, ich kann jetzt nicht sprechen, meine Kollegin schläft noch“. Ich stelle mir Schafe vor. Noch zwei Stunden, bittteeee! Sie legt sie auf. Allmählich gleite ich wieder weg. Da klopft es an der Tür. Das Zimmermädchen. Ayla schickt sie fort, ich nicke wieder ein. „Willst du nicht aufstehen? Es ist schon nach neun – um 10 müssen wir das Zimmer abgeben!“, spüre ich eine Hand sanft an meiner Schulter. „Neeein, ich habe den Wecker auf 10 gestellt!“. Ich fühle, wie meine Augenringe tiefer in mich hinein sinken. Bestimmt wird gleich der Zimmernachbar seine Oboe auspacken oder aufs Schlagzeug hauen. Ayla geht zum Frühstück. Stille breitet sich aus im Zimmer. Eigentlich hat sie recht – ne Stunde ist knapp. Dann steh ich halt auf.