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Der Acker liegt brach.

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Der Acker liegt brach.

Ist ja lustig, irgendwie. Ich steck grad mitten, naja, sagen wir am Anfang meiner Diplomarbeit. Da geh ich der Frage nach, wie sich das digitale Zeitalter aufs Gemüt auswirkt. Neulich vermeldete der Quell allen intellektuellen Wissens aka 20Minuten, es gäbe eine Studie. Demnach sollen Menschen, die öfters als 8mal täglich ihre Social-Media-Kanäle checken, wesentlich stärker depressionsgefährdet sein als jene, die seltener online gehen. Nun, ich bin den ganzen Tag auf Facebook. Rein beruflich versteht sich 😉 Und ehrlich gesagt, wer mich kennt, weiss: Ich dampfe auch wie Sau. Und zwar nicht vom Sport.

Anyway. Nun weiss ich sehr gut, was gegen miese Stimmungslagen hilft: Ein zuverlässiges soziales Netz, Bewegung, freie Natur, Hoffnung, Humor. Für mich jedenfalls ist das die perfekte Zauberformel. Habe ich mir all das gegönnt? Nicht nur aus Anlass besagten Artikels erlaube ich mir einen kleinen Rückblick.

Die letzten paar Jahre hab ich sehr viel Zeit damit verbracht, Menschen verstehen zu wollen oder auf Menschen zu warten. Stun-den-lang. Menschen verstehen ist etwas Wunderbares. Einem Menschen zuhören zu dürfen und zuzusehen, wie er mit einem besseren Gefühl davonzieht, ist etwas vom Besten überhaupt. Aber manche der Menschen in meiner nächsten Nähe hielten mich auf Stand-by, während sie anderweitig engagiert waren: „Ich chume gli“. Ich wollte raus, einen Krimi in den Bergen enträtseln (Tatort Jungfrau). Mit dem E-Bike durch die Gegend ratzen (ja sorry, ich komm sonst einfach nicht den Berg hoch), Farben in den Himmel werfen, Gespenster jagen, mitten in der Landschaft in der Musik aufgehen, Reisen. Dinge, auf die ich mich gefreut hab, wie ein kleines Kind. Das Resultat? Ich habe gelernt, mich nicht mehr zu freuen. Warum? Sagen wir’s mal so: Es kann der Brävste nicht in Frieden leben, wenn der Nachbar ihn nicht lässt.

Nach einer guten Weile von „ich freu mich besser nicht mehr“, kam ich irgendwann morgens kaum noch aus dem Bett. Motivation auf dem Nullpunkt, dauermüde, und ich rastete öfter mal aus. Eine Fremde begrüsste mich morgens im Spiegel und heftete sich an meine Fersen. Ein neues Leben musste her. Die Krux dabei: Bewegung und die freie Natur kannst du dir holen. Für die soziale Komponente brauchst du Menschen. Versteht mich nicht falsch, ich hab ein paar tolle Menschen, die ich liebe. Heiss und innig. Diejenigen, die’s betrifft, wissen es. Hoffentlich. Die meisten sind recht busy, wie das in Zürich halt so ist. Falls sie überhaupt in Zürich sind. Vor allem am Weekend. Da verbringen die nämlich Zeit mit dem Freund oder der Freundin. Oder sie hängen selber in den Seilen, meilenweit von mir entfernt. Oder das Treffen mit mir wird ihnen verboten (weil die Freundin denkt, ich werf mich jetzt plötzlich auf meinen langjährigen best friend). Die Treffen sind oft an Konditionen geknüpft: Das Programm mitmachen, das auch ohne mich geplant gewesen wäre, und vielleicht so gar nicht meins ist. Irgendwo sitzen (ich sitz ja schon die ganze Woche!?). Auf WhatsApp und Facebook werden eifrig Pläne geschmiedet. Kurz vorher sagt mir die Generation unverbindlich ab. Eins ums andere Mal. Und weil man sich auf nichts mehr verlassen kann, freu ich mich doch mal weiter auf nichts mehr. Das ist eine Erscheinung des aktuellen Zeitgeists, kein böser Wille. Handy, ein Klick, das Problem ist erledigt. „Bin zu müde“, „hab mich im Datum geirrt“ oder vielleicht auch „eigentlich will ich gar nicht“. Digitales Zeitalter halt.

