Klumpenrisiko im Ashram

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Klumpenrisiko im Ashram

Es liegt ja in der Natur des Menschen, nach Höherem zu streben. Ob Karriere- oder Hühnerleitern, es wird geklettert, was das Zeug hält. Auch ich trachtete nach der Krone. Nicht jene des Königs, zumal wir ja nicht in einem Königreich leben, sondern bekanntermassen in einer Diktatur. Auch nicht jene des Baumes –  ich war schon immer ganz, ganz mies im Sport. Nein, das Ziel war mein Kronenchakra, von welchem ich vermittels spiritueller Praxis zumindest mal hören wollte, ob es überhaupt da ist.

Also begab es sich, dass ich nach Indien reiste. Es mögen nun einige unter euch maulen, dass man ja nicht in Indien zu sich finde, sondern in sich selbst. Ja, ja, ja. Dennoch erhoffte ich, in der Ferne und abseits des täglichen Wahnsinns eine Art Kick-Start zu erfahren, dank welchem ich zu einer täglichen Praxis, einem Rhythmus, einer für mich guten Art und Weise, all dies in den Alltag zu integrieren, finden würde. Jemanden zu finden, der mich am Händchen nehmen und mir sanft den Weg weisen würde.

So schloss ich mich einer Gruppe Reisewilliger an, welche nicht nur die Absicht hegte, Körper und Geist mit einer täglichen Portion Yoga zu kräftigen, sondern ausserdem einige Tage in einem Ashram zu verbringen. Die Mitreisenden hatten da einen gewissen Vorsprung, waren sie doch der Astralreisen (wiewohl sie dennoch mit dem Flieger kamen) und der Heilung mit Wellen (ohne dabei nass zu werden) kundig. Aber ich will mich nicht lustig machen: Ohnehin bin ich mir gewöhnt, in vielen Welten dazuzugehören und doch nirgends richtig, was auch ok ist.

Die Tage in besagtem Ashram waren eingebettet in ein Programm, das es zu durchlaufen oder vielmehr zu durchschnaufen galt. Kernstück bildeten nämlich verschiedene Atemtechniken, wovon eine anscheinend die Königsdisziplin – die Krone – bildete. Kein Geringerer als der Guru selbst leitete diese unterschiedlichen Atemrhythmen an, wenn auch ab Band. Manche von euch werden ahnen, was jetzt kommt, ich nicht. Ich schnaubte und hechelte, als ginge es darum, ein Kind zu gebären.

Beim ersten Mal ging alles gut. Ein Kind gebar ich zwar nicht, aber einen tanzenden Stern. Eine Art Euphorie, gar eine Explosion im Kopf, ja man kann sagen, ein geistiger Orgasmus. All das trotz eines gewissen Widerwillens, der mein Gekeuche begleitete. Eine kleine Stimme, die leise sang, «let it be». Die Stimme hatte sich wohl geirrt. Beflügelt von dieser Erkenntnis, ging ich am folgenden Tag mit gestärktem Elan an die Sache heran.

Das leichte Kräuseln, das ich am Vortag schon verspürt hatte, wuchs beim zweiten Mal zu einem Krausen an, vielmehr ein Grausen. Mein ganzer Körper krampfte, verdreht wie eine balinesische Tempeltänzerin auf Ketamin zog er sich zu einem grotesken Haufen Knochen, einem Klumpen zusammen. Sogar das Gesicht fühlte sich an, als hätte ich den Kopf in einen Vakuumkanal gesteckt, in das Eingangsfenster eines Wurmlochs gewissermassen. Vor allem der Mund, der ja gar kein Mund mehr war, nur noch eine Öffnung, so eng und klein, als läge sie nicht im Gesicht, sondern anderswo. Es schien, als schrumpfte ich, hin zu einem neuen Dasein als Wurzel. Ich geriet in Panik.

Die, die sich um uns hätte kümmern sollen, kümmerte es wenig. «Es hat wohl etwas raus müssen», erklärte man mir. Eine Art Auto-Exorzismus? Mir war bis dahin nicht bewusst, vom Teufel besessen zu sein. Ich zog es vor, zu googeln, und zwar das Verb «hyperventilieren».

Nun kann aus meiner Sicht ja jeder atmen wie er will. Wenn ich aber auf die Blutversorgung in meinem Hirn verzichten soll, wäre ich im Vorfeld gerne darüber informiert. Risiken und Nebenwirkungen, in diesem Fall ein Klumpenrisiko quasi, stehen auf der Packungsbeilage, nur im Ashram nicht. Selbst der Schamane serviert nicht Ayahuasca und konstatiert dann, wenn alle kotzen, überrascht «hups, da wollte wohl etwas raus». Man weiss schon vorher, dass es so sein wird. Das Problem, so erfuhr ich später, ist durchaus bekannt, wird aber negiert. Auf einer Website des Ashrams steht gar, die besagte Übung habe nichts mit Hyperventilation zu tun. Und das, meine Damen und Herren, ist gelogen. Und erstickt jeden Austausch dazu im Keim. Ich werfe also die ketzerische Frage in den Raum, ob es vielleicht gewollt sei, wenn die Community nicht allzu gut durchblutete Hirnzellen hat. Man stellt so nicht zu viele Fragen und schreibt auch keine blöden Blogs.

Seither sind zwei Jahre vergangen. Einige Menschen, von denen ich einst dachte, sie könnten mich etwas lehren, sind „erwacht“. Und dieser Karrieresprung scheint mir unwahrscheinlich, vor allem dann nicht, wenn er mit der Abwertung Anderer einher geht. Es lehrt mich aber tatsächlich etwas: Natürlich soll man offen bleiben, sich auf neue Sichtweisen, Welten, Erfahrungen einlassen. Aber all das nicht, ohne einer Stimme höchste Priorität einzuräumen: Der eigenen, inneren. Es verhält sich nämlich mit der Wahrheit genau so, wie mit der Spiritualität an sich. Man findet sie, wenn überhaupt, nicht in Indien, nicht in Anderen, sondern tief in sich selbst. Oder anders gesagt: Wenn ihr einem Guru begegnet, nehmt euch in Acht vor zu viel heisser Luft.

*es handelt sich hierbei um meine persönliche Erfahrung ohne die Absicht, jemanden in die Pfanne zu hauen. Weshalb hier keine Namen genannt werden. Wer mehr wissen will, kann mich direkt fragen.

Adieu, mon amour

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Adieu, mon amour

Meine treue Begleiterin! Wie viele Stunden mögen wir wohl zusammen schweigend auf dem Sofa gehöckelt haben, fast wie zwei alte Bergpuurli auf dem Bänkli vor der Alphütte. Okay, du warst dabei jeweils etwas lauter als ich, denn dein röchelndes Schnaufen erinnerte irgendwie an einen Tiefseetaucher. Manche haben dich dafür auch ausgelacht, aber das war uns beiden egal. Nie bist du von meiner Seite gewichen, egal wie ausgelassen ich war oder wie beschissen es mir ging. Du hast unerträgliche Wartezeiten verkürzt, zermürbende Langweile zerstreut, meine flatternden Nerven beruhigt und vor allem: meinen Kummer betäubt. Überall warst du dabei, nur auf die Toilette hab ich dich nicht mitgenommen – Tag für Tag, treu wie eine Fussfessel, und das warst du ja irgendwie auch.

Ich erinnere mich gut, wie alles begann. Da warst du noch klein. Was haben wir gelacht, wenn uns im Ausgang jemand Feuer geben wollte, während du an meinen Lippen hingst. Im Verlaufe der Zeit bist du gewachsen, und je grösser du wurdest, desto mehr hast du gesoffen. Das ging einige Zeit gut, aber so gegen das Ende hin hast du immer öfter zu sabbern angefangen oder littest unter sonstwelchen Zipperlein. Es wurde langsam anstrengend, und trotzdem waren wir unzertrennlich. Mehr als einmal hast du meinen Puls durch die Decke gehen lassen, mit deiner leicht pyromanen Art: Einmal, da hast du meine Handtasche in Brand gesteckt – ich sah mich genötigt, den ganzen Inhalt auf den Boden zu schütten, direkt unter der Hardbrücke und den entsetzten Augen meiner Kollegin. Auch im Papiersaal, an dieser 80er-Party – «the heat is on» – mussten wir gewisse Teile von dir in einem Eiskübel versenken, weil du mal wieder mit einer Büroklammer geknutscht und dir dabei die Finger verbrannt hast. Ach ja, du warst eine Verführerin. Kaum jemand, den du nicht angemacht hättest, egal ob Männlein oder Weiblein. Ich weiss nicht mehr, wieviele Menschen dich «nur mal kurz» ausleihen wollten, und dich dann, nach einem deiner süssen Küsse, äusserst widerwillig wieder hergaben.

Am Ende hast du begonnen, dein eigenes Ding durchzuziehen. Neulich, als ich schon im Bett lag, wurde ich von einem Geräusch aufgeschreckt – dieses Keuchen, das ich zu gut kenne, das aber zu diesem Zeitpunkt gar nicht möglich hätte sein dürfen. Ich war mir erst nicht sicher, ob es ein Einbrecher, ein Geist oder Darth Vader persönlich sei, der da mit dir zugange ist. Als ich schliesslich aufstand und nachsah, ertappte ich dich – total erhitzt standest du in der Küche und tatest, als wär nichts gewesen. Dabei hattest du dort ganz offensichtlich eben noch geraucht. Von da an wurdest du mir langsam unheimlich.

Teure Freundin, du hast mir nicht immer gut getan, aber ich habe dich schmerzlich vermisst, wenn du nicht da warst, ja ich war süchtig nach dir. Du hast mir wohl viel gegeben, aber ebenso viel genommen: Zeit und Energie. Es war eine Hassliebe – meine Güte, ich ging sogar einmal mit dem Hammer auf dich los, nur um dich endlich loszuwerden. Vorbei. Jetzt ist es endgültig. Ich denke zwar noch immer ab und zu an dich – doch die Zeit ist reif für eine Trennung. Vor zwei Wochen habe ich dich nun in deine Einzelteile zerlegt, gesäubert und tief hinten im Schrank versteckt. Ruhe in Frieden, liebe E-Zigarette.

Therapie in der Dunkelkammer

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Therapie in der Dunkelkammer

«Der Strom funzt leider nicht, nur diese Steckdose hier geht». Ich drücke den angeblich brach liegenden Lichtschalter, und tatsächlich, nichts tut sich. Der Befund wird in das Übernahmeprotokoll gekritzelt, das Protokoll der Verwaltung geschickt mit der Bitte, man möge den Schaden beheben. Aber erst mal egal: Endlich hab ich ein Atelier ganz für mich allein – das elektrisiert mich zur Genüge, wer braucht da schon eine funktionierende Steckdose?

Unterdessen vergehen Monate. Die Vormieterin hat freundlicherweise einen kleinen Lichtstrahler hinterlassen. Der bleibt vorerst ausgeschaltet – schliesslich ist Sommer, die Sonne taucht das Atelier bis in die Abendstunden in warmes Licht. Dann aber werden die Tage kürzer, und nun zaubert die kleine Lampe eine Atmosphäre ins Atelier, wie man sie sonst nur im Kino erlebt. Oder erlebt hat, damals, als «Ring» noch gespielt wurde. Ich bin mir nicht sicher, ob die Schatten in meinem Gesicht dem Gegenüber zuzumuten sind –  Desensibilisierungstherapie für Angstpatienten hab ich eigentlich nicht im Angebot. Für einen kurzem Moment überlege ich gar, meine Methoden der Situation anzupassen. Malen mit verbundenen Augen ist immer ein Erlebnis und spart Strom, erst recht, wenn es keinen hat. Ich entscheide mich dann doch, eine zweite Lampe herbeizuschleppen, die sich nun müde um erhellende Momente bemüht. Ihre Energie reicht aber nur für einen kleinen weissen Ring, den sie an die Wand zaubert – my precious. Im übrigen bleibt’s düster. Jetzt lege ich mit einem Verlängerungskabel nach, denn die einzige funktionierende Steckdose, die befindet sich beim Eingang, und die Kabel ziehen sich straff wie das Tanzseil im Zirkus über das Laminat. Den Teekocher stell ich auf den Boden, Improvisieren ist angesagt.

