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Haarig.

Standard

387745_2810031378248_812161715_n„Wenn es sich so kräuselt, wäääääääh!“. Das kleine Grüppchen Männer und Frauen verhandelt gerade die „haarigen Geschöpfe“, wie meine liebe Freundin Melanie das männliche Geschlecht zu nennen pflegt. Haare auf der Brust – da scheiden sich die Geister. Für die Beine besitzen Radfahrer eine Ausnahmebewilligung, und unter den Achseln – also bitte! Pelz ist in der Neuzeit nicht nur bei Peta verpönt, und ja, es geht jetzt auch den Herren ans Fell. Die letzte Tabuzone ist gefallen. Haare auf den Zähnen werden nicht toleriert, in der Suppe ebenfalls nicht, und frei von Hemmungen richtet sich der kritische Blick auch auf jene Körperstelle, wo manche beim männlichen Geschlecht den Denkapparat wähnen. Von Grundsatzdebatten verschont wird in diesem Gespräch einzig die Frisur auf den Köpfen. Obschon es da weitaus mehr Gesprächsstoff gäbe.

„Gott, wie banal“, höre ich einige von euch stöhnen. Nicht unbedingt. Frühkindliche Traumata nach der Lektüre des „Struwwelpeters“ lassen das Volk zu den Frisören strömen, was selbigen Haare ins Lavabo und Geld in die Kasse spült. Wer sich im Schweisse seines Angesichts den Sommerlook schneiden liess, kann das Erlittene vermittels Extensions binnen zwei Stunden wieder rückgängig machen. Die Herren unterstützen die Pharmaindustrie mit dem Kauf ominöser Wässerchen, zumeist erfolglos gegen das schwindene Deckhaar. Haariges Ungemach drohte auch im Mittelalter: Da wurden die Schäfchen zur Strafe und Demütigung am Kopf geschoren – und auch heute noch nimmt man in den Gefängnissen gewisser Staaten den eingebuchteten Damen die wallenden Locken ab, um es an westliche Frauen mit ungewollt kurzem Pagenschnitt weiterzureichen. Auch René Kuhn, der grosse Frauenversteher, weiss etwas zum Thema beizutragen: Er rügte die Damen der Linken kurzum kollektiv als verfilzte Vogelscheuchen. Seither habe ich schon viele linke Damen gemustert, um den Unterschied zwischen ihren und den Haaren politisch rechts orientierter Zeitgenossinnen zu eruieren. Bislang ohne nennenswerten Erfolg. Das einzige zerzauste Exemplar bin ich selbst, aber das wird morgen geändert, im Fall.

„Er hat eine Frisur wie Dachziegel – so aufeinander geschichtet“. Meine liebe Freundin Anna hat einen Neuen. Ich weiss nicht, welche Botschaft eine Ziegelfrisur transportiert, ausser vielleicht „Ich hab keinen Dachschaden“?. Grundsätzlich aber sind Frisuren ein Statement, sei’s mit kahlgeschorener Glatze oder Rastas. Ich erinnere mich an das Entsetzen meiner Eltern, als ich Marco mit den blauen Haaren nach Hause brachte. Heute ist die Gefahr provokanter Haarpracht weitgehend gebannt. Vielmehr liest sich die Standardbotschaft von Menschen über 35 mehrheitlich als: „Ich bin ganz brav“ – warum man so freiwillig auf einen kecken Look verzichtet, bleibt mir verborgen. Seriös ist doch nicht gleich langweilig? Anders der Sänger jener hippen Band am Wipkinger Open-Air. Er trug sie seitlich geschoren, oben spiralförmig zu einer Art überdimensionaler Muschel geformt. Sein Kopf wippte im Takt des Beats, und die Muschel wippte mit. Ich war fasziniert. Wenn wir schon bei „hip“ sind: Die ganz Coolen tragen ja jetzt Turnbeutel auf dem Rücken, so wie wir früher zur Primarschulzeit. Ich hab neulich einen gefragt, was er eigentlich da drin hat – Znünibrot, Apfel und Banane? „Bier und einen Pulli“, liess er mich wissen. Das war am Züri-Fäscht, aber die tragen diese Beutel ja auch in den Clubs, wo Bier nicht erlaubt ist und es keinen Pulli braucht. Ich vermute, sie stopfen Styropor rein, damit es so aussieht als ob. Apropos Züri-Fäscht: Dicht gedrängt standen wir in der tanzenden Menge bei der Vogelvolière, Schulter an Schulter mit anderen schrägen Vögeln. Und wie wir uns da so aneinander quetschen, meint meine Freundin Leila  „Stell dir mal vor, die hätten alle Afro-Frisuren – dann würden wir ja oben gar nicht mehr raus sehen“.