Dann also: Tinder. Ein praktisches Tool. Da lernst du tonnenweise Leute kennen. Passt, rechts wischen, passt nicht, links wischen. Wie im Migros. Zig verschiedene Produkte, eins davon legst du in den Warenkorb. Sind alle beteiligten Parteien im Warenkorb, wird der Konsum angebahnt. Was dann doch nicht vernascht werden will, hat ein kurzes Verfalldatum: „Treffen?“. „Bin schon im Pyjama“. „Soll ich kommen?“. Feel free, aber ohne mich. Manches schimmelt ein bisschen vor sich hin und wird ignoriert. Wer sucht schon Kontakt mit der Kartoffel im Kühlschrank, wenn er Pommes Duchesse haben kann? Andere Produkte sind resistenter, ich zum Beispiel bin kraft meiner Geduld ein über Monate haltbares Produkt, das man auch gut warm halten kann. Wenn die Pommes Duchesse grad alle sind, kauen sie auf dir herum wie auf einem faden Kaugummi, in der Hoffnung, dich bald ausspucken zu können. Das perfekte Umfeld also für fröhlich gestimmte Menschen, um noch fröhlicher zu werden. Sozusagen das gleiche Programm wie zuvor, in neuer Besetzung. Es verbindet dich auch in idealer Weise mit anderen Single-Kollegen: „Was machst heute?“ „Tinder-Date – morgen grad noch eins. Haha“.

Am Ende hast du Kontakt zu zahllosen Menschen und sitzt am Weekend doch allein daheim. Ausser, Apéro und Party ist angesagt. Kommst immer noch nicht aus den Federn und in die Gänge. Willst dich melden, aber kannst irgendwie nicht. Solltest schon längst diese und jenen besuchen, aber: „i mog eifach nid“. Dampfst wie eine Lok, daheim, sozusagen paralysiert. Checkst dein Handy alle paar Minuten. Fragst dich, ob du selbst asozial bist und es einfach nicht merkst. Man muss auch allein klarkommen. Ich glaube aber, damit ist „ohne Partner“ gemeint, und nicht, „ohne irgendjemanden“. Der Mensch ist ein soziales Wesen. Obwohl ich meeega gern was allein mache. Wenn ich darf. Nicht, wenn ich dazu gezwungen bin.

Wenn man auf sich selbst zurückgeworfen ist, merkt man bald, was wichtig ist. Wohin es gehen soll, weil es dahin gehen muss. Ich meine, hey, ich kann mich locker über eine Absage aufregen. Und zwar 5 Stunden, bevor ich sie überhaupt erhalte. Mein Bauchgefühl redet mit mir. Ich muss nur die Lauscher aufsperren. Und dann: Ich will niemand mehr in meinem Leben, der mich warm haltet. Niemanden, der an mir als Person keinerlei Interesse hat. Niemanden, der mich ignoriert. Ich will nicht tun, was andere wollen, wenn das die Bedingung ist, dass man überhaupt etwas zusammen macht. Will nicht an mir herumzerren lassen, kein schlechtes Gewissen. Nicht immer die sein, die auf die anderen zugeht. Will kein Mitleid, kein drittes Rad am Wagen sein, keine Almosen entgegennehmen. Ich will auch keine Erwartungen erfüllen und keine Leute sehen, die etwas anderes wollen als Freundschaft – ausser, es wäre gegenseitig. Nur noch Menschen, die mich mögen, um meiner selbst willen. Auch wenn ich unmöglich bin, in Tränen ausbreche, den Ton verfehle, mich gegen Ratschläge wehre. Weil sie wissen, wer ich bin.

Ich nehm mich selber an der Nase, will ehrlich sein, ohne Wenn und Aber. Nicht undiplomatisch, aber aufrichtig. Auch wenn es mir und dem Gegenüber weh tut. Das sind meine Werte, seit jeher. Manchmal hab ich gezögert, war zu diplomatisch, wollte nicht verletzen. Was am Ende dann ja doch verletzt. Erinnert mich daran, solltet ihr mich beim Kneifen entdecken.

Ihr wisst wohl, was das bedeutet? Die Leute, die dann noch übrig bleiben, kann ich an einer Hand abzählen. Nachdem ich mir ein paar Finger abgehackt habe. Nun, auf einem unbepflanzten Acker lässt sich prima säen. Dass da etwas Nahrhaftes wächst, kann ich jetzt schon sehen. Die neue Saison hat begonnen. Und all jene, die vorher schon da waren, und es weiter bleiben: Ihr seid die Besten.

Liebesbrief.

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moeweWahrscheinlich mag die mich nicht, dachte ich erst. Sie stilvoll klassisch , ich Villa Kunterbunt. Ich war neu in Zürich, neu an jener Schule. Dann haben wir zusammen gebüffelt, für den Planer Marketing-Kommunikation, so hiess das damals noch..