Beim Verlassen des dark rooms begegne ich der Nachbarin von gegenüber – sie ist auf dem Weg zu unserem gemeinsamen Klo. «Es tropft», klagt sie, und damit meint sie nicht das Klo, sondern ihr Dach. «Dann kündigen Sie doch», habe man ihr beschieden, als sie die Verwaltung wiederholt bat, der Schaden möge behoben werden. Sie müsse Kessel aufstellen, wenn es regnet, und die Heizung funktioniere auch nicht. «Ich bin total verzweifelt», ihre Augen röten sich, «aber ausziehen werde ich nicht». Warum, das ist mir klar. Das Haus ist alt und offensichtlich etwas verwahrlost. Für mich passt’s – das Atelier an sich ist ok, die Wände im Hausgang sind bunt bemalt und kreativ mit Scherben dekoriert – das Haus lebt, und wenn man abends um sieben die Treppe hochgeht, bekommt man einen guten Morgen gewünscht. Ein Hochglanzatelier würde sowieso nicht zu mir passen, bin ich doch selbst etwas nonkonformistisch. Dennoch; was in diesem Haus läuft, schert die Verwaltung nicht. Entsprechend sind die Mieten günstig und wer hier wohnt, kann sich wohl nichts anderes leisten. Gammelhäuser light. Das Gebäude hat den Charme eines besetzten Hauses: Der einzige Unterschied besteht darin, dass man von den Mietern noch nimmt, was möglich ist. Die Nachbarin tut mir leid, und für mein Licht sehe ich schwarz.

Grund genug, nochmals einen Anlauf bei der Verwaltung zu nehmen. Irgendetwas sagt mir, dass ich wohl doch die besseren Karten habe als meine Mitbewohner. Und voilà, jetzt klappt es tatsächlich. Ich bekomme die Koordinaten eines Elektrikers, und schon bald darauf steigt er – bewaffnet mit jeder Menge Material – schnaufend neben mir her in den fünften Stock. Oben angekommen, klettert er auf seine Leiter, dreht eine neue Sicherung rein und schwupps… schon scheint mir das Licht so hell auf den Kopf, dass man fast denken könnte, ich sei ein bisschen blond.

Am Ende des Regenbogens

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Am Ende des Regenbogens

Die Wolken sind weg, jetzt scheint mir die Sonne scheint ins Gesicht, dieser gehässige runde Ball, wie ein Scheinwerfer bei einem Verhör. „Du Looser“, scheint sie zu lachen, während du auf dem Sofa klebst – warum kann es heute nicht regnen? Heute, wo alle auf dem See sind, in den Bergen und was der Social Media-Stream sonst noch so hergibt. Dabei bist du ja eigentlich nicht hier, sondern in deinem Buch, in einer Welt weit weg von der deinen. Nur deine Hülle liegt noch da. Jene, die morgens müde abwinkte: Wozu durch die Gegend streifen? Hinter dem Park liegt der Friedhof, dahinter Wohnblocks und noch weiter der Uetliberg, wo sich halb Zürich fröhlich zusammenrottet, Kind und Kegel, zu einem undurchdringbaren Menschenknoten, in welchem du isoliert wie eine Kugel inmitten von Quadern ziellos die Zeit totschlägst. Die Kartographen dieser Welt wissen alles, rund ist die Welt, und sie wurde gefoltert, bis ihre Zunge sich locker machte. Alle Mysterien sind jetzt fichiert, du kannst sie googeln, und weisst am Ende trotzdem nichts. Willst du nach Atlantis suchen? Viel Spass. Es gibt so viel zu tun, tausend Bilder malen, bis sie aus deinem Fenster quellen und deine Wohnung zu einem Kletterpark aus Leinwänden formen, Text an Text, dein Erguss gleich über dem „Heftig“-Post, Buchstaben in einer gesättigten Suppe und dann, unangenehm berührt zu Tode geschwiegen oder schlimmer noch, auf den Seziertisch gezerrt und entweiht. „Früher war der Sinn des Lebens, zu überleben. Heute fehlt das“, meinte ein Freund. Dafür gibt es Bucketlists, Bungee-Jumping steht zuoberst, nichts als Kosmetik über dem Nichts, lachhaft. Also, noch 10 Tritte gegen den Sandsack, das hält fit, und dann gleich mal die gute Stube mit Luftballons füllen. Was ist schon Sinn?

Neben dir liegt eine Sammlung von Gesichtern, die sich eingefunden haben, um dich stumm anzuglotzen, eine Mauer des Schweigens oder vielmehr die Wand einer Squashhalle, die dir den Ball um die Ohren schlägt, den du ihr zuwirfst. Ich bin nicht gut in Squash. Für mich ist es trotzdem eine Mauer, vielleicht eine Klagemauer, und wenn du ihr ein Zettel zusteckst, dann sagt sie nichts. Ab und an löst sich ein Stein, um zu hören, dass es dir gut geht. Wie Enkel, deren Oma im Heim in sich zusammenschimmelt, dankbar entsorgt und umgeben von jenen, die bereits verfallen und geistig nicht mehr da sind. Man fühlt sich schlecht, aber was will man tun? Es ist der Lauf der Dinge, dass Oma verrottet im Heim, es gibt keinen Platz zwischen Laptop und Sofakissen und da ist es Balsam auf die Seele, wenigstens hat man wieder mal gefragt, und sie war so nett und sagte „mir geht es gut, ich brauch ja nichts“. Da hast du’s, so fühlt es sich an, 30 Jahre zu früh zwar, gewöhn dich dran, aber du, du hast jetzt noch eine Chance, und wenn es soweit ist, wirst du nicht mehr da sein. Du willst kein Verdingkind sein, unter dem Vorwand der Barmherzigkeit gehalten wie Nutzvieh, überhaupt ich will eure Almosen nicht und auch nicht eure Verlegenheit, aber um deiner selbst willen, das ist ein grosser Anspruch, überhaupt, dass du noch einen Willen hast? Verrückt. Nein, ich verlier nicht den Verstand, ich hab zuviel davon, und irgendwie tickt er anders, friss oder stirb, was kann ich tun? Und dann ist da einer, ja einer ist da, diese Leine am Boot, an der du dich festhältst und hoffst, sie möge nicht reissen, selbst wenn er spürt, dass dein Hirn Gedanken in die Welt spuckt wie Lava, schneller als er Töne aneinanderreiht, in seinem 140 dpM-Set.

Was wäre, wenn man einfach hinausposaunte, was man denkt? Ich wachse während ich schrumpfe, nie war ich stärker als jetzt und nie schwächer. Was gibt es denn noch zu verlieren? Ich will raus. Wo, bitte, ist das Ende des Regenbogens? Gebt mir Dynamit um die Grenzen zu sprengen, überall Grenzen, wohin man sieht. Wo gibt es noch Zauber in einer entzauberten Welt? Ich bin halt kein Archäologe, kein Astronom und nein, ich will in keine komische Sekte, keine Drogen fressen und auch keine Bäume küssen, das wär komisch. In die Welt hinaus, ja das wär toll, aber gibt es dort mehr? Und sorry, ich bin grad blank und sowieso, ich fühl mich irgendwie zu klein, so allein da draussen.

Kehlkopfentzündung im ÖV

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Kehlkopfentzündung im ÖV

Die Schweizer horten ihr Gold nicht auf der Bank, sondern im Mund. „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“, heisst es. Das ist eine ernstzunehmende Angelegenheit. Anscheinend. Unlängst jedenfalls monierte die Kolumnistin einer Schweizer Boulevard-Gratiszeitung (ist das ein Pleonasmus?), ihrer Freundin sei gar Schröckliches widerfahren. Sie habe sich im ÖV, auf dem Fensterplatz sitzend, über die Banknachbarin hinweg verrenkt, um den Türknopf zu drücken. Daraufhin habe diese – man will es kaum glauben – gefragt: „Müend sie use?“. Wuhuuuu.

Dieses Ungemach lässt in mir wieder mal eine oft gestellte Frage aufkeimen: Kann es sein, dass die Mehrheit der SchweizerInnen heutzutage an einer chronischen Kehlkopfentzündung oder allenfalls an einer Kiefersperre leidet, die das Sprechen erschwert? Besteht vielleicht die Angst, der Output von Buchstaben aus dem Sprechapparat werde nach Kilobyte abgerechnet? Eine Marktlücke – Flatrate fürs Sprechen. Oder ist es frei nach Mani Matter „will sie Hemmige hei“? Anders ist für mich das fassungslose Entsetzen nicht zu erklären, das mir entgegenschwappt, wenn ich ein Zugabteil mit dem Wort „Grüezi“ betrete. Huh! Es spricht! Auch habe ich schon Blogbeiträge von Leuten gelesen, die ihr Grauen schilderten, welches sie erfasst, wenn ein älterer Mensch das Wort an sie richtet. Die Alten wollen dann erzählen, das weiss man ja. Und dann müsste man sich am Ende der vielleicht durchaus interessanten Geschichte eines Individuums mit Lebenserfahrung zuwenden. Oder – Gott bewahre – einem einsamen Menschen zu zwei, drei Minuten Kontakt verhelfen. Dabei könnte einem im eben noch konsumierten Käseblatt glatt die Nachricht von Kim Kardashians Dellen am Arsch entgehen. Schlimm. Ganz schlimm.

„Gesundheit“ darf man auch nicht mehr sagen, da hat der gute Herr Knigge der lästigen Wünscherei ein Ende gesetzt. Und wehe, jemand stellt die saublöde Frage „Ist hier noch frei?“. Es ist unhöflich, höflich zu sein. Der Mensch im ÖV soll seine Existenz gnädigst nach bestem Wissen und Gewissen eindämmen: Wenn er sich schon nicht unsichtbar machen kann, dann soll er bitte wenigstens schweigen und seine Blicke an einem nicht-menschlichen Objekt fixieren. By the way – nicht nur im ÖV. Frag mal jemanden an der Kasse hinter dir, ob er vorrücken möchte, weil er oder sie ja nur so wenig hat, während du einen ganzen Wägeli-Inhalt auf das Rollband stapelst. Die meisten schütteln völlig überrumpelt den Kopf. Sorry Leute, was läuft mit euch?

Für mich ist es jedenfalls schwer nachvollziehbar, dass es Menschen gibt, die sich lieber akrobatisch verrenken, anstatt zu sagen: „Äxgüsi, ich muss raus – könnten Sie vielleicht drücken?“. Nein, sie brennen dir mit ihren Blicken lieber Löcher in die Schläfe oder rammen dir während ihrer Akrobatikeinlage den Ellbogen gegen die Nase, auf dass du ihre Absichten gefälligst konversationsfrei erahnen mögest. „Äxgüsi“ – nur im äussersten Notfall – ist zu einem heiseren Grunzen verkommen. Wenn wir so weitermachen, sind uns die Bonobos am Ende an Sozialkompetenzen überlegen. Möglicherweise war die Frage „Müend Sie use?“ durchaus süffisant gemeint.  Also: Wann gibt’s endlich Schleudersitze für kommunikationsgehemmte Fenstersitzer?

 

Die Kolumne und die Antwort im Original.

https://www.blickamabend.ch/kolumnen/abgefahren/wer-wird-millionaer-id6597434.html

https://www.blickamabend.ch/kolumnen/abgefahren/kiefersperre-id6613666.html

PS: Sollte Katja Walder je im Migros hinter mir stehen, ich lass sie vor. Selbst wenn ich nur ein Vanille-Glacé habe, und sie ein ganzes Wägeli voll. Promised!

Die Bedeutung von Glück

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Die Bedeutung von Glück

Ich schlenderte im gleichmässigen Takt der Fussgängerpassage. Aus den Häusern drang Musik im Viervierteltakt, als plötzlich plätscherndes Stimmengewirr den Rhythmus unterbrach. Unter der glühenden Sonne von Santiago de Cuba versammelten sich farbenfroh Frauen zu einer einer kleinen Menschentraube. Bei näherem Hinsehen erkannte ich, wie sie geduldig vor einem kleinen Geschäft ausharrten, in einem Land, wo die Menschen zumeist nur das Nötigste haben – das, und ein Lächeln im Gesicht, trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen. Augenscheinlich gab es günstig Shampoo und Seife zu kaufen, und dazu drängten sie nun in Richtung der Türe – gerade so, wie die jungen Menschen in unseren Breitengraden, wenn sie sich vom Türsteher Einlass in den angesagten Club erhoffen. Erschwingliches Shampoo. Was für uns ganz selbstverständlich scheint, ist in Kuba meist das Erste, worum dich bittet, wer sich von dir ein Scherflein erhofft.

