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Land unter in der WG

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wgDieser Tage beherrscht die Debatte zur Masseneinwanderungsinitiative die Medien. Es wird diskutiert, ob in der urchigen Schweiz bald Wohnsilos wie Pilze aus dem Boden schiessen – Türme, randvoll gefüllt mit Menschen auf engstem Raum. Wir wissen es nicht. Falls es so wäre: Im Anlitz des knappen Wohnraum scheint eine WG als Wohnform geradezu ideal. WG – nein, keine (Ein-)Wandergruppe. Individuen, günstig lebend in netter Gesellschaft ; die Wohngemeinschaft. Zurzeit bin ich öfters zu Gast in eben einer solchen. Und weil man das ja alles selbst schon mal durchgemacht hat, geh ich auf eine gedankliche Reise in die Vergangenheit – damals, als ich neu in die Stadt an der Limmat kam und meine Chance sah, als Baslerin so WG-mässig das Zürcher Integrationsprogramm zu durchlaufen.
 
In jenem Haus im Kreis 6 gab es drei Wohnungen, verteilt auf ebensoviele Stockwerke. Jedes der Zimmer zierte ein Lavabo, 16 Lavabos im ganzen Haus. Dieser ungewöhnlichen Innenarchitektur wegen war jedes Stockwerk von einer WG bewohnt – wer sonst will schon fliessend Wasser im Wohnzimmer? Im obersten Stock streuten sich zerlegte PC’s über den Boden. Ein paar Jungs, vermutlich keine Gärtner. Die Gemeinschaft im zweiten Stock markierte ihren Bereich bis ins Waschhaus, wo eine kunstvolle Installation schmutziger Wäsche ganzjährig zu einem hohen Turm gestapelt war. Wir, Bianca, Melanie, Babsi und ich, hielten als WG-Frischlinge im Hochparterre Einzug. Nun hatte ich so ein romantisches Bild. Philosophische Diskurse in der Küche, ab und an ne fette Party, alles ganz easy, alle für einen, einer für alle. So ähnlich. Das Erstere scheiterte daran, dass Bianca – eine junge, schüchterne Studentin – flüchtete wie ein aufgescheuchtes Reh, sobald wir Wölfe hungrig die Schnauzen zur Küchentür rein streckten. Melanie indes war nicht schüchtern, sie hatte einfach gern ihre Ruhe und daher die Türe stets geschlossen. Natürlich gab es Gespräche, nicht selten darüber, von wem dieser Speiserest auf dem Löffel stammt. Wie hat das Klopapier zu hängen, Gefrierbrand am Hintern oder Mief über dem Lokus, und wer klaubt die Spinne von der Decke? Das sind die wahren Entscheidungen, die das Dasein des modernen Menschen bestimmen. Abends überzog ein rhythmisches Klopfen regelmässig den Raum mit einem hellen Klangteppich. Dong, Dong, Dong, jemand spielt Xylophon auf dem Heizkörper. Die von oben. Sobald wir den Fernseher einschalteten, so gegen 20 Uhr. Anscheinend zu laut, die Wände sind ringhörig. Es weiss der Mensch ganz genau, wie die Welt zu sein hat – nämlich so, wie es eben gerade seinem Bedürfnis entspricht. Selten kommt einer auf die Idee, es hätten auch andere Sichtweisen ihre Berechtigung. Leider ist das in einer WG nicht anders. Trotzdem, die Welt ist paradox, ich mein ja nur: Kiffen, Räucherstäbchen und Kleiderberge im Waschhaus, aber dann auf hypersensibel machen? Was ist mit Toleranz und so? Oder einfach mal klingeln und freundlich die Sache klären?
 
Eines Tages jedenfalls latsch ich ahnungslos ins Badezimmer. Ein Schritt und meine Socke fühlt sich an wie ein kaltes Gerber-Fondue frisch aus der Packung. Gleichzeitig versenkt sich mit Anlauf etwas Feuchtes in meinem Haaransatz. Mein Blick geht zur Decke. Es tropft. Ich stutze kurz, renn aus der Wohnung, die nassen Socken pflitsch, pflatsch, immer zwei Stufen auf einmal. Ich presse meinen Finger gegen die Türglocke. Nichts regt sich. Nochmals: „Drrrring, drrrring“. Njet. Mal die Türfalle drücken, man weiss ja nie. Tatsache, die Wohnungstür öffnet sich. Zu meiner Linken dringt ein lautes Plätschern, nein eher ein Rauschen aus dem Badezimmer. Leise quietschend schwingt die Türe nach innen und gibt den Blick frei auf die Miseria. Der Raum steht unter Wasser, aus dem Hahnen ergiesst sich froh das lauwarme Nass in die übervolle Wanne. Wie Kate Winslet in Titanic pflüge ich mich durch die Überschwemmung, und bereite dem Spuk ein Ende. Jetzt, wo die wogende Brandung in der Wanne dem gierigen Gurgeln des Abflusses Platz macht, höre ich Stimmen. Ich wate Richtung Küche, sehe Licht. Die Damen sind am Plaudern, mustern mich jetzt mit überraschtem Blick. „Ihr habt ein Problem im Badezimmer“, stelle ich fest. Wie von der Tarantel gestochen springen sie auf. „Die Wanne!“. Mit Baden ist jetzt wohl nichts mehr. Immerhin – die haben offenbar, was ich wollte: Philosophische Runden, die dich echt noch reinziehen. Von diesem Tag an hörte das Klopfen am Heizkörper auf. Nichts und niemand ist perfekt, und wenn wir das merken, erwarten wir’s auch von anderen nicht mehr. Wenn nicht, löst sich vielleicht auch das Problem mit der Überbesiedlung – durch Totschlag mit schmutzigen Löffeln. Oder Ertränken. Wenn die Wanne ja schon mal voll ist.