Psychopathologische Köpfe

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Also ich hab da so nen Spleen. Ich zeichne Köpfe. Genauer gesagt Frauenköpfe. Und zwar schon seit ich denken kann.

Seinen ersten Höhepunkt fand mein Wirken im Vorschulalter, als mein Kinderzimmer neu eingerichtet werden sollte. Das Pult war zum Zwecke des Abtransports ausnahmsweise vertikal statt horizontal aufgestellt. Die ungewohnte Ausrichtung ermöglichte es meinem Kumpel Patrick und mir, die Seitenwände besagten Mobiliars zu erklimmen und so die Decke zu erreichen. Diese Chance haben wir genutzt, und es entstand im Gemeinschaftswerk eine meiner nachhaltigsten Ölmalereien. Wir haben nämlich die Köpfe ausladend und mit Ölkreide in Decke und Wand hinein gepresst. Ich weiss nicht, wie oft der Maler Jahre später noch überpinseln musste – aber hey, schon als Knirpse wussten wir die Wirtschaft anzukurbeln!

Eine weitere Schaffensphase prägte schliesslich meine Gymnasialzeit, als ich das Pult grossflächig und in Farbe neu zu gestalten pflegte. Warum die Lehrpersonen sich gegen das Kritzeln von Zettelchen wehrten, gegen meinen Vandalismus hingegen nicht, ist mir bis heute ein Rätsel. Zwischenzeitlich im Berufsleben angekommen, lebe ich meine Passion während Sitzungen etwas kleinformatiger auf firmenintern gesponserten Schreibblöcken aus. Das soll nämlich die Konzentration fördern. Hab ich gelesen.

Seit einiger Zeit gibt es nun meine Frauenköpfe auch auf dem dafür vorgesehenen, mithin am meisten geduldeten Trägermaterial; der Leinwand. Die Bilder sind nicht im eigentlichen Sinne schön, aber sie zeigen frei nach Yin und Yang unmissverständlich den Gegenpol und Ausgleich zu meinem unbändig fröhlichen Naturell. Kurz und gut, sie sind schrecklich. Auf ihre ganz eigene Art. Die meisten jedenfalls. Voller Verzweiflung und Elend. „Gell, das bist du?“, fragt mich eine Kollegin zu dem dunkelroten Bild mit der zweigeteilten Frau, die kurz vor ihrem Ableben zu stehen scheint. Ich fühle einen Widerwillen. Jetzt sprechen wir nicht mehr über das Bild, wir sprechen über mich. Klar, ich möchte mein Bild zeigen. Es ist vielleicht kein Kunstwerk, aber ich fühle wie ein Kind, das stolz seine Strichmännchen zeigt. Wenn ich das Bild zwanzig Leuten zeige, möchte ich mit allen zwanzig Leuten über mich sprechen? Nee. Aber wie gehen Maler expressionistischer Bilder mit sowas um? Gut, bei Frieda Kahlo erübrigen sich die Fragen. Hingegen Munch mit seinem „Schrei“? Hat er über sein innerstes Seelenleben geplaudert, mit jedwedem, der darüber Vermutungen äussern mochte? Oder hat er sich temporär ins Ausland abgesetzt? Ich weiss es nicht.

Die schönste Rückmeldung übrigens, die ich dazu je zu einem Bild erhalten habe, lautete: „Es hat mich berührt“. Danke, Susi. Jedenfalls, hier ist mein Neuestes. Keine Ahnung, was es aussagt – vielleicht wisst ihr’s?

http://www.presseportal.de/pm/7861/1393765/gruner_jahr_geo

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