Wie ich das Ereignis so auf mich wirken liess, sprach mich ein älterer Herr an, der vor dem Gebäude im Rollstuhl sass. Woher ich denn käme, wollte er auf Spanisch wissen. Nun kann ich in etwa so gut Spanisch wie Johann Schneider-Ammann Breakdance, nämlich gar nicht. Es dauerte eine Weile, bis ich seine Frage entschlüsselt hatte, die er mehrfach ruhig und in unterschiedlichen Worten formulierte, bis ich verstand. Wie es denn in der Schweiz so sei, wollte er wissen, nachdem die Frage der Herkunft geklärt war. Er kramte dazu einzelne Brocken Englisch aus seinem Gedächtnis, im Wortschatz ähnlich reichhaltig wie meine Spanisch-Kenntnisse. Die Unterhaltung schien sich in die Länge zu ziehen, und so kniete ich vor seinen Rollstuhl, um mich auf Augenhöhe mit ihm auszutauschen. Ob es tranquillo sei in der Schweiz? Er selber sei vor allem froh, dass es in Kuba kaum Gewalt gebe, oder zumindest keine Schiessereien – er zielte mit zwei Fingern in die Luft, „päng päng“.

„Bist du glücklich?“. So eine Frage hatte mir nie zuvor ein fremder Mensch auf der Strasse gestellt. Ein freudig entgegen gestrahltes „Ja“ wäre der Ernsthaftigkeit der Frage nicht gerecht geworden, wenn auch im Augenblick gewiss korrekt – aber hey, drei Wochen Kuba, siiiicher bini glücklich. Und so führten wir mit Händen und Füssen einen Diskurs über die Bedeutung von Glück, was es dazu brauche oder eben nicht. Meine Meinung, wonach Geld ab einem gewissen Punkt nichts zum Glück beitrage, erschien mir zwar etwas zynisch: Immerhin habe ich es. Trotzdem ist es nicht weniger wahr. Was unzufrieden macht, ist nicht das bisschen Mehr oder Weniger, es ist der Vergleich. Einen kleinen Moment lang zögerte ich, ihm die Gegenfrage zu stellen – ist es angemessen, einen Mann im Rollstuhl zu fragen, ob er glücklich sei? Einer, der tagsüber auf der Strasse sitzt, komplett im Ungewissen darüber, wie er sein Leben meistert? Oder ist es nicht eher völlig unangemessen, davon auszugehen, dass so ein Mensch nicht ebenso glücklich sein könne wie ich mit zwei gesunden Beinen. Ich, die ich eben noch offenbart hatte, dass auch ich nicht immer glücklich sei? „Mal mehr, mal weniger“, erwiderte er – meine Worte.

Als ich mich schliesslich zum Abschied bei ihm bedankte und meinen Weg fortsetzte, da fühlte ich mich noch beschwingter als zuvor. Ich hatte das Gefühl, etwas gelernt zu haben. Aber was? Natürlich wäre es Unfug zu denken, die Unterhaltung zwischen zwei Menschen, die nicht die selbe Sprache sprechen, würde tiefere Erkenntnisse bringen, als was in unzähligen Büchern schon geschrieben steht: Nämlich das Wichtigste, neben dem, was der Körper braucht, sei das Gefühl von Sicherheit und ein soziales Netz. Freundschaften, Familie, Zusammenhalt. Das lässt sich ganz simpel in der Maslow-Pyramide ablesen. Nichts Neues im Westen. Vielleicht, so mein Gedanke, trifft man in Kuba nicht nur der warmen Sonne wegen mehr freundliche Gesichter und Offenheit an als hierzulande. Wahrscheinlich ist es auch der starke soziale Zusammenhalt dieses Volkes, der Glück bringt. Etwas, das verloren geht, wo ein Jeder damit beschäftigt ist, unter unzähligen Optionen die beste für sich zu suchen.

Nach einigen Schritten, in Gedanken versunken, lag es plötzlich klar wie ein Bergsee vor mir. Nicht der Inhalt des Gesprächs war die Lektion gewesen! Zwei Menschen hatten sich die Zeit genommen, völlig absichtslos und trotz erheblicher Verständigungsschwierigkeiten einander zuzuhören. Das ist Glück.

Der Acker liegt brach.

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Der Acker liegt brach.

Ist ja lustig, irgendwie. Ich steck grad mitten, naja, sagen wir am Anfang meiner Diplomarbeit. Da geh ich der Frage nach, wie sich das digitale Zeitalter aufs Gemüt auswirkt. Neulich vermeldete der Quell allen intellektuellen Wissens aka 20Minuten, es gäbe eine Studie. Demnach sollen Menschen, die öfters als 8mal täglich ihre Social-Media-Kanäle checken, wesentlich stärker depressionsgefährdet sein als jene, die seltener online gehen. Nun, ich bin den ganzen Tag auf Facebook. Rein beruflich versteht sich 😉 Und ehrlich gesagt, wer mich kennt, weiss: Ich dampfe auch wie Sau. Und zwar nicht vom Sport.

Anyway. Nun weiss ich sehr gut, was gegen miese Stimmungslagen hilft: Ein zuverlässiges soziales Netz, Bewegung, freie Natur, Hoffnung, Humor. Für mich jedenfalls ist das die perfekte Zauberformel. Habe ich mir all das gegönnt? Nicht nur aus Anlass besagten Artikels erlaube ich mir einen kleinen Rückblick.

Die letzten paar Jahre hab ich sehr viel Zeit damit verbracht, Menschen verstehen zu wollen oder auf Menschen zu warten. Stun-den-lang. Menschen verstehen ist etwas Wunderbares. Einem Menschen zuhören zu dürfen und zuzusehen, wie er mit einem besseren Gefühl davonzieht, ist etwas vom Besten überhaupt. Aber manche der Menschen in meiner nächsten Nähe hielten mich auf Stand-by, während sie anderweitig engagiert waren: „Ich chume gli“. Ich wollte raus, einen Krimi in den Bergen enträtseln (Tatort Jungfrau). Mit dem E-Bike durch die Gegend ratzen (ja sorry, ich komm sonst einfach nicht den Berg hoch), Farben in den Himmel werfen, Gespenster jagen, mitten in der Landschaft in der Musik aufgehen, Reisen. Dinge, auf die ich mich gefreut hab, wie ein kleines Kind. Das Resultat? Ich habe gelernt, mich nicht mehr zu freuen. Warum? Sagen wir’s mal so: Es kann der Brävste nicht in Frieden leben, wenn der Nachbar ihn nicht lässt.

Nach einer guten Weile von „ich freu mich besser nicht mehr“, kam ich irgendwann morgens kaum noch aus dem Bett. Motivation auf dem Nullpunkt, dauermüde, und ich rastete öfter mal aus. Eine Fremde begrüsste mich morgens im Spiegel und heftete sich an meine Fersen. Ein neues Leben musste her. Die Krux dabei: Bewegung und die freie Natur kannst du dir holen. Für die soziale Komponente brauchst du Menschen. Versteht mich nicht falsch, ich hab ein paar tolle Menschen, die ich liebe. Heiss und innig. Diejenigen, die’s betrifft, wissen es. Hoffentlich. Die meisten sind recht busy, wie das in Zürich halt so ist. Falls sie überhaupt in Zürich sind. Vor allem am Weekend. Da verbringen die nämlich Zeit mit dem Freund oder der Freundin. Oder sie hängen selber in den Seilen, meilenweit von mir entfernt. Oder das Treffen mit mir wird ihnen verboten (weil die Freundin denkt, ich werf mich jetzt plötzlich auf meinen langjährigen best friend). Die Treffen sind oft an Konditionen geknüpft: Das Programm mitmachen, das auch ohne mich geplant gewesen wäre, und vielleicht so gar nicht meins ist. Irgendwo sitzen (ich sitz ja schon die ganze Woche!?). Auf WhatsApp und Facebook werden eifrig Pläne geschmiedet. Kurz vorher sagt mir die Generation unverbindlich ab. Eins ums andere Mal. Und weil man sich auf nichts mehr verlassen kann, freu ich mich doch mal weiter auf nichts mehr. Das ist eine Erscheinung des aktuellen Zeitgeists, kein böser Wille. Handy, ein Klick, das Problem ist erledigt. „Bin zu müde“, „hab mich im Datum geirrt“ oder vielleicht auch „eigentlich will ich gar nicht“. Digitales Zeitalter halt.

Dann also: Tinder. Ein praktisches Tool. Da lernst du tonnenweise Leute kennen. Passt, rechts wischen, passt nicht, links wischen. Wie im Migros. Zig verschiedene Produkte, eins davon legst du in den Warenkorb. Sind alle beteiligten Parteien im Warenkorb, wird der Konsum angebahnt. Was dann doch nicht vernascht werden will, hat ein kurzes Verfalldatum: „Treffen?“. „Bin schon im Pyjama“. „Soll ich kommen?“. Feel free, aber ohne mich. Manches schimmelt ein bisschen vor sich hin und wird ignoriert. Wer sucht schon Kontakt mit der Kartoffel im Kühlschrank, wenn er Pommes Duchesse haben kann? Andere Produkte sind resistenter, ich zum Beispiel bin kraft meiner Geduld ein über Monate haltbares Produkt, das man auch gut warm halten kann. Wenn die Pommes Duchesse grad alle sind, kauen sie auf dir herum wie auf einem faden Kaugummi, in der Hoffnung, dich bald ausspucken zu können. Das perfekte Umfeld also für fröhlich gestimmte Menschen, um noch fröhlicher zu werden. Sozusagen das gleiche Programm wie zuvor, in neuer Besetzung. Es verbindet dich auch in idealer Weise mit anderen Single-Kollegen: „Was machst heute?“ „Tinder-Date – morgen grad noch eins. Haha“.

Am Ende hast du Kontakt zu zahllosen Menschen und sitzt am Weekend doch allein daheim. Ausser, Apéro und Party ist angesagt. Kommst immer noch nicht aus den Federn und in die Gänge. Willst dich melden, aber kannst irgendwie nicht. Solltest schon längst diese und jenen besuchen, aber: „i mog eifach nid“. Dampfst wie eine Lok, daheim, sozusagen paralysiert. Checkst dein Handy alle paar Minuten. Fragst dich, ob du selbst asozial bist und es einfach nicht merkst. Man muss auch allein klarkommen. Ich glaube aber, damit ist „ohne Partner“ gemeint, und nicht, „ohne irgendjemanden“. Der Mensch ist ein soziales Wesen. Obwohl ich meeega gern was allein mache. Wenn ich darf. Nicht, wenn ich dazu gezwungen bin.

Wenn man auf sich selbst zurückgeworfen ist, merkt man bald, was wichtig ist. Wohin es gehen soll, weil es dahin gehen muss. Ich meine, hey, ich kann mich locker über eine Absage aufregen. Und zwar 5 Stunden, bevor ich sie überhaupt erhalte. Mein Bauchgefühl redet mit mir. Ich muss nur die Lauscher aufsperren. Und dann: Ich will niemand mehr in meinem Leben, der mich warm haltet. Niemanden, der an mir als Person keinerlei Interesse hat. Niemanden, der mich ignoriert. Ich will nicht tun, was andere wollen, wenn das die Bedingung ist, dass man überhaupt etwas zusammen macht. Will nicht an mir herumzerren lassen, kein schlechtes Gewissen. Nicht immer die sein, die auf die anderen zugeht. Will kein Mitleid, kein drittes Rad am Wagen sein, keine Almosen entgegennehmen. Ich will auch keine Erwartungen erfüllen und keine Leute sehen, die etwas anderes wollen als Freundschaft – ausser, es wäre gegenseitig. Nur noch Menschen, die mich mögen, um meiner selbst willen. Auch wenn ich unmöglich bin, in Tränen ausbreche, den Ton verfehle, mich gegen Ratschläge wehre. Weil sie wissen, wer ich bin.

Ich nehm mich selber an der Nase, will ehrlich sein, ohne Wenn und Aber. Nicht undiplomatisch, aber aufrichtig. Auch wenn es mir und dem Gegenüber weh tut. Das sind meine Werte, seit jeher. Manchmal hab ich gezögert, war zu diplomatisch, wollte nicht verletzen. Was am Ende dann ja doch verletzt. Erinnert mich daran, solltet ihr mich beim Kneifen entdecken.

Ihr wisst wohl, was das bedeutet? Die Leute, die dann noch übrig bleiben, kann ich an einer Hand abzählen. Nachdem ich mir ein paar Finger abgehackt habe. Nun, auf einem unbepflanzten Acker lässt sich prima säen. Dass da etwas Nahrhaftes wächst, kann ich jetzt schon sehen. Die neue Saison hat begonnen. Und all jene, die vorher schon da waren, und es weiter bleiben: Ihr seid die Besten.

Deine Waffe, dein Mund

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Deine Waffe, dein Mund

„Bitte bring di um. Du würdsch mir en Gfalle tue“. Diese freundliche Bitte wurde jüngst per SMS – immerhin nicht an mich adressiert – in den Äther geschickt. Absender: Ein gebildeter junger Herr, in dessen Bücherregal sich ein psychologisches Fachbuch an das andere reiht. Die Vermutung, dass es sich bei besagter literarischer Sammlung um einen Notvorrat handelt, falls das Brennholz knapp werden sollte, ist sicher wohlwollend spekuliert. Übrigens lautete die Begründung für besagte Botschaft, man habe gewollt, dass der Adressat wegen eines – doch eher banalen – Konflikts möglichst schnell zurückruft. Ja dann. Was wohl kommt, wenn’s richtig dringend ist? „Deine Mutter wurde soeben von einem Lastwagen überfahren!“?

Szenenwechsel: Neulich stand ich in munterer Runde an einem Tischchen und erfreute mich an der Gesellschaft eines sehr scharfzüngigen und –sinnigen Mittvierzigers. Nun betrat ein Neuling, die Runde, dessen Antlitz deutlich vom Leben gezeichnet war: Dunkle Ringe unter den Augen, die Gesichtszüge aufgedunsen und offensichtlich nicht mehr gut in Form. „Mir tut da etwas weh“, klagte er, und piekste seinen Finger auf die Stelle über seinen Eingeweiden. „Was mag das sein?“, wandte er sich hilfesuchend an uns. „Es ist das Fett“, erwiderte der scharfzüngige Herr, und musterte ihn mit der Herablassung jener Menschen, die das Leben verschont hat von dem, was sich ins Gesicht des Mannes mit den Schmerzen gebrannt hat.

Kennt ihr das Geräusch, wenn Vinyl ruckartig vom Plattenteller gezogen wird? Das empfinde ich, wenn Menschen ihren Mund öffnen, um den Blick in ein Inneres freizugeben, in dem die Empathie offenbar den Kampf im Schlammcatchen verloren hat. Schlammcatchen – die neue Trendsportart, wenn man so die Kommentarspalten politisch heikler Artikel liest. Es geht hier aber nicht um Politik – es geht darum, dass Anstand scheinbar zum Luxusgut wird. Nicht umsonst existiert das Wort „Cyber-Mobbing“. Das Schlimmste ist dabei, dass diese Art von Worten auch hinter dem Rücken der Betroffenen über die Menschheit erbrochen wird. Im Wort „Rufmord“ steckt „Mord“ schon drin. Da ist die Bitte nach dem Suizid doch immerhin mal eine transparente Absichtserklärung. Übrigens rede ich nicht von einem schwungvollen „Du verd**** Soucheib!“ im Affekt. Ich rede von jenen Keulen, die gezielt geschwungen werden, mit dem K.O. als Endstation.

Bekanntlich hat jede Medaille zwei Seiten. Die andere Seite lautet „Ignorier den doch einfach“. Auch eine prima Methode, dem Gegenüber zu vermitteln, dass er keine Achtung verdient hat. Das mag ja angehen, wenn die zu ignorierende Person aufdringlich ist, ein Fremder, dem man zuvor vermittelt hat, dass man keinen Kontakt wünscht. Wenn sich die Wege zweier Freunde oder Kollegen aber teilen, bedeutet keine Antwort, dass man diesen Freund oder Kollegen nie hatte. Ich weiss nicht, wie mutlos und klein man sich fühlen muss, um keine Worte zu finden für einen, mit dem man über einen gewissen Zeitraum ein Stück des Wegs gegangen ist? Das soll keine Beleidigung sein an all jene, die sich wirklich mutlos fühlen, daran leiden und darum kämpfen, gehört zu werden und ihren Platz zu finden. Es ist eine Ansage an jene, die sich ihre Feigheit aussuchen und das für eine tolle Sache halten.

Was einen so aufregt, dass man jeden Stil und guten Geschmack oder gänzlich die Sprache verliert, hat übrigens meistens mit einem selber zu tun. Darüber nachzudenken lohnt sich. Dann finden sich auch die richtigen Worte.

Alles andere ist Beilage.

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Alles andere ist Beilage.

„Uii, was isch denn das für en Gschmack?“. Die kleine Dampfwolke, nach feinstem Eierlikör-Liquid duftend, war eine echte Bereicherung für dieses verqualmte Fumoir im Club, aber der Kerl neben mir rollte mit den Augen. „Hättsch lieber Salami-Duft?“, fragte ich ihn. Im Halbdunkeln sah ich, wie die Farbe aus dem Gesicht des Mannes wich. „Salami!?“. Er rang nach Atem, selbst der Strick-Fuchs auf seiner Pudelmütze zitterte. „Würsch du öbbe Tierli töte?“. „Du, das ist nur Lebensmittelaroma. Man stopft keine echte Salami in die E-Zigarette“, wich ich aus, und fügte an: „Du scheint ein überzeugter Vegetarier zu sein“. „Vegetarier???“. Jetzt war der Fuchs ganz aus dem Häuschen, spuckte Gift und Galle. „Vegetarier sind Mörder! Die essen die Menstruationsabfälle von Hühnern!!!“.

Nichts gegen Vegetarier und Veganer, sie haben meinen Respekt und ich ein schlechtes Gewissen. Aber äxgüsi, so ein saftiges Cordon-Bleu ist halt trotzdem lecker, ach ja, und ich liiiiiiiebe Fondue… „Welches Tier trinkt denn im Erwachsenenalter noch Milch? Das ist doch völlig abnorm“, ereiferte sich jetzt der Fuchs. Mochte er auch recht haben und der Blitz mich armen Sünder treffen, eine moralische Standpauke würde an meiner Fleischeslust so schnell nichts ändern. Also wandte ich mich zum Gehen, denn eben sah ich meinen Liebsten vorbeistreifen, gleich einem rettenden Boot, das mich Gestrandete von der Insel mit dem tollwütigen Fuchs retten sollte. Was aber tut das Boot? Nein! Es bleibt stehen, und mischt sich ins Gespräch. Toll. Ich ergriff die Flucht.

„Ich hab ihm gesagt, wir leben seit 7 Jahren vegan“, schmunzelte mein Herz, als er daher schlenderte. „Das wird ihn gefreut haben“, seufzte ich. Der Schwindel wäre nicht meins gewesen, aber jetzt, wo er ausgesprochen war, versprach er mein Leben an diesem Abend einfacher zu machen. „Weisst du ausserdem, wie lange der schon vegan lebt? Zwei Wochen!“. Der Fuchs hatte die Witterung aufgenommen und strahlte mich jetzt auf der Tanzfläche an: „So schön, dass ihr vegan seid. Seit 7 Jahren? Toll!“. Ich lächelte kläglich und versuchte, mit einem Ausfallschritt in der Menge zu verschwinden. „Nein Mann, ich will das nicht hörn. Ich will noch n’bisschen tanzen“. Er heftete sich an meine Fersen wie ein Raubtier, das Fleisch gewittert hat. Nun folgte er uns ins Fumoir, um die Dankbarkeit über seine Erleuchtung und neue Hasstiraden über das miese Gesindel von Fleischfressern auf unsere Häupter regnen zu lassen. „Dir fehlt es am psychologischen Geschick“, versuchte ich der Litanei ein Ende zu setzen, „du wirst niemanden überzeugen, indem du ihn beschimpfst. Geht’s vielleicht auch etwas weniger extrem?“. Allmählich hätte ich doch wenigstens gern seine Fuchsmütze durch den Fleischwolf gedreht. Mein Freund stand auf und wandte sich zum Gehen. „Also ich esse sehr gerne Fleisch“, grinste er im Vorbeigehen. Der Fuchs, eben noch in Euphorie darüber, Gleichgesinnte entdeckt zu haben, drohte nun in tiefste Tiefen zu stürzen. Das Leben wich ihm aus dem Antlitz. „Nein,“, flüsterte er heiser, „das tut er nicht, oder?“. Sein Weltbild stand auf dem Spiel, und ich hatte keine Lust auf Dramen und endlose Diskussionen. „Das würde er niiiie tun. Er will dich nur ärgern“. „Ich hab Hunger, ich hol mir mal was zu essen“: Mein Freund zog eben wieder vorbei und steuerte zum einzigen Food-Stand in diesem Lokal, mit nur einem einzigen Angebot: Croque Monsieur. Mit Schinken.

Das Kriegsbeil im Oxa-Gärtli – eine Weihnachtsgeschichte.

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Das Kriegsbeil im Oxa-Gärtli – eine Weihnachtsgeschichte.
roesliEinst lernte mein damaliger Mann das Rösli kennen. Völlig legitim. Wir steckten in einer schweren Krise und hielten die Leine lang. Aufgegeben hatten wir indes noch nicht, und so suchten wir am Wochenende jeweils ein Stück Normalität zu finden. Nun störten Sonntag für Sonntag Telefonanrufe und SMS unsere Eintracht: das Rösli. Läck isch die mir ufe Sänder gange. Als ich später aus der gemeinsamen Wohnung auszog – ein schwerer Moment – da kam sie gleichentags angerauscht, mit Kind und Kegel. Die Klinke war noch warm, und die kommt, um Ferien zu machen, in MEINER Heimat, die ich eben aufgeben musste. Die kennt ja ächt nüt. Der Kessel war für mich geflickt.
Eines schönen Abends sah ich diese Person im Oxa. Sie stolzierte auf mich zu: „Ich wär denn übrigens s’Rösli“. „Ich weiss“, antwortete ich, „aber es interessiert mi nid“. Sie trug meine Rede zu ihren Kollegen. „Wie arrogant!“, schrien diese (eines der wenigen Male, wo all jene Spezialisten, die mich für arrogant halten, wirklich mal recht hatten). „Oh je, oh je,“ stöhnte mein Ex, „jetzt geht das Theater erst richtig los – das wird sie nicht auf sich sitzen lassen“. Sie aber bewies Sinn für Humor und fand, soviel Schlagfertigkeit sei grandios.
Nun hatten wir ja eines gemeinsam; einen Menschen, den wir lieben. Ausserdem war klar, dass wir uns begegnen werden, immer wieder. Also schrieb sie mich an. Das fand ich gut. Wir beschlossen, das Kriegsbeil im Oxa-Gärtli zu begraben. Als wir uns trafen, haben wir uns prächtig amüsiert und gelacht wie noch nie. Heute schreibt sie: „Und d’Moral vo derä Misere. Jetzt hei mir üs ganz doll lieb und ich ha ja eh immer gseit, mir wärde mal Fründinne!“. Lektion: Die Dinge sind nicht immer, was sie scheinen.
Nette Story, sagt ihr, aber das ist doch eine coole Frau. Die Leute, die ich nicht mag, sind echt üble Charaktere. Nun gut, einer noch: Sascha, ein Freund, hat Ansichten, die treiben mich bisweilen zur Weissglut. Vieles davon ist politisch. Er steht rechts, ich links. Ich schätze ihn trotzdem. Er ist manchmal ein Pilzkopf, aber er hat auch schöne Seiten. Letztere kannte sein Arbeitskollege nicht. Ein Algerier, er hielt ihn für einen Rassisten. Das kann ich verstehen. Nun sollte besagter Algerier entlassen werden, das Budget reichte einfach nicht mehr für ihn. Sascha überredete das Team, auf einen Teil des Lohnes zu verzichten, damit der Algerier bleiben könne. Was geschah? Der Algerier arbeitet noch heute dort und hat seine Sicht auf Sascha wohl geändert. Nochmal: Die Dinge sind nicht immer, was sie scheinen.
Das ist kein Aufruf zur Kritiklosigkeit. Ich würde nicht mit Andenmatten spazieren gehen. Aber Freunde, es ist Weihnachten. Was ich mit dieser Story sagen will, ist im Grunde biblisch: Du sollst dir kein Bildnis machen. In jedem Menschen steckt ein bisschen Gott. Man muss nicht alle Meinungen und alles Verhalten tolerieren. Aber Menschen zu verurteilen, die man kaum kennt, das ist schwer selbstgefällig. Jedenfalls wenn man nicht die geistige Flexibilität hat, seine Meinung um 180 Grad zu ändern. Es ist einer per se kein schlechter Mensch, weil er dich böse angeschaut hat. Auch nicht, weil er Dinge sagt, die dir nicht gefallen. Und nicht, weil er dir deine Frau ausgespannt hat. Zeig Grösse. Es gibt Menschen zu entdecken.
PS: Auf meiner Suche zum Thema bin ich über Max Frisch gestolpert und habe mich gefreut, wie schön er meine Gedanken in Worte fasst:

Schminktipps.

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kinopoisk.ruWir sassen in entspannter Runde im Sitzungszimmer und suchten nach Themen. Das Ansinnen war es, unser Geschäftsfeld einer breiten Öffentlichkeit schmackhaft zu machen. Da hörte ich es: „Wie wär’s mit Schminktipps?“. Der Blick richtete sich auf mich. Keine Ahnung warum. Ich bin gänzlich ungeeignet, dieses Thema dem Laien näher zu bringen: Ich schminke mich mit der Spritzpistole. Sowieso kann ich nur mich selbst anmalen, wie andere aussehen, ist mir leidlich egal. Manch ein kurrliges Haus überrascht mit komfortablen Innenräumen. Das habe ich natürlich nicht gesagt, denn der Mann ist mir sympathisch. Ich bin sicher, er hat es nicht böse gemeint.

Ich nehme aber die Herausforderung an: Ich selber hätte ja gerne lange, volle Wimpern. Also hab ich es versucht. Sogar mit künstlichen Wimpern. Erst kleben sie schräg auf dem Augendeckel, dann gerät der Leim ins Auge, du siehst aus wie Nosferatu nach zehn Gläsern Schnaps. Nur mit viel Geduld gelang es mir. Dummerweise waren die Wimpern am Ende des Abends nicht mehr da. Ich habe mich wochenlang gefragt, wo sie wohl überall gehangen haben, bevor sie der Schwerkraft erlagen – auf meiner Nase? Wie der Mann mit der Nudel bei Loriot? Ich rate davon ab.

Lenken wir also die Aufmerksamkeit auf den Mund. Volle Lippen kann man schlecht schminken. Im Ernst, ich habe es versucht, und zwar mit Permanent Make-up. Nun ziert mich ein schwarzer Rand, seit 10 Jahren schon. Ich bin sicher, wenn die Archäologen auf meine Überreste stossen, ist allein der Rand noch da. Immerhin ist er nicht grün, das birgt im Alter den Hauch des Kompostierbaren. Aufspritzen kann man, wenn aussehen will wie ein Napoleon-Lippfisch zur Paarungszeit. Ich empfehle, täglich mehrfach eine halbe Stunde lang Didgeridoo spielen. Das hilft. Ehrlich. Wer keins hat: Ein Staubsauger tut’s auch. Einfach voll aufdrehen.

Kehren wir nochmals zu den Spiegeln der Seele zurück: Marilyn Monroe blinzelte sich zum Sexsymbol, allein mit ihrem Schlafzimmerblick. Natürlich sind nicht alle von der Natur dergestalt gesegnet. Macht nichts: Haltet euch eine Mücke als Haustier! Je ein Stich täglich in jedes Lid, und die Männer liegen euch zu Füssen.

Und jetzt im Ernst: Monet, Gauguin, Picasso. Malt doch, wie ihr wollt. Marusha hat es mit grünen Augenbrauen weit gebracht. Who cares?

Romantik im Tram

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Romantik im Tram

romantiktramJa, ja, ich weiss schon: Süffisante Texte über das Leiden mit unbequemen Weggenossen im ÖV füllen die Motzspalten der einschlägigen Plattformen wie das Wasser mein Lavabo, wenn wieder mal zu viele Haare in den Abfluss gefluscht sind. Aber zu diesen Meckernasen gehöre ich nicht. Wirklich. Im vollen Tram Zeitungsberichte über abgehackte Köpfe und amerikanische Foltermethoden lesen zu müssen, belastet mich wesentlich mehr als der telefonierende oder friedlich mampfende Nachbar. ÖV-Motz, das ist Jammern auf verdammt hohem Niveau. Jene, die sich über Taschen auf den Sitzen ereifern, manifestieren in meinen Augen ein weitaus übleres Problem: die grassierende Wortlosigkeit. Man könnte ja versehentlich einen Frosch ausspeien, wenn man darum bittet, den Platz frei zu machen. Selbst wenn sie das Tram verlassen will, durchbohrt dich die schweigende Masse lieber mit Blicken – du weisst nie, ob der Mensch neben dir aussteigen möchte, oder ob er intensiv den Pickel an deiner Schläfe mustert. „Äxgüsi“ ist gefährlich, jedenfalls für Männer. Es könnte als „Ex-Büsi“ missverstanden und von der Dame mit einem scharfen „das wüssti, du Perversling!“ gekontert werden.

Item. Ich stieg also frohen Mutes und offen für die Menschlichkeiten dieser Welt ins Tram. Die Plätze waren alle besetzt, beinahe jedenfalls. Drei der Passagiere führten Gepäck neben sich auf dem Sitz und ja, schon klar, ich habe eben gepredigt, man könne sich ja bemerkbar machen. Aber diese Damen hatten ihren halben Hausrat mit. Ich versicherte mich, ob ich nicht irrtümlich ins Cargo-Tram eingestiegen bin und habe mir das Geächze vorgestellt, wenn das ganze Bagage zu Boden gezügelt werden muss. Nein, ich hatte ehrlich ganz einfach keine Lust, und pilgerte weiter ins Heck. Dort hat es im Tram 2000 nämlich so ein kleines Bänkchen, an das man sich ganz bequem anlehnen kann. Ein Herr hatte die Vorzüge dieses Aufenthaltsorts ebenfalls erkannt, und so standen wir dort einträchtig beeinander.

Plötzlich steuerte eine junge Dame in Rot auf uns zu, und ehe ich wusste, wie mir geschieht, pflatsch, schon hatte sie sich zwischen uns fallen lassen. Zum besseren Verständnis: Das besagte Bänkchen ist so breit wie ein normaler Sitz. Sie war von eher korpulenter Statur, das ist nun wirklich nicht despektierlich gemeint – ich will damit nur verdeutlichen, dass die Sache unerfreulich eng wurde. Um Missverständnissen vorzubeugen: Es fanden sich reihum genügend Stehplätze, um auch einen Klaustrophoben noch frohlocken zu lassen. Ich prüfte meine Jacke, ob mir etwa jemand aus Spass einen Sticker mit der Aufschrift „Free Hugs“ aufgeklebt hätte. Meitli, gspürsch s’Sardinefeeling nid? Sie muss sich unwohl gefühlt haben. So leicht gibt man ja aber einen Kampf nicht auf. Ich auch nicht. Wir haben uns also zärtlich aneinander geschmiegt: Bald erhob sie sich, zum Gehen gewandt, bald besonn sie sich ihres Kampfgeistes und liess sich wieder in unser lauschiges Nest fallen.

Die vorletzte Haltestelle, einer stieg ein, musterte uns.  Er schien zu überlegen, ob er mitmachen will. Ok. Ich bin raus: „Adieu, s’isch romantisch gsi. E kuschligi Wiehnacht no“.

Maltherapie – wie geht das eigentlich?

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DSC_0073lIch wurde heute gefragt, wie Maltherapie eigentlich funktioniert. Nun war ich gerade in meiner Lehrtherapie. Davon brauchen wir für den Abschluss nämlich 40 Stunden, da man uns ja schlecht auf die Leute loslassen kann, wenn wir noch nicht mal unsere eigenen Knüttel kennen. Keine Angst, ich werde hier nicht mein innerstes Seelenleben über euch ergiessen, aber ein schönes Beispiel mit euch teilen.

Es ging um das Thema „Vertrauen“ – ganz ehrlich gesagt, ich weiss nicht so recht, wo ich das stehe. Im Grunde denke ich, ich habe viel Vertrauen in das Leben, andererseits könnte ich mir auch gut vorstellen, dass hinter der nächsten Ecke einer lauert, der mal eben das Bedürfnis verspürt, sein Sezierbesteck an mir auszuprobieren. Ich sollte das Thema also zu Papier bringen, und offen gesagt, ich hatte keinen Plan. „Da vertrauen wir mal, dass irgendwas bei rauskommt“, kicherte ich, und glaubte noch nicht so recht daran. Ich füllte also erst mal Farbe in einen Teller. Grün, Orange und Rot. Vielleicht, weil Grün die Hoffnung symbolisiert, das Leben schlechthin, die Verbundenheit mit unserer grössten Ressource, der freien Natur. Orange symbolisiert für mich die Lebensfreude schlechthin und Rot ist die Farbe der starken Gefühle. Ein bisschen Schwarz und Weiss, für die Nuancen.

Nun stand ich ratlos vor dem Zeichenblatt, tupfte grüne Punkte, die bald wie eine Raupe aussahen. Drum herum zog ich einen Kreis, und da dämmerte es mir: Das Ding sieht aus wie ein Apfel. Der vergiftete Apfel, den die böse Königin Schneewittchen reichte, haha. Auch Adam hatte vertrauensvoll in den Apfel gebissen, den Rest kennen wir ja. Ich lachte laut und meinte, ich wisse nicht so recht, ob ich daraus wirklich vertrauensvolle Schlüsse ziehen könne. In Gedanken versunken drehte ich mit dem Pinsel grosse Kreise um den Apfel. Nicht enden wollende Kreise. Samsara, der Kreislauf, der sodann auch Adam und Eva erfasste. Gut, „an apple a day keeps the doctor away“ und schliesslich kann auch der Broccoli vergiftet sein, mit Pestiziden zum Beispiel. Ob der Apfel gesund oder giftig ist, das wissen wir nicht. Aber geht es darum, immer blindlings zu vertrauen? Ein gesundes Misstrauen ist mitunter sehr angebracht. Es geht um Klarheit in der Einschätzung der Lage und ums richtige Abwägen.

Ohne den herzhaften Biss in den giftigen Apfel hätte Schneewittchen wohl bis an den Rest ihres Lebens die Teller der Zwerge gespült, anstatt den Prinzen kennenzulernen. Adam und Eva wären gelangweilt im Paradies rumgehockt, und hätten am Ende nichts als Lämpe bekommen. Mal abgesehen vom ganzen übrigen Spass, der ihnen entgangen wäre. Die Dinge sind nicht immer was sie scheinen. Ich drehte nun mit dem Pinsel einen schwarzen Kreis, einfach weil es Spass machte. Die Farbe zog sich pastös übers Papier und plötzlich erkannte ich eine Schallplatte. Was uns nicht vertrauen lässt, ist die Angst, die ihre Mantren singt, wie in eine Schallplatte in unserem Kopf.

Ich präsentierte meine Gedankengänge Liliane, der Therapeutin. Offen gesagt war ich begeistert, denn nichts von alledem hatte ich bewusst oder absichtlich gemalt. Beides tauchte einfach so auf, und das ist der Geist der Maltherapie. Es sind die Bilder aus unserem Unbewussten, die uns Antworten liefern. Was einst mein Vertrauen erschüttert hatte, erwies sich als potenzieller Segen, denn es hat den Platz frei gemacht für Neues, Passenderes. „Was ist denn das für ein Strich?“, fragte Liliane. Wie ein Pfeil, schoss es mir durch den Kopf, und ich antwortete: „Auch Willhelm Tell hatte mächtig Vertrauen in sich, als er seinem Sohn den Apfel vom Kopf schoss“. „Das könnte doch wie der Stab sein, der die Platte zwischendurch mal anhält“. „Wo sie recht hat, hat sie recht“, dachte ich, und malte einen Stopper an den Stab. Dieses schlichte Bild wird, mit einer neuen Sichtweise, wieder in mir versinken, wie es aufgetaucht ist – und dort wirken. Und ganz sicher werde ich es mir gerne ganz bewusst in Erinnerung rufen, sollte die Platte mal wieder zu lange drehen.

Am besten alle steinigen und sterilisieren. In dieser Reihenfolge.

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imagesCAB6LDNEWeil wir so einen schönen Sommer hatten, sind wir ja alle gutgelaunt. Die beste Gelegenheit, wieder einmal mit einem fröhlichen Thema einzufahren: Ich habe jüngst eine Sendung gesehen über eine Frau, die in den 70ern zwangssterilisiert wurde. Will heissen, die damals 18-jährige wurde ans Bett geschnallt, dann hat man ihr die Gebärmutter rausgenommen. Warum? Sie war unehelich schwanger. Ach ja, das Kind wurde abgetrieben. Ihr wurde triebhaftes Verhalten attestiert, zudem habe sei sie geistesschwach. Letzteres hat sich irgendwie nicht bestätigt, wenn man mal von dem Trauma absieht, dass man ihr angedeihen liess. Zwangssterilisationen gab es bis in die 80er, so unüblich war das nicht. So wenig unüblich wie die Sache mit den Verdingkindern, aber da ging es natürlich weniger um triebhaftes Verhalten, sondern im weitesten Sinne um Geld. Beide Arten von Verbrechen eint eine Moral, der jegliches Mitgefühl abgeht, ganz ähnlich, wie das bei gewissen Extremisten im Irak der Fall ist.

Nach diesem Rückblick in unsere Schweizer Vergangenheit wurde mir die Story jenes gut situierten Gemeinderats – wir nennen ihn Herr Hugentobler – zuteil, der sich das alleinige Sorgerecht für seine fünf Kinder erstritt. Dazu bedurfte es lediglich eines gefälschten psychologisches Gutachtens – wozu hat man Freunde? Dass besagter Psychologe den Betrug mittlerweile eingestanden hat, half so wenig wie die ärztlichen Gutachten, welche der Mutter einen verschobenen Wirbel attestierten – der Gemeinderat langte gerne auch mal etwas kräftiger zu, nicht nur bei ihr, auch bei den Kindern. Man hat zugesehen, in der Nachbarschaft, wie die schreienden Kinder aus dem Haus getragen wurden. Trotzdem steht die ganze Gemeinde hinter dem Politiker. Er spült Geld in die Gemeindekasse, hat Beziehungen und damit Macht. Manch einer meinte, „daran wolle man sich nicht die Finger verbrennen“. Soweit die Geschichte, sie war in der regionalen Presse zu lesen, aufgeregt hat sich kaum jemand.

Warum ich das alles erzähle? Dieser Tage geht eine Welle der Empörung durch die Medien, weil ein erwachsener Politiker einer erwachsenen Frau ein Nacktbild geschickt hat. Vom Arbeitsplatz aus, wie furchtbar. Andere machen in dieser Zeit eine Zigipause oder gehen aufs Klo, um dort… na ich will’s gar nicht wissen. Klar, ich möchte auch kein Nacktbild vom Herrn Müller, aber so schlimm kann der Mann ja nicht aussehen, dass man ernsthaft Schaden davontrüge. Glaube ich – oder war das Bild der Grund, weshalb die Frau plötzlich um 12 Jahre von 21 auf 33 gealtert ist? Oder geschah der kleine redaktionelle Irrtum, um die mediale Steinigung geschmierter in Gang zu bekommen? Jetzt schreiben irgendwelche Leser Briefe und verurteilen die Tat als „pervers“ oder widerlich. Die Rechtschaffenen halten ihre Leichen schön im Keller und schreien danach, der Grüsel möge seinen Hut nehmen. Noch bevor die Umstände überhaupt geklärt sind. Es fragt auch niemand danach, ob es allenfalls verwerflich sei, in die Öffentlichkeit rauszuposaunen, was man im Vertrauen zu zweit geteilt hat. Übrigens, ich kenne den Politiker nicht und mir ist recht egal, ob er im Amt bleibt oder nicht. Es geht ums Prinzip.

Wisst ihr, was ich glaube? Der Mehrheit der Empörten ist es doch leidlich egal, ob der Anblick vom nackten Herrn Müller von der Dame erwünscht war oder nicht. Wer will zudem hören, was in den 70ern war?! Manche mögen sich ja noch nicht mal mehr erinnern, was in den 40ern lief, also bitte. Gerechtigkeit, Menschlichkeit, who cares? Alles Weiberkram. Es sind nicht Empathie und Mitgefühl, die unser Gemüt in Wallung bringen. Wir engagieren uns dort, wo es wirklich, wirklich gefährlich wird. N-A-C-K-T-B-I-L-D-E-R…. wuäääh! Ist auch nicht zu anstrengend und komplex, das Thema. Nein, im Ernst, soll mir mal einer sagen, was an solchen Moralvorstellungen denn so viel anders ist wie in den 70ern. Nacktbilder und uneheliche Kinder, das ist doch beides die gleiche Sauerei. Früher hat man die Leute operiert, heute werden sie medial seziert. Der Müller ist selbst schuld, er hat gemacht, was wir uns nie erlauben würden. Drum sind wir ja so sauer. Bei Jung nennt man so etwas Schattenprojektion.

Beistand kommt von „beistehen“. Eigentlich.

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mutterkind„Gotti Natascha, willsch du uf dä Wolche tanze?“. Die kleine Melanie blinzelt mich munter an. Ich male mir aus, wie ich federleicht auf rosa Wolken hüpfe: „Au jaaa!“. „Dann musst du sterben, so wie Papi“. Seit Thomas den Kampf gegen den Krebs verloren hat, ist die 3-jährige voller Fragen. Warum ist ihr Papi im Himmel und der von Gotti Natascha nicht? Geht es ihm gut? Was macht er dort? Die Angst, deine Worte nicht mit genügend Bedacht zu wählen, schwingt mit, wenn dich die Kleine mit grossen Augen ansieht. Und mehr noch: Wie begegnest du der Frau, die den allerwichtigsten Menschen verloren hat?

„Wir möchten Ihnen unser herzliches Beileid aussprechen“. Thomas liegt seit knapp drei Wochen unter der Erde, schon flattert der Brief einer Behörde ins Haus, die sich dem Schutze jener verschrieben hat, die sich nicht selber wehren können. Einen Beistand wollen sie für die kleine Melanie. Grund ist ein Generalverdacht, die Mutter könnte den Erbteil der kleinen Halbwaisen auf den Kopf hauen. Der Brief erstickt in einer Sprache, so steif wie der Tote daselbst. Feinstes Beamtendeutsch eben. Offenbar eilt die Angelegenheit, es könnte ja sein, dass sich die Trauernde ein ausgedehntes Frust-Shopping gönnt. Fragt sich nur womit – wo doch die Banken im Todesfall erst mal alle Konten sperren. Trotzdem. Die Witwe muss antraben – mitzubringen ist ein Wald an Dokumenten, welche aufzutreiben einer Schnitzeljagd gleicht.

So sitzen wir also zu viert in einem kahlen Sitzungszimmer. In der Luft liegt ein grünlicher Hauch von Amtsschimmel. Herr B. rückt seinen Zwicker zurecht und beeilt sich, in millimetergenau sortierten Worten die Trauernde erneut seiner Anteilnahme zu versichern. Woran Thomas denn gestorben sei, will er wissen, wie das Kind reagiere, ob es ein soziales Umfeld gibt. Und vor allem: „Was ist an Vermögen da?“. Mariannes Mimik ist unbewegt, während die intimen Fragen sie durchbohren. Sie kennt die Antwort nicht. Im Herzen ist das auch nicht ihre grösste Sorge. Eine wortkarge Dame notiert alles haarklein auf einem karierten Block. Nun zückt Herr B. das vor ihm liegende ZGB, blättert eifrig und schlägt uns die Paragraphen um die Ohren. „Da sie ihren eigenen, wie auch den Erbanteil ihrer Tochter verwalten, befinden Sie sich in einer Interessenskollision. Wie Sie sicher wissen, sind wir gemäss §3XY ZGB gesetzlich verpflichtet, Ihre Tochter in Bezug auf ihre Interessen zu vertreten“. Der Mann ist freundlich, trotzdem liegt keine Wärme in seinen Worten. Der Juristenslang verwirrt mehr, als er klärt. Mir schwirrt der Kopf: Bin ich in Kafkas Schloss oder in einem Sketch von Loriot?

Von der Wiege bis zur Bahre… Für all die Ämter, Versicherungen und Banken sind mehr Formulare auszufüllen als der Friedhof Grabsteine hat. Dafür gibt‘s jedes Mal eine Totenbescheinigung, natürlich nicht gratis, damit Marianne auch ja nicht vergisst, dass ihr Schatz wirklich tot ist. Jetzt will Herr B. wissen, ob sie denn die Finanzfirma ihres Mannes weiterführt, oder ob sie veräussern will. Das ist ja auch das Erste, was man sich so überlegt, nachdem man seine grosse Liebe beerdigt hat – so in den 5 Minuten zwischen der Wahl des Grabsteins und dem Seriendruck von Trauerkarten. Ach ja. Die kleine Melanie ist auch noch da und braucht ihre Mutter. Jetzt ganz besonders. „Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht“, antwortet Marianne müde. „Ich empfehle, die Tochter auszuzahlen“, macht Herr B. unverdrossen weiter, „sie können dazu auch ein Darlehen aufnehmen“. Schulden machen? Wem ist damit denn gedient? „Ich will ihre Gefühle nicht verletzen“, fährt er fort , „aber vielleicht lernen Sie irgendwann einen neuen Mann kennen. Dann wird es kompliziert“. Jetzt ist klar, warum es so pressiert. Möglicherweise wartet der Liebhaber bereits unten im Auto und hofft, mit dem Erbe die langersehnte Golfausrüstung anzuschaffen.

Was kann denn dieser Beistand eigentlich, was das Erbschaftsamt nicht auch hinkriegt? Ist er ein Finanzprofi? Immerhin soll er doch das Beste aus Melanies Vermögenswerten machen. „Nun, wir hätten zwei Notare an der Hand…“. Ah ja, noch mehr Juristen. „Es kann auch jemand aus dem privaten Umfeld sein, den müssten wir dann aber prüfen“. Marianne scheint das Gleiche durch den Kopf zu gehen: „Arbeitet dieser Beistand ehrenamtlich, oder wer bezahlt das?“ „Nun, das wird aus Melanies Vermögen finanziert“.

Ich fasse zusammen. Die Kleine ist per Gesetz verpflichtet, ihr Geld zu einem Juristen zu tragen, der sie vor der „Interessenskollision“ ihrer Mutter schützen soll. Welche übrigens ihr letztes Hemd für ihre Tochter geben würde. Das einzige was hier kollidiert, ist Paragraph irgendwas mit dem gesunden Menschenverstand. Wer schützt das Kind vor diesem Schutz? Ich frage Herrn B., wie denn sichergestellt wird, dass der Beistand seinen Aufwand auf dem nötigsten Minimum hält. Er windet sich. So sei halt das Gesetz. „Das haben wir aber noch nie erlebt, dass ein Beistand mehr Geld aus der Sache geschlagen hätte, als nötig ist“. Das hat meine Mutter seinerzeit ganz anders erlebt. Aber die Zeiten haben ja geändert, nicht wahr? Es geht doch nichts über Vertrauen.

Das Böse ist immer und überall.

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spionNeulich ging ein Aufschrei durch die Menge. Whatsapp gehört jetzt Facebook. Bald wissen die, wieviele Lagen unser Klopapier hat und wann wir es verwenden. Unterdessen hat das Entsetzen wieder der Trägheit Platz gemacht. Trotzdem liegt man auch mir ab und an mal in den Ohren, wie gefährlich Facebook sei und dieser Blog hier sowieso. Voll böser Menschen ist die Welt, und sie wissen, wo ich in den Ferien war, mit wem ich feiere und welche Schuhe ich mir auf Zalando angesehen hab. Das ist wahr. Man weiss auch, wo ich arbeite: Das hat mein Arbeitgeber daselbst ins Netz gestellt. Man könnte mir abpassen und mir ein Stopp-Schild über die Rübe ziehen.  

Privatsphäre ist subjektiv, jeder entscheidet selbst, was er preis gibt und trägt dafür die Verantwortung. Niemand muss online sein. Aber genau jene, die am meisten darüber wettern, surfen dann durch die Profile ihrer Freunde, ohne sich zu beteiligen – am besten anonym, mit gefaktem Namen und Bild. Möchte man unter ner Burka in die Sauna, würde man per Arschtritt hinaus spediert. Die Offenheit anderer ohne eigenes Engagement zu konsumieren ist so normal wie sich Drinks spendieren zu lassen, ohne selber je einen auszugeben. Kann man machen, ist aber irgendwie n’bisserl… naja. Meine Privatsphäre liegt in etwa so blank wie Prinz Harrys Hintern in den Medien. Trotzdem hätt ich noch Steigerungspotenzial. Ich könnte über meine sexuellen Vorlieben plaudern oder mich auf dem Gipfel meiner Wut filmen. Ich würde polarisieren, die Zugriffe in die Höhe schnellen – ich könnt endlich etwas Kohle machen mit dem Social Media-Zeugs.

Der Feind lauert nicht nur online: Die Merkel kann sich noch nicht mal per Telefon ne Pizza bestellen, ohne dass die Amerikaner über den Belag Bescheid wissen. Apropos Merkel: Ich such sie auf Facebook und werde rasch fündig: Auf dem Profilbild zieht sie ein Gesicht, als hätte sie ihre Pizza mit Zitrone bestellt. Oh je. Falsches Profil. Merke: Auch jemand anders kann was über dich posten. Dann war neulich noch der Fall jenes Herrn, der sich auf Facebook freute, die Motorfahrzeugkontrolle trotz unerlaubter Distanzscheiben passiert zu haben. Ich hätte mal behauptet, das Problem ist hier nicht Social Media, sondern Asocial Friends – kurz, der Typ hat mindestens ein Arschloch unter seinen Freunden. Verräter gab es schon vor 2000 Jahren. Man lese die Bibel.

„Wenn deine politische Gesinnung bekannt ist, kriegst du vielleicht einen Job nicht“. Nun, ich bin ja kein Extremist. Etwas grün vielleicht, aber nicht mal sportlich genug, um mich im Joggeli abzuseilen. Hierzulande werden auch keine Bücher verbrannt. Das bleibt hoffentlich so, wenn alle fleissig weiter ihre Meinung äussern und damit zu einer Kultur des offenen Austauschs beitragen. Ansonsten stehen die politischen Kräfte in einem Verhältnis von etwa 50:50, das weiss man spätestens seit der letzten Abstimmung. Wer dann auf dem Land keinen Job findet, hat ja in der Stadt beste Chancen.

Ehrlich, ich habs mir zu Herzen genommen und nachgedacht. Dutroux fand seine Opfer ganz ohne Facebook, Auch Stalker gab’s lange vor den Neuen Medien. Mobbing braucht kein Internet, ein eigenes Profil schon gar nicht. Sicher, die Leser könnten meine Schwächen analysieren. Aber ich vermute, Bruce Darnell wäre kaum gross betroffen vom Vorwurf, er breche schnell in Tränen aus. Selbstbewusstsein trägt kein Pokerface. Ohnehin ist es viel reizvoller, die Schwächen jener aufzudecken, die sie zu verbergen suchen. Oder spielt jemand von euch Memory mit den Bildchen nach oben?

Das Internet birgt Gefahren, keine Frage. Die Mikrowelle tendenziell auch, trotzdem kann sie nützlich sein, solange man keine Katze reinsteckt. Mir träumt, der Mensch bräuchte es eines Tages nicht mehr, wegen jedwedem Mist über andere zu richten. Das ist Utopie, ich weiss. Ich hab aber auch echt keinen Bock, mich vor der Welt zu verschliessen, weil jeder Freund ein Feind sein könnte. Latentes Misstrauen heisst, Enttäuschungen vorweg zu nehmen, stets auf der Hut zu sein. Ich setze weiterhin auf Vertrauen. Und nenn das Freiheit.

Liebesbrief.

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moeweWahrscheinlich mag die mich nicht, dachte ich erst. Sie stilvoll klassisch , ich Villa Kunterbunt. Ich war neu in Zürich, neu an jener Schule. Dann haben wir zusammen gebüffelt, für den Planer Marketing-Kommunikation, so hiess das damals noch..

Nur wenige meiner Gspänli kennen Susanne, denn sie ist nie dabei an Partys, sie hasst sowas. Sie aber kennt alle, die zu meinem Leben gehören. Weil sie sich aufrichtig interessiert erkundigt. Sie macht sich nicht einfach ein Bild von einem Menschen, sie stellt ein Gebäude, das sie allmählich und wohlwollend möbliert.

Es ist nicht die Art Freundschaft, in der man ständig zusammenklebt. Und doch spielt sie eine Hauptrolle in den Erinnerungen, die mir Zürich zur Heimat machen:
Wie sie stets freudig aufgesprungen ist im Büro, um diesen vermaledeiten Radio aufzudrehen, sobald ein Song nur grässlich genug durch den Äther schepperte: „Eeeeeeeh Macarena“. Grauslich… Den Job bei der EPA hatte ich ihr zu verdanken. Keine Ahnung, wie sie mich angepriesen hat, aber als ich bewerbenderweise friedlich mit der Personalchefin plauderte, platzte der Gruber, mein zukünftiger Chef hinein, und beschied: „Es isch guät, sie isch agschtellt“. Ich hatte den Mann zuvor noch nie gesehen. Oder später, als Chibbi, Susannes Hund, den Toute-de-Suite hatte und ins Büro schiss. Der Gruber ist reingetrampt. Läck, hat der geflucht. Einmal haben wir uns kurzerhand bei ihr eingequartiert, Michel und ich, weil in der neuen Bleibe noch die Handwerker wüteten. Es geht mir heut noch ans Herz, wie zerstört sie war, als dieser Dumpfbeutel von einem frisch geschlüpften Vogel, den sie unter dem Baum aufgefischt und daheim aufgepäppelt hatte, nichts besseres wusste, als ausgerechnet ins Aquarium zu flattern und dort zu ersaufen. Oder jener Moment, als wir für jemanden ein Kerzli anzündeten, vor der geschlossenen Kirche. Es war für mich ein Geschenk, diesen Moment mit ihr teilen zu dürfen.

Freundinnen kamen und gingen. Letzteres, sagen sie, wegen meiner unverhohlen geäusserten Selbstzweifel, die mir anscheinend nicht zustehen. In Phasen, in denen ich im Kreis ging, weil sie nicht mitdrehen wollten. Oder weil sie schlicht wegzogen und neue Freunde fanden, in jener Stadt eine Stunde von hier. Vielleicht auch, weil ich Erwartungen, die ich nicht kannte, nicht erfüllte. Susanne hört sich meinen Scheiss jetzt schon dreizehn Jahre lang an. Ich kenne nur wenig Leute, die mich so virtuos zum Lachen bringen, wenn ich im Elend bin. Mit ihrem staubtrockenen, einfühlenden Humor. Sie will mich nicht belehren, erst mal ein herzhaftes „Am liebsten würde ich ihm die Fxxxx polieren, weil er dich verletzt hat“ aus ihrem eleganten Mund, und dann kann die Sache auch ganz gepflegt erörtert werden.  

Gestern Nacht nun, kurz vor dem Einschlafen, krächzte eine Möwe vor dem Fenster. Ich kicherte leise. „Was ist?“, fragte das Gspänli neben mir im Dunkeln. Ich erzählte ihm von jener kleinen Brücke auf Mallorca. Unter ihr ergoss sich ein gewundener, seichter Fluss ins offene Meer. Wir seufzten „Jöööh“ und „Hach“, hinunter, Susanne, ihr Freund, Michel und ich. Dort nämlich paddelten flauschige gelbe Entchen arglos durch die Welt. Plötzlich, wie ein Komet aus dem Himmel, stürzte die Möwe herab und krallte sich eines der Küken. Susanne, die liebe, warmherzige Susanne war tief geschockt. Wir anderen kommentierten diesen Situationszynismus mit tiefschwarzen Witzen, was den Susann’schen Vulkan zunehmend zum Brodeln brachte und sich abends – ich traute mich schon gar nicht mehr, am Buffet von der Ente zu schöpfen – in einem wütenden Ausbruch über uns ergoss. Ich fürchtete schon, sie sei jetzt für immer muff. Doch noch in der gleichen Nacht kroch leise ein Blatt Papier unter der Zimmertür durch – Susannes Friedenspfeife.

So erzählte ich die Geschichte zu Ende, hörte die tiefen Atemzüge neben mir. Ich lag wach da. Susanne ist einer meiner Grundpfeiler. Und jetzt rüttelt die ganze Härte des Lebens an ihren filigranen Schultern, derweil mein Dasein weitertänzelt, als würde sich die Erde drehen, die Blätter fallen und neue erblühen. Kann das, darf das so sein? 

Chmchmchm.

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geraeusch„Dass mein Büro-Kollege immer wie ein Ross aus seiner blöden Wasserflasche saufen muss. Diese penetrante Dauer-Wasser-Sauferei von gewissen Leuten….“. Marc ist entnervt: „Die Gluckserei von dem Vis-à-vis, als würde man gleich verdursten, wenn man mal eine Viertelstunde nix trinkt…“. Sabber, schmatz, gurgel, hicks: Wie steht’s mit dir? Bist du geräuschempfindlich?

Ich für meinen Teil lasse zwei Liter Wasser täglich durch die Flasche gluggern. Mindestens. Das ist geräuschetechnisch noch harmlos: Neulich hab ich im Büro lautstark einen Tirggel (für alle Nichtzürcher:  http://lmgtfy.com/?q=tirggel) zwischen meinen Backenzähnen zermalmt. Einige Tage später erreichte mich eine Mail: „.Du, nicht dass es da ein Missverständnis gibt. Neulich hast du einen Tirggel gegessen, und dann fing Melanie auch noch damit an. Da hab ich gesagt, das sei ja ein richtiger Tirggel-Chor. Mehr habe ich nicht gesagt. Nur dass du nicht das Gefühl hast, wir unterhalten uns des Langen und Breiten über deine Kaugeräusche.. 🙂“. Emissionen des Verdauungstrakts sind per se heikel, auch rein akustisch. Vom Kiefer bis zum Allerwertesten nimmt das Unheil zunehmend seinen Lauf. Hingebungsvolles Kauen würde zumindest dem wesentlich skandalöseren Bäuerchen vorbeugen. Wenn dann die Luft der Schwerkraft entsprechend erst mal ihren Weg bahnt, weiss man ja, wo das endet. „Chmchmchm. Chmchmchm“. Es knabbert vernehmbar im Grossraumbüro und ja, das kann nerven. Auch mich, wenn ich eh schon mies gelaunt bin. Dann tut mir der arglose Knusperling trotzdem fast leid, wie er da sitzt, friedlich vor sich hin knusperknäuschend. Der frohgemute Hase am Möhrchen, nicht ahnend, dass man ihn am liebsten in den Kochtopf stecken würde.

Einmal hatten wir ein Bürogspänli, das – man weiss nicht warum – immer wieder mal wohlig vor sich hingrunzte. Dem Vernehmen nach sollen sich einige der unfreiwilligen Zuhörer mit dem Gedanken getragen haben, offiziell dagegen zu protestieren. Obschon er ja schätzungsweise nicht aus freien Stücken gegrunzt hat, das arme Schwein. Jedenfalls bin ich froh, sammelt niemand gegen meine Selbstgespräche Unterschriften, noch nicht mal gegen meine leidenschaftlich dahingeschmetterten Flüche. Und ich bin auch dankbar, darf ich während der Arbeit überhaupt essen. Sogar vom Brötchengeber gesponserte Äpfel, deren Knacken auch nicht eben dezent ausfällt. Solches in einer Zeit, wo ja gegen das Essen im Tram arg polemisiert wird. . „Fressen im Tram geht gar nicht“, hat neulich einer auf Ronorp gepostet. Telefonieren auch nicht. Greifst du im ÖV zum Handy, widmet man dir bestenfalls einen Leserbrief, schlimmstenfalls einen Blogbeitrag. Noch verpönter ist Gesang, da schwingen gleich mal ein Dutzend Köpfe in deine Richtung und man fragt sich, aus welcher Anstalt du ausgebrochen bist. Selbst schreiende Kinder ernten böse Blicke. Verbote müssen her, alle Macht den Scheintoten! Spätestens wenn man sich auf dem Sihlhölzli statt im Tram wähnt, werden dann wieder die griesgrämigen Mienen der Mitreisenden beklagt.

In Diskussionen um die Moral sind jene mit der lascheren Haltung immer in der Defensive. Mich stört das alles nicht. Singende Menschen wärmen mir das Herz, selbst wenn die Töne schiefer sind als der Turm zu Pisa. Ich lass mich auch gern von nem schallenden Lachen anstecken. Oder tausche mit anderen Menschen augenzwickernd ein Schmunzeln, wenn wir Zeuge eines lautstark geführten skurrilen Gesprächs sein dürfen. Ich weiss, es gibt Menschen, die ernsthaft unter lauten, nervigen Geräuschen leiden. Aber mal ganz ehrlich, kann es sein, dass eine Mehrheit ganz einfach mürrisch ist? Genauso wie ich, wenn mich das Knuspergeräusch meines Gegenübers auf die Palme bringt. An Parties gibt‘s gratis Oropax, im ÖV muss man sie selber zahlen. He jo, drno. Und Marc? Sein Gspänli hat jetzt Grippe und muss Tee trinken. Und weil der so heiss ist, gluckst er nicht mehr – er schlürft.

Land unter in der WG

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wgDieser Tage beherrscht die Debatte zur Masseneinwanderungsinitiative die Medien. Es wird diskutiert, ob in der urchigen Schweiz bald Wohnsilos wie Pilze aus dem Boden schiessen – Türme, randvoll gefüllt mit Menschen auf engstem Raum. Wir wissen es nicht. Falls es so wäre: Im Anlitz des knappen Wohnraum scheint eine WG als Wohnform geradezu ideal. WG – nein, keine (Ein-)Wandergruppe. Individuen, günstig lebend in netter Gesellschaft ; die Wohngemeinschaft. Zurzeit bin ich öfters zu Gast in eben einer solchen. Und weil man das ja alles selbst schon mal durchgemacht hat, geh ich auf eine gedankliche Reise in die Vergangenheit – damals, als ich neu in die Stadt an der Limmat kam und meine Chance sah, als Baslerin so WG-mässig das Zürcher Integrationsprogramm zu durchlaufen.
 
In jenem Haus im Kreis 6 gab es drei Wohnungen, verteilt auf ebensoviele Stockwerke. Jedes der Zimmer zierte ein Lavabo, 16 Lavabos im ganzen Haus. Dieser ungewöhnlichen Innenarchitektur wegen war jedes Stockwerk von einer WG bewohnt – wer sonst will schon fliessend Wasser im Wohnzimmer? Im obersten Stock streuten sich zerlegte PC’s über den Boden. Ein paar Jungs, vermutlich keine Gärtner. Die Gemeinschaft im zweiten Stock markierte ihren Bereich bis ins Waschhaus, wo eine kunstvolle Installation schmutziger Wäsche ganzjährig zu einem hohen Turm gestapelt war. Wir, Bianca, Melanie, Babsi und ich, hielten als WG-Frischlinge im Hochparterre Einzug. Nun hatte ich so ein romantisches Bild. Philosophische Diskurse in der Küche, ab und an ne fette Party, alles ganz easy, alle für einen, einer für alle. So ähnlich. Das Erstere scheiterte daran, dass Bianca – eine junge, schüchterne Studentin – flüchtete wie ein aufgescheuchtes Reh, sobald wir Wölfe hungrig die Schnauzen zur Küchentür rein streckten. Melanie indes war nicht schüchtern, sie hatte einfach gern ihre Ruhe und daher die Türe stets geschlossen. Natürlich gab es Gespräche, nicht selten darüber, von wem dieser Speiserest auf dem Löffel stammt. Wie hat das Klopapier zu hängen, Gefrierbrand am Hintern oder Mief über dem Lokus, und wer klaubt die Spinne von der Decke? Das sind die wahren Entscheidungen, die das Dasein des modernen Menschen bestimmen. Abends überzog ein rhythmisches Klopfen regelmässig den Raum mit einem hellen Klangteppich. Dong, Dong, Dong, jemand spielt Xylophon auf dem Heizkörper. Die von oben. Sobald wir den Fernseher einschalteten, so gegen 20 Uhr. Anscheinend zu laut, die Wände sind ringhörig. Es weiss der Mensch ganz genau, wie die Welt zu sein hat – nämlich so, wie es eben gerade seinem Bedürfnis entspricht. Selten kommt einer auf die Idee, es hätten auch andere Sichtweisen ihre Berechtigung. Leider ist das in einer WG nicht anders. Trotzdem, die Welt ist paradox, ich mein ja nur: Kiffen, Räucherstäbchen und Kleiderberge im Waschhaus, aber dann auf hypersensibel machen? Was ist mit Toleranz und so? Oder einfach mal klingeln und freundlich die Sache klären?
 
Eines Tages jedenfalls latsch ich ahnungslos ins Badezimmer. Ein Schritt und meine Socke fühlt sich an wie ein kaltes Gerber-Fondue frisch aus der Packung. Gleichzeitig versenkt sich mit Anlauf etwas Feuchtes in meinem Haaransatz. Mein Blick geht zur Decke. Es tropft. Ich stutze kurz, renn aus der Wohnung, die nassen Socken pflitsch, pflatsch, immer zwei Stufen auf einmal. Ich presse meinen Finger gegen die Türglocke. Nichts regt sich. Nochmals: „Drrrring, drrrring“. Njet. Mal die Türfalle drücken, man weiss ja nie. Tatsache, die Wohnungstür öffnet sich. Zu meiner Linken dringt ein lautes Plätschern, nein eher ein Rauschen aus dem Badezimmer. Leise quietschend schwingt die Türe nach innen und gibt den Blick frei auf die Miseria. Der Raum steht unter Wasser, aus dem Hahnen ergiesst sich froh das lauwarme Nass in die übervolle Wanne. Wie Kate Winslet in Titanic pflüge ich mich durch die Überschwemmung, und bereite dem Spuk ein Ende. Jetzt, wo die wogende Brandung in der Wanne dem gierigen Gurgeln des Abflusses Platz macht, höre ich Stimmen. Ich wate Richtung Küche, sehe Licht. Die Damen sind am Plaudern, mustern mich jetzt mit überraschtem Blick. „Ihr habt ein Problem im Badezimmer“, stelle ich fest. Wie von der Tarantel gestochen springen sie auf. „Die Wanne!“. Mit Baden ist jetzt wohl nichts mehr. Immerhin – die haben offenbar, was ich wollte: Philosophische Runden, die dich echt noch reinziehen. Von diesem Tag an hörte das Klopfen am Heizkörper auf. Nichts und niemand ist perfekt, und wenn wir das merken, erwarten wir’s auch von anderen nicht mehr. Wenn nicht, löst sich vielleicht auch das Problem mit der Überbesiedlung – durch Totschlag mit schmutzigen Löffeln. Oder Ertränken. Wenn die Wanne ja schon mal voll ist.  

Der heilige Gral der Jugend.

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aperoaltDer Flakon ist leer, kein Zweifel. Mein Daumen hämmert auf den Dosierspender ein wie ein Specht auf den Baumstamm. Nichts quillt hinaus. Ja, es ist wissenschaftlich belegt, dass Hautcrèmes den Zerfall nicht zu stoppen vermögen, den Wunderpreisungen der Werbung zum Trotz. Ich setze dennoch voll auf den Placebo-Effekt. Ausserdem hat man mir schon den Nikolaus genommen und die Feen. Den Glauben an den ewigen Jungbrunnen, unter dessen streichelzartem Einfluss meine Haut sich gleichsam dem merkwürdigen Falle des Benjamin Button ins Kindesalter zurück entwickelt, halte ich trotzig aufrecht. Nun, da mir die Leere des Topfes entgegen gähnt, ist die Zeit gekommen, sich über die neuesten technologischen Errungenschaften der Kosmetikindustrie kundig zu machen. Ich mache mich auf, den heiligen Gral der Jugend zu finden.

Ich tigere also in die Apotheke. Hier gibt es nicht nur Tablettchen, die dem verfrühten Tode ein Schnippchen schlagen. Die Gestelle sind randvoll gefüllt mit Salben, welche selbst einen Zombie wie die dralle Maid aus der Milchwerbung aussehen lassen. Meine Recherchen haben ergeben, dass die Presse ein Produkt von Clinique lobpreist. Dieses bewässert die Haut angeblich besser als der Nil Ägypten. Ich trinke untertags zwar mehr Wasser als ein afrikanischer Wasserbüffel an der Tränke, trotzdem lacht mir aus dem Spiegel oft eher ein Knollensellerie entgegen statt eines Golden Delicious.

„Das ist ein 3-Phasen-Produkt“, erklärt die adrette Apothekenhelferin. 3 Phasen bedeutet, du hast die Phasen der Hoffnung und Vernunft überwunden und befindest dich in der Endphase, der schieren Verzweiflung. Das ist der Moment, wo du bereit bist, dir drei verschiedene Crèmes statt deren einer ins Gesicht zu schmieren. So weit bin ich noch nicht. Ich will keine chemische Reaktion erzeugen und brauch auch keinen Zweikomponenten-Kleber. Ich will eine für alles. Ein Musketier-Balsam quasi. „Hm“, murmle ich, „können Sie mir vielleicht sonst was empfehlen?“. Die Dame im weissen Kittel blickt mich an. Ihre Pupillen verengen sich. Jetzt spricht sie schneller, ich spüre ihre Aufregung. „Ich habe hier etwas“, flüstert sie beschwörend, mit lauerndem Blick. Wie ein Luchs, dessen Beute sich arglos nähert. „Sensai… da hat es Seide drin. Das macht die Haut ganz weich“.

Seide, Kaviar, ja gar Gold. Warum hatte noch keiner die Idee, da Vincis „Mona Lisa“ zu zermahlen und in Crème-Tiegel abzufüllen? Würde sich sicher gut verkaufen. Ich weiss genau, wieso die luchsige Dame mir die Kokonfasern leidgeplagter Insektentiere empfiehlt – nicht weil sie mich für ein Kleid hält, nein, die Crème ist so teuer, dass mir die Falten vor Schreck aus dem Gesicht fallen sollen. 300.— kostet das Zeug. Das muss ja ordentlich was können! Darf ich damit rechnen, beim nächsten Warenhausbesuch am Kundenservice abgegeben zu werden, weil ich mein Mami verloren hab?

Ich beschliesse, dem Elend ein Ende zu setzen und endlich irgendwas zu kaufen. Es gibt da ein neues Produkt von Eucerin. Das kann etwas, was bisher nur Haarsprays vermochten. „Rom, 30 Grad, das Gesicht hält“. Nein, dieses Produkt verspricht Volumen. Ich stelle mir vor, wie mein schmales Gesicht aufploppt, wie ein Kugelfisch in Rage. Das ist super. Dieser Topf wird gekauft.

Am nächsten Morgen streiche ich mir das Mittel der ewigen Jugend erwartungsfroh ins Gesicht. Ich glänze wie eine Speckschwarte. Falls ich gleich anfange zu grunzen, wär wohl zumindest die Sache mit dem Volumen erfüllt. Anstatt in die Haut einzuziehen und dort ihre Wunderwirkung zu vollbringen, überzieht dieses Erzeugnis mein Antlitz mit einer schmierigen Schicht. Spätestens nach dem Auftragen des Make-ups sehe ich aus wie Alaskas Küstengewässer nach dem Tankerunfall der Exxon Valdez. Eigentlich wollte ich etwas, das mehr in der Tiefe wirkt. Ich glaube, das nächste Mal nehm ich was mit Algenextrakt.