Nur wenige meiner Gspänli kennen Susanne, denn sie ist nie dabei an Partys, sie hasst sowas. Sie aber kennt alle, die zu meinem Leben gehören. Weil sie sich aufrichtig interessiert erkundigt. Sie macht sich nicht einfach ein Bild von einem Menschen, sie stellt ein Gebäude, das sie allmählich und wohlwollend möbliert.

Es ist nicht die Art Freundschaft, in der man ständig zusammenklebt. Und doch spielt sie eine Hauptrolle in den Erinnerungen, die mir Zürich zur Heimat machen:
Wie sie stets freudig aufgesprungen ist im Büro, um diesen vermaledeiten Radio aufzudrehen, sobald ein Song nur grässlich genug durch den Äther schepperte: „Eeeeeeeh Macarena“. Grauslich… Den Job bei der EPA hatte ich ihr zu verdanken. Keine Ahnung, wie sie mich angepriesen hat, aber als ich bewerbenderweise friedlich mit der Personalchefin plauderte, platzte der Gruber, mein zukünftiger Chef hinein, und beschied: „Es isch guät, sie isch agschtellt“. Ich hatte den Mann zuvor noch nie gesehen. Oder später, als Chibbi, Susannes Hund, den Toute-de-Suite hatte und ins Büro schiss. Der Gruber ist reingetrampt. Läck, hat der geflucht. Einmal haben wir uns kurzerhand bei ihr eingequartiert, Michel und ich, weil in der neuen Bleibe noch die Handwerker wüteten. Es geht mir heut noch ans Herz, wie zerstört sie war, als dieser Dumpfbeutel von einem frisch geschlüpften Vogel, den sie unter dem Baum aufgefischt und daheim aufgepäppelt hatte, nichts besseres wusste, als ausgerechnet ins Aquarium zu flattern und dort zu ersaufen. Oder jener Moment, als wir für jemanden ein Kerzli anzündeten, vor der geschlossenen Kirche. Es war für mich ein Geschenk, diesen Moment mit ihr teilen zu dürfen.

Freundinnen kamen und gingen. Letzteres, sagen sie, wegen meiner unverhohlen geäusserten Selbstzweifel, die mir anscheinend nicht zustehen. In Phasen, in denen ich im Kreis ging, weil sie nicht mitdrehen wollten. Oder weil sie schlicht wegzogen und neue Freunde fanden, in jener Stadt eine Stunde von hier. Vielleicht auch, weil ich Erwartungen, die ich nicht kannte, nicht erfüllte. Susanne hört sich meinen Scheiss jetzt schon dreizehn Jahre lang an. Ich kenne nur wenig Leute, die mich so virtuos zum Lachen bringen, wenn ich im Elend bin. Mit ihrem staubtrockenen, einfühlenden Humor. Sie will mich nicht belehren, erst mal ein herzhaftes „Am liebsten würde ich ihm die Fxxxx polieren, weil er dich verletzt hat“ aus ihrem eleganten Mund, und dann kann die Sache auch ganz gepflegt erörtert werden.  

Gestern Nacht nun, kurz vor dem Einschlafen, krächzte eine Möwe vor dem Fenster. Ich kicherte leise. „Was ist?“, fragte das Gspänli neben mir im Dunkeln. Ich erzählte ihm von jener kleinen Brücke auf Mallorca. Unter ihr ergoss sich ein gewundener, seichter Fluss ins offene Meer. Wir seufzten „Jöööh“ und „Hach“, hinunter, Susanne, ihr Freund, Michel und ich. Dort nämlich paddelten flauschige gelbe Entchen arglos durch die Welt. Plötzlich, wie ein Komet aus dem Himmel, stürzte die Möwe herab und krallte sich eines der Küken. Susanne, die liebe, warmherzige Susanne war tief geschockt. Wir anderen kommentierten diesen Situationszynismus mit tiefschwarzen Witzen, was den Susann’schen Vulkan zunehmend zum Brodeln brachte und sich abends – ich traute mich schon gar nicht mehr, am Buffet von der Ente zu schöpfen – in einem wütenden Ausbruch über uns ergoss. Ich fürchtete schon, sie sei jetzt für immer muff. Doch noch in der gleichen Nacht kroch leise ein Blatt Papier unter der Zimmertür durch – Susannes Friedenspfeife.

So erzählte ich die Geschichte zu Ende, hörte die tiefen Atemzüge neben mir. Ich lag wach da. Susanne ist einer meiner Grundpfeiler. Und jetzt rüttelt die ganze Härte des Lebens an ihren filigranen Schultern, derweil mein Dasein weitertänzelt, als würde sich die Erde drehen, die Blätter fallen und neue erblühen. Kann das, darf das so sein?