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Therapie in der Dunkelkammer

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Therapie in der Dunkelkammer

«Der Strom funzt leider nicht, nur diese Steckdose hier geht». Ich drücke den angeblich brach liegenden Lichtschalter, und tatsächlich, nichts tut sich. Der Befund wird in das Übernahmeprotokoll gekritzelt, das Protokoll der Verwaltung geschickt mit der Bitte, man möge den Schaden beheben. Aber erst mal egal: Endlich hab ich ein Atelier ganz für mich allein – das elektrisiert mich zur Genüge, wer braucht da schon eine funktionierende Steckdose?

Unterdessen vergehen Monate. Die Vormieterin hat freundlicherweise einen kleinen Lichtstrahler hinterlassen. Der bleibt vorerst ausgeschaltet – schliesslich ist Sommer, die Sonne taucht das Atelier bis in die Abendstunden in warmes Licht. Dann aber werden die Tage kürzer, und nun zaubert die kleine Lampe eine Atmosphäre ins Atelier, wie man sie sonst nur im Kino erlebt. Oder erlebt hat, damals, als «Ring» noch gespielt wurde. Ich bin mir nicht sicher, ob die Schatten in meinem Gesicht dem Gegenüber zuzumuten sind –  Desensibilisierungstherapie für Angstpatienten hab ich eigentlich nicht im Angebot. Für einen kurzem Moment überlege ich gar, meine Methoden der Situation anzupassen. Malen mit verbundenen Augen ist immer ein Erlebnis und spart Strom, erst recht, wenn es keinen hat. Ich entscheide mich dann doch, eine zweite Lampe herbeizuschleppen, die sich nun müde um erhellende Momente bemüht. Ihre Energie reicht aber nur für einen kleinen weissen Ring, den sie an die Wand zaubert – my precious. Im übrigen bleibt’s düster. Jetzt lege ich mit einem Verlängerungskabel nach, denn die einzige funktionierende Steckdose, die befindet sich beim Eingang, und die Kabel ziehen sich straff wie das Tanzseil im Zirkus über das Laminat. Den Teekocher stell ich auf den Boden, Improvisieren ist angesagt.

Beim Verlassen des dark rooms begegne ich der Nachbarin von gegenüber – sie ist auf dem Weg zu unserem gemeinsamen Klo. «Es tropft», klagt sie, und damit meint sie nicht das Klo, sondern ihr Dach. «Dann kündigen Sie doch», habe man ihr beschieden, als sie die Verwaltung wiederholt bat, der Schaden möge behoben werden. Sie müsse Kessel aufstellen, wenn es regnet, und die Heizung funktioniere auch nicht. «Ich bin total verzweifelt», ihre Augen röten sich, «aber ausziehen werde ich nicht». Warum, das ist mir klar. Das Haus ist alt und offensichtlich etwas verwahrlost. Für mich passt’s – das Atelier an sich ist ok, die Wände im Hausgang sind bunt bemalt und kreativ mit Scherben dekoriert – das Haus lebt, und wenn man abends um sieben die Treppe hochgeht, bekommt man einen guten Morgen gewünscht. Ein Hochglanzatelier würde sowieso nicht zu mir passen, bin ich doch selbst etwas nonkonformistisch. Dennoch; was in diesem Haus läuft, schert die Verwaltung nicht. Entsprechend sind die Mieten günstig und wer hier wohnt, kann sich wohl nichts anderes leisten. Gammelhäuser light. Das Gebäude hat den Charme eines besetzten Hauses: Der einzige Unterschied besteht darin, dass man von den Mietern noch nimmt, was möglich ist. Die Nachbarin tut mir leid, und für mein Licht sehe ich schwarz.

Grund genug, nochmals einen Anlauf bei der Verwaltung zu nehmen. Irgendetwas sagt mir, dass ich wohl doch die besseren Karten habe als meine Mitbewohner. Und voilà, jetzt klappt es tatsächlich. Ich bekomme die Koordinaten eines Elektrikers, und schon bald darauf steigt er – bewaffnet mit jeder Menge Material – schnaufend neben mir her in den fünften Stock. Oben angekommen, klettert er auf seine Leiter, dreht eine neue Sicherung rein und schwupps… schon scheint mir das Licht so hell auf den Kopf, dass man fast denken könnte, ich sei ein bisschen